Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 3 U 6/12
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 16.12.2011 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Köln – Az. 16 O 158/11 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das angefochtene Urteil sowie dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar; der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, der für sie als Unterfrachtführer mit einem innerdeutschen Transport von Elektrogeräten (Flachbildschirmfernseher) betraut war, Schadensersatz in Höhe von 62.682,00 € nebst Zinsen wegen des unstreitigen Verlusts einer aus sechs Einzelsendungen zusammengestellten Sammelladung im Obhutszeitraum des Beklagten.
4Mit Urteil vom 16.12.2011, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang gemäß §§ 425 Abs. 1, 428, 429 HGB stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Parteien hätten eine Erweiterung der Haftung des Beklagten auf 40 Rechnungseinheiten pro Kilogramm Ware wirksam vereinbart (§ 449 Abs. 2 HGB); ein Mitverschulden der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Wertangabe liege nicht vor.
5Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Ausführungen des Landgerichts zur Einbeziehung der AGB der Klägerin und damit zur Vereinbarung eines Haftungshöchstbetrages von 40 Rechnungseinheiten pro Kilogramm Ware. Er behauptet, dem mit Fax bestätigten Auftrag sei eine telefonische Beauftragung vorangegangen, bei welcher über eine Erhöhung der Haftungsgrenzen, wie sie in den AGB der Klägerin enthalten sei, nicht gesprochen worden sei; zudem habe das ihm zugegangene Fax der Klägerin nicht den gleichen Inhalt gehabt, wie der von der Klägerin vorgelegte Auftrag (Bl. 102 ff. GA). Der Beklagte vertritt zudem die Auffassung, die Klägerin könne sich auf ein qualifiziertes Verschulden des Beklagten nicht berufen, da sie die Klage ausdrücklich auf frachtvertragliche Regelungen gestützt habe; abgesehen davon fehle es an qualifiziertem Verschulden. Zudem werde vorsorglich bestritten, dass der in den Handelsrechnungen ausgewiesene Wert der Waren und der materielle Schaden der Klägerin identisch seien. Zu Unrecht habe die Kammer im Übrigen ein Mitverschulden der Klägerin verneint. Angesichts der Einzelfallumstände müsse ein ganz überwiegendes Mitverschulden der Klägerin trotz des Umstandes bejaht werden, dass die Haftungshöchstgrenze von hier 8,33 SZR nicht um ein 10-faches überschritten worden sei.
6Der Beklagte beantragt,
7das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 16 O 158/11 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8Die Klägerin beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Prozessbeteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
12II.
13Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Dabei kann dahinstehen, ob – wovon das Landgericht ausgegangen ist – die Parteien gemäß § 449 Abs. 2 Nr. 1 HGB eine von § 431 Abs. 1 und 2 HGB abweichende Regelung der Haftung auf 40 Rechnungseinheiten pro Kilogramm Ware wirksam vereinbart haben, denn selbst wenn man – der Ansicht des Beklagten folgend - eine derartige Haftungserweiterung verneint, ist der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch in vollem Umfang begründet. Der Beklagte kann sich auf die in § 431 Abs. 1 und 2 HGB enthaltene Haftungsbegrenzung auf 8,33 Rechnungseinheiten je Kilogramm der Ware nicht berufen; er haftet vielmehr unter dem Gesichtspunkt des qualifizierten Verschuldens (§§ 435, 428 HGB) unbeschränkt.
14Soweit sich die Klägerin zur Begründung der Klageforderung hilfsweise auf qualifiziertes Verschulden gemäß § 435 HGB berufen hat, begegnet dies entgegen der Ansicht des Beklagten keinen Bedenken, denn das Gericht hat den von der Partei unterbreiteten Lebenssachverhalt grundsätzlich unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Kann das Gericht der Klage nicht (vollständig) nach den frachtrechtlichen Bestimmungen (Obhutshaftung) stattgeben, muss es – sofern die klagende Partei nicht ausdrücklich allein Wertersatz verlangt - grundsätzlich schon von sich aus prüfen, ob nach dem Vortrag der klagenden Partei die Voraussetzungen der Verschuldenshaftung erfüllt sind und die Klage unter diesem Gesichtspunkt Erfolg hat. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.09.2010 (Az. I ZR 39/09, TranspR 2010, 437) steht dem nicht entgegen, denn in diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof lediglich ausgeführt, dass dem Geschädigten bei der Berechnung des Schadens durch qualifiziertes Verschulden des Frachtführers ein Wahlrecht zukommt und er alle gesetzlich vorgesehenen Haftungsbegrenzungen gegen sich gelten lassen muss, wenn er Wertersatz und nicht Schadensersatz wegen qualifizierten Verschuldens des Frachtführers verlangt. Der Entscheidung lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass der Geschädigte nicht die Möglichkeit hat, mit der Klage primär Wertersatz und hilfsweise Schadensersatz über den Haftungshöchstbetrag des § 431 HGB hinaus wegen qualifizierten Verschuldens geltend zu machen. Zu beachten ist in einer solchen Konstellation lediglich, dass im Rahmen des Schadensersatzanspruchs bestimmte frachtrechtliche Vorschriften wie z. B. § 429 Abs. 3 S. 2 HGB keine Anwendung finden.
15Gemäß § 435 HGB gilt die Haftungsbegrenzung des § 431 HGB nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine in § 428 HGB genannte Person vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Die insoweit erforderliche Leichtfertigkeit – für ein vorsätzliches Verhalten liegen hinreichende Anhaltspunkte nicht vor - setzt einen besonders schweren Pflichtverstoß voraus, bei dem sich der Frachtführer oder die Person, deren er sich bei der Ausführung der Beförderung bedient, in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Subjektives Erfordernis des Bewusstseins der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist die sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, bei denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (vgl. hierzu nur BGH NJW-RR, 2007, 1630 m. w. N.). Ob im Falle eines Diebstahls aus einem abgestellten LKW qualifiziertes Verschulden des Frachtführers bzw. seiner Leute im Sinne von § 435 HGB zu bejahen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Qualifiziertes Verschulden liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden und unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (BGH, Urt. v. 17.4.1997 - I ZR 251/94, TranspR 1998, 21, 24; BGH, Urt. v. 17.4.1997 - I ZR 1311/95, TranspR 1998, 25, 27 m.w.N.). Welche Sicherheitsvorkehrungen der Transportunternehmer zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung, das ihm anvertraute Transportgut während der Beförderung vor Diebstahl oder Raub zu bewahren, ergreifen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt entscheidend darauf an, ob die getroffenen Maßnahmen den aktuell erforderlichen Sorgfaltsanforderungen genügen. Die angeordneten Sicherheitsvorkehrungen müssen zuverlässig ineinander greifen, verlässlich funktionieren und eine geschlossene Sicherheitsplanung darstellen. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob das transportierte Gut leicht verwertbar und damit besonders diebstahlsgefährdet ist, welchen Wert es hat, ob dem Frachtführer die besondere Gefahrenlage bekannt sein musste und welche konkreten Möglichkeiten einer gesicherten Fahrtunterbrechung es gegeben hat.
16Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein qualifiziertes Verschulden gemäß § 435 HGB vorliegend zu bejahen. Der Beklagte hat zum Transport der Waren einen „Courtainsider“ genutzt, also einen LKW, dessen Ladefläche sich – ohne dass es dazu besonderen Werkzeuges bedarf - mit wenigen Handgriffen öffnen lässt. Zwar war nach dem Transportauftrag die Verwendung von „Plane oder Koffer“ zulässig, so dass allein der Transport mittels Courtainsider ein Verschulden nicht begründet, ein qualifiziertes Verschulden ist jedoch darin zu sehen, dass ein derart leicht zu öffnendes, beladenes Fahrzeug über Nacht (abgestellt wurde der LKW bereits am Abend des 02.06.2010, die Weiterfahrt erfolgte erst gegen 3 Uhr morgens am 04.06.2010) auf einem völlig unbewachten und frei zugänglichen Firmengelände abgestellt worden ist. Hierdurch wurde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt; auch lag die Gefahr eines Diebstahls auf der Hand. Dem kann der Beklagte auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, er sei sich der besonderen Diebstahlsgefährdung der transportierten Ware nicht bewusst gewesen. Abgesehen davon, dass dem Fahrer des LKW (§ 428 HGB) unstreitig bekannt war, dass die Ladung aus Flachbildschirmfernsehern bestand und damit hoch diebstahlsgefährdet war, musste auch der Beklagte im Hinblick auf die vorangegangenen Transporte für die Klägerin jedenfalls damit rechnen, ebenfalls diebstahlsgefährdete Haushaltsgeräte zu transportieren; angesichts des Gewichts der Sammelladung von insgesamt rund 2.290 kg lag auch ein erheblicher Warenwert nahe, beläuft sich doch bereits die Grundhaftung gemäß § 431 HGB auf knapp 23.000,00 € (8,33 SZR/kg; am 2.6.2010, dem Tag der Übernahme der Sendung, betrug der Euro-Gegenwert eines Sonderziehungsrechts 1,19976, so dass sich eine Grundhaftung von 9,99 €/kg ergibt). Dass in Anbetracht dieser Umstände die vom Beklagten behauptete Anweisung zum Abstellen der Fahrzeuge in einer Fahrzeuggasse als alleinige Sicherungsmaßnahme nicht ausreicht, liegt auf der Hand und bedarf keiner Vertiefung. Keiner weiteren Erörterung bedarf damit auch die Frage, ob der Beklagte die von ihm behauptete Anweisung an die Fahrer zum Abstellen beladener Fahrzeuge ordnungsgemäß überwacht hat.
17Ein Mitverschulden der Klägerin wegen unterlassener Wertangabe hat das Landgericht mit zutreffender Argumentation verneint. Bei Annahme der gesetzlichen Regelhaftung von 8,33 SZR gemäß § 431 Abs. 1 HGB würde sich – wie dargelegt - die Haftungshöchstsumme auf knapp 23.000,00 € belaufen; damit überstieg der Wert der Sendung (knapp 63.000,00 €) die Haftungshöchstgrenze nicht einmal um das Dreifache. Besondere Gesichtspunkte, die vorliegend gleichwohl dafür sprechen, auf Klägerseite ein Mitverschulden zu berücksichtigen, vermag der Senat nicht zu erkennen.
18Die Höhe des Schadens der Klägerin ergibt sich daraus, dass die Klägerin verpflichtet war, ihrer Auftraggeberin, der Fa. N, wegen des Verlustes der Ware einen Betrag von 62.682,00 € zu zahlen und sie dieser Verpflichtung auch nachgekommen ist, wie die Kammer nach Beweisaufnahme zutreffend festgestellt hat. Zwar greift – was den Warenwert anbelangt - die Vermutung des § 429 Abs. 3 S. 2 HGB nicht ein, denn diese kommt nicht zum Tragen, wenn der Versender – wie vorliegend - seinen Schaden wegen qualifizierten Verschuldens des Frachtführers nach §§ 249 ff. BGB berechnet; allerdings geht der Senat im Hinblick darauf, dass die von der Klägerin vorgelegten Rechnungen der Fa. N als solche von dem Beklagten ebenso wenig bestritten worden sind wie die Tatsache, dass es sich lediglich um die Einkaufrechnungen der Fa. N handelt (entgangener Gewinn gemäß § 252 BGB von dieser gegenüber der Klägerin also nicht geltend gemacht worden ist), davon aus, dass der in diesen Rechnungen ausgewiesene Betrag den Schaden wiedergibt, den die Fa. N infolge des Verlustes der Ware erlitten hat. Da die Klägerin ihrer Auftraggeberin zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet war und sie ihrer Verpflichtung auch nachgekommen ist, kann sie vom Beklagten Schadensersatz in entsprechender Höhe fordern (§ 249 BGB).
19Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
21Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
22Berufungsstreitwert: 62.682,00 €
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