Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 9 U 177/10
Tenor
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten wird das am 28.07.2010 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 20 O 445/09 – teilweise wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die E. Bank AG bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.)
3Die Berufung der Beklagten ist zulässig. In der Sache hat sie nur teilweise Erfolg. Hinsichtlich des auf ein Vorgehen gegen die E. Bank AG bezogenen Rechtsschutzbegehrens hat das Landgericht zu Recht festgestellt, dass die Beklagte bedingungsgemäßen Versicherungsschutz zu gewähren hat (I). Begründet ist das Rechtsmittel der Beklagten demgegenüber, soweit der Kläger Deckungsschutz auch für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die D. GmbH begehrt (II).
4I.
5Nach § 4 Abs. 4 ARB 75 besteht für Versicherungsfälle, die dem Versicherer später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages für das betroffene Wagnis gemeldet werden, kein Versicherungsschutz. Das zwischen den Parteien bestehende Versicherungsverhältnis endete am 07.11.2002. Die erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 29.01.2008 an die Beklagte gerichtete Deckungsanfrage, ausdrücklich bezogen auf ein Vorgehen gegen die E. Bank AG, erfolgte deshalb jedenfalls nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist. Das Landgericht hat indes zutreffend festgestellt, dass die Beklagte sich dennoch nicht mit Erfolg auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes nach Maßgabe der in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogenen Klausel berufen kann.
61.
7Die Klausel des § 4 Abs. 4 ARB 75 beinhaltet nach ganz herrschender Meinung, welcher auch der Senat folgt, eine Ausschlussfrist (vgl. BGH NJW 1992, 2233; OLG Bamberg, VersR 2004, 906 = r+s 2003, 109; OLG Köln, 5. ZS, r+s 1989, 362; Harbauer/Maier, Rechtsschutzversicherung, 8. Aufl., § 4 ARB 2000 Rn. 151; van Bühren/Plote, ARB, 2. Aufl., § 4 Rn. 55). Der bei der Beurteilung der Wahrung von Ausschlussfristen geltende Grundsatz, dass im Fall der unverschuldeten Fristversäumung die versäumte Handlung unverzüglich i.S. des § 121 BGB nachgeholt werden kann, findet auch auf die Meldung nach § 4 Abs. 4 ARB 75 Anwendung (BGH a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; Harbauer/Maier a.a.O.; van Bühren/Plote a.a.O.).
8Eine Rechtshandlung ist dann unverzüglich i.S. des § 121 Abs. 1 BGB, also ohne schuldhaftes Zögern, erfolgt, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessenden Prüfungs- und Überlegenszeit vorgenommen wird (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2008, 985 m.w.N.). Wenn auch die Überschreitung einer Frist von zwei Wochen in der Regel nicht mehr als unverzüglich anzusehen ist, so gilt dennoch insoweit keine feste Frist von 14 Tagen. Vielmehr kommt es stets auf die den Einzelfall auszeichnenden Besonderheiten an. Insbesondere darf der Handelnde, soweit erforderlich, zuvor den Rat eines Rechtskundigen einholen oder anderweitige Erkundigungen vornehmen (BGH a.a.O.).
92.
10Nach Maßgabe dieser Kriterien ist der Kläger seiner Meldepflicht eines Versicherungsfalls, soweit diesem die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die E. Bank AG zugrunde liegt, noch fristgerecht nachgekommen.
11a)
12Das Landgericht hat zum maßgeblichen Zeitpunkt einer Kenntniserlangung des Klägers vom Versicherungsfall unter Bezugnahme auf die vergleichbare Problematik der Verjährung von Schadensersatzansprüchen bei der Anlageberatung (vgl. BGH Urt. v. 23.06.2009 – XI ZR 171/08; BGH NJW 2008, 2576) zutreffend ausgeführt, dass allein seine Kenntnis von geringer als bei Erwerb der Immobilie in Aussicht gestellten Mieteinnahmen noch nicht mit einer Kenntnis von möglichen Schadensersatzansprüchen gegen die finanzierende Bank bzw. den Verkäufer der Immobilie gleichzusetzen ist.
13Im Berufungsverfahren steht mit bindender Wirkung gemäß § 529 ZPO auf der Grundlage der Anhörung des Klägers vor der Kammer in Verbindung mit den Aussagen der Zeugen P. und X. fest, dass er erst im Rahmen des mit dem Zeugen Rechtsanwalt X. geführten Telefonats am 15.11.2007 Kenntnis von möglicherweise ihm selbst zustehenden Schadensersatzansprüchen wegen des Erwerbs der fraglichen Immobilie erlangt hat. Auf das an die Lebensgefährtin des Klägers gerichtete und auf deren eigenen Immobilienkauf bezogene Schreiben des Zeugen X. vom 02.11.2007 kommt es insoweit nicht an. Denn es sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass bereits dessen Inhalt dem Kläger eine entsprechende Erkenntnis auch in eigenen Angelegenheiten hätte verschaffen können.
14In Ansehung der durch den finanzierten Immobilienerwerb des Klägers eröffneten rechtlichen Problematik war dem Kläger vor einer Meldung an den Rechtsschutzversicherer zunächst die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe und dem beauftragten Anwalt sodann eine angemessene Frist zur Prüfung der ihm in derartigen Fällen unerlässlich zur Verfügung zu stellenden Unterlagen zuzubilligen. Nach dem unwidersprochenen Klagevortrag füllte der Kläger am 26.11.2007 – ihm offensichtlich nach dem Telefonat am 15.11.2007 von der Kanzlei seines Bevollmächtigten übersandte – Unterlagen, u.a. Vollmachtsformular und Fragebogen, aus und sandte diese zurück. Mit dem als Anlage K 7 bzw. B 3 vorgelegten Schreiben vom 13.12.2007 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers zunächst an den aktuellen Rechtsschutzversicherer des Klägers, die N. Rechtsschutzversicherungs AG. Angesichts der Komplexität von Schadensersatzansprüchen unter dem Gesichtspunkt der Anlageberatung bei dem Erwerb fremdfinanzierter Immobilien sowie der Notwendigkeit anwaltlicher Beratung und Prüfung ist dieser Zeitablauf zwischen dem 15.11.2007 und dem 13.12.2007 noch als „unverzüglich“ zu beurteilen.
15b)
16Dem Kläger gereicht auch nicht zum Nachteil, dass die mit anwaltlichem Schreiben vom 13.12.2007 informierte N. Rechtsschutzversicherungs AG für den fraglichen Versicherungsfall aus dem Jahr 1995 nicht einzutreten hatte, der als früherer Rechtsschutzversicherer des Klägers zuständigen Beklagten deshalb erst mit anwaltlichem Schreiben vom 29.01.2008 (Anlage K 1) und im Übrigen parallel mit Schreiben der N. Rechtsschutzversicherungs AG der Versicherungsfall gemeldet wurde.
17Wegen der verzögerten Meldung an die Beklagte ist dem Kläger, wie die Kammer richtig festgestellt hat, auch keine einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Zwar ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 09.06.2010 protokollierte Erklärung, er habe auf den ihm von seinem späteren Prozessbevollmächtigten übersandten Fragenkatalog mitgeteilt, „dass ich aktuell bei dem N. versichert sei, zuvor war ich bei der B. versichert“, nicht eindeutig formuliert. Die Äußerung lässt nämlich auch das von der Beklagten aufgezeigte Verständnis zu, dass er schon damals – korrekte – Angaben zu den beiden zeitlich aufeinanderfolgenden Rechtsschutzversicherungen machte, ein Umstand, der der Unverzüglichkeit der erst mit Schreiben vom 29.01.2008 erfolgten Meldung entgegen stehen würde. In seiner Anhörung vor dem Senat hat der Kläger indes auf Nachfrage klargestellt, dass er in Unkenntnis der Bedeutsamkeit eines Versichererwechsels nur die damals bestehende Versicherung bei der N. Rechtsschutzversicherungs AG angegeben hatte. Bestätigt wird dies durch den nunmehr ergänzend als Anlage K 10 vorgelegten Auszug aus dem von ihm ausgefüllten Fragebogen seines Rechtsanwalts, in welchen er auf die Frage nach einer Rechtsschutzversicherung nur „N.-Versicherung“ eingetragen hat.
18Ist mithin davon auszugehen, dass sein Bevollmächtigter erstmals aus dem an ihn gerichteten Schreiben der N. Rechtsschutzversicherungs AG vom 23.01.2008 (Anlage K 8) von dieser erst seit dem Jahr 2002 bestehenden Vertragsverbindung erfahren hat, schadet der weitere Zeitablauf bis zu der sodann mit anwaltlichem Schreiben vom 29.01.2008 an die Beklagte erfolgten Meldung nicht.
19II.
20Anders als die Kammer beurteilt der Senat demgegenüber die Frage, ob die mit anwaltlichem Schreiben vom 29.01.2008 erfolgte Meldung, mit welcher um Versicherungsschutz nur für ein Vorgehen gegenüber der finanzierenden Bank nachgesucht worden war, auch als Meldung für das ausdrücklich erst mit weiterem Anwaltsschreiben vom 20.07.2009 – und deshalb zweifellos nicht mehr unverzüglich – angekündigte Vorgehen gegenüber der Verkäuferin der Immobilie, der D. GmbH, angesehen werden kann.
21Die Meldung eines Versicherungsfalls i.S. des § 4 Abs. 4 ARB ist nicht gleichbedeutend mit einem Ersuchen um Deckungsschutz, sondern kann hinter diesem zurückbleiben. Es bedarf deshalb nicht bereits der Begründung eines Schadensersatzanspruchs. Ausreichend ist vielmehr die Mitteilung eines konkreten Lebenssachverhalts in Verbindung mit der Angabe, welche rechtlichen Interessen der Versicherungsnehmer insoweit wahrzunehmen beabsichtigt (BGH NJW 1992, 2233; OLG Bamberg a.a.O.; Maier a.a.O. Rn. 151 und 153; Plote a.a.O. Rn. 55). Dem Versicherer soll lediglich Kenntnis davon verschafft werden, dass noch Ansprüche auf ihn zukommen.
22Diesen Anforderungen wird das Anschreiben vom 29.01.2008, soweit es um die Meldung eines beabsichtigten Vorgehens gegen die Verkäuferin der Immobilie geht, auch unter Einbeziehung des diesem unstreitig als Anlage beigefügten anwaltlichen Anspruchsschreibens vom 13.12.2007 an die E. Bank nicht gerecht.
231.
24Das Schreiben vom 29.01.2008 geht über eine Meldung des Versicherungsfalls i.S. des § 4 Abs. 4 ARB 75 hinaus, indem es diese bereits mit dem Ersuchen um die Deckungszusage für die beabsichtigte Klage „gegen die finanzierende Bank“ verbindet. Infolge dieser ausdrücklichen Beschränkung auf gegen einen bestimmten Schädiger, nämlich – nur – die E. Bank AG, gerichtete Schadensersatzansprüche erscheint es zweifelhaft, die Erklärung über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus zugleich als Meldung eines Versicherungsfalls auch bezüglich der jedenfalls in dem Anschreiben selbst nicht genannten D. GmbH als möglichen weiteren Schädiger zu verstehen.
25Diese Zweifel werden auch unter Heranziehung des dem Anschreiben als Anlage beigefügten Anspruchsschreibens gegen die E. Bank AG vom 13.12.2007 nicht ausgeräumt. In diesem findet zwar die damals noch unter G. GmbH firmierende D. AG als Verkäuferin Erwähnung, wenn auch nur an einer Stelle und dort nur im Zusammenhang mit der Stellung als Veräußerin der Immobilie. Das Anspruchsschreiben ist im Übrigen ganz auf die E. Bank AG als dessen Empfängerin bezogen und im Tatsächlichen und Rechtlichen ausschließlich auf die Haftung einer finanzierenden Bank unter dem Gesichtspunkt der Anlageberatung zugeschnitten. Sinn und Zweck der in § 4 Abs. 4 ARB 75 geregelten Meldepflicht stehen bei dieser Gestaltung einer Auslegung als Meldung des Versicherungsfalls auch gegen die D. AG entgegen. Denn der Versicherer soll sich durch die Meldung darauf einrichten können, dass er möglicherweise trotz Vertragsbeendigung noch Versicherungsleistungen zu erbringen hat (BGH NJW 1992, 2233). Diesem Interesse wird aber nicht – vollständig –genügt, wenn die Meldung ausdrücklich beschränkt ist auf die Verfolgung eines bestimmten Schadensersatzanspruchs gegen einen bestimmten Schädiger, obwohl die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines weiteren Schädigers besteht. Denn dem Versicherer wird solcherart nur eine eingeschränkte Kenntnis der auf ihn zukommenden Ansprüche auf Versicherungsleistungen ermöglicht.
262.
27Hinzu kommt, dass in Form des beabsichtigten Vorgehens einerseits gegen die E. Bank AG und andererseits gegen die D. AG zwei Versicherungsfälle vorliegen.
28Der Rechtsschutzfall definiert sich in Schadensersatzfällen der vorliegenden Art danach, welcher objektive Verstoß dem in Anspruch zu nehmenden Haftpflichtigen vorzuwerfen ist (vgl. BGH NJW 2003, 139). Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass nach dem Vorbringen des Klägers im vorliegenden Verfahren ein Dritter, ein Herr G1., als Vermittler sowohl für die Bank als auch für die Verkäuferin aufgetreten sein soll. Damit läge zwar der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 2007, 535) bei Mitwirkung eines Dritten in vertraglichen Beziehungen geforderte innere sachliche Zusammenhang mit von dem Versicherungsnehmer getätigten (Erwerbs- und Finanzierungs-)Geschäften vor. Dennoch liegen grundsätzlich zwei Rechtsschutzfälle vor, wenn ein Anlageberater im Rahmen der Vermittlung mehrerer Verträge für verschiedene Geschäftspartner eines Versicherungsnehmers aufgetreten ist, auch wenn es sich wie hier um eng verbundene Geschäfte handelt. Denn für dessen Beratungsverschulden schulden Bank bzw. Verkäuferin grundsätzlich nur dann Schadensersatz, wenn der in Kontakt zu dem Geschädigten getretene Berater damit zugleich in ihrem Pflichtenkreis tätig geworden ist. Insoweit lässt sich dem Schreiben vom 13.12.2007 allerdings schon nicht, jedenfalls nicht mit der notwendigen Klarheit entnehmen, inwieweit eine Haftung auch der Verkäuferin für ein Beratungsverschulden des Herrn G1. in Frage kommen könnte.
29Die nur beiläufige Erwähnung der Person der Verkäuferin in dem Schreiben vom 13.12.2007 ersetzte deshalb trotz der ausführlichen Schilderung des auf die E. Bank bezogenen Sachverhalts über den Erwerb der Immobilie nicht die ausdrückliche Meldung eines weiteren, gegen die D. GmbH gerichteten Versicherungsfalls. Insbesondere wurde die Beklagte auch dann, wenn sie über die von dem Kläger behauptete besondere Kompetenz in der Beurteilung von Anlageberatungsfällen verfügt haben sollte, nicht in die Lage versetzt, die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen für ein weiteres Vorgehen auch gegen diesen Gegner abzusehen.
30III.
31Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
32Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
33Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf bis 13.000 €
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