Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 14 UF 160/10
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.08.2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht – Köln (315 F 226/09) abgeändert.
Es wird festgestellt,
1. dass der Beklagte zu 1. nicht der Vater des Beklagten zu 2. ist,
2. dass der Kläger der Vater des Beklagten zu 2. ist.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Der am 00.00.2008 geborene Beklagte zu 2. ist nach der übereinstimmenden Sachdarstellung der Parteien durch eine von seiner Mutter selbst vorgenommenen Insemination mit Samenflüssigkeit des Klägers, die dieser ihr in einem Gefäß übergeben hatte, gezeugt worden.
4Der Kläger und die Mutter des Beklagten zu 2. leben jeweils in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Welche Vorstellungen hinsichtlich der Übernahme väterlicher Verantwortung des Klägers bei der Zeugung bestanden, wird von den Parteien unterschiedlich dargestellt. Während der Kläger die Planung gemeinsamer Elternverantwortung schildert, war nach Darstellung der Beklagtenseite von vornherein eine „Stiefkind-Adoption“ durch die Partnerin der Mutter des Beklagten zu 2. und keine Übernahme der Vaterrolle durch den Kläger vorgesehen, der sich auch selbst lediglich als Samenspender gesehen habe.
5Der Beklagte zu 1. hat am 24.03.2009 mit Zustimmung der Mutter des Beklagten zu 2. durch Urkunde des Jugendamtes der Stadt L vom 24.03.2009 (Aktenzeichen 515/25-59/2009 AH) anerkannt, Vater des Beklagten zu 2. zu sein.
6Mit der Klage hat der Kläger unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung, wegen deren Inhalts auf die Urkunde vom 11.08.09 (Bl.12 d. A.) Bezug genommen wird, die hiernach bestehende gesetzliche Vaterschaft angefochten und Feststellung seiner Vaterschaft begehrt.
7Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten auch des zugrunde liegenden Sachverhalts Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht - Familiengericht – Köln die Klage zurückgewiesen, weil der Kläger zur Anfechtung der Vaterschaft nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht berechtigt sei, da er der Kindesmutter nicht „beigewohnt“ habe. Eine entsprechende Anwendung von § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf die Samenspende finde nicht statt.
8Hiergegen wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
9Er macht geltend, das Familiengericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Anfechtung entsprechend § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht vorliegen.
10Im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht des Klägers als biologischer Vater käme ein Ausschluss des Anfechtungsrechts nur bei einem mit der Samenspende verbundenen konkludenten Verzicht auf die rechtliche Vaterschaft in Betracht, der vom Familiengericht nicht geklärt worden sei.
11Für die hier vorgenommene Zeugung durch einverständlich geplante Samenübertragung, bei der die väterliche Verantwortung für das Kind übernommen werden sollte, könne der Ausschluss der Anfechtung für Samenspender nicht gelten.
12Er habe seine Vaterrolle immer geltend gemacht. Seinem Vaterschaftsanerkenntnis habe die Kindesmutter nicht zugestimmt.
13Die mit Zustimmung der Kindesmutter erfolgte Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten zu 1., zu dem keine sozial-familiäre Beziehung des Beklagten zu 2. bestehe, habe dem biologischen Vater bisher die Möglichkeit genommen, eine Beziehung zu seinem Kind durch regelmäßigen Umgang aufzubauen.
14Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag zur einverständlich geplanten Elternverantwortung und den freundschaftlichen Beziehungen zur Kindesmutter und zwischen den Partnern vor der Geburt des Beklagten zu 2..
15Er beantragt,
16das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen,
171. dass der Beklagte zu 2. nicht das Kind des Beklagten zu 1. ist,
182. dass der Kläger der Vater des Beklagten zu 2. ist.
19Der Beklagte zu 1 hat, anwaltlich nicht vertreten, keinen Antrag gestellt.
20Der Beklagte zu 2. beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Er verteidigt das angefochtene Urteil.
23Er macht geltend, ein Anfechtungsrecht des Klägers als Samenspender sei im Einklang mit der Verfassung ausgeschlossen. Zwischen seiner Mutter, ihrer Lebenspartnerin und dem Kläger habe Einigkeit bestanden, dass der Beklagte zu 2. nach seiner Geburt von der Lebenspartnerin adoptiert werde. Seine Mutter hätte den Kläger niemals als Samenspender ausgesucht, wenn er Vaterrechte angemeldet hätte. Dem Kläger sei zu jeder Zeit bekannt gewesen, dass seine Mutter sich allein in die Abstammungsurkunde eintragen wollte. Von einer einverständlichen Vaterschaftsanerkennung durch den Kläger sei niemals die Rede gewesen.
24Er meint, dem Kläger stehe auch im Hinblick auf die von der Lebenspartnerin seiner Mutter bereits übernommene Elternverantwortung kein Anfechtungsrecht zu. Diese lebe seit seiner Geburt mit ihm zusammen, habe für seine Erziehung Elternurlaub genommen und einen Adoptionsantrag gestellt und so ihren Wunsch, rechtliche Verantwortung tragen zu wollen, zum Ausdruck gebracht. Zwischen ihm und dem Kläger bestehe dagegen keine sozial-familiäre Beziehung.
25Er stellt weiterhin unter Darstellung im Einzelnen und unter Bezugnahme auf das Vorbringen erster Instanz die von Klägerseite geschilderte enge freundschaftliche Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Mutter sowie den jeweiligen Lebenspartnern in Abrede und weist darauf hin, dass der Kläger mit anwaltlichem Schreiben habe mittteilen lassen, dass ihn „väterliche Gefühle“ erst nach der Geburt ergriffen hätten.
26Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien im Einzelnen sowie wegen der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung eines Abstammungsgutachtens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
27II.
28Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
29Da sich durch das vom Senat eingeholte Abstammungsgutachten des Sachverständigen Dr. Q, Institut für Blutgruppenforschung LGC GmbH, wegen dessen Inhalt auf Blatt 205 bis 216 der Akten Bezug genommen wird, betätigt hat, dass nicht der Beklagte zu 1. sondern der Kläger der Vater des Beklagten zu 2 ist, war dies auf die innerhalb der Anfechtungsfrist von 2 Jahren (§ 1600 b Abs.1 BGB) erhobene Klage entsprechend § 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB, § 640 h Abs. 2 ZPO a.F. festzustellen.
301. Nach Auffassung des Senats steht dem Kläger nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift ein Anfechtungsrecht bezüglich der Vaterschaft des Beklagten zu 1. zu.
31In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 11.08.2009 hat der Kläger versichert, der Kindesmutter, wie vereinbart, bis zu deren Mitteilung, nunmehr schwanger zu sein, wiederholt auf kurzfristige Anforderung seinen Samen zum Zeitpunkt des von ihrer Frauenärztin errechneten Eisprungs zur Verfügung gestellt zu haben, damit die Kindesmutter ihn in der Hoffnung schwanger zu werden, einführe. Hierdurch sieht der Senat anders als das Familiengericht die Voraussetzung des § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB, dass der Kläger versichert, der Kindesmutter in der Empfängniszeit „beigewohnt“ zu haben, als erfüllt an.
32Das Merkmal des Beiwohnens dient in erster Linie der Eingrenzung der Anfechtungsberechtigten auf diejenigen, die als biologische Väter in Betracht kommen. Dies ist bei der vorliegenden Samenübertragung ebenso der Fall, wie bei unmittelbarem Geschlechtsverkehr. Auch im Rahmen der Vaterschaftsvermutung des § 1600 d Abs. 2 BGB, die an die Beiwohnung anknüpft, steht der Nachweis einer Samenübertragung bei künstlicher Insemination dem Geschlechtsverkehr gleich (vgl. Palandt/Brudermüller BGB 70. Aufl.,§ 1600d Rn. 12).
33Allerdings soll nach der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucksache 15/2492 S. 9) dadurch, dass sich die eidesstattliche Versicherung des Anfechtenden auf die Beiwohnung während der Empfängniszeit beziehen muss, neben einer Anfechtung „ins Blaue hinein“ zugleich verhindern, dass ein samenspendender Dritter ein Anfechtungsrecht erhält. Auch hat der Bundesgerichtshof in einem „obiter dictum“ (FamRZ 2005, 612, 614) angemerkt, dass der bloße Samenspender nicht zur Anfechtung der Vaterschaft berechtigt sei, da es regelmäßig nicht zutreffe, dass er der Mutter beigewohnt habe.
34Nach Auffassung des Senats darf im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.04.2003 (BVerfGE 108, 82 ff.) die Anfechtung der Vaterschaft nicht ausgeschlossen werden, weil sonst das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht des biologischen Vaters nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt würde, das auch das Interesse des leiblichen Vaters umfasst, die rechtliche Vaterstellung einzunehmen.
35Soweit es entsprechend der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (a.a.O.) dem Willen des Gesetzgebers entsprach, durch den Begriff des Beiwohnens den Samenspender vom Anfechtungsrecht auszuschließen, ist davon auszugehen, dass hierbei nur der herkömmliche Samenspender im Blickpunkt stand, der an einem den Regeln der Ärzteschaft entsprechenden Verfahren (vgl. hierzu Richtlinien des Arbeitskreises für Donogene Insemination zur Qualitätssicherung der Behandlung mit Spendersamen in Deutschland, Fassung vom 8. Februar 2006 unter http://www.donogene-insemination.de/downloads/Richtl_Druckfassung.pdf) teilnimmt, bei dem durch möglichst weitgehende rechtliche Vereinbarungen und weitgehende Anonymisierung von vornherein väterliche Verantwortung des Spenders ausgeschlossen wird, soweit dies rechtlich zulässig ist, und die väterliche Verantwortlichkeit eines anderen sozialen Vaters begründet wird. Dies ergibt sich daraus, dass nach der Beschlussempfehlung verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Einschränkung des Anfechtungsrechts in Bezug auf Artikel 6 Abs. 2 GG im Hinblick darauf verneint wurden, dass die erklärte Bereitschaft zur Teilnahme an einer Samenspende als konkludenter Verzicht auf die rechtliche Vaterschaft und damit auf ein entsprechendes Anfechtungsrecht zu deuten sei. Dass der Gesetzgeber das Bild einer solchen Samenspende vor Augen hatte, erschließt sich auch aus § 1600 Abs. 5 BGB, der in diesem Falle verhindert, dass sich der Ersatzvater aus der übernommenen Verantwortung lösen kann.
36Einem solchen Verfahren haben sich die Beteiligten hier jedenfalls nicht unterzogen.
37Unabhängig von der streitigen Intensität des Kontaktes der beiden Partnerschaften und der unterschiedlichen Darstellung der Vorstellungen hinsichtlich der väterlichen Verantwortung des Klägers waren jedenfalls vor der Geburt hinsichtlich dieser Verantwortung keinerlei rechtlich verbindliche Absprachen getroffen worden. So wurde dem Kläger etwa auch im vorgerichtlichen Schriftwechsel von Seiten der Mutter des Beklagten zu 2. die Inanspruchnahme auf Unterhalt in Aussicht gestellt, wenn er nicht von der Durchsetzung von Vaterrechten absehe.
38Das Anfechtungsrecht allein von der Art der Samenübertragung abhängig zu machen, wird nach Auffassung des Senats dem grundrechtlich geschützten Elternrecht des biologischen Vaters nicht gerecht. So würde etwa auch ein mit der Mutter unverheiratet zusammenlebender Vater nach einer wegen körperlicher oder gesundheitlicher Unzulänglichkeiten erfolgten homologen Insemination von der Vaterschaftsanfechtung eines von der Partnerin willkürlich gewählten „Sperrvaters“ ausgeschlossen. Das Elternrecht des biologischen Vaters, der die rechtliche Anerkennung ansonsten nach § 1600 d BGB betreiben kann, wenn keine anderweitige gesetzliche Vaterschaft besteht, darf insoweit nicht allein vom Willen der Kindesmutter abhängen. – In dieser Einschätzung sieht sich der Senat durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Väter (BVerfG FamRZ 2010, 1403ff) bestätigt. –
39Ein Ausschluss des Anfechtungsrechts des Samenspenders ist unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Elternrechts des biologischen Vaters nur haltbar, wenn die „Spende“ von vornherein in einem Verfahren abgegeben wird, in dem der Spender rechtlich verbindlich auf Vaterrechte und -pflichten, soweit dies zulässig ist, verzichtet bzw. von diesen entbunden wird. Durch rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen dürfen die Vaterrechte bei einer Samenübertragung genauso wenig eingeschränkt werden, wie etwa bei einem zum gleichen Zweck erfolgten „one-night-stand“.
40In diesem Sinne ist das „beigewohnt hat“ in § 1600 Abs. 1 Satz 2 BGB verfassungskonform ebenso wie in § 1600d Abs. 2 BGB erweiternd dahingehend auszulegen, dass auch Fälle der Samenübertragung ohne unmittelbaren Körperkontakt davon erfasst werden.
412. Das hiernach bestehende Anfechtungsrecht räumt dem biologischen Vater keinen Vorrang vor einem sozialen Vater ein (vgl. BVerfGE 108, 82 ff., Rz. 70 ff, zitiert nach JURIS). Die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Anfechtungsrechts wegen sozial-familärer Beziehung zwischen dem Kind und dem gesetzlichen Vater nach § 1600 Abs. 2 und 5 BGB, die diesem Gesichtspunkt Rechnung tragen, liegen hier aber auch auf der Basis des Sachvortrages der Beklagtenseite nicht vor. Unbestritten besteht hier kein „kern-familiärer“ Kontakt sondern lediglich eine kollegiale freundschaftliche Beziehung zwischen dem Beklagten zu 1 und der Kindesmutter. Die Kindesmutter macht auch keinen Hehl daraus, dass dieser sozusagen als „Sperrvater“ ausgewählt wurde, um den vaterschaftlichen Gefühlen des Klägers – wann immer diese erwacht sein sollten – entgegen zu wirken, damit die Stiefkind-Adoption der Partnerin nicht erschwert oder gar unmöglich wird.
423. Da die Partnerin der Mutter nicht gesetzlicher Vater des Beklagten zu 2. ist und diese Stellung auch ungeachtet der durch das LPartG eröffneten Adoptionsmöglichkeiten nicht erlangen kann (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1621 f), spielt die familiär-soziale Beziehung des Beklagten zu 2. zur Partnerin der Mutter keine Rolle für einen Ausschluss des Anfechtungsrechts im Sinne von §1600 Abs. 2 und 4 BGB, das sich gegen den Beklagten zu 1. richtet.
43Ein Verbot der Feststellung der Vaterschaft wegen anderweitiger sozial-familiärer Beziehungen ist dem Familienrecht fremd. Eine rechtlich anerkannte Eltern-Kind Beziehung zwischen dem Beklagten zu 2. und der Partnerin seiner Mutter, die den Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG, genießt, kann erst mit der Wirksamkeit der beabsichtigten Adoption entstehen (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1621 f).
444. Soweit sich der Beklagte zu 2 auf eine fehlende soziale Beziehung zum Kläger beruft, steht dies dem Erfolg der Klage nicht entgegen. Denn eine bestehende soziale Beziehung zwischen dem anfechtenden biologischen Vater und dem Kind ist keine gesetzliche Voraussetzung für die Anfechtung. Eine solche Beziehung wird in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 108, 82 ff., Rz. 82, zitiert nach JURIS) lediglich im Falle des Bestehens als zusätzliches Argument für die Erforderlichkeit der Anfechtungsmöglichkeit des biologischen Vaters angeführt.
455. Die Entscheidung über Kosten beruht auf § 93c ZPO a. F..
46Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Entscheidung im Hinblick auf die Voraussetzungen des Anfechtungsrechts des biologischen Vaters wird gemäß § 543 ZPO die Revision zugelassen.
47Streitwert des Berufungsverfahrens: 2.000 €.
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