Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - Ss 468/00 - 259 -
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Köln zurückverwiesen.
1
G r ü n d e :
2Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen Diebstahls und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten und zwei Wochen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt und diese auf die allgemeine Sachrüge und die Verfahrensrüge der Verletzung des § 218 StPO gestützt. Insoweit hat sie vorgetragen, ihr Verteidiger habe sich mit Schriftsatz vom 23.5.2000 bestellt und dem Gericht mit Schriftsatz vom 25.5.2000 seine Vollmacht übersandt; dennoch sei er zum Hauptverhandlungstermin nicht geladen worden. Eines Eingehens auf die Sachrüge bedarf es nicht, da bereits auf die Verfahrensrüge hin das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen ist (§ 354 StPO).
3Die Rüge der Verletzung des § 218 StPO ist - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft - als Verfahrensrüge entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. Dazu ist erforderlich, dass die die Rüge begründenden Tatsachen so genau angegeben werden, dass das Revisionsgericht alleine auf ihrer Grundlage prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGH NStZ- RR 1997, 71, 72; 1996, 245, 246; BGH NStZ 1986, 519 (520). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Verteidigung gerecht: Gem. § 218 StPO ist der gewählte Verteidiger zum Termin zu laden, wenn die Wahl dem Gericht angezeigt ist. Der Vortrag in der Revisionsbegründung, der Verteidiger habe seine Bestellung dem Gericht angezeigt und darüber hinaus sogar seine Vollmacht vorgelegt und sei dennoch nicht zum Termin geladen worden, reicht zur zulässigen Erhebung der Rüge aus, da damit das Revisionsgericht überprüfen kann, ob - wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären - ein Verstoß gegen § 218 StPO vorläge. Zum zulässigen Vorbringen dieser Rüge gehört es entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft nicht, dass die Revision zusätzlich darlegt, dass auf die Ladung des Verteidigers nicht verzichtet worden ist (offengelassen in BayObLG NStZ-RR 1996, 245, 246). Zwar kann es im Rahmen des ordnungsgemäßen Vortrages einer Verfahrensrüge erforderlich sein, dass der Angeklagte ihm nachteilige Tatsachen nicht übergeht, sondern auch solche Fakten vorträgt, die seiner Rüge den Boden entziehen können (vgl. dazu BGHSt 37, 245, 248f = NJW 1991, 1764 = NStZ 1991, 196; BGH NStZ 1986, 519; BGH NStZ - RR 1997, 71, 72). In welchem Umfang er jedoch zum Vortrag solcher "Negativtatsachen" verpflichtet ist, kann nicht abstrakt, sondern nur jeweils an Hand der konkreten Norm, deren Verletzung geltend gemacht wird, beurteilt werden. Auszugehen ist dabei vom Wortlaut des § 344 Abs. 2 StPO, nach der "die den Mangel enthaltenden Tatsachen" anzugeben sind. Dabei sind - je nach Charakter der Norm, deren Verletzung gerügt wird - folgende Fälle zu unterscheiden: Handelt es sich um eine Norm, die ein Regel-Ausnahme-Verhältnis umschreibt, lässt sich an Hand des Vortrages zum Regeltatbestand (noch) nicht beurteilen, ob der gerügte Verfahrensverstoß vorliegt, wenn die behauptete Tatsache erwiesen wird. Hier ist vielmehr erforderlich, dass auch vorgetragen wird, dass der Ausnahmetatbestand, der den Verfahrensverstoß ausräumen würde, nicht vorgelegen hat (vgl. BGH wistra 1990, 197). Dementsprechend lässt die Rechtsprechung z.B. bei einem gerügten Verstoß gegen § 249 StPO den Vortrag, das Gericht habe zu Unrecht den Inhalt einer Urkunde verwertet, obwohl diese nicht in der Hauptverhandlung verlesen worden sei, nicht genügen, sondern verlangt überdies den Vortrag, dass sie auch nicht auf andere Weise zulässig in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, mithin z.B. die Voraussetzungen der Ausnahmeregeln des § 249 Abs. 2 StPO und § 250 StPO nicht vorgelegen haben (vgl. BGHR, StPO, § 344 Abs. 2 Satz 2 Urkunde 1). Ebenso hat der BGH für die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit, weil ein Zeuge nicht persönlich vernommen worden sei, weiteren Vortrag dazu verlangt, dass die Vernehmung des Zeugen nicht gem. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO durch Verlesung der Niederschrift über seine frühere richterliche Vernehmung ersetzt werden konnte (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 71, 72). Wird dagegen der Verstoß gegen eine Norm gerügt, die kein Regel-Ausnahme-Verhältnis umschreibt, sondern einen klaren Normbefehl enthält, ist es für die Zulässigkeit der Rüge ausreichend, dass die Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich der Verstoß gegen diesen Normbefehl ergibt (vgl. Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., Rdnr. 234), die also unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rüge betreffen (vgl. Dahs, Salger Festschrift, S. 229). Um eine derartige Norm - ohne Umschreibung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses - handelt es sich bei § 218 StPO, da danach das Gericht zur Ladung eines gewählten Verteidigers stets verpflichtet ist, wenn dieser die Wahl dem Gericht angezeigt hat. Daher braucht die Angeklagte für eine zulässige Verfahrensrüge auch nur zu diesen tatbestandlichen Voraussetzungen vorzutragen. Dass die Angeklagte bei einem geltend gemachten Verstoß gegen § 218 StPO nicht noch zusätzlich vortragen muss, sie habe auch nicht nachträglich im Hauptverhandlungstermin auf die Ladung des Verteidigers verzichtet, ergibt sich zudem aus folgenden Erwägungen: Zwar kann die Angeklagte, deren Verteidiger nicht geladen wurde, nachträglich, nämlich in der Hauptverhandlung, auf die Ladung des Verteidigers verzichten (vgl. Löwe/Rosenberg (Gollwitzer), StPO, 24. Aufl., § 218, Rdnr. 18). Ein solcher Verzicht auf die Ladung kann die Heilung des Verfahrensverstoßes bewirken. Damit wird der einmal eingetretene Verfahrensverstoß jedoch nicht ungeschehen, sondern dies führt nur dazu, dass "die mit dem Gesetzesverstoß in Gang gesetzte Kausalkette abgebrochen" und "das Urteil gegen ihn immunisiert" (Herdegen NStZ 1990, 513, 519) wird. Ob von einer derartigen Heilung eines Verfahrensfehlers auszugehen ist oder dieser fortwirkt, hat zwar das Revisionsgericht aufzuklären und zu entscheiden. Dies ist jedoch keine Frage der Zulässigkeit der Revision, sondern ihrer Begründetheit und des Beruhens des Urteils auf diesem Rechtsfehler (vgl. Herdegen, a.a.O.; Dahs/Dahs, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl., 1993, Rdnr. 472). Soweit der BGH eine Rüge (wegen des Verstoßes gegen § 338 Nr. 5 StPO - (zeitweise) Abwesenheit Angeklagten in der Hauptverhandlung) als nicht zulässig erhoben angesehen hat, weil der Angeklagte den Sachverhalt nicht vollständig vorgetragen hatte, der für eine Heilung des Mangels sprach, betrifft dies den - hier nicht vorliegenden - Fall, dass nach dem eigenen Vortrag des Angeklagten eine Heilung in Betracht kam oder sogar nahe lag (BGHR StPO, § 344 Abs. 2 Satz 2, Abwesenheit 2; BGH NStZ 1998, 425, 426).
4Die Rüge der Verletzung des § 218 StPO greift durch. Nach § 218 StPO ist der gewählte Verteidiger dann zu laden, wenn er seine Wahl dem Gericht angezeigt hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor: mit Schriftsatz vom 23.5.2000 hatte der Verteidiger sich bestellt und überdies - ohne dass es für die Anwendbarkeit des § 218 StPO darauf ankäme (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 218 Rdnr. 4 unter Hinweis auf BGHSt 36, 259) - mit Schriftsatz vom 25.5.2000 (Eingang bei Gericht am 26.5.) seine Vollmacht übersandt. Dennoch ist er zum Termin nicht geladen worden. Zwar hat das Gericht verfügt, den Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin zu laden, aus der Bezugnahme auf dessen Anschrift in der Verfügung ergibt sich jedoch, dass damit lediglich Rechtsanwältin L geladen werden sollte, die sich zunächst für die Angeklagte bestellt hatte. Eine Ladung des Verteidigers, Rechtsanwalt S, wurde nicht verfügt und ist dementsprechend auch nicht erfolgt. Die Hauptverhandlung wurde in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt. Die Ladung von Rechtsanwältin L machte die Ladung von Rechtsanwalt S auch nicht entbehrlich: Haben sich für einen Angeklagten mehrere Verteidiger bestellt, so muss - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall, dass die mehreren Verteidiger gemeinsam einer Sozietät angehören - jeder von ihnen geladen werden, wenn die in § 218 Satz 1 StPO genannten Voraussetzungen vorliegen (vgl. BGH NStZ 1995, 298; BGHSt 36, 259, 261m.w.N.). Das Fehlen einer Ladung könnte unschädlich sein, wenn der Verteidiger auf andere Weise rechtzeitig vom Termin zuverlässig Kenntnis erlangt hätte. Aus den Akten lässt sich dies nicht entnehmen, zumal dem Verteidiger Akteneinsicht lediglich vor Terminsverfügung gewährt worden war, ihm diese also keine Kenntnis vom Termin vermittelt haben konnte. Die Angeklagte hat auch nicht in der Hauptverhandlung wirksam auf die Verteidigung durch Rechtsanwalt S verzichtet. Ein derartiger Verzicht kann weder in der rügelosen Einlassung noch im Unterlassen eines Aussetzungsantrages gesehen werden. Vielmehr setzt ein solcher Verzicht eine eindeutige Erklärung der Angeklagten und die Kenntnis voraus, dass ihr Verteidiger nicht geladen wurde und dass sie deshalb die Aussetzung beantragen könnte (vgl. dazu BGHSt 36, 259, 261; Senatsentscheidung MDR 1973, 70; VRS 57, 132; Löwe/Rosenberg (Gollwitzer) a.a.O. Rdnr. 19). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die taubstumme, nicht verteidigte und ausweislich des Protokolls auch nicht entsprechend belehrte Angeklagte ihr Antragsrecht gekannt hat.
5Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers zu einem für die Angeklagte günstigeren Ergebnis geführt hätte (vgl. BGHSt 36, 259, 262). Dr. Bick Schröders Crynen
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.