Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 9 U 175/95
Tenor
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
2Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung des Klägers ist auch in der Sache begründet.
3Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger wegen des Schadenfalles vom 19.6.1994 aus der für den PKW Opel Vectra, amtl. Kennzeichen ......, abgeschlossenen Vollkaskoversicherung zu entschädigen, § 12 Nr. 1 II e AKB.
41.
5Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme von einer Leistungsfreiheit der Beklagten nicht ausgegangen werden. Das Landgericht hat Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit angenommen, weil der Kläger in der Kasko-Schadenanzeige sowohl die Frage nach dem Unfallhergang als auch die besondere Frage nach Alkoholgenuß unzutreffend beantwortet habe. In der Schadenanzeige vom 24.6.1994 hat der Kläger die Frage "Hat der Fahrer in den letzten 24 Stunden vor dem Schadenfall Alkohol zu sich genommen?" mit "Nein" beantwortet und den Schadenhergang dahin geschildert, er sei aus unerklärlicher Ursache mit seinem Kfz von der Fahrbahn abgekommen und im Straßengraben gelandet.
6a)
7Aufgrund der Aussage des Zeugen V. in Verbindung mit den Angaben des Klägers bei seiner Anhörung vor dem Senat ist nicht nachgewiesen, daß die verneinende Angabe des Klägers zur Alkoholaufnahme falsch ist.
8Der Kläger selbst hat Alkoholgenuß am Vortag bis zum Unfallzeitpunkt immer wieder in Abrede gestellt. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, daß er dabei die Unwahrheit gesagt hätte, sind nicht hervorgetreten. Jedenfalls können die Angaben des Klägers nicht als widerlegt angesehen werden.
9Sie sind es schließlich auch nicht aufgrund der Aussage des Zeugen Polizeimeister V., der mit dem Kläger nach dem Unfall und der Sicherstellung seines Fahrzeuges mehrfach telefoniert hat. Dabei hat der Kläger nach der Aussage des Zeugen V. Alkoholgenuß eingeräumt, dies jedoch bei einem weiteren Telefonat am 30.6.1994 energisch abgestritten, was der Zeuge in seinem Bericht vom 1.7.1994 niedergelegt hat.
10Aufgrund der Aussage des Zeugen V. hat der Senat nicht die für den Nachweis einer Obliegenheitsverletzung erforderliche Überzeugung gewinnen können, daß der Kläger tatsächlich in - wie auch immer - alkoholisiertem Zustand gefahren ist bzw. in den letzten 24 Stunden vor dem Schadenfall Alkohol zu sich genommen hat. Dafür waren die Angaben des Zeugen V. insgesamt zu vage. Der Zeuge wußte noch, daß der Kläger etwas von Alkoholgenuß gesagt hat, aber in welchem Zusammenhang, konnte er sich nicht mehr festlegen. Im Bericht des Zeugen vom 1.7.1994 ist zwar etwas konkreter niedergelegt, der Kläger habe angegeben, etwas getrunken und Angst um seinen Führerschein gehabt zu haben. Nähere Einzelheiten, etwa über den Anlaß und den Zeitpunkt, die Menge oder die Art der Alkoholaufnahme finden sich dort nicht. Zudem ist der Bericht des Zeugen 11 Tage nach dem Telefonat vom 20.6.1994 niedergelegt worden. Der Zeuge V. hat zwar bekundet, er könne sich solche Einzelheiten auch über einen Zeitraum von 10 Tagen merken. Wenn hierzu Zweifel auch nicht auszuschließen sind, erscheint andererseits die Darstellung des Klägers zu dem Vorgang der Telefongespräche mit dem Zeugen V. nicht unplausibel. Der Kläger fühlte sich nach seinen Angaben - zu Recht oder zu Unrecht - bedrängt, sein Wagen war sichergestellt, und der Zeuge V. sprach ihn mehrfach gezielt auf Alkoholgenuß an, so daß der Kläger ihm nach seinen Angaben schließlich gesagt hat, er könne ins Protokoll schreiben, was er wolle. Auch der Zeuge V. hat es auf Nachfrage für denkbar gehalten, daß der Kläger vielleicht, weil er Angst gehabt habe oder ihn los sein wollte, die ihn belastende Äußerung gemacht hat. Daß der Zeuge aus seiner subjektiven Sicht dem Kläger den Alkoholkonsum geglaubt hat, reicht aber zum Nachweis, daß es sich tatsächlich so verhalten hat, angesichts der vom Kläger geschilderten Umstände nicht aus. Es verbleiben vielmehr gewichtige Zweifel, ob eine gleichwie geartete Äußerung des Klägers gegenüber dem Zeugen V. hinsichtlich des Alkoholkonsums zutreffend war und der Kläger sich zu Recht belastet hat. Diese Zweifel wirken sich zu Lasten der für den Nachweis einer Obliegenheitsverletzung beweispflichtigen Beklagten aus, die insoweit beweisfällig geblieben ist.
11b)
12Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf falsche Angaben des Klägers zum Unfallhergang.
13Während der Kläger in der Schadenanzeige vom 24.6.1994 angegeben hat, aus unerklärlicher Ursache von der Fahrbahn abgekommen zu sein, hat er dem Zeugen V. gegenüber erklärt, ihm sei wohl ein Tier in die Quere gekommen. Daß ersteres falsch ist, hat die Beklagte nicht bewiesen, und soweit letzteres falsch ist, vermag dies eine Leistungsfreiheit der Beklagten nicht zu begründen.
14Die wirkliche Unfallursache ist nicht festgestellt, so daß die Angabe des Klägers "aus unerklärlicher Ursache" nicht widerlegt ist. Diese Angabe des Klägers in der Schadenanzeige hatte die Beklagte bereits vorliegen, als sie im Oktober 1994 die Ermittlungsakte erhalten und von der Angabe des Klägers gegenüber dem Zeugen V. Kenntnis genommen hat.
15Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber Strafverfolgungsbehörden sind nur insoweit erheblich, als sie zugleich das Aufklärungsinteresse des Versicherers unmittelbar berühren. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß die der Beklagten erst zu einem späteren Zeitpunkt zugänglich gewordene Angabe des Klägers gegenüber dem Zeugen V. über den Unfallhergang ihr Aufklärungsinteresse noch beeinträchtigen konnte. Insbesondere ist die Polizei dadurch von geeigneten Ermittlungsmaßnahmen ersichtlich nicht abgehalten worden (vgl. dazu BGH r + s 95, 328 = VersR 95, 1043).
16c)
17Aus einer "Unfallflucht" des Klägers kann die Beklagte ebenfalls keine Leistungsfreiheit herleiten. Dies hat das Landgericht zutreffend gesehen. Bei einem sogenannten Alleinunfall besteht für den Versicherungsnehmer keine Wartepflicht nach § 142 StGB und scheidet mangels vertraglicher Vereinbarung auch eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit aus (vgl. dazu BGH r + s 87, 214 = VersR 87, 657; VersR 76, 84). Diese Grundsätze haben gleichermaßen Geltung auch bei einem Unfall eines sicherungsübereigneten Fahrzeugs wie hier, da der Kläger wirtschaftlich der Alleingeschädigte ist (so auch Stiefel-Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 16. Aufl. Rdnr. 35; Knappmann in: Prölss-Martin, VVG 25. Aufl., Anm. 2 b, jeweils zu § 7 AKB).
182.
19Leistungsfreiheit besteht schließlich nicht gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten ist der Nachweis nicht erbracht, "es sei zwingend davon auszugehen, daß der Unfall durch Alkoholgenuß herbeigeführt worden ist". Konkrete und beweiskräftige Feststellungen zu einer irgendwie gearteten alkoholischen Beeinflussung des Klägers konnten, wie bereits dargelegt, nicht getroffen werden.
203.
21Dem Kläger stehen jedenfalls die geltend gemachten 21.190,- DM als Entschädigung zu. Zwar bestreitet die Beklagte in der Berufungserwiderung erstmals die Schadenhöhe.
22Der von ihr beauftragte Gutachter Braukmann hat in seinem Gutachten vom 29.6.1994 bei einem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges von 27.800,- DM Reparaturkosten von 23.999,57 DM ermittelt. Daß diese Feststellungen sachlich falsch seien, ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich.
23Vorliegend ist demnach nicht von einem Totalschaden, sondern von einem Reparaturschaden gemäß § 13 Abs. 5 AKB auszugehen, so daß die Beklagte die erforderlichen Kosten der Wiederherstellung des Fahrzeugs zu ersetzen hat. Auf den von der Beklagten verlangten konkreten Reparaturnachweis kommt es insoweit nicht an.
24Daß der Kläger den in der Summe von 21.190,- DM enthaltenen Betrag von 40,- DM als Ersatz einer Unkostenpauschale geltend gemacht hat, die in der Kaskoversicherung nicht ersatzfähig ist, schadet hier nicht.
254.
26Der Zinsanspruch ist aus §§ 284, 286, 288 BGB begründet.
275.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
29Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer der Beklagten: 21.190,- DM.
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