Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - Ss 217/00 (B) - 96 B -
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Jülich zurückverwiesen.
1
G r ü n d e
2Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift ausgeführt:
3"Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, Mißachtung des Zeichens 274.1, zu einer Geldbuße von 250,00 DM verurteilt und ihm für die Dauer von 1 Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
4Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG in formeller Hinsicht nicht zu beanstandene Rechtsbeschwerde führt auf die Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
5Mit der ordnungsgemäß (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) erhobenen Rüge wird geltend gemacht, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen §§ 261 StPO, 77 a Abs. 4 Satz 1, 78 Abs. 1 Satz 3 OWiG ohne Zustimmung des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und seines Verteidigers das Messprotokoll durch Protokollfeststellung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 OWiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Die Rüge greift durch.
6Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann das Gericht statt der Verlesung eines Schriftstückes dessen wesentlichen Inhalt bekannt geben, soweit es nicht auf den Wortlaut des Schriftstücks ankommt. Haben der Betroffene, der Verteidiger und der in der Hauptverhandlung anwesende Vertreter der Staatsanwaltschaft von dem Wortlaut des Schriftstücks Kenntnis genommen oder dazu Gelegenheit gehabt, so genügt es, statt der Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des Schriftstücks gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 OWiG die Feststellungen hierüber in das Protokoll aufzunehmen.
7Voraussetzung der Anwendung dieser Bestimmung ist daher die Zulässigkeit der Verlesung des Schriftstücks. Gemäß § 77 a Abs. 1 OWiG kann die Vernehmung eines Zeugen durch Verlesung von Urkunden, die eine von ihm stammende schriftliche Äußerung enthalten, ersetzt werden. Die Verlesung des Messprotokolls zu Beweiszwecken ist daher, abweichend von § 250 StPO, grundsätzlich anstelle der zeugenschaftlichen Vernehmung der Polizeibeamten, die die Geschwindigkeitsmessung durchgeführt haben, zulässig.
8Das Gesetz macht die vereinfachte Art der Beweisaufnahme jedoch hinsichtlich der Ersetzung des Zeugenbeweises durch Urkundsbeweis gemäß § 77 a Abs. 1 OWiG und hinsichtlich der Durchführung des Urkundsbeweises durch Protokollfeststellung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 OWiG von der Zustimmung des Betroffenen, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft, soweit sie in der Hauptverhandlung anwesend sind (§ 77 a Abs.4 Satz 1 OWiG) bzw. der Verfahrensbeteiligten (§ 78 Abs. 1 Satz 3 OWiG) abhängig.
9Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls ist eine Zustimmung nicht ausdrücklich erteilt worden. Die Zustimmung kann grundsätzlich auch stillschwiegend erklärt werden (OLG Köln - Ss 450/87 - in NStZ 1988, 31 f. m. w. N.). Dafür ist es erforderlich, dass der Wille der Verfahrensbeteiligten zweifelsfrei hervortritt. Das setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten über die Erforderlichkeit ihrer Zustimmung hinreichend aufgeklärt sind und aufgrund der vorausgegangenen Verfahrensgestaltung davon ausgegangen werden darf, dass sie sich der Tragweite ihres Schreibens bewußt sind.
10Wird kein Verlesungsgrund angegeben, kann den Verfahrensbeteiligten nicht bewußt werden, dass die Verlesung unmittelbar der Urteilsfindung und nicht etwa der Vorbereitung der Entscheidung darüber dient, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen soll (§ 251 Abs. 3 StPO).
11Wird kein Grund für den Protokollvermerk angegeben, kann dem Betroffenen nicht bewußt werden, dass die Möglichkeit zur Ersetzung des Zeugenbeweises durch Urkundsbeweis und die Durchführung des Urkundsbeweises im Wege der Protokollfeststellung von seiner Zustimmung abhängig ist.
12Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall weder eine Zustimmung des Betroffenen noch eine solche des Verteidigers angenommen werden. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde festgestellt, dass der Betroffene und der Verteidiger Gelegenheit hatten, vom Inhalt des Messprotokolls (Bl. 3, 4 der Akten) Kenntnis zu nehmen, ohne dass auf Zweck und Tragweite dieser Protokollfeststellung hingewiesen wurde. Für den Betroffenen wurde so schon nicht erkennbar, dass die Protkollfeststellung nach einer Vorschrift erfolgen sollte, die seine Zustimmung voraussetzte. Eine Verfahrensgestaltung, die dem Verteidiger die Tragweite seines Schweigens bewußt machte, lag damit ebenfalls nicht vor. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Betroffene und sein Verteidiger unter diesen Umständen durch ihr Schweigen ihre Zustimmung zur Verlesung des Messprotokolls (§ 77 a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 OWiG) und zur Ersetzung der Verlesung durch Protokollfeststellung (§ 78 Abs. 1 Satz 2, 3 OwiG) ausdrücken wollten.
13Das Urteil beruht auch auf der unzulässigen Protokollfeststellung. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts wird ausdrücklich auf das Messprotokoll gestützt."
14Diesen Ausführungen stimmt der Senat zu.
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