Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - Ss 92/02 (B) - 111 B -
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Aachen zurückverwiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen §§ 11, 27 Abs. 1, 61 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) zu einer Geldbuße von 2.100,00 DM verurteilt. Es hat festgestellt, dass der Betroffene in der Zeit vom 7. Oktober 1999 bis zum 10. Dezember 1999 auf dem Betriebsgelände seiner Bauunternehmung in L. ohne Genehmigung zum Ablagern oder Verwerten größere Mengen an Abfällen verschiedenster Art sammelte und lagerte, nämlich Baustümpfe, Wurzelstöcke, geschreddertes Material, Baumischabfälle, Bodenaushub und Sperrmüll, ferner 20 Altreifen, teils mit Felge, und mehrere Säcke mit Papierresten. Zu der Einlassung des Betroffenen, die Massen würden lediglich zwischengelagert, um später an Weiterverwerter abgegeben oder ansonsten weiter verwendet zu werden, hat es ausgeführt, es sei "ohne jeden Zweifel ein Entledigungswille im Sinne des § 3 Abs. 3 Ziff. 1 des Kreislaufwirtschaftsabfallgesetzes anzunehmen, da die ursprüngliche bzw. letzte Zweckbestimmung der o.g. Gegenstände entfallen bzw. aufgegeben worden sind, ohne daß ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle getreten ist".
4Mit der Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt und beantragt, das Urteil aufzuheben und den Betroffenen freizusprechen.
5II.
6Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. Sie hat auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg, indem sie gemäß §§ 353 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
7Die Gründe des angefochtenen Urteils sind in Bezug auf die Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme materiell-rechtlich unvollständig. Sie lassen nämlich die im Zusammenhang mit der Feststellung des Entledigungswillens gebotene Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen vermissen.
8Auch im Bußgeldverfahren muss der Tatrichter seine Überzeugungsbildung im Urteil so ausführlich darlegen, dass das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt wird, das Urteil daraufhin zu überprüfen, ob er sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen gehalten hat und die tatsächliche Beurteilung auf rechtlich zutreffenden Erwägungen beruht (SenE v. 19.04.1994 - Ss 132/94 B -; SenE v. 10.06.1997 - Ss 303/97 -; SenE v. 05.04.2001 - Ss 95/01 B -; OLG Zweibrücken DAR 2002, 182; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 71 Rdnr. 43). Er muss bei seiner Überzeugungsbildung alles verwerten, was Gegenstand der Hauptverhandlung war (BGH NStZ 1992, 49 a.E.), namentlich die Einlassung des Betroffenen, die eingehend zu würdigen ist (OLG Zweibrücken a.a.O.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 267 Rdnr. 12 m. w. Nachw.; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Aufl., Rdnr 408 m.w.N.). Schlussfolgerungen des Tatrichters halten einer rechtlichen Überprüfung nur stand, wenn das Urteil bedenkenfrei ergibt, dass er bei seiner Prüfung keinen Gesichtspunkt außer acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen (SenE v. 19.04.1994 - Ss 132/94 B -; SenE v. 27.05.1994 - Ss 171/94 B - = NVwZ-RR 1995, 386 = NuR 1994, 463).
9Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil nicht.
10Ihm ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht die von dem Betroffenen auf seinem Grundstück gelagerten Sachen dem subjektiven Abfallbegriff im Sinne des § 3 Abs. 1 u. 3 KrW-/AbfG zugeordnet und als "gewillkürten Abfall" angesehen hat. Nach § 3 Abs. 1 KrW-/AbfG sind Abfälle im Sinne dieses Gesetzes alle beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. In Bezug auf das für den subjektiven Abfallbegriff konstitutive Merkmal des Entledigungswillens bestimmt § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG, dass der Wille zur Entledigung im Sinne des Absatzes 1 hinsichtlich solcher beweglicher Sachen anzunehmen ist, deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt. Allein darauf stützt das Amtsgericht seine Feststellung, dass hinsichtlich der hier fraglichen Sachen der Entledigungswille des Betroffenen gegeben war. Die Einlassung des Betroffenen, er habe die auf seinem Grundstück vorgefundenen Massen dort lediglich zwischengelagert, um sie an Weiterverwerter abzugeben oder ansonsten weiter zu verwenden, erachtet es deshalb für ungeeignet, ihn zu entlasten, und eine Erörterung der Frage, ob sie als widerlegt gelten kann, für entbehrlich. Es geht ersichtlich von der Annahme aus, eine konkrete Befassung mit dem Entledigungswillen sei nicht erforderlich, soweit die Fiktion bzw. Vermutung des § 3 Abs. 3 KrW-/AbfG eingreife. Dem ist indessen aus Rechtsgründen nicht zu folgen; es war vielmehr in Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen zu klären, welchen Willen er in Bezug auf das weitere Schicksal der Sachen gebildet und durch sein Verhalten nach außen erkennbar gemacht hatte (vgl. zum Erfordernis der Erkennbarkeit SenE v. 27.05.1994 - Ss 171/94 B - = NVwZ-RR 1995, 386 = NuR 1994, 463; BayObLGSt 1992, 144 = VRS 84, 359 = NZV 1993, 164 = NuR 1993, 450).
11Die Beschränkung auf die Bestimmungen des § 3 Abs. 3 Ziff. 1 oder 2 KrW-/AbfG, wie sie das Amtsgericht vorgenommen hat, greift zu kurz. Die Verurteilung eines Betroffenen wegen einer ihm angelasteten Ordnungswidrigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn der Tatrichter das Vorliegen aller zum objektiven und subjektiven Tatbestand der in Betracht kommenden Norm gehörenden Merkmale in tatsächlicher Hinsicht auf Grund seiner aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung für erwiesen erachtet (§§ 46, 71 OWiG, § 261 StPO). Beweisregeln oder -vermutungen, welche die Pflicht des Richters zu umfassender Beweiswürdigung einschränken oder gar die Beweislast dem Belasteten aufbürden, sind dem Ordnungswidrigkeitenrecht ebenso fremd wie dem Straf- oder Strafverfahrensrecht (vgl. OLG Hamm JMinBl NW 1976, 68 f.; BayObLG VRS 63, 277; Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 71 Rdnr. 79). Geht es um die Frage, ob jemand ordnungswidrig i. S. d. § 61 KrW-/AbfG mit Abfällen umgegangen ist, muss deshalb dem Betroffenen positiv nachgewiesen werden, dass das Tatobjekt tatsächlich "Abfall" gewesen ist, insbesondere dass der Gegenstand der Tat "gewillkürter Abfall" gewesen ist, weil er sich seiner entledigen wollte. Irgendwelche Fiktionen oder Vermutungen reichen insoweit nicht aus (Steindorf, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 3 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Rdnr 27; 38). Soweit in § 3 Abs. 3 KrW-/AbfG Kriterien genannt werden, die zu einer Fiktion oder Vermutung führen könnten (vgl. dazu Nachw. bei Lenckner/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 326 Rdnr. 2c), kann die Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht oder Strafrecht nicht die Wirkung entfalten, dass der positive Nachweis der Begriffsmerkmale entbehrlich wäre (Lenckner/Heine a.a.O. § 326 Rdnr. 2 g m. w. Nachw.; Steindorf a.a.O. Rdnr. 38; Steindorf, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 326 Rdnr. 30 f., 68; Kloepfer/Vierhaus, Umweltstrafrecht, 2. Aufl., Rdnr 128; a.A. [in nicht tragenden Erwägungen] wohl BayObLGSt 1997, 11 [15] = NVwZ 1997, 1038 [1040] = StraFo 1997, 146 [148] = NuR 1997, 391; BayObLGSt 1998, 60 = NVwZ 1999, 570 = NuR 1998, 446). Die Vorschrift kann im Bußgeldverfahren nur als Anhaltspunkt bei der Auslegung und Beweiswürdigung dienen, niemals aber den Nachweis überflüssig machen (vgl. zur Bedeutung der Verkehrsanschauung als Korrektiv gegenüber Angaben des Betroffenen, um ggfs. dessen missbräuchliche Berufung auf angebliche Zweckbesetzungen zu begrenzen: OLG Düsseldorf NStZ-RR.2000, 19 [21] = VRS 96, 295 [299] = NVwZ 1999, 571 [572] = NZV 1999, 180 = NuR 2000, 19).
12Die Voraussetzungen eines solchen Entledigungswillen sind aber nicht gegeben, wenn jemand Sachen zur Umgestaltung/Umwandlung (vgl. BayObLG NStE Nr. 4 zu § 1 AbfG), zum "Ausschlachten" (vgl. BayObLGSt 1992, 144 = VRS 84, 359 = NZV 1993, 164 = NuR 1993, 450) oder zwecks gelegentlicher Weitergabe zur weiteren Verwertung aufbewahrt (vgl. BayObLG NVwZ-RR 1992, 240 = NuR 1992, 39; SenE v. 27.05.1994 - Ss 171/94 B - = NVwZ-RR 1995, 386 = NuR 1994, 463). Danach bedurfte es im angefochtenen Urteil einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen, er habe die Massen an verschiedene Weiterverwerter abgeben oder weiter verwenden wollen. Denn wenn diese Angaben wahr gewesen wären, dann hätte kein Abfall vorgelegen. Eine solche Auseinandersetzung enthält die Beweiswürdigung des Amtsgerichts indessen nicht.
13Sie lässt deshalb auch wesentliche Gesichtspunkte außer acht, die als Indiz gegen den Willen des Betroffenen, sich der Gegenstände entledigen zu wollen, sprechen könnten. So können etwa auch solche Sachen, die üblicherweise als "Müll" bezeichnet werden, noch eine weitere Verwertbarkeit z.B. als Verfüllmaterial behalten (BVerwG NuR 1989, 84; OVG Lüneburg URP 1986, 228; VGH München NVwZ-RR 1993, 464; VG Stuttgart DÖV 2000, 967 f). Wenn ein späterer Gebrauch von Gegenständen dazu führen würde, dass sie nicht beseitigt werden müssen, sondern wirtschaftlich verwertet werden (3 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG), kann dies als Indiz gegen einen Entledigungswillen angesehen werden. Das wird zwar nur dann gelten, wenn ein konkreter wirtschaftlicher Nutzen aus den Eigenschaften des Abfalls gezogen wird (VGH Mannheim NVwZ 1999, 1243 ff = DÖV 1999, 830 ff). Das aber ist für den vorliegenden Fall nach den bisher getroffenen Feststellungen zumindest nicht ausgeschlossen. Es ist vielmehr denkbar, dass der Bauschutt und das geschredderte Material der Verfüllung dienen (vgl. hierzu VG Stuttgart DÖV 2000, 967 f.) und dass die Autoreifen entweder zur Runderneuerung oder aber dem Schutz von Bäumen bei Bauarbeiten sowie als Schiffsfender genutzt werden können (zur Abfalleigenschaft von Autoreifen implizit VG Greifswald NordÖR 2000, 388 f). Organisches Material (zur Abfalleigenschaft von organischen Stoffen vgl. BVerwG NVwZ 1996, 1010) lässt sich möglicherweise nach einer Kompostierung wie auch der übrige Bodenaushub zur Verfüllung oder als Mutterboden nutzen oder gar veräußern.
14Im übrigen geben die Urteilsgründe Anlass, für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hinzuweisen:
15Zur Begründung des Vorwurfs fahrlässigen Verhaltens müssen die Tatsachenfeststellungen Ausführungen zur subjektiven Pflichtwidrigkeit sowie zur Erkennbarkeit beinhalten.
16Bei der Bemessung der Geldbuße ist ggfs. der Bußgeldkatalog Umwelt NRW (Rd Erl. vom 01.03.2000 I A 4 - 406.51.00 - ) zugrundezulegen. Bei mehrfacher Verwirklichung von Tatmodalitäten eines Bußgeldkatalogs ist nur ein Regelsatz, bei unterschiedlichen der höchste anzuwenden, wobei dieser erhöht werden kann (Göhler a.a.O. § 17 Rdnr. 30; Steindorf, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 17 Rdnr. 106 [zur BKatV]).
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