Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - Ss 125/99 - 62 -
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Köln zurückverwiesen.
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G r ü n d e :
2Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 12 Fällen, davon in 3 Fällen versucht und in 1 Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, sowie wegen Hehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt.
3Mit der Revision der Angeklagten wird Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
4Schon die ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge der Verletzung der §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5 StPO greift durch, so dass die übrigen Verfahrensrügen und die Sachrüge keiner Entscheidung bedürfen.
5Die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO dar, wenn es sich um einen Fall einer notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 StPO darstellt (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE vom 28.08.1998 - Ss 408/98 - m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Auflage, § 338 Nr. 41). Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO lag hier vor, da wegen der Schwere der Tat die Mitwirkung eines Verteidigers geboten war. Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdn. 23 m.w.N.). Eine Tat ist regelmäßig als schwer einzustufen, wenn eine Straferwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung besteht (vgl. SenE vom 28.08.1998 - Ss 408/98 - m.w.N.). Diese Voraussetzungen lagen hier vor, wie sich aus der vom Amtsgericht verhängten Strafe ergibt. Hinzu kommt, dass die Verteidigungsfähigkeit der Angeklagten zu berücksichtigen war (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdn. 24), die durch ihre Alkoholabhängigkeit beeinträchtigt war.
6Allerdings kann nur die Abwesenheit des notwendigen Verteidigers bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung die Revision begründen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rdn. 36 m.w.N.). Dies war hier der Fall, da die Zeugin H. in Abwesenheit der später erschienenen Verteidigerin vernommen wurde und die Beweisaufnahme stets zu dem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung zu rechnen ist (SenE NStZ 1987, 244 = VRS 72, 371; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Auflage, § 338 Rdn. 84; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rdn. 37 m.w.N.).
7Die Heilung dieses Mangels war ausschließlich auf dem Weg möglich, dass dieser Teil der Verhandlung in Gegenwart der Verteidigerin wiederholt wurde; eine Information der Verteidigerin über den Inhalt der Zeugenaussage konnte das gesetzmäßige Verfahren nicht ersetzen (BayObLG NStZ 1990, 250; SenE NStZ 1987, 244 = VRS 72, 371 m.w.N.; vgl. auch BGH NJW 1981, 1568). Eine Wiederholung der Zeugenvernehmung hat aber ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht stattgefunden. Die Beachtung der Verfahrensvorschriften, deren Verletzung einen absoluten Revisionsgrund darstellt, steht nicht zur Disposition der Prozessbeteiligten (BayObLG NStZ 1990, 250). Das Rügerecht, dass sich aus der Abwesenheit des notwendigen Verteidigers ergibt, kann nicht durch Stillschweigen oder ausdrücklichen Verzicht verloren gehen; es handelt sich um ein unverzichtbares Recht des Angeklagten (Sarstedt-Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Auflage, Rdn. 412). Das Verfahrensrecht gewährt dem Angeklagten den unbedingten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO im Fall des Ausbleibens des Verteidigers, ohne dies von der Vorsorge, Umsicht oder dem guten Willen des Verteidigers selbst abhängig zu machen (BGHSt 15, 308). Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist es also ohne Bedeutung, dass die Verteidigerin nicht die erneute Vernehmung der Zeugin beantragt hat.
8Da der Abschluss der Revisiongrund des § 338 Nr. 5 StPO keine Prüfung der Berufungsfrage gestattet, wenn der Verfahrensverstoss - wie hier - einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung betrifft (vgl. BGH Strafverteidiger 1986, 465) muss das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen werden.
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