Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 255/94
Tenor
1
T a t b e s t a n d
2Der am 27. 11. 1985 geborene Kläger macht mit seiner im November 1992 anhängig gemachten Klage Schadensersatzansprüche wegen Behandlungsfehlern anläßlich seiner Geburt geltend.
3Die 1954 geborene Mutter des Klägers, die vor der Geburt des Klägers bereits 1O (beziehungsweise angesichts divergierender Angaben in den Krankenunterlagen jedenfalls 7) Kinder geboren und drei Fehlgeburten erlitten hatte, hatte sich während der Schwangerschaft mit dem Kläger in der Zeit vom 17. 7. 1985 bis 22. 7. 1985 sowie vom 1. 8. bis 5. 8. 1985 wegen drohender Fehlgeburt in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1) befunden.
4Als errechneter Geburtstermin ist in den Krankenunterlagen der Beklagten zu 1) der 15. 1. 1986 angegeben.
5Am frühen Morgen des 27. 11. 1985 - der genaue Aufnahmezeitpunkt, zu welchem in den Krankenunterlagen divergierende Angaben gemacht sind, ist unter den Parteien streitig - begab sich die Mutter des Klägers in das von der Beklagten zu 1) betriebene B.-Krankenhaus. Der Beklagte zu 2) leitet dort als Chefarzt die geburtshilfliche Abteilung.
6Die Beklagte zu 3) ist in diesem Krankenhaus als Hebamme tätig und war auch bei der Geburt des Klägers zugegen. Die Beklagte zu 4) war am Geburtstag des Klägers als Assistenzärztin diensttuende Ärztin in der geburtshilflichen Abteilung. Nach ihrer von den Parteien nicht bestrittenen Erklärung vor dem Senat hat sie 1993 ihren Facharzt für Frauenheilkunde gemacht und befand sich insoweit zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers im zweiten Jahr ihrer Fachausbildung zur Frauenärztin. Zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers hatte sie an 3 - 4 Beckenendlagegeburten teilgenommen (bei jährlich 5OO bis 6OO Geburten im Krankenhaus der Beklagten zu 1)).
7Zum Aufnahmezeitpunkt ist in dem vom Pförtner geführten Aufnahmebuch handschriftlich 5.O5 Uhr dokumentiert, in dem maschinell geführten Datenblatt als Anlage zum Krankenblatt (Bl. 136 d.A.) ist insoweit als Aufnahmezeitpunkt 4.OO Uhr angegeben.
8In dem Krankenblatt der geburtshilflichen Abteilung der Beklagten zu 1) heißt es in dem von der Beklagten zu 3) ausgefüllten Abschnitt auf Seite 1 "Jetzige Schwangerschaft":
9X. para.
10Becken: physiologisch
11Regelwidrigkeiten: Fuß-Steißlage
12Kunsthilfe: med.-lat. Epi., Veit Smellie.
13In diesem Abschnitt stammt von der Beklagten zu 3) laut deren Bekundungen ferner die Eintragung: unreif, Apgar O, 1, 3.
14Ferner befinden sich auf dem Krankenblatt aus der Hand der Beklagten zu 4) zum vaginalen Befund folgende Angaben:
1527. 11. 85, 5.1O Uhr
16M M fast vollständig
17V T Füßchen, Blasensprung
18es entleert sich reichlich klares FW
19rechnerisch 33. SSW.
20Ferner heißt es in der laut Bekundung der Beklagten zu 4) nachträglich erstellten Eintragung zur "Übersicht über die Geburt"
21Wehenbeginn 3.3O Uhr
22Blasensprung 4.5O Uhr
23Lagerung im Kreißsaal 5.1O Uhr, 27.11.1985.
24Geburt des Kindes 5.25 Uhr.
25In dem handschriftlichen Eintrag zum "Verlauf der Geburt" heißt es:
265.10 5.15 | Pat. preßt, kann nur mühsam abgehalten werden. CA u. Pädiater informiert, HTs o.B. O (CA): Kind entwickeln, informieren, wenn das Kind da ist |
5.20 | Pat. preßt weiter, Beine u. Steiß erscheinen, MM schließt sich um den Kopf, CA infomiert, |
5.25 | Entwicklung eines unreifen asphyktischen Knaben nach Veit-Smellie, 1 Arm lag vor, med.-lat. Epi, Kind dem Pädiater übergeben, Beamtmung mit Ambo-Beutel, HTs 40-60 |
5.30 | CA kommt, intubiert, Kind wird beatmet, Kind wird in die K-Klinik verlegt,.. |
Ferner findet sich in der Krankenakte ein von der Beklagten zu 4) und dem Beklagten zu 2) unterzeichneter maschinenschriftlicher Operationsbericht, in dem es u.a. heißt:
28Die 31jährige Zehntgravida kam zur Aufnahme in der rechnerisch 33. SSW mit fast vollständigem Muttermund.
29Es kommt kurz nach der Aufnahme zum spontanen Blasensprung. Bei der Untersuchung ist eine Fußsteißlage festzustellen. Die Patientin preßt, und es kommt zur Entwicklung eines unreifen asphyktischen Knaben nach Veit Smellie unter Schwierigkeiten, ein Arm war vorgefallen.
30Eine medialaterale Episiotomie wird angelegt.
31Das Kind wird nach der Entwicklung sofort dem Pädiater übergeben, zunächst mit Ambubeutel beatmet und anschließend intubiert.
32Das Kind wird mit dem Zeichen einer schweren Asphyxie in die Kinderklinik verlegt...
33In den Krankenunterlagen der Kinderabteilung des Bethlehem-Krankenkauses der Beklagten zu 1) finden sich zur Anamnese u.a. folgende Angaben: "Heute um 5.10 in der Gyn.-Ambulanz erschienen, MM fast vollständig eröffnet, vorangehende Teile Füßchen Blasensprung - klares Fruchtwasser HT o.B. Dann nach Geburt des Steißes schloß sich der MM um den Kopf - Nabelschnurabklemmung (ca. 7 Minuten); Apgar 0/1/3/6/7
3420' 30' -.
35Ferner finden sich zum Status praesens um 5.25 am 27.11.1985 folgende Angaben:
36"schwer-krank, blau-asphyktisches FGB, dystroph, bewußtlos, Herztöne: Herzstillstand, nach 2 Minuten , 20, 3', 40, 5', 60, Schnappatmung, exspiratorisches Stöhnen.
37Bei dem Kläger stellten sich in der Folgezeit schwere cerebrale und motorische Störungen ein. Insbesondere leidet er nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen an einer Thoraxdeformation, einem runden Rücken, an einer starken Beinstreckung mit Spitzfußhaltung beidseits bei hypertonem Muskeltonus und einem beidseitigen Strabismus convergens sowie einer Diplegie mit Entwicklungsrückständen.
38Erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 25. 1O. 1989 meldete der Kläger gegenüber der Beklagten zu 3) Schadensersatzansprüche an. Es kam sodann zu einem Verfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler. Diese verwies auf die unterschiedlichen Zeitangaben von 4.00 im Datenblatt und 5.10 Lagerung, im Kreissaal bei Geburt um 5.25 Uhr und bat den Beklagten zu 2) um Aufklärung. Ausgehend von dem um 5.1O Uhr erhobenen Befunds sei ein Kaiserschnitt nicht mehr indiziert gewesen, während in der Zeit vor 5.OO Uhr unter Umständen eine Entbindung durch primären Kaiserschnitt bei der Steißfußlage in Betracht gekommen wäre und hierdurch die schwere Asphyxie des Klägers wahrscheinlich vermieden worden wäre.
39Der Kläger hat zunächst behauptet, seine Mutter sei bereits gegen 2.OO Uhr nachts in das Krankenhaus gebracht worden, wo sie zwischen 2.15 Uhr und 2.45 Uhr angekommen sei. Die Beklagte zu 3) sei auf telefonische Benachrichtigung hin nach ca. 2O bis 3O Minuten erschienen und habe der Mutter des Klägers zunächst mehrere Spritzen gegeben, wonach die starken Wehen schlagartig aufgehört hätten. In der Annahme, die Geburt stehe unmittelbar bevor, habe die Beklagte zu 3) durch Hineingreifen in die Scheide die Fruchtblase zerstört und damit die Geburt eingeleitet. Daraufhin sei die Mutter des Klägers in den Kreißsaal verlegt worden, wo die Beklagte zu 3) einige Minuten lang vergeblich versucht habe, die Geburt selbst durchzuführen. Dann habe sie nach vergeblichem Herbeirufen zweier Kinderärzte die Geburt zunächst alleine weitergeführt, mit der Folge, daß der Kläger über längere Zeit ohne Sauerstoffzufuhr gewesen sei. Erst anschließend gegen Ende des Geburtsvorganges habe sie die Beklagten zu 2) und 4) hinzugerufen. Infolge der fehlerhaften Geburtsleitung sei es zu einer schweren Sauerstoffunterversorgung mit der Folge bleibender cerebraler und sonstiger Schäden gekommen, hinsichtlich derer auch noch mit Zukunftsschäden zu rechnen sei.
40Der Kläger hat beantragt,
411.
42die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 1OO.OOO DM,
432.
44die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn eine angemessene lebenslange Schmerzensgeldrente ab Rechtshängigkeit zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 5OO,OO DM monatlich,
453.
46festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche weiteren Schäden, die ihm im Zusammenhang mit seiner Geburt am 27. 11. 1985 entstanden sind, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
47Die Beklagten haben beantragt,
48die Klage abzuweisen.
49Sie haben Behandlungsfehler in Abrede gestellt und vorgetragen, die Mutter des Klägers sei erst um 5.O5 Uhr im Krankenhaus angekommen und unverzüglich im Kreißsaal gelagert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Geburt jedoch bereits weit fortgeschritten gewesen. Fehler seien der hierbei assistierenden Ärztin nicht anzulasten, die den beim Geburtsverlauf eingetretenen Risiken und Problemen vielmehr in vollem Umfang gerecht geworden sei. Evenutelle Gesundheitsschäden des Klägers seien nicht auf Fehler bei seiner Geburt zurückzuführen. Sie resultierten vielmehr wahrscheinlich aus einer vorgeburtlichen Schädigung, zumal die Mutter des Klägers vor der Geburt bereits zweimal wegen drohender Fehlgeburt in stationärer Behandlung gewesen sei und den letzten Aufenthalt im August 1985 gegen ärztlichen Rat vorzeitig abgebrochen habe, um in die Türkei zu fahren. Ferner sei die Schädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Frühgeburtlichkeit bedingt. Im übrigen sei dem Kläger aufgrund von Informationen durch den Kinderarzt Dr. K. spätestens im August 1986 bekannt gewesen, daß er an einer cerebralen Schädigung leide und daß als Ursache dieser Schädigung Komplikationen während der Geburt in Frage kämen. Im Hinblick hierauf seien jedenfalls deliktische Ansprüche verjährt, wobei die Verjährungseinrede ausdrücklich erhoben werde.
50Durch Urteil vom 21. 9. 1994, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, nach den Feststellungen der Gutachterkommission komme eine Haftung der Beklagten nur in Betracht, wenn die Mutter des Klägers sich zu einem Zeitpunkt in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) begeben hätte, in dem noch eine Enbindung durch primären Kaiserschnitt in Betracht gekommen wäre. Der Kläger habe jedoch nicht bewiesen, daß seine Mutter sich bereits vor dem im Pförtnerbuch verzeichneten Aufnahmezeitpunkt von 5.O5 Uhr in das Krankenhaus begeben habe. Die hierzu vorliegenden Zeugenaussagen seien unterschiedlich. Auch das eigene Vorbringen des Klägers zum Aufnahmezeitpunkt sei widersprüchlich, so daß von einem früheren Zeitpunkt als 5.O5 Uhr nicht ausgegangen werden könne. Nach 5.O5 Uhr sei jedoch eine Kaiserschnittentbindung nicht mehr möglich gewesen; sonstige Fehler bei der Entwicklung des Klägers anläßlich seines Geburtsvorganges seien nicht ersichtlich.
51Gegen dieses am 4. 1O. 1994 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. 11. 1994 Berufung eingelegt und diese am 19. 1. 1995 - nach Verlängerung der Berufungsbegründungfrist bis zu diesem Tage - formgerecht begründet.
52Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt weiter zur Begründung seiner Berufung vor:
53Entgegen der Annahme des Landgerichts seien seine Eltern lange vor 5.OO Uhr im Krankenhaus eingetroffen, was die Schwester des Klägers anläßlich ihrer erstinstanzlichen Vernehmung auch glaubhaft bekundet habe. Daß die Aufnahme nicht erst um 5.OO Uhr bzw. 5.O5 Uhr erfolgt sei, ergebe sich auch aus dem eigenen Datenblatt als Anlage zum Krankenblatt der Beklagten zu 1), in welchem als Aufnahmezeitpunkt 4.OO Uhr angegeben sei. Auch die weiteren Datenangaben in den Behandlungsunterlagen sprächen für eine Aufnahme jedenfalls weit vor 5.OO Uhr. In den Krankenunterlagen sei nämlich unter anderem angegeben, der Blasensprung, der in den Unterlagen auf 4.5O Uhr fixiert sei, sei nach der Aufnahme erfolgt. So stehe es im Operationsbericht, den sowohl die Beklagte zu 4) als auch der Beklagte zu 2) unterzeichnet hätten. Auch sei in den Krankenunterlagen angegeben, daß der Blasensprung um 4.5O Uhr stattgefunden und sich reichlich klares Fruchtwasser entleert habe. Dies bedeute zwingend, daß der Blasensprung im Krankenhaus erfolgt sein müsse. Ansonsten hätte es keine Angaben zur Beschaffenheit des Fruchtwassers geben können. Sämtliche vorgenannten Angaben stimmten mit der von den Beklagten behaupteten Zeitabfolge nicht überein. Tatsächlich sei die Aufnahme weit vor 5.OO Uhr erfolgt, und danach seien allen Beklagten gravierende Fehler bei der Entbindung unterlaufen. Keinesfalls hätte die Beklagte zu 3) die Geburt alleine durchführen dürfen, vielmehr hätte sie unverzüglich weitere Ärzte hinzuziehen müssen, da zu diesem Zeitpunkt immer noch ohne Schwierigkeiten ein Kaiserschnitt möglich gewesen wäre.
54Die Verjährungseinrede greife nicht, weil man von der Ursache für die Schäden des Klägers erst 1989 erfahren habe.
55Der Kläger beantragt,
561.
57die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe eines Kapitalbetrages sowie einer monatlichen angemessenen Schmerzensgeldrente vom Zeitpunkt ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
582.
59festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche weiteren Schäden, die ihm im Zusammenhang mit seiner Geburt am 27. 11. 1985 entstanden sind und noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
60hilfsweise ihm zu gestatten,
61eine etwaige Sicherheit durch Beibringung einer Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder Sparkasse erbringen zu dürfen.
62Die Beklagten beantragen,
63die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
64Auch sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und machen ergänzend geltend, die Muter des Klägers, die als Vielfach-Gebärende zu schnellen Geburten geneigt habe, sei erst um 5.O5 Uhr in das Krankenhaus gekommen und unverzüglich im Kreißsaal gelagert worden. Die Entwicklung des Klägers sei ordnungsgemäß erfolgt und wäre auch nicht anders verlaufen, wenn der Beklagte zu 2), der im übrigen von ausreichender Kompetenz der Beklagten zu 4) habe ausgehen dürfen, unverzüglich nach Aufnahme der Mutter des Klägers in das Krankenhaus geeilt wäre. Eventuelle Gesundheitsschäden des Klägers beruhten nicht auf Behandlungsfehlern anläßlich seiner Geburt.
65Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
66Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschlüssen vom 23. 3. 1995 und vom 27. 9. 1995 durch Vernehmung der Schwester des Klägers und Anhörung der Beklagten zu 3) und 4) in Anwesenheit des Sachverständigen sowie ferner durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B., der ferner vor dem Senat mündlich angehört worden ist.
67Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung des Senats vom 14. 9. 1995, das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. B. vom 21. 4. 1996 sowie das Protokoll der mündlichen Anhörung des Sachverständigen vom 21. 8. 1996 Bezug genommen.
68E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
69Die Berufung des Klägers ist zulässig.
70Hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) hat sie auch in der Sache Erfolg, wohingegen sie hinsichtlich der Beklagten zu 3) und 4) zurückzuweisen war.
71Die Beklagte zu 1) haftet dem Kläger wegen positiver Verletzung des mit seiner Mutter geschlossenen Behandlungsvertrages gemäß §§ 278, 328 BGB sowie ferner deliktisch gemäß §§ 823, 89, 31, 847 BGB; der Beklagte zu 2) haftet ausschließlich nach Maßgabe von §§ 823, 847 BGB, da die Mutter des Klägers als Kassenpatientin mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Rahmen eines sogenannten "totalen Krankenhausvertrages" anläßlich der Geburt des Klägers behandelt worden ist. Ein solcher Vertrag besteht ausschließlich zwischen dem Krankenhausträger und dem Patienten, begründet jedoch keine vertraglichen Beziehungen zwischen dem Patienten und dem - hier die geburtshilfliche Abteilung - leitenden Chefarzt.
72Nach dem Inhalt der vorliegenden Krankenunterlagen in Verbindung mit der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere den fachkundigen und überzeugenden gutachterlichen Ausführungen des dem Senat aus weiteren Verfahren als hochqualifiziert bekannten Sachverständigen Prof. Dr. B., der eine große Frauenklinik mit geburtshilflich-neonatologischem Schwerpunkt als Chefarzt leitet, steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die von der Beklagten zu 1) als Krankenhausträger und dem Beklagten zu 2) als verantwortlichem Chefarzt zu vertretende geburtshilfliche Organisation anläßlich der Geburt des Klägers grob fehlerhaft und unzureichend war.
73Dabei geht der Senat von einem Aufnahmezeitpunkt der Mutter des Klägers um 4.OO Uhr aus. Diese Zeitangabe ergibt sich aus der mechanischen Aufzeichnung (hinsichtlich derer technische Fehler nicht ersichtlich noch auch behauptet sind) des Datenblattes zur Krankenakte (Bl. 136). Dieser Aufnahmezeitpunkt läßt sich auch am ehesten in Einklang bringen mit den weiteren zeitlichen Angaben im Krankenblatt, in welchem 3.3O Uhr als Zeitpunkt des Wehenbeginns verzeichnet ist, als Zeitpunkt des Blasensprungs 4.5O Uhr und als Zeitpunkt der Lagerung im Kreißsaal 5.1O Uhr.
74Zwar sollen die Zeitangaben 3.3O und 4.5O Uhr der Beklagten zu 3) auf Befragen von der Mutter des Klägers angegeben worden sein. Dies ist jedoch nicht überzeugend, weil sich bei einer von den Beklagten behaupteten Aufnahme in der Klinik erst um 5.O5 Uhr die Mutter des Klägers vor diesem Zeitpunkt auf der Fahrt zum Krankenhaus befunden hätte, und im Hinblick hierauf schwerlich anzunehmen ist, daß sie dabei den Blasensprung präzise mit einer Uhrzeit 4.50 Uhr zur Kenntnis genommen und zudem auch noch zeitlich fixiert hätte. Ferner heißt es in dem von den Beklagten zu 2) und 4) unterzeichneten Operationsbericht (Seite 5 zur Anlage B 1) " Es kommt kurz nach Aufnahme zum spontanen Blasensprung".
75Darüber hinaus hat die Beklagte zu 4) anläßlich ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat erklärt, von der Aufnahme an der Pforte bis zur Lagerung im Kreißsaal bzw. Erhebung des vaginalen Befundes vergehe normalerweise ca. 1/4 Stunde. Vor dem Hintergrund dieser Angabe und den Zeitangaben im Krankenblatt in Verbindung mit der hierzu passenden Aufnahmezeit 4.OO Uhr in der technischen Aufzeichnung kann der handschriftliche Eintrag im Pförtnerbuch mit einem Aufnahmezeitpunkt von 5.O5 Uhr schlechterdings nicht zutreffen, da auch bei optimaler Beschleunigung in einem Zeitraum von dann nur verbleibenden 5 Minuten eine Aufnahme an der Pforte, Transport zum Kreißsaal, Benachrichtigung von Hebamme und diensttuender Ärztin, Lagerung im Kreißsaal und Erhebung des vaginalen Befundes schlechterdings nicht denkbar sind.
76Bei einem Aufnahmezeitpunkt 4.00 Uhr ist ein grober Behandlungsfehler nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. schon deshalb zu bejahen, weil in dieser Situation angesichts der Frühgeburtlichkeit und der Fußlage (die für das Kind die gefährlichste Art der Beckenendlage ist) umgehend ein Kaiserschnitt hätte vorgenommen werden müssen und können. Dessen Unterlassen hat der Sachverständige als "krassen" Behandlungsfehler bezeichnet. Auch nach der Auffassung der Gutachterkommission wäre ein Kaiserschnitt vorzunehmen gewesen, wenn von früherer Ankunft der Mutter des Klägers in der Klinik der Beklagten zu 1) auszugehen wäre.
77Darüber hinaus sind auf der Grundlage eines Aufnahmezeitpunktes 4.OO Uhr oder wenig später gravierende Organisationsmängel auch dann zu verzeichnen, wenn zu dieser Zeit wegen fortgeschrittenen Geburtsverlaufs ein Kaiserschnitt nicht mehr möglich gewesen sein sollte. Es hätte, wie der Sachverständige Prof. Dr. B. überzeugend ausgeführt hat, nach einer orientierenden Untersuchung durch die Hebamme, welche die Beckend-/Fußlage bei Frühgeburtlichkeit ergeben hätte, nicht nur die diensthabende Assistenzärztin, die Beklagte zu 4), sondern auch der Chefarzt (Bekl. zu 2) als zum Hintergrunddienst Verpflichteter verständigt werden und unverzüglich erscheinen müssen.
78Da nach dem zeitnah gefertigten Operationsbericht der Beklagten zu 4) der an anderer Stelle mit 4.50 Uhr datierte spontane Blasensprung mit "kurz nach Aufnahme" festgehalten ist, hätte zu dieser Zeit die Unterrichtung des Beklagten zu 2) erfolgen können und müssen, der dann bei einer von den Beklagten genannten Wegzeit von 10 Minuten um 5.00 Uhr im Kreissaal gewesen wäre und die Geburt hätte leiten können.
79Es war nämlich, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, zwar grundsätzlich vertretbar, in einer geburtshilflichen Abteilung der bei der Beklagten zu 1) geführten Größenordnung den nächtlichen Bereitschaftsdienst mit einer Assistenzärztin im 2. Weiterbildungsjahr zur Frauenärztin zu besetzen, jedoch nur mit der Maßgabe, daß bei geburtshilflichen Problemfällen sofort ein erfahrener Facharzt hinzugezogen wurde und sich unverzüglich einfand.
80Wie der Senat aus der Erfahrung vergleichbarer Fälle bestätigen kann, bezeichnet der Sachverständige Prof. Dr. B. zu Recht die Geburt des Klägers als Problemgeburt höchsten Schwierigkeitsgrades.
81Abgesehen von der Tatsache, daß die Mutter des Klägers sich schon während der Schwangerschaft zur Vermeidung einer Fehlgeburt zweimal in stationäre Behandlung in die Klinik der Beklagten zu 1) hatte begeben müssen und es sich bei der Geburt des in der 35. Schwangerschaftswoche befindlichen Klägers um eine Frühgeburt handelte, ergaben sich hochgradige geburtliche Risiken insbesondere daraus, daß beim Kläger eine Beckenendlage gegeben war, dazu noch eine vollkommene Fußlage. Diese erforderte zwingend die Anwesenheit eines erfahrenen Facharztes, an der es wegen einer den Beklagten zu 1) und 2) anzulastenden ausreichenden Organisation in der Zeit um den Blasensprung bereits fehlte. Darüber hinaus ist dem Beklagten zu 2) vorzuwerfen, daß er sogar nach zwischenzeitlich erfolgter telefonischer Benachrichtigung um 5.15 Uhr trotz Kenntnis des Vorliegens einer Fußlage sich nicht unverzüglich zur Leitung der Geburt im Krankenhaus einfand, sondern der Beklagten zu 4) zunächst mitteilte, die Geburt sei ja schon in vollem Gange, "sie mache das schon und kriege das schon hin", wie die Beklagte zu 4) anläßlich ihrer Anhörung vor dem Senat glaubhaft bekundet hat.
82Die Unterlassung der rechtzeitigen Verständigung des Beklagten zu 2) vor 5.00 Uhr hatte nachweislich zur Folge, daß in der Person der Beklagten zu 4) eine mit den Problemen einer Beckend-/Fußlage eindeutig überforderte Anfängerin mit der Geburtsleitung betraut war, die mit den Schwierigkeiten wie der Sachverständige Prof. Dr. B. festgestellt hat, auch nicht fertig geworden ist. Nach Geburt von Unterkörper und Füßen kam die weitere Entwicklung wie die zu dieser Zeit offenbar bereits anwesenden Pädiater in ihrer Dokumentation festgehalten haben, ca. 7 Minuten mit Abklemmung der Nabelschnur zum Stillstand. Ursache war der von der Beklagten zu 4) in der Dokumentation so bezeichnete "vorgefallene Arm". Mit dem Sachverständigen ist hier ein "hochgeschlagener Arm" anzunehmen, der die weitere Entwicklung von Kopf und Schultergürtel behindert und der je nach genauen Verhältnissen in einer in der Regel nur dem Geübten geläufigen Weise gelöst werden muß, damit die Geburt weitergehen kann.
83Die Beklagte zu 4) hat weder in der Dokumentation noch in ihrer Aussage vor dem Senat in Anwesenheit des Sachverständigen Einzelheiten zu den besonderen Verhältnissen der Armlage im Falle des Klägers angeben können, noch dazu, was sie unternommen hat, um den Arm zu lösen und dadurch zu erreichen, daß der Kläger nicht längere Zeit durch die Abklemmung der Nabelschnur von der regelrechten Sauerstoffzufuhr abgeschnitten blieb. Bei dieser Sachlage ist die Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. B. überzeugend, daß Fehler bei der Entwicklung des Klägers aus vollkommener Fußlage gemacht worden sein müssen, weil anders ein zehnminütiges frustranes Bemühen um die Entwicklung des Klägers nicht zu erklären sei. Ferner ergebe die Tatsache, daß um 5.15 Uhr die Herztöne noch als "o.B.", also in zu erwartender Stärke und Anzahl dokumentiert und das Kind zehn Minuten später mit Apgar 0/1/3, d. h. zunächst ohne Herzschlag geboren worden sei, daß die Beklagte zu 4) die Geburt erst dann mit dem Griff Veit/Smellie, einem Griff in den Mund des Kindes, mit dem der Kopf aus dem Geburtskanal gedrückt bzw. gezogen werde, hat beenden können, nachdem und weil der Körper durch den Sauerstoffmangel infolge der Nabelschnurabklemmung schlaff geworden sei. Hieraus ergebe sich gleichzeitig die Sauerstoffmangelschädigung des Klägers.
84Daß die Beklagten mit der Beklagten zu 4) diese Deutung des Sachverständigen nicht wahrhaben möchten und den Griff nach Veit/Smellie als ausreichende Geburtsleitungsmaßnahme ansehen, kann die Überzeugungskraft der Sachverständigenbeurteilung nicht infrage stellen, die sich auf die wenigen in der Dokumentation vorhandenen Daten (Herztöne/Apgar/Status des geborenen Klägers) stützen und denen auf seiten der Beklagten keinerlei Angaben zu Maßnahmen der Armlösung entgegenstehen, von einer ausführlichen Dokumentation, zu der die Beklagte zu 4) als Anfängerin gehalten gewesen wäre, (vgl. Steffen, Neue Entwicklungen zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., S. 118 m.w.N.) ganz zu schweigen.
85Als weiteren nachweisbar schadensursächlichen Fehler in der Geburtsleitung des Klägers hat der Sachverständige die nicht sofortige Intubation des Klägers nach seiner Geburt sondern die Beatmung zunächst nur durch Ambubeutel bezeichnet. Auch diese Beurteilung ist dem Senat aus einer Reihe anderer Geburtsschadensprozesse geläufig und überzeugend. Wenn dieser Fehler auch ebenfalls den Pädiatern anzulasten ist, die die Notwendigkeit unverzüglicher Intubation hätten erkennen und beachten müssen, so trifft die Verantwortung hierfür auch die Beklagten zu 1) und 2) als für die Geburtsleitung insgesamt Organisationsverantwortlichen, den Beklagten zu 2) deshalb im Sinne eines groben Fehlers, weil er trotz Anrufs der Beklagten zu 4) um 5.15 Uhr sein Kommen zunächst verweigerte, obwohl er über die Gefahrenumstände der Geburt und den Erfahrungsmangel der Beklagten zu 4) unterrichtet wurde. Da er nach weiterer Benachrichtigung um 5.20 Uhr um 5.30 Uhr im Kreissaal eintraf, die Intubationsnotwendigkeit erkannte und den Kläger intubierte, hätte er bei pflichtgemäßem Handeln, dem Kläger mindestens 5 Minuten weiteren Sauerstoffmangel erspart, eine Hilfe, die für den Kläger nach der traumatischen Geburt und in seinem Frühgeborenenstatus äußerst dringlich gewesen wäre. Deshalb ist der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen zu folgen, der auch diese Unterlassung für ursächlich für den Zustand des Klägers hält. Im übrigen trifft die Beklagten zu 1) und 2) die Beweislast dafür, daß sich der Qualifikationsmangel der Beklagten zu 4) im konkreten Fall nicht ausgewirkt hat (vgl. Steffen a.a.O., S. 119 m.w.N.). Sie tragen nämlich die Verantwortung dafür, daß standardwidrig die Beklagte zu 4) mit der Leitung einer Problemgeburt des höchsten Schwierigkeitsgrades allein gelassen wurde, die als Anfängerin im zweiten Weiterbildungsjahr und nach bloßer Teilnahme an drei oder vier Beckenendlagegeburten die dazu erforderliche umfassende Erfahrung und manuelle Übung nicht besaß. Tatsachen, die geeignet wären, die Vermutung der Ursächlichkeit des Erfahrungsmangels für den schlechten Gesundheitszustand des Klägers nach seiner Geburt zu entkräften, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Daß der Kläger als Frühgeburt der 35. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 1.660 Gramm ein wenig distroph gewesen ist, bedeutet nach Aussage des Sachverständigen jedenfalls nicht, daß dies schlechte gesundheitliche Voraussetzungen mit sich gebracht hätte. Kinder dieses Schwangerschaftszeitraumes seien durchaus häufig fit und ohne weiteres lebensfähig. Die schweren gesundheitlichen Schäden des Klägers könnten vielmehr eindeutig mit Fehlern anläßlich der Geburtsentwicklung erklärt werden.
86Eine Haftung der Beklagten zu 3) und 4) kommt demgegenüber nicht in Betracht.
87Vor dem Hintergrund der vorstehend dargelegten Organisationsmängel kann diesen Beklagten kein Behandlungsfehler nachgewiesen werden.
88Die Beklagte zu 3) als Hebamme hat - Gegenteiliges ist aus den Krankenunterlagen und ihrer Anhörung vor dem Senat jedenfalls nicht beweisbar zu entnehmen - angesichts der beim Kläger bevorstehenden Frühgeburt die Beklagten zu 4) als diensttuende Ärztin hinzugezogen. Es bleibt allerdings nach der Anhörung der Beklagten zu 3) ein gewisser Verdacht, daß diese entweder pflichtwidrig eine orientierende Voruntersuchung der Mutter des Klägers um die Zeit des Blasensprungs unterlassen oder zwar vorgenommen, aber nicht die erforderlichen, eilbedürftigen Konsequenzen einer Verständigung nicht nur der Beklagten zu 4), sondern auch des Beklagten zu 2) gezogen hat.
89Mangels jeglicher Dokumentation läßt sich jedoch kein bestimmter Sachverhalt festmachen, der eine sichere Verantwortung gerade der Beklagten zu 3) ergäbe. Auch wenn entweder gegen die Beklagten zu 3) oder die Beklagten zu 4) ein Vorwurf daraus abzuleiten wäre, daß der Beklagte zu 2) nicht vor 5.15 Uhr verständigt worden ist, genügt dies nicht für den sicheren Fehlernachweis gegen eine von beiden.
90Die Beklagte zu 4) hat nach Feststellung der Fußlage den Beklagten zu 2) als Facharzt benachrichtigen lassen, der ihr jedoch auf den ersten Anruf hin den Beistand verweigert und die Geburtsleitung übertragen hat. Mit dieser war sie zwar angesichts der Risikofaktoren Fußlage, hochgeschlagener Arm nach ihrem damaligen Ausbildungsstand und ihrer beruflichen Erfahrung nach bloßer Anwesenheit bei insgesamt nur 3 bis 4 Beckenendgeburten, fachlich eindeutig überfordert, ohne daß ihr dies aber zum Vorwurf gemacht werden könnte. Eine Haftung der Beklagten zu 3) und 4) scheidet nach allem aus.
91Gegenüber dem somit allein hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) begründeten Schadensersatzanspruch greift die Verjährungseinrede nicht durch.
92Laut der Aussage des behandelnden Kinderarztes Dr. K. und der Schwester des Klägers sowie auch nach dem Ausmaß der Entwicklungsstörung des Klägers (der ausweislich der schriftlichen Auskunft vom 15. 1. 199O als Säugling "krankengymnastisch gefördert wurde" und ferner im Jahr 1986, also im Jahr nach seiner Geburt, fünfmal und 1987 dreimal in stationärer Behandlung war) läßt sich zwar annehmen, daß die Eltern des Klägers, deren Kenntnis als gesetzliche Vertreter des Klägers ausschlaggebend ist, schon 1986 Kenntnis "vom Schaden" hatten; dies reicht jedoch für den Beginn der Verjährungsfrist im Sinn von § 852 BGB nicht aus. Erforderlich ist hiernach darüber hinaus auch die Kenntnis von einem vom medzinischen Behandlungsstandard abweichenden Behandlungsverhalten und der Person eines möglichen Ersatzpflichtigen. Diese beiden Voraussetzungen sind vorliegend, bezogen auf das Jahr 1986, zu verneinen. Dr. K. hat als behandelnder Kinderarzt ausgesagt, bei den Gesprächen mit den Angehörigen des Klägers 1986 sei nicht die Sprache darauf gekommen, daß im Krankenhaus von S. bei der Geburt des Klägers etwas falsch gelaufen sein könne. Dies sei erstmals 1989 gegenüber den Eltern des Klägers erwogen worden. Auch bei seiner zweiten Vernehmung vor dem Landgericht hat dieser Zeuge erklärt, er habe selbst den Eltern gegenüber nicht zum Ausdruck gebracht, daß bei der Geburt irgendwelche Behandlungsfehler begannen worden seien oder sein könnten. Hierzu habe er auch gar nichts sagen können, weil er bei der Geburt selbst nicht anwesend gewesen sei. Die Eltern und die Schwester des Klägers hätten auch nicht die Frage gestellt, was denn mit dem Kläger bei der Geburt passiert sein könne. Diese Frage sei erstmals 1989 aufgetaucht. Seine weitere Aussage, wonach Schäden des Klägers "mit der Geburt zusammenhingen" mußten deshalb die Eltern bzw. die Schwester nicht im Sinn von "Fehler bei der Geburt" verstehen, wie der Zeuge Dr. K. auch selbst klargestellt hat. Mithin kann hinsichtlich deliktischer Ansprüche nicht von einem Verjährungsbeginn im Jahr 1986 ausgegangen werden, sondern vielmehr erst von einem solchen im Jahr 1989, in welchem eine umfassende Aufklärung der Eltern des Klägers - wohl durch Frau Dr. J. vom Klinikum A. - erfolgt ist.
93Zur Höhe der somit für begründet zu erachtenden Schadensersatzansprüche des Klägers ist folgendes zu sagen:
94Nach den vom Kläger vorgetragenen und von den Beklagten nicht bestrittenen, sondern inzident im Rahmen ihres schriftsätzlichen Vorbringens bestätigten, Gesundheitsschäden des Klägers handelt es sich bei ihm um einen auf Dauer sowohl in geistiger als auch in körperlicher Hinsicht stark geschädigten Menschen, der aller Voraussicht nach nie in der Lage sein wird, ein normales und nicht auf die Hilfe Dritter angewiesenes eigenverantwortliches Leben zu führen. Abgesehen von dieser lebenslangen Hilfsbedürftigkeit ist auch die allgemeine Lebensqualität des Klägers durch die mannigfachen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen stark belastet und auf ein Minium reduziert. Diese Umstände rechtfertigen es, den Kläger bereits als zu den Schwerstgeburtsgeschädigten zu rechnen, denen Schmerzensgeldbeträge bis zur Höchstgrenze der in der deutschen Schmerzensgeldrechtsprechung zuerkannten Beträge zuzugestehen sind.
95Im einzelnen ist die Höhe des Schmerzensgeldes nach dem Geldbetrag zu berechnen, der erforderlich ist um dem Geschädigten für die erlittenen Schmerzen und entgangene Lebensfreude einen Ausgleich durch Gewährung von Daseinsfreude in einer den Umständen nach möglichen anderen Form zu verschaffen. Der Geschädigte soll durch das Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuß ihm durch die Verletzung bzw. gesundheitliche Schädigung unmöglich gemacht wurde.
96Neben einem erheblichen Schmerzensgeldkapital ist deshalb dem Kläger eine Schmerzensgeldrente zuzubilligen, da seine lebenslängliche Beeinträchtigung immer wieder erneuernd und immer wieder schmerzlich empfunden fortwirkt. In einem solchen Fall erscheint es angemessen, der laufenden nicht vermögensrechtlichen Beeinträchtigung als Ausgleich und Genugtuung eine laufende geldliche Entschädigung in Form einer Rente gegenüberzustellen. Dabei müssen die Kapital- und Rentenbeträge in einem ausgewogenen Verhältnis untereinander stehen und der bei einer Kapitalisierung sich ergebende Betrag muß grundsätzlich den sonst zugebilligten Schmerzensgeldkapitalbeträgen bei vergleichbaren Verletzungen entsprechen.
97Unter Berücksichtigung dieser Umstände scheinen ein Schmerzensgeld von 1OO.OOO,OO DM und eine monatliche Rente von 5OO,OO DM (Kapitalisierungswert rund 115.000,00 DM) angemessen. In diesem Rahmen hat der Senat auch bereits in vergleichbaren Fällen das zuzuerkennende Schmerzensgeld bemessen, so z. B. in dem Rechtsstreit 5 U 243/94. Die dort zuerkannte Schmerzensgeldrente in Höhe von lediglich 4OO,OO DM monatlich trug dem Umstand Rechnung, daß der dortige Kläger im intellektuellen Bereich weniger geschädigt war als der Kläger des vorliegenden Verfahrens.
98Da derzeit nicht abzusehen ist, welche materiellen Schäden sich bei dem inzwischen 11jährigen Kläger aufgrund der dem Beklagten zu 1) und 2) anzulastenden Fehler und der dadurch ausgelösten Gesundheitsschäden einstellen werden, war auch dem Feststellungsbegehren stattzugeben, wobei der Senat das Feststellungsbegehren des Klägers als mangels jeglichen anderen Sachvortrags nur auf materielle Zukunftsschäden bezogen wertet.
99Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91, 92 ZPO.
100Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 7O8 Ziffer 1O, 711 ZPO.
101Berufungsstreitwert: 15O.OOO,OO DM (1OO.OOO DM + 3O.OOO DM + 2O.OOO DM).
102Wert der Beschwer der Beklagten zu 1) und 2): 15O.OOO,OO DM
103Wert der Beschwer des Klägers hinsichtlich der Beklagten zu 3) und 4): 15O.OOO,OO DM.
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