Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - Ss 378/98 B - 221 B -
Tenor
1
G r ü n d e :
2Das Amtsgericht Eschweiler hat durch Urteil vom 2. März 1998 gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts nach §§ 37, 49 StVO, § 24 StVG, Nr.34.2 BKatV eine Geldbuße von 250,- DM festgesetzt und ihr für die Dauer von einem Monat untersagt, Kraftfahrzeuge aller Art zu führen.
3Es hat zum Tatgeschehen folgendes festgestellt:
4Die Betroffene befuhr am 8.11.1996 um 17.34 Uhr mit ihrem Pkw ... die D.er Straße in E. ... An der Kreuzung D.er Straße/K./M.straße wird der Verkehr durch eine Lichtzeichenanlage geregelt. Dort befindet sich eine stationäre Einrichtung zur Rotlicht- überwachung. Zum Einsatz kommt dabei das Gerät Traffiphot III der Firma T.. Die Meßeinrichtung war am 27.7. 1995 vom Eichamt Düsseldorf geeicht worden. Die Eichung hat eine Gültigkeit bis zum 31.12.1997....
5Als Kontaktgeber zur Auslösung der Fotoeinrichtung dient eine Induktionsschleife... Die erste Induktionsschleife liegt 3,9 Meter hinter der Haltelinie, die zweite Induk-tionsschleife 13,2 Meter hinter der Haltelinie. Aus den bei der Messung gefertigten beiden Lichtbildern ist der jeweils vergangene Zeitraum nach Beginn der Rotlichtphase zu ersehen. Im vorliegenden Fall überfuhr die Betroffene die erste Induktionsschleife nach 1,68 Sekunden. Das zweite Lichtbild wurde 2,34 Sekunden nach dem Beginn der Rotlichtphase ausgelöst.
6Das Amtsgericht hat hieraus gefolgert, die vorwerfbare Rot-lichtzeit betrage "für den Zeitpunkt des Überfahrens der ersten Induktionsschleife" 1,18 Sekunden. Von dem Wert von 1,68 Sekunden seien nämlich 0,2 Sekunden als allgemeiner Toleranzwert des Geräts und weitere 0,3 Sekunden für den Zeitraum der Strecke zwischen Haltlinie und erster Induktionsschleife abzuziehen.
7Mit der Rechtsbeschwerde wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt und insbesondere geltend gemacht, die der Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit sei verjährt.
8Die Rechtsbeschwerde, über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hat (vgl. die Entscheidung des BGH vom 28. Juli 1998-4 StR 170/98 -), ist nicht begründet.
91.
10Entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung ist die Verfolgung der Verkehrsordnungswidrigkeit nicht wegen Verjährung ausgeschlossen.
11Die Frist der Verfolgungsverjährung beträgt gemäß § 26 Abs. 3 StVG bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben ist, danach sechs Monate.
12Die am Tag der Handlung, d.h. hier am 8. November 1996 be-ginnende Frist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG) ist zunächst durch den Erlaß des Bußgeldbescheides vom 4. Februar 1997 unter-brochen worden. Maßgebend ist nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG der Erlaßzeitpunkt, weil der Bußgeldbescheid am 12. Februar 1997 und damit binnen zwei Wochen zugestellt worden ist.
13Der Bescheid vom 4. Februar 1997 ist sodann mit Verfügung vom 30. April 1997 zurückgenommen und mit derselben Verfügung durch einen neuen Bußgeldbescheid ersetzt worden, in dem unter Hin-weis auf den Beschluß des Senats vom 9.1.1996 - Ss 669/95 B - die vorwerfbare Rotlichtphase von 1,29 auf 1,18 Sekunden herab-gesetzt wurde. Der beide Entscheidungen enthaltende Bescheid ist der Betroffenen am 2. Mai 1997 zugestellt worden.
14Die Rücknahme des früheren Bußgeldbescheides hat dessen ver-jährungsunterbrechende Wirkung nicht beseitigt, weil der Betroffenen durch den zweiten Bußgeldbescheid derselbe Sachverhalt weiterhin zur Last gelegt worden ist (vgl. BayOblG NJW 1970, 1697 = VRS39,361; OLG Frankfurt NJW 1979, 2161 = VRS 57, 204; OLH Hamm OLGSt § 33 OWiG Nr.1; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen, SchlHA 1976, 176 ; OLG Stuttgart MDR 1985, 521 = VRS 68, 128,129; SenE vom 3.6.1998 - Ss 260/98 B; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 33 Rn.5b).
15Sie ist auch zulässig gewesen, denn die Betroffenen hatte gegen gegen den Bescheid vom 4. Februar am 13. Februar 1997 und damit innerhalb der Frist des § 67 Abs. 1 OWiG Einspruch eingelegt, so daß der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig war.
16Durch den gleichzeitigen Erlaß des neuen Bußgeldbescheides ist die Verjährungsfrist am 30. April 1997 wiederum nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden . Maßgebend ist auch hier nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG der Erlaßzeitpunkt, weil der neue Buß-geldbescheid binnen zwei Wochen zugestellt worden ist.
17Die abermalige Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG durch Erlaß eines neuen Bußgeldbescheides ist möglich, wenn die Rücknahme des ersten Bußgeldbescheides nicht willkürlich, etwa nur zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung, sondern aus sachlichen Gründen erfolgt (vgl. OLG Frankfurt NJW 1979, 2161; OLG Hamm NJW 1972,1725 und OLGSt § 33 OWiG Nr.1; SenE vom 3.6.1998 - Ss 260/98 B -; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 33 Rn.35 m.w.N).
18Im vorliegenden Fall hat ein sachlicher Grund für den Erlaß eines neuen Bußgeldbescheides bestanden. Mit der Rücknahme und dem Erlaß des neuen Bußgeldbescheides hat die Bußgeldbehörde der Senatsrechtsprechung (SenE vom 9.1.1996 - Ss 669/95 B -) Rechnung tragen wollen, nach der bei der Berechnung der für einen qualifizierten Rotlichtverstoß im Sinne von Nr. 34.2 BKatV erforderlichen Dauer der Rotlichtphase auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem das Fahrzeug die Haltelinie passiert hat. Der in dem ersten Bußgeldbescheid vorgenommene Abzug von 0,37 Sekunden war dazu wegen des mit Rücksicht auf Meßungeau-igkeiten gebotenen weiteren Toleranzabzuges nicht ausreichend.
19Den Bußgeldbescheid nach erkannter teilweiser Unrichtigkeit der Begründung mit einer zutreffenden Begründung zu versehen, ist ein sachliches Anliegen; der Erlaß eines neuen Bußgeldbeschei-des zu diesem Zwecke erscheint jedenfalls nicht willkürlich.
20Weitere Voraussetzung für die verjährungsunterbrechende Wirkung ist die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides (vgl. BayOblG VM 1972 Nr. 3; OLG Düsseldorf VRS 80, 219, 221; SenE VRS 44, 309; VRS 57, 131,132; Göhler,a.a.O., § 33 Rn.35; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG 2. Aufl., § 33 Rn. 37; Rotberg, OWiG 5. Aufl., § 33 Rn. 14; KK OWiG-Weller, § 33 Rn.76 ;).
21Unwirksam ist ein Bußgeldbescheid nur dann, wenn er so schwer-wiegende Mängel hat, daß er keinerlei Wirkungen zeitigen (vgl. BGH VRS 39, 442; BayOblG VM 1972 Nr. 3; SenE VRS 44,309; Rebmann/Roth/Herrmann, a.a.O. § 33 Rn. 37; Rotberg, a.a.O., § 66 Rn. 21; KK OWiG-Weller, § 33 Rn.76, jeweils m.w.N.), d.h. im Falle des Einspruchs die tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung nicht bilden kann (vgl. BGH VRS 39, 115; OLG Düsseldorf VRS 41, 201; VRS 80, 77; SenE VRS 38, 199 ; Göhler,a.a.O., § 66 Rn.39).
22Im vorliegenden Fall ist der neue Bußgeldbescheid wirksam geworden.
23Da der erste Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig war, eine Sperrwirkung nach § 84 Abs. 1 OWiG insofern also nicht bestand, durfte dieselbe Tat weiterhin als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.
24Mit der Rücknahme des ersten Bußgeldbescheides konnte zugleich der neue Bußgeldbescheid erlassen werden. Einer vorherigen Bekanntgabe der Rücknahme an den Betroffenen, etwa verbunden mit der Ankündigung des neuen Bußgeldbescheides, bedurfte es nicht.
25Abgesehen davon, daß im vorliegenden Fall bei identischer Rechtsfolgenentscheidung des zweiten Bußgeldbescheides zur Rücknahme des Einspruchs keine Veranlassung bestand, wäre eine solche - für den Betroffenen eher lästige und für die Behörde umständliche, die Bereitschaft zur Berichtigung von Bußgeld-bescheiden hemmende - Verfahrensweise auch generell zur Gewähr-leistung eines fairen Verfahrens nicht geboten. Der Betroffene hat zwar Anspruch auf rechtliches Gehör zum Tatvorwurf, nicht aber darauf, vorab über die Absicht der Behörde unterrichtet zu werden, daß auf der Grundlage der bereits mitgeteilten tatsäch-lichen Feststellungen eine berichtigte Bußgeldentscheidung erlassen werden soll.
26Allerdings wird die Rücknahme des Bußgeldbescheides für den Betroffenen erst dann verbindlich - so daß dieser die Unan-fechtbarkeit des Bescheides nicht mehr herbeiführen kann -, wenn die Rücknahmeerklärung (für die wohl auch Schriftform zu verlangen ist, vgl. Göhler, a.a.O. § 69 Rn.22 m.w.N.) dem Betroffenen bekannt gemacht worden ist (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1986, 1505 = NStZ 1986, 82; OLG Frankfurt VRS 49, 438; OLG Hamburg NJW 1959, 1096; OLG Saarbrücken NJW 1992, 3183; OLG Stuttgart, Die Justiz 1992, 486; Göhler, a.a.O., § 69 Rn. 22; KK OWiG-Bohnert § 69 Rn.23). Hieraus hat man gefolgert, daß bis zu diesem Zeitpunkt ein neuer Bußgeldbescheid wegen derselben Tat nach dem Grundsatz ne bis in idem nicht erlassen werden dürfe (OLG Saarbrücken NJW 1992,3183; KK OWiG-Bohnert § 69 Rn. 39) bzw. der noch nicht wirksam zurückgenommene Bußgeldbescheid der Wirksamkeit eines neuen Bußgeldbescheides entgegenstehe (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
27Im vorliegenden Fall ist trotz des Umstandes, daß die Rücknahme des ersten Bußgeldbescheides dem Betroffenen nicht vor der Zustellung des zweiten Bußgeldbescheides, sondern gleichzeitig mit dieser bekanntgegeben worden ist, von der Wirksamkeit des zweiten Bußgeldbescheides auszugehen.
28Bei einem noch schwebenden - vorrangigen - Verfahren wegen derselben Tat steht dem neuen Bußgeldbescheid zwar nach dem Grundsatz ne bis in idem ein Verfahrenshindernis entgegen, das im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen ist und die Einstellung des zweiten Verfahrens erfordert (Göhler, a.a.O. § 66 Rn. 56 a). Der neue Bußgeldbescheid ist im vorliegenden Fall auch bereits existent gewesen, bevor die Rücknahme des ersten Bußgeldbescheides wirksam werden konnte.
29Anders als (sonstige) Verwaltungsakte, die bis zu ihrer Bekanntgabe an den Betroffenen lediglich verwaltungsinterner Vorgang ohne Rechtserheblichkeit bleiben (so die wohl h.M., vgl. OVG Münster NVwZ 1992, 991; Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 41 Rn.m.w.N.; a.A. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., § 21 Rn. 170) ist nämlich der Bußgeldbescheid bereits zu dem durch den Datumsvermerk ausgewiesenen Zeitpunkt der Unter-zeichnung existent und jedenfalls bei Hinausgabe in den Geschäftsgang erlassen (vgl. Göhler, a.a.O., vor § 65 Rn. 11 m.w.N.; KK OWiG-Bohnert, § 67 Rn.53; für den Strafbefehl BGHSt 25, 187, 189). Bis zu der nach § 50 Abs. 1 S. 2 OWiG erforder-lichen Zustellung an den Betroffenen bleibt lediglich die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides in der Schwebe (vgl. Göhler, a.a.O., § vor § 65 Rn.12).
30Auch wenn die Rücknahme des ersten Bußgeldbescheides bei Erlaß des neuen Bescheides noch nicht wirksam war, liegt ein zur Nichtigkeit des zweiten Bußgeldbescheides führender Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem jedoch nicht vor. Denn die Aufhebung des ersten und der Erlaß des neuen Bußgeldbescheides waren dergestalt miteinander verbunden, daß der Erlaß des neuen Bußgeldbescheides nur wirksam werden konnte, wenn auch die Auf-hebung des ersten Bußgeldbescheides wirksam wurde. Ein ent-sprechender, nach dem Rechtsgedanken des § 44 Abs. 3 VerwVfG zu berücksichtigender Einheitlichkeitswille ergibt sich aus der Verfügung vom 30. April 1997, nach der der zurückgenommene durch den neuen Bußgeldbescheid ersetzt werden sollte.
31Er kommt im übrigen dadurch zum Ausdruck, daß beide Entschei-dungen in derselben Urkunde zusammengefaßt waren. Bei dieser Sachlage war die Gefahr doppelter Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat, gegen die der in Art. 103 Abs. 3 GG normierte Grundsatz ne bis in idem schützen soll (vgl. BGHSt 5, 323, 329; BVerfGE 12, 66), ausgeschlossen. Dementsprechend haben andere Oberlandesgerichte (BayOblG VRS 39, 361; OLG Düsseldorf JMBl NW 1982, 197; OLG Frankfurt VRS 57,204 = NJW 1979, 2161; OLG Hamm OLGSt § 33 OWiG Nr. 1) bei gleichzeitiger Rücknahme des ersten und Erlaß des neuen Bußgeldbescheides einen Verstoß gegen den genannten Grundsatz nicht erörtert oder nur für den Fall angenommen, daß dem Wortlaut des zweiten Bescheides nicht zu entnehmen war, daß der vorangegangene Bußgeldbescheid aufgehoben sein sollte (OLG Zweibrücken VRS 85, 212, 214). Der BGH hat einen Verstoß gegen ne bis in idem bei versehentlichem Erlaß zweier Strafurteile in derselben Sache durch den Versuch, durch ein zweites Urteil die im ersten Urteil versäumte Einbeziehung einer Vorverurteilung nachzuholen, verneint, weil das erste Urteil noch nicht rechtskräftig und nach dem Verfahrensablauf offenkundig war, daß die beiden ergangenen Urteile nicht nebeneinander gelten sollten (BGH NStZ 1984, 279).
32Sofern man im vorliegenden Fall gleichwohl von einem formalen Verstoß gegen das Verbot doppelter Verfolgung ausgeht, kann dem zweiten Bußgeldbescheid - anders als in den Fällen, in denen in verschiedenen Verfahren Bußgeldbescheide wegen derselben Tat ergehen (vgl. OLG Oldenburg Zfs 1994,69; SenE VRS 57, 131) - jedenfalls nicht die Eignung abgesprochen werden, eine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung zu bilden.
33Die sechsmonatige Verjährungsfrist hat nach der aus den vor-genannten Gründen anzunehmenden Unterbrechung am 30. April 1997 gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG von neuem zu laufen begonnen.
34Sie ist sodann durch den Eingang der Akten beim Amtsgericht Eschweiler am 14. August 1998 nach § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG sowie durch die Anberaumung der Hauptverhandlung am 18. August 1997 und am 7. Januar 1998 nach § 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG erneut unterbrochen worden. Das Urteil des Amtsgerichts vom 2. März 1998 hat schließlich die Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 2 OWiG gehemmt.
352.
36Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat auch keine sonstigen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben, auf denen die Entscheidung beruhen könnte.
37Bei der Formulierung, die vorwerfbare Rotlichtzeit betrage "für den Zeitpunkt des Überfahrens der ersten Induktionsschleife" 1,18 Sekunden, handelt es sich um ein Versehen. Denn das Amtsgericht hat von dem beim Überfahren der ersten Induktions- schleife gemessenen Wert 0,3 Sekunden für den Zeitraum der Strecke zwischen Haltlinie und erster Induktionsschleife abgezogen und folglich auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie abgestellt.
38Allerdings ist die Berechnung der Rotlichtphase fehlerhaft, weil die von dem gemessenen Wert abzuziehende Zeitspanne, die die Betroffene für die Strecke zwischen Haltelinie und Über-fahren der hinter dieser Linie liegenden ersten Kontaktschleife benötigt hat, lediglich auf 0,3 Sekunden geschätzt und keine genaue Rückrechnung vorgenommen worden ist. Es kann jedoch ausgeschlossen werden, daß die Entscheidung des Amtsgerichts auf diesem Fehler beruht.
39Die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes im Sinne von Nr. 34.2 BKatV setzt voraus, daß der Fahrzeugführer ein rotes Lichtzeichen mißachtet (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO), obwohl die Rotphase schon länger als eine Sekunde dauert.
40Für die Berechnung ist dabei der Zeitpunkt maßgebend, in dem das Fahrzeug die Haltlinie passiert (vgl. BayOblG NZV 1994, 200; OLG Frankfurt NZV 1993, 492; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1995, 92; OLG Hamm NZV 1993, 492; KG NZV 1992, 251; Senat VRS 89,470; SenE vom 9.1.1996 - Ss 669/95 B -; 9.5.1996 - Ss 197/96 B und Ss 207/96 B -; 26.11.1996 - Ss 451/96 B; DAR 1998, 244 = NZV 1998, 297).
41Wird die Rotlichtdauer wie hier durch eine automatische Rotlichtüberwachungsanlage gemessen, bei der die erste Kontaktschleife in Fahrtrichtung des Betroffenen hinter der Haltlinie liegt, ist der ermittelte Meßwert nicht nur um einen Toleranzwert zum Ausgleich von etwaigen Meßungenauigkeiten zu vermindern, sondern auch die Zeitspanne abzuziehen, die der Betroffene für die Strecke zwischen Haltelinie und Kontakt-schleife benötigt hat. Auf die Rückrechnung kann nur verzichtet werden, wenn eine beim Überqueren der Haltlinie länger als eine Sekunde andauernde Rotlichtphase durch sonstige Indizien nach-gewiesen ist (vgl. SenE vom 9.1.1996 - Ss 669/95 B -; 9.5.1996 - Ss 197/96 B und Ss 207/96 B -; 26.11.1996 - Ss 451/96 B).
42Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen liegen solche Indizien nicht vor. Es bedarf daher einer Rückrechnung, für die zur Ermittlung der gefahrenen Geschwindigkeit auf die Differenz zwischen den Meßwerten der ersten und zweiten Kontaktschleife zurückgegriffen werden kann, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Betroffene auf diesem Abschnitt aufgehalten worden sein könnte (vgl. im einzelnen SenE vom 9.1.1996 - Ss 669/95 B).
43Im vorliegenden Fall sind solche Anhaltspunkte nicht gegeben. Der Senat kann die Rückrechnung selbst vornehmen, weil die Feststellungen des Amtsgerichts die zur Berechnung benötigten Daten enthalten. Danach hat die Wegstrecke zwischen Haltlinie und erster Kontaktschleife 3,9 m, zwischen Haltelinie und zweiter Kontaktschleife 12,3 m, zwischen den beiden Kontakt-schleifen also 9,3 m betragen. Beim Überfahren der ersten Kontaktschleife sind 1,68 Sekunden, beim Überfahren der zweiten Kontaktschleife 2,34 Sekunden nach dem Beginn der Rotlichtphase gemessen worden.
44Unter Berücksichtigung einer Toleranz von 0,2 Sekunden zum Aus-gleich von Meßungenauigkeiten, der zugunsten der Betroffenen dem zweiten Wert hinzugerechnet werden muß (vgl. SenE vom 9.1. 1996 - Ss 669/95 -) ergibt sich ein Zeitraum von 0,86 Sekunden (2,54 - 1,68 Sekunden), innerhalb dessen die Strecke von 9,3 m zurückgelegt worden ist. Das entspricht einer Geschwindigkeit von 10,813 m/Sekunde (9,3 m : 0,86) oder 38,93 km/h (10,813 x 3,6). Die Betroffene hat selbst eingeräumt, mit einer Ge-schwindigkeit von 40 km/h auf die Ampel zugefahren zu sein. Umgerechnet auf die Strecke von 3,9 m zwischen der Haltelinie und der ersten Kontaktschleife ergibt sich bei gleichbleibender Geschwindigkeit, von der nach der Einlassung der Betroffenen ausgegangen werden kann, eine Zeitspanne von 0,36 Sekunden (3,9 : 10,813 ).
45Da das Überfahren der ersten Kontaktschleife 1,68 Sekunden nach Beginn der Rotlichtphase gemessen worden ist, verbleibt nach einem Toleranzabzug von 0,2 Sekunden für Meßungenauigkeiten und der oben errechneten Zeitspanne für die Strecke zwischen Halte-linie und erster Kontaktschleife ein Wert von 1,12 Sekunden, der deutlich über der für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlichen Rotlichtdauer von einer Sekunde liegt. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß das Amtsgericht gegen die Betroffene die Regelbuße von 250,- DM und das Regelfahrverbot von einem Monat festgesetzt hat.
463.
47Der zur Begründung der Rechtsbeschwerde vorgetragene Einwand, die Eichung der Meßeinrichtung sei nach Anhang B Nr. 18.3 der Eichordnung vom 12.8.1988 (BGBl. I S. 1657) nicht mehr gültig gewesen, ist unzutreffend.
48Die genannte Bestimmung betrifft Radlastmesser und Geschwin-digkeitsmeßgeräte, ist also, wie bereits in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend bemerkt, für die hier in Rede stehende Rotlicht-Meßeinrichtung nicht einschlägig. Die Gültigkeitsdauer der Eichung vom 27. Juli 1995 betrug gemäß § 12 Abs. 1 und 3 Eichordnung zwei Jahre, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres der letzten Eichung.
49Nach alledem hat es bei der Entscheidung des Amtsgerichts zu verbleiben.
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