Anerkenntnisurteil vom Oberlandesgericht Köln - 6 U 129/11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.05.2011 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 84 O 230/09 – wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Urteilsformel in der Hauptsache folgende Fassung erhält:
Die Beklagten werden verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € zu unterlassen,
in ihrer Mandatswerbung so tätig zu werden, wie sich dies aus den nachstehend wiedergegebenen Schriftstücken ergibt, und zwar
· aus dem Schreiben des E - E e.V. nebst Anlagen, Antwort- und Petitionsformular
· und aus dem Schreiben der Q Rechtsanwälte K nebst Honorarvereinbarung, Vollmacht, Unterlagenanforderung sowie Zustimmungs- und Abtretungserklärung zur Honorarabwicklung,
Bild/Grafic nur in Originalentscheidung vorhanden.
wenn die Beklagten zu 1.) und 2.) an der Weitergabe der Namen und Anschriften der vom E - E e.V., F, und / oder von den Beklagten angeschriebenen Kapitalanleger beteiligt sind.
Die Beklagten haben – je zur Hälfte – auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Sie können die Vollstreckung im Übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Parteien sind bundesweit um Mandanten werbende Rechtsanwälte, wobei sich insbesondere die Kanzlei des Beklagten zu 1.), deren Angestellter der Beklagte zu 2.) ist, auf die Vertretung geschädigter Kapitalanleger spezialisiert hat. Sie kooperiert mit dem vom Beklagten zu 1.) gegründeten und bis Ende 2010 geleiteten Verein E - E e.V. (nachfolgend: E), der neben der Kanzlei eine Geschäftsstelle unterhält. Im Frühjahr 2009 erhielten mehrere Gläubiger der insolventen Q GmbH (nachfolgend: Q) Schreiben des E, wie sie in der Urteilsformel wiedergegeben sind; darin wurden ihnen unter anderem mit einem Antwortformular anzufordernde kostenlose Informationen eines E-Vertrauensanwalts über den möglichen Erhalt der gesamten gesetzlich bestimmten Entschädigung von der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW). Nach Rücksendung des ausgefüllten Formulars erhielten sie vom Beklagten zu 2.) unterzeichnete Schreiben nebst Vollmachtformular, Entwurf einer Honorarvereinbarung und weiteren Unterlagen, wie sie in der Urteilsformel ebenfalls wiedergegeben sind.
4Die Kläger werfen den Beklagten eine rechtswidrige Werbung um Mandate im Einzelfall vor. Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1.) habe sich als Gläubigervertreter im Insolvenzverfahren die Adressen der vom E angeschriebenen weiteren Q-Anleger verschafft, die sodann über die angeforderte kostenlose Erstberatung durch den Beklagten zu 2.) konkret akquiriert worden seien. Mit ihrer am 07.10.2009 anhängig gemachten Klage haben sie zunächst beantragt, den Beklagten bei Vermeidung von Ordnungsgeld zu untersagen, in ihrer Mandatswerbung so tätig zu werden, wie sich das aus den unter ihrem Briefkopf versandten Schreiben ergibt. Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Beklagten unter textlicher Ergänzung des Klageantrags zur Unterlassung verurteilt.
5Dagegen richtet sich die weiterhin Klageabweisung erstrebende Berufung der Beklagten, mit der sie prozessuale und materiellrechtliche Fehler des Landgerichts rügen. Die Kläger verteidigen die angefochtene Entscheidung. In der Berufungsverhandlung haben sie den Klageantrag teilweise neu gefasst und beantragen nunmehr sinngemäß,
6wie erkannt.
7Der Senat hat Hinweise erteilt, zu denen die Parteien ergänzend Stellung genommen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der von den Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
8II.
9Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Den Klägern steht der vom Landgericht bejahte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG in Verbindung mit § 43 b BRAO, § 6 BORA zu, den sie zweitinstanzlich in redaktionell modifizierter, im Kern jedoch unveränderter Form weiterverfolgen.
101. Der in der Berufungsinstanz teilweise neu gefasste Unterlassungsantrag der Kläger ist hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die angegriffene Art und Weise der Mandatswerbung der Beklagten wird durch die in der Urteilsformel als Verletzungsform wiedergegebenen Schriftstücke konkretisiert; diese verdeutlichen in ihrer Gesamtheit nunmehr auch das von den Klägern beanstandete Zusammenwirken der Beklagten mit dem E bei der Ansprache einzelner namentlich bekannter Adressaten, während der „wenn“-Zusatz diesen Aspekt lediglich ergänzend verbal hervorhebt.
112. Die klarstellende Neufassung der Klageantrags hat den Streitgegenstand nicht geändert, der durch die begehrte Rechtsfolge und den Lebenssachverhalt bestimmt wird, aus dem sich diese Rechtsfolge ergeben soll (BGHZ 154, 342 [347f.] = GRUR 2003, 716 – Reinigungsarbeiten; BGH, GRUR 2012, 184 = WRP 2012, 194 [Rn. 13] – Branchenbuch Berg). Vielmehr richtete sich das – auslegungsbedürftige – Klagebegehren schon nach der – in die Klagebegründung eingerückten – Abmahnung vom 22.09.2009 nicht isoliert gegen Schreiben der Beklagten unter dem Briefkopf der Rechtsanwaltskanzlei an Personen, die gegenüber dem E um Informationen eines Vertrauensanwalts als kostenlose Dienstleistung gebeten hatten, sondern gegen das gesamte arbeitsteilige Zusammenwirken der Beklagten mit dem E bei der Mandatswerbung, das auch durch die als Anlagen K 11 bis 13 zur Replik vorgelegte, im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils eingeblendete Aussendung des E an bestimmte Adressaten zum Ausdruck kommt.
123. Aus diesen Erwägungen erhellt zugleich, dass der von den Klägern geltend gemachte materiellrechtliche Anspruch nicht nach §§ 194 ff. BGB, § 11 UWG verjährt ist, sondern die Verjährung durch die den gleichen Streitgegenstand betreffende Klage gemäß § 204 Nr. 1 BGB gehemmt wurde (vgl. Köhler / Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 11 Rn. 1.46).
134. Die Klage erweist sich auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts und des eigenen Vorbringens der Beklagten als begründet, denn sie haben im Sinne von § 6 Abs. 3 BORA an einer werblichen Ansprache einzelner geschädigter Kapitalanleger durch den E mitgewirkt, die ihnen selbst gemäß § 43b BRAO in Verbindung mit § 6 Abs. 1 und 2 BORA verboten ist, und damit gegen verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonforme Marktverhaltensregeln des anwaltlichen Berufsrechts im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG verstoßen.
14a) Die Regelung des § 43b BRAO, wonach Rechtsanwälte nur sachlich über ihre berufliche Tätigkeit unterrichten und nicht um einzelne Mandate werben dürfen, begegnet für sich genommen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, GRUR 2008, 618 = WRP 2008, 492 [Rn. 11] – Anwaltsdienste bei ebay), ist im Licht der durch Art. 12 GG garantierten Werbefreiheit allerdings dahin auszulegen, dass jede Einschränkung durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sein muss (vgl. BVerfG, GRUR 2003, 965 f. = WRP 2003, 1213; BGHZ 147, 71 = GRUR 2002, 84 = WRP 2001, 923 – Anwaltswerbung II; BGH, GRUR 2005, 520 [521] = WRP 2005, 738 – Optimale Interessenvertretung; KG, GRUR-RR 2010, 437 [438 f.]; OLG München, GRUR-RR 2012, 163 [164]). Auch nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt müssen berufsrechtliche Regeln über die kommerzielle Kommunikation, die Unabhängigkeit, Würde und Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein (vgl. Köhler / Bornkamm, a.a.O., § 4 Rn. 11.85). Bleibt es mithin regelmäßig dem Anwalt überlassen, wie er sich vor der interessierten Öffentlichkeit darstellt, so darf sein Werbeverhalten doch nicht durch aufdringlich wirkendes Ausnutzen eines konkreten Beratungsbedarfs das Vertrauen der Rechtssuchenden in die vor allem sein Interesse wahrende anwaltliche Tätigkeit untergraben und die Wahlfreiheit der Umworbenen gefährden, die sich in der aktuellen Situation möglicherweise nicht mehr unvoreingenommen für einen anwaltlichen Berater oder Vertreter entscheiden können und durch die Art der Werbung bedrängt, genötigt oder überrumpelt zu werden drohen (vgl. BVerfG, GRUR 2008, 618 = WRP 2008, 492 [Rn. 22] – Anwaltsdienste bei ebay; BGHZ 147, 71 = GRUR 2002, 84 [86] = WRP 2001, 923 – Anwaltswerbung II; OLG Hamburg, NJW 2005, 2783 [2785]; OLG Jena, GRUR 2006, 606 [607]; OLG Naumburg, WRP 2007, 1502 f.; KG, GRUR-RR 2010, 437 [439]; OLG München, GRUR-RR 2012, 163 [164]). Bei unaufgeforderten, nicht vom Rechtssuchenden selbst erbetenen Schreiben an geschädigte Kapitalanleger hängt es von einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab, ob eine lauterkeitsrechtlich unbedenkliche Publikumswerbung oder eine unzulässige gezielte Einflussnahme vorliegt.
15b) Im Streitfall mögen die unter dem Briefkopf des Beklagten zu 1.) versandten Schreiben des Beklagten zu 2.) nebst Anlagen für sich genommen als wettbewerbsrechtlich neutrale Reaktion auf eine vorangegangene Anfrage erscheinen, mit der die erbetene kostenlose Erstberatung erbracht und die Bedingungen für eine entgeltliche Weiterführung des Mandats mitgeteilt werden. Eine solche isolierte Betrachtung griffe jedoch zu kurz. Bei Würdigung aller Umstände fällt vielmehr entscheidend ins Gewicht, dass geschädigte Kapitalanleger zuvor durch namentlich adressierte Schreiben des E zur Anforderung kostenloser und unverbindlicher anwaltlicher Informationen veranlasst werden, ohne dass die bestehende enge Zusammenarbeit zwischen dem „E - E e.V.“ und den Beklagten offengelegt wird. Den Adressaten der Schreiben – bisher noch nicht von den Beklagten vertretenen Q-Anlegern – wird suggeriert, dass sie von einer als Idealverein organisierten Verbraucherschutzorganisation vor allem deshalb angesprochen worden seien, um einer massenhaften Petition an den Deutschen Bundestag politisch zum Erfolg zu verhelfen. Schon dass sie mit einer Antwort ihr konkretes rechtliches Beratungsbedürfnis zum Ausdruck bringen und bei Ankreuzen der entsprechenden Rubrik außer um Weiterleitung der Petition um die Erstberatung durch einen „E-Vertrauensanwalt“ bitten, wird durch den Aufbau des Schreibens und des Antwortformulars eher verschleiert. Für die Adressaten schlechthin nicht erkennbar ist jedoch, dass hinter dem Schreiben des E in Wirklichkeit die Beklagten stehen. Das damit erkennbar verfolgte Ziel, neben den schon von ihnen vertretenen Q-Anlegern weitere namentlich bekannte Geschädigte zur Erteilung eines konkreten Mandats zu veranlassen, rechtfertigt die Annahme des vom Landgericht somit zu Recht bejahten Verstoßes gegen § 43b BRAO in Verbindung mit § 6 BORA.
16c) Die Verantwortlichkeit der Beklagten für das unter ihrer Mitwirkung an namentlich bekannte Q-Anleger gerichtete Schreiben des E steht zur Überzeugung des Senats fest.
17Bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt sich, dass zwischen dem E und den Beklagten enge persönliche und organisatorische Beziehungen bestehen: Der Beklagte zu 1.) ist Gründer des Vereins und gehörte bei Absendung der streitbefangenen Schreiben seinem Vorstand an. Der Verein hat seinen Hauptsitz zwar in Erfurt, unterhält aber neben der Kanzlei der Beklagten in K eine Geschäftsstelle, wobei Hausnummer (11 und 11a) und Telefonnummer (35 xx xx und 35 xx xx) eine Bürogemeinschaft andeuten.
18Hinzu kommt, dass das aktenkundige Schreiben des E an die Eheleute I vom 01.04.2012 (Anlage K 11) ebenso wie alle von dem Beklagten zu 2.) unterzeichneten aktenkundigen Anwaltsschreiben (Anlagen K 1, 14, 17, 18) unterhalb des Datums das Kürzel „MKI“ trägt. Dem zutreffenden Schluss, dass es sich dabei um das Diktatzeichen des sachbearbeitenden Beklagten zu 2.) handelt, der somit als verantwortlicher Urheber des streitbefangenen Schreibens des E anzusehen ist, haben die Beklagten zwar mit der Behauptung auszuweichen versucht, in Schreiben des E sei „MKI“ die Abkürzung für „Mailing über Kapitalmarktinformationen“ und „KMI“ für „Kapitalmarkt intern“. Als befriedigende Erklärung für die Übereinstimmung der Abkürzung mit dem Kürzel „MKI“ in sämtlichen Anwaltsschreiben des Beklagten zu 2.) ist das indessen um so weniger anzusehen, als dieser nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten „ein wichtiger Ansprechpartner des E“ war und von ihnen zuletzt auch nicht mehr ausdrücklich in Abrede gestellt worden ist, dass „die Beklagten in irgendeiner Weise an dem Mailing mitgewirkt hätten“ (S. 10 des Schriftsatzes vom 20.03.2012).
19Hat der Senat nach alledem davon auszugehen, dass das streitbefangene Schreiben zwar den Briefkopf des E und die Unterschrift seiner Geschäftsführerin trägt, inhaltlich aber auf den Beklagten zu 2.) und damit jedenfalls mittelbar auch auf den Beklagten zu 1.) als Inhaber der Kanzlei zurückgeht, so vermag er – im Ergebnis wie das Landgericht – gemäß § 446 ZPO weder der schriftlichen Erklärung des Beklagten zu 2.) im Schriftsatz vom 22.02.2010, dass er keine Einsicht in Geschäftsvorgänge des E habe, noch den vom Beklagten zu 1.) angegebenen Gründen für für die Weigerung, sich als Partei vernehmen zu lassen, entscheidendes Gewicht beizumessen. Unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage fehlt es vielmehr nicht nur an konkreten Anhaltspunkten, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts begründen könnten, sondern der Senat hat die Würdigung des angefochtenen Urteils, wonach die Beklagten sich des E zur Umgehung des Verbots der anwaltlichen Direktwerbung um Einzelmandate bedient und diesen mit allen relevanten Informationen, Namen und Adressen ausgestattet haben, sogar durch zusätzliche Umstände bestätigt gefunden.
20III.
21Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
22Es besteht auch angesichts des Schriftsatzes der Beklagten vom 13.06.2012 kein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen. Die Entscheidung beruht auf der tatrichterlichen Anwendung gesetzlicher und höchstrichterlich geklärter Rechtsgrundsätze auf einen Einzelfall, ohne dass der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof erfordert.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.