Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 1 U 35/99
Tenor
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
2Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.
3Die Klage ist unbegründet, die Widerklage begründet.
4Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zahlung des ersten Teilbetrages für 10.000 Zündholzschachteln von insgesamt 2.141,15 DM verlangen. Auf die Widerklage ist vielmehr festzustellen, dass die Beklagte keinerlei Zahlungsverpflichtungen aus dem Vertrag vom 16. Oktober 1995 hat. Von dieser Feststellung unberührt bleibt die rechtskräftige Verurteilung in dem Rechtsstreit 136 C 94/96 AG Köln = 11 S 470/96 LG Köln.
5Nach der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Zeugen K. entweder der Vorwurf einer Blankettfälschung zu machen ist, so dass überhaupt kein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist, oder aber, dass die Beklagte jedenfalls berechtigt war, ihre Willenserklärung vom 16. Oktober 1995 wegen Inhaltsirrtums wirksam anzufechten mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrages (§§ 119, 142 BGB).
6Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Beklagte dem Kläger über dessen Aussendienstmitarbeiter K. lediglich einen Auftrag über eine Menge von 1.000 Zündholzschachteln mit der Möglichkeit weiterer Bestellungen erteilen wollte und das fragliche Vertragsformular entweder unterzeichnet hat, bevor es vollständig ausgefüllt, inbesondere die Gesamtbestellmenge eingetragen war, oder aber den vollständig ausgefüllten Vertrag in dem Bewusstsein unterzeichnet hat, sie bestelle damit lediglich 1.000 Zündholzschachteln. In ersterem Fall wäre der von der Beklagten gegenüber dem Vertreter des Klägers erhobenen Vorwurf der Blankettfälschung bewiesen. Im letzteren Fall läge bei der Unterzeichnung der Urkunde eine Abweichung der objektiven Erklärung von dem subjektiv Gewollten vor, so dass zumindest ein Inhaltsirrtum bewiesen ist.
7Die Zeugin S., eine Angestellte der Beklagten mit zufälliger Namensgleichheit, hat bekundet, sie habe von ihrem etwa drei Meter von der Sitzgruppe, an dem das Gespräch stattgefunden habe, entfernten Arbeitsplatz die Unterhaltung zwischen der Beklagten und dem Vertreter der Klägerin, dem Zeugen K., genau mitbekommen. Im Gegensatz zu der Beklagten, die eine Kundin für ein "permanent-make-up" gehabt habe, habe sie selbst keine Kundin für die Maniküre gehabt und daher das Gespräch mitanhören können. Die Beklagte habe den Werbevertreter der Klägerin nach der Abnahmemenge gefragt. Dabei sei weder von einer Gesamtabnahmemenge noch von einem Gesamtzeitraum die Rede gewesen. Die Beklagte habe vielmehr nachdrücklich darauf Wert gelegt, dass sie es selbst in der Hand habe, eine bestimmte Stückzahl an Zündholzschachteln abzurufen. Sie habe deshalb gefragt, ob es möglich sei, zunächst 1.000 Stück zu bestellen und später ggfs. weitere Bestellungen vorzunehmen. Dies habe der Zeuge K. bejaht. Daraufhin habe die Beklagte, die zwischendurch mit ihrer Kundin beschäftigt gewesen sei, unterschrieben, ohne sich den Text noch einmal durchzulesen. Danach hatte die Beklagte also bei der Unterzeichnung des Vertrages, wenn dieser bereits vollständig war, das Bewußtsein, eine Unterschrift nur für eine geringe Bestellmenge von 1.000 Stück zu leisten, während sie sich objektiv zu einer Bestellung von 250.000 Zündholzschachteln verpflichtete.
8Der Senat folgt dieser Aussage der Zeugin S., obwohl sie teilweise im Widerspruch zu der Aussage des Zeugen K. steht, der erklärt hat, er habe das Formular in Anwesenheit der Beklagten vollständig ausgefüllt und - wie er das immer mache - im einzelnen unter Vorlage der Preisliste erläutert, bevor die Beklagte es unterzeichnet habe. Die Zeugin S. machte auf den Senat einen glaubwürdigen Eindruck. Ihre Aussage war in Einzelheiten abgewogen und nicht von dem Bestreben gekennzeichnet, einseitig zugunsten der Beklagten auszusagen. So hat die Zeugin etwa erklärt, sie wisse nicht, ob der Beklagten eine Preisliste vorgelegt worden sei und ob diese eine Durchschrift des Vertrages erhalten habe. Sie hat ferner ausgesagt, die Beklagte sei zwar durch eine Kundin abgelenkt gewesen, habe den Vertrag aber sofort unterschrieben, nachdem er von dem Zeugen K. ausgefüllt worden sei, mithin nicht die für die Beklagte günstigere Möglichkeit bestätigt, der Vertrag sei blanko unterschrieben und erst später von dem Zeugen K. ausfüllt worden. Damit ist die Zeugin auch bei dem Inhalt ihrer früheren Aussage vor dem Landgericht Köln in dem Vorverfahren zwischen den Parteien geblieben. Allein die Tatsache, dass die Zeugin noch bei der Beklagten beschäftigt ist, spricht unter diesen Umständen nicht gegen ihre Glaubwürdigkeit. Gleiches gilt auch im Hinblick auf das Erinnerungsvermögen der Zeugin. Anders als das Landgericht ist der Senat der Auffassung, dass die Erinnerung der Zeugin Jahre nach dem Vorgang schon deshalb nachvollziehbar und glaubwürdig ist, weil der Vorfall schon 14 Tage nach der Bestellung Gegenstand einer Anwaltsbeauftragung gewesen ist und die Abweichung der Bestellmenge - 1.000 statt 250.000 Stück - so erheblich ist, dass es sich auch für eine Angestellte um einen besonders erinnerungswürdigen Vorgang handelte.
9Für die Richtigkeit der Aussage der Zeugin S. streitet auch das von der Klägerin verwendete Vertragsformular. Die optisch und sprachlich unübersichtliche Gestaltung des Formulars mit zahlreichen, sich nicht unmittelbar aufeinander beziehenden Einzelangaben wie "Abschluss 250.000 zum Preis von DM 163.-- per 1.000 + mwst. zuzueglich kosten für vorarbeiten, erstellung der gesamten druckunterlagen, einschließlich der druckfilme fuer eine ausffuehrung. 1-fbg. DM 185.-- ... 25 teillieferung je 10.000 durcksicherung 950 per 1.000 + mwst. 1x drucksicherung DM 2.375,- + mwst. für gesamtauftrag die drucksicherung wird bei den jeweiligen teillieferungen anteilmaeßig gutgeschrieben. jeweils nachnahme 153,50 per 1.000 = DM + mwst. und nebenkosten." ermöglicht jedenfalls ohne einen genauen Einzelvergleich mit der Preisliste und entsprechende Rechenoperationen keine sinnvolle Zuordnung von Bestellmenge und Gesamtpreis, Zahlungs- und Mengenbezugsverpflichtungen. Vor diesem Hintergrund war es mehr als naheliegend, wenn die Beklagte diese Erklärung während des laufenden Geschäftsbetriebes praktisch "blind" unterschrieb und sich dabei auf den Inhalt der zuvor getroffenen mündlichen Vereinbarungen verließ, wonach sie einen bindenden Auftrag über 1.000 Stück zum Preise von 163.-- DM erteilt hatte und sich vorbehielt, bei entsprechendem Bedarf jeweils nachzubestellen.
10Der Senat teilt auch nicht die vom Landgericht Köln in dem Verfahren 11 S 470/96 dargelegten Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin S.. Auf die Widersprüche zur Aussage der damals vernommenen Zeugin B. angesprochen, hat die Zeugin S. freimütig und spontan erklärt, der Zeugin B. müsse man "alles dreimal sagen", mit anderen Worten, dieser sei es ohne weiteres zuzutrauen, dass sie sich bei ihrer Zeugenaussage in verschiedenen Punkten - so zunächst der Bestellung von 100 statt 1.000 Stück und des Raumes - geirrt habe.
11Dem Zeugen K. vermochte der Senat hingegen nicht zu glauben, wenn er bekundet hat, er habe auch diesen Vertrag nach einem festen Verkaufsschema geschlossen und dabei - wie stets - vor der Unterschriftsleistung die einzelnen Eintragungen genau erläutert. Aus seinen Notizen ergebe sich auch, dass die Beklagte nicht während der Vertragsverhandlungen unterbrochen worden sei. Abgesehen davon, dass es erstaunt, warum der Zeuge diese Notizen nicht mehr besitzen will, obwohl der Vertragsabschluss von Anfang an streitig war, verwundert auch, warum der Kläger solche Notizen nach der Aussage des Zeugen K. von seinen Mitarbeitern verlangt. Erklärbar wird dies allenfalls durch die verwendeten Vertragsformulare und im Zusammenhang mit der weiteren Aussage des Zeugen, bei 200 bis 300 Abschlüssen im Jahr müsse er etwa fünf Mal im Jahr zum Gericht, um als Zeuge auszusagen, was nach der Auffassung des Senats nicht für das Verhalten des Zeugen bei dem Abschluss entsprechender Verträge und die von dem Kläger verwendete Formulargestaltung spricht. Deshalb konnte der Senat trotz der Bekundungen des Zeugen auch nicht die Überzeugung gewinnen, dass dieser der Beklagten den Inhalt des Vertrages und den Umfang der eingegangenen Verpflichtungen im einzelnen erläutert hat, bevor die Beklagte das Vertragsformular unterzeichnete.
12Schließlich kommt hinzu, dass der beurkundete Anschluß über eine Menge von 250.000 Streichholzschachteln auch nach dem Bekundungen des Zeugen K. völlig ausserhalb des durchschnittlichen Auftragsvolumens von 30.000 bis 50.000 Stück gelegen hat. Hierfür bestand nach der Art und Anzahl der von der Beklagten unterhaltenen Geschäfte und der betreuten Kunden keinerlei Anlass. Die sofortige Reaktion der Beklagten auf die Auftragsbestätigung vom 24. Oktober 1996 mit der Anfechtungserklärung vom 30. Oktober 1996 macht deutlich, dass die Beklagte völlig überrascht war, eine so langfristige und weitreichende Verbindlichkeit über - auch nach Einschätzung des Zeugen K. - möglicherweise 25 Jahre eingegangen zu sein. Unstreitig war weder über die lange Vertragsdauer noch die anfallenden weiteren Kosten bei einer Änderung von Anschrift oder Telefonnummer sowie Farbgestaltung und Design gesprochen worden. Dies alles spricht für den Vortrag der Beklagten, sie habe auf Grund des Vorgesprächs mit dem Zeugen K. geglaubt, zunächst 1.000 Streichholzschachteln zu bestellen. Darauf, dass nach den Preislisten der Klägerin eine Mindestbestellmenge von 10.000 Stück vorgesehen war, kommt es nicht an. Der Kläger nennt in seinen Vertragsformularen und seiner Preisliste immer wieder die Zahl 1.000 als Bezugsgröße, so dass dem potentiellen Kunden gerade nicht "ins Auge springen musste", dass eine Mindestmenge von 10.000 Stück zu bestellen war.
13Selbst wenn die Beklagte also das von dem Zeugen K. bereits vollständig ausgefüllte Formular unterschrieben hätte, konnte sie sich von dem dann zustande gekommenen Vertrag durch Anfechtung lösen. Die Beklagte war bei Unterzeichnung der Urkunde im Irrtum über die von ihr abgegebene Erklärung. Sie hat nicht einfach eine Urkunde ungelesen unterschrieben, in dem Bewusstsein, ihren Inhalt nicht zu kennen, sondern sie hat sich vom Inhalt dieser Urkunde auf Grund der Vorgespräche mit dem Zeugen K. bestimmte Vorstellungen gemacht. Sie glaubte, 1.000 Streichholzschachteln für 163.-- DM zu bestellen, während sie eine Urkunde über die Bestellung von 250.000 Stück unterschrieb. Ein solcher Irrtum berechtigte sie zur Anfechtung (vgl. Palandt/ Heinrichs, 57. Aufl., § 119 BGB, Rdnr. 9).
14Entgegen der Ansicht des Landgerichts fehlt es auch nicht an einer Anfechtungserklärung. Die Anfechtung ist im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt vielmehr durch das Schreiben des Rechtsanwalts L. vom 30. Oktober 1995 rechtzeitig und eindeutig erklärt worden (Blatt 18 der Beiakte 136 C 94/96).
15Da die Beklagte den Vertrag wirksam angefochten hat, steht dem Kläger der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu.
16Die zulässige Widerklage ist hingegen begründet. Die vom Landgericht geäußerten Zweifel an der Zulässigkeit der Widerklage bestehen nicht. Es handelt sich jedenfalls in der Fassung des Berufungsantrags um eine typische negative Feststellungsklage als eines klassischen Gegenangriffsmittels in einem Fall, in dem sich eine Partei einer Forderung berühmt, hiervon aber aus Kosten- oder sonstigen Gründen einen Teilbetrag einklagt. Sie bietet den Vorteil, dass endlich Klarheit über etwaige weitere Ansprüche geschaffen und widersprechende Entscheidungen zu den Teilansprüchen vermieden werden. Die Frage der Wirksamkeit des Vertrages ist bei den einzelnen Leistungsanträgen eine bloße Vorfrage, die nicht in Rechtskraft erwächst und von den Gerichten jeweils gesondert zu prüfen ist und unterschiedlich beantwortet werden kann. Bei einer Teilklage ist also eine negative Feststellungsklage wegen des vorbehaltenen Restes stets gerechtfertigt (Zöller/ Greger, ZPO, 21. Aufl., § 256 Rdnr. 14a).
17Die Widerklage ist auch begründet, da dem Kläger nach wirksamer Anfechtung des Vertrages keine Rechte aus dem Vertrag vom 16. Oktober 1995 zustehen.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
19Streitwert:
20| Klage: | 2.141,15 DM | |
| Widerklage: 240 x 2.141,15 DM | 51.387,60 DM | |
| ./. 20 % | - 10.277,52 DM | |
| 41.110,08 DM | + 41.110,08 DM | |
| Gesamtstreitwert: | 43.251,23 DM |
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