Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 22 U 48/12
Tenor
Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das am 26.1.2012 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen – 12 O 348/11 – durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
1
Gründe
2Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, da das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist und eine mündliche Verhandlung auch aus sonstigen Gründen nicht veranlasst ist.
3Das angefochtene Urteil entspricht der Sach- und Rechtslage. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an den Kläger Schadensersatz zu zahlen bzw. ihn von Zahlungsansprüchen freizustellen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Das Vorbringen in der Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der Entscheidung.
4I.
5Das Berufungsvorbringen der Beklagten gibt lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:
61. Soweit die Beklagte mit der Berufung weiterhin bestreitet, dass der Kläger Eigentümer des betreffenden Fahrzeugs gewesen sei, ist dies unbeachtlich. Schon nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger Eigentümer war. An der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin H, die auch von den Angaben des Klägers im Rahmen seiner persönlichen Anhörung bestätigt wurden, hat der Senat, ebenso wie das Landgericht, keine Zweifel. Darüber hinaus war der Kläger im Zeitpunkt des Reparaturauftrages unstreitig Besitzer des Wagens. Daraus folgt nach § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB die Vermutung, dass er das unbedingte Eigentum zugleich mit dem Besitz erworben hat (BGHZ 64, 395; OLG Köln VersR 1994, 1428; MüKo-BGB/Baldus, 5. Auflage, § 1006 Rn. 25). Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Vermutung hätte die Beklagte Umstände anführen müssen, die diese widerlegen, was jedoch nicht geschehen ist.
72. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit der Beklagten einen Werkvertrag geschlossen hat. Der Kläger hat vorgetragen, dass er im November 2009 der Beklagten einen Auftrag erteilt hat, der unter anderem auch den Austausch des Zahnriemens vorsah. Die Leistungen dieses Auftrags wurden nach Abschluss der Arbeiten am 24.11.2009 (Bl. 6 d.A.) in Rechnung gestellt, wobei in dieser Rechnung ausdrücklich der Zahnriemen sowie die Montage genannt sind. Die Beklagte hat zudem am 26.11.2010 einen Schadensbericht gefertigt (Bl. 204 d.A.) und dem Kläger mit Schreiben vom 1.12.2010 (Bl. 205 d.A.) den zuständigen Versicherer und die Schadensnummer mitgeteilt. Schon angesichts dieser Vielzahl von Indizien, die auf einen Vertragsschluss hindeuten, durfte die Beklagte es nicht bei einem Bestreiten mit Nichtwissen belassen. Hinzu kommt der Umstand, dass ein Bestreiten mit Nichtwissen im vorliegenden Fall nach § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig ist, da die dem Vertragsschluss zugrundeliegenden Tatsachen den eigenen Wahrnehmungsbereich der Beklagten betreffen.
83. Für die Einholung eines Obergutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die Feststellung der Schadensursache besteht kein Anlass. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind im Berufungsverfahren die vom Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des Gutachtens vorliegen. Diese können sich insbesondere daraus ergeben, dass das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist oder sich die Tatsachengrundlage geändert hat (vgl. BGH NJW-RR 2007, 212). Solche Einwände hat die Beklagte gegen die Feststellungen des Sachverständigen Dr. Q nicht geltend gemacht.
9a. Soweit sie dem Sachverständigen vorwirft, dass er die Ursächlichkeit der Reparatur für den eingetretenen Schaden bejaht habe, obwohl eine Alternativursache in Betracht komme, greift dieser Einwand nicht durch: Der Sachverständige hat zwar festgestellt, dass der vorliegende Motorschaden am klägerischen Fahrzeug auch durch extremes Überdrehen des Motors ausgelöst werden könne. Er konnte dies jedoch mit überzeugenden Argumenten als Schadensursache im konkreten Fall ausschließen, weil eine nicht ordnungsgemäß eingestellte Spannrolle vorlag (Bl. 89 d.BA. 9 H 13/10 AG Jülich). Liegt ein solcher Fehler vor und kann nach den sachverständigen Feststellungen ausgeschlossen werden, dass der Zahnriemen sich im laufenden Betrieb von selbst gelockert hat (vgl. Bl. 228 d.A.), dann kann die daraus folgende Feststellung des Sachverständigen, dass der Motorschaden durch die unsachgemäß eingestellte Spannrolle verursacht wurde, weder als widersprüchliche noch als unvollständige Tatsachenfeststellung eingestuft werden. Vielmehr konnte der Sachverständige feststellen, dass angesichts der objektiven Umstände die unsachgemäß eingestellte Spannrolle der ursächliche Auslöser für den Motorschaden war.
10b. Soweit die Beklagte mit der Berufung eine Vielzahl anderer Ursachen für den Schaden am klägerischen Fahrzeug geltend macht (Bl. 310 d.A.), die der Sachverständige Dr. Q in seinem Gutachten nicht ausdrücklich überprüft hat, begründet auch dies keine Unvollständigkeit der betreffenden Tatsachenfeststellung. Zum einen hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung in der Sitzung vom 5.1.2012 ausdrücklich bestätigt (Bl. 228R d.A.), dass er sich den Motor in seiner Gesamtheit angeschaut habe und keinerlei andere Ursache für das vorgefundene Schadensbild feststellen konnte. Zum anderen hat der Sachverständige mit der unsachgemäß eingestellten Spannrolle, die bei höherer Drehzahl zu einem Überspringen des Zahnriemens und in der Folge zu dem festgestellten Schadensbild an Kolben (Anschlagmarkierungen) und Schäften der Einlassventile führte, eine konkrete Ursache für den Schaden am klägerischen Fahrzeug gefunden. Vor diesem Hintergrund ist es zur Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung nicht erforderlich, dass sämtliche theoretisch in Betracht kommende andere Ursachen einzeln aufgeführt und im Rahmen einer Einzelbetrachtung ausgeschlossen werden. Vielmehr reicht es auch, wenn – wie es der Sachverständige vorliegend getan hat – andere mögliche Ursachen in ihrer Gesamtheit ausgeschlossen werden.
114. Die Beklagte hat auch nicht substantiiert bestritten, dass sie das gemäß §§ 634 Nr. 4, 281 Abs. 1 S. 1 BGB erforderliche Nachbesserungsverlangen des Klägers abgelehnt und damit eine Nachbesserung verweigert hat. Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 26.11.2010 (Bl. 7 d.A.) zur Nachbesserung aufgefordert. Dieses Schreiben hat die Beklagte auch erhalten, denn sie hat es in ihrem Schreiben vom 1.12.2010 (Bl. 205 d.A.) ausdrücklich in Bezug genommen. Weiter hat der Kläger vorgetragen, dass der Sachverständige des Versicherers der Beklagten am 6.12.2010 sein Gutachten erstellt hat, dessen Ergebnis dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8.12.2010 mitgeteilt und eine Haftung abgelehnt wurde. Vor dem Hintergrund dieses Vortrags reicht es nicht aus, dass die Beklagte schlicht bestreitet, dass sie der Kläger zur Nachbesserung aufgefordert hat – wobei ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Amtsgericht Jülich noch mit Schriftsatz vom 4.1.2011 (Bl. 7 BA) sowohl das Vorliegen einer mangelhaften Werkleistung als auch sämtliche Ansprüche des Klägers bestritten und zurückgewiesen hat.
125. Der Kläger kann von der Beklagten neben der Erstattung der Kosten der Ersatzbeschaffung, deren Höhe mit der Berufung nicht angegriffen wird, auch die Finanzierungskosten als Teil des Schadens nach §§ 634 Nr. 4, 281 Abs. 1 BGB verlangen. Denn der Kläger ist so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Angesichts der von ihm vorgelegten Darlehensbestätigung vom 30.6.2011 (Bl. 9 d.A.), der Aussage der Zeugen H in ihrer Vernehmung vom 5.1.2012 (Bl. 230 d.A.) sowie der Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung (Bl. 229R d.A.) bestehen nach Überzeugung des Senates keine Zweifel, dass der Kläger diesen Kredit mit den entsprechenden Kosten aufgenommen hat und dass er keine eigenen Mittel für die Beschaffung eines Fahrzeugs ohne Kreditzusage hatte.
13Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger mit der Aufnahme eines Kredits, der einen effektiven Jahreszins von 4,99% aufweist, gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat. Die entsprechende Behauptung der Beklagten ist unsubstantiiert geblieben. Nach der Erfahrung des Senats handelt es sich um einen Zinssatz, der für einen nicht an einen Erwerb beim Kfz-Händler gebundenen Verbraucherkredit im Jahre 2011 nicht zu beanstanden ist. Soweit die Beklagte darüber hinaus mit der Berufung rügt, dass der Antrag des Klägers unzulässig ist, da er die konkreten Raten hätte beziffern können, erschließt sich dieser Einwand nicht: Der Kläger verlangt vorliegend nicht die Erstattung von Darlehensraten, sondern macht die zusätzlichen Kosten (Restkreditversicherung, Zinsen, Bearbeitungsgebühr) geltend, die ihm für die Aufnahme des Darlehens entstanden sind. Mangels bereits erfolgter Zahlung dieser Beträge an den Darlehensgeber hat der Kläger zutreffend Freistellung von den entsprechenden Zahlungspflichten beantragt.
146. Auch die Abmeldekosten in Höhe von 5,90 Euro zählen zum erstattungsfähigen Schaden des Klägers. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger diese Kosten entstanden sind. Er hat sie durch Vorlage der Quittung des Kreis E (Bl. 10 d.A.), welche neben Datum und Zahlbetrag auch den Verwendungszweck („Außerbetriebsetzung“) sowie das Kennzeichen des Fahrzeugs aufweist, hinreichend dargelegt. Im Hinblick auf diesen Vortrag ist das schlichte Bestreiten der Beklagten (Bl. 32, 311 d.A.) unbeachtlich, weil unsubstantiiert.
157. Der Kläger kann auch Freistellung von den Standkosten in der geltend gemachten Höhe verlangen. Denn die Einwände der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Aussage des Zeugen D greifen nicht durch. Die Beklagte zeigt keine Umstände auf, die im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlich festgestellten Tatsachen begründen. Mit dem Umstand, dass der Zeuge D leicht abweichende Daten der Standzeit des klägerischen Pkw angegeben hat, hat sich das Landgericht in seiner Beweiswürdigung zutreffend auseinandergesetzt. Im Übrigen ist der Senat, abweichend von der Berufungsbegründung, der Ansicht, dass es die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage nicht steigert, wenn der Zeuge zu ihr nur aufgrund einer Terminsvorbereitung in der Lage ist. Jedenfalls steht dem die Aussage eines Zeugen, der sich – wie hier der Zeuge D – sogar ersichtlich ohne nähere Vorbereitung an die maßgeblichen Personen und das Kerngeschehen detailliert erinnern kann, in nichts nach.
168. Der Kläger kann von der Beklagten auch Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in der geltend gemachten Höhe verlangen.
17a. In Übereinstimmung mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass der Kläger während des geltend gemachten Zeitraums Nutzungswille und hypothetische Nutzungsmöglichkeit als Voraussetzung für die Entschädigung des vorübergehenden Gebrauchsverlustes seines Kraftfahrzeugs hatte. Der Nutzungswille eines privaten Halters bzw. Eigentümers ist für die Dauer des Ausfalls grundsätzlich zu vermuten, ohne dass es insoweit einer besonderen Darlegung bedarf (OLG Dresden, Urteil v. 30.6.2010 – 7 U 313/10, juris; OLG Düsseldorf VRR 2008, 267; OLG Düsseldorf DAR 2006, 269). Den Ausnahmefall, dass der Geschädigte das Fahrzeug keinesfalls in der Ausfallzeit hätte nutzen können und wollen, muss demzufolge der Schädiger darlegen und beweisen. Dies hat die Beklagte nicht getan.
18Darüber hinaus sprechen schon die äußeren Umstände für einen Nutzungswillen und eine Nutzungsmöglichkeit des Klägers: Der Kläger ist berufstätig und hat eine Familie mit einem kleinen Kind zu versorgen, während seine Ehefrau keinen Führerschein hat. Insofern entspricht es ohne weitere Darlegung schon der Lebenserfahrung, dass er den Pkw für Fahrten zur Arbeit, zum Einkaufen u.ä. nutzen wollte und genutzt hätte. Für die von der Beklagten geäußerte Möglichkeit, dass es sich beim Pkw des Klägers um einen sog. Garagenwagen handelt, werden von der Beklagten keinerlei nähere Anhaltspunkte geltend gemacht. Es ist auch aus den sonstigen Umstände nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Wagen in dieser Art und Weise nutzt – die verhältnismäßig geringe Laufleistung lässt sich mit der überwiegenden Fahrt auf Kurzstrecken zur nur wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte des Klägers schlüssig erklären. Die Beklagte hat auch ihre Behauptung, dass dem Kläger in der fraglichen Zeit ein Zweitwagen zur Verfügung gestanden hätte (Bl. 312 d.A.), nicht näher substantiiert oder unter Beweis gestellt. Angesichts der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie der Aussage der Zeugin H (Bl. 229 R d.A.) hätte es aber der Beklagten oblegen, die entsprechenden Angaben des Klägers substantiiert zu bestreiten.
19b. Der Kläger hat auch nicht gegen seine aus § 254 Abs. 2 BGB resultierende Schadensminderungspflicht verstoßen. Zwar trifft den Geschädigten aus § 254 Abs. 2 BGB die Obliegenheit, die Ausfallzeit auf ein Mindestmaß zu beschränken. In der Regel kann er daher nur für die voraussichtliche Zeit einer unterstellt unverzüglich eingeleiteten Reparatur bzw. Ersatzbeschaffung Ersatz verlangen (OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1711). Dieser Forderung ist der Kläger jedoch nachgekommen, da er nach Vorlage des Gutachtens aus dem selbständigen Beweisverfahren, welches vom Amtsgericht Jülich am 21.6.2011 versandt wurde (vgl. Bl. 113 BA), binnen einer Woche eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hat und – gemessen am Zeitpunkt der Vorlage des Gutachtens – eine Nutzungsausfallentschädigung nur für die Zeit vom 22.6.2011 bis 28.6.2011 verlangt. Insofern vermögen die von der Beklagten mit der Berufungsbegründung zitierten Entscheidungen, die sich auf eine Überschreitung der laut Sachverständigengutachten ermittelten Reparaturdauer beziehen, keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu rechtfertigen.
20Der vorhergehende Schadensermittlungszeitraum, der im Hinblick auf den mangelbedingten Ausfall des Fahrzeugs vom 24.11.2010 bis zur Übersendung des Gutachtens am 21.6.2011 gedauert hat, ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls dem entschädigungspflichtigen Zeitraum hinzuzurechnen. Denn der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung knüpft daran an, dass das Fahrzeugs schadensbedingt nicht nutzbar ist (OLG Dresden, Urteil v. 30.6.2010 – 7 U 313/10, juris; OLG Düsseldorf VRR 2008, 267). Es stellt auch keinen Verstoß des Klägers gegen die Schadensminderungspflicht dar, dass er vor Vornahme der Ersatzbeschaffung zunächst ein selbständiges Beweisverfahren beantragt hat (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1711; OLG Düsseldorf DAR 2006, 269; OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190). Der Kläger hat unverzüglich nach Auftritt des Schadens die Beklagte informiert und sie mit anwaltlichem Schreiben vom 26.11.2010 zur Nachbesserung aufgefordert. Da innerhalb dieser Frist durch die Beklagte lediglich mitgeteilt wurde, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben werde, hat der Kläger bis zum Eingang dieses Gutachten abgewartet. Nachdem der Gutachter der Beklagten am 6.12.2010 sein Gutachten erstellt und gegenüber den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8.12.2010 eine Haftung abgelehnt hatte, weil der Schaden angeblich auf einem falschen Schaltvorgang des Klägers beruhte (Bl. 2 BA), bestand für den Kläger das unabweisbare Bedürfnis, die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens zu beantragen, um seine Ansprüche später gegen die Beklagte durchsetzen zu können. Dass dieses von ihm mit Schriftsatz vom 9.12.2010 und damit nur einen Tag später eingeleitete Verfahren bis zur Erstattung des Gutachtens letztlich mehr als sechs Monate gedauert hat, ist nicht dem Kläger anzulasten.
21c. Der Kläger hatte auch keine zumutbare Möglichkeit, während der Zeit der Schadensermittlung den eingetretenen Schaden zu minimieren. Denn er war weder verpflichtet, seinen Wagen vor Begutachtung reparieren zu lassen oder für die Zeit bis zur Begutachtung einen Mietwagen bzw. ein Interimsfahrzeug zu beschaffen:
22aa. Der Kläger war nicht verpflichtet, den Pkw bereits vor Erstattung des Sachverständigengutachtens im Rahmen einer Vorfinanzierung reparieren zu lassen. Ein Geschädigter ist nämlich grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar einen Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen. Eine solche Pflicht kann im Rahmen des § 254 BGB allenfalls dann und auch nur ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (BGH NJW-RR 2006, 394; OLG Dresden, Urt. v. 30.6.2010 – 7 U 313/10, juris; OLG Naumburg DAR 2005, 158; OLG Saarbrücken NZV 1990, 388; OLG Düsseldorf VRR 2008, 267).
23Ob der Kläger zu einer solchen finanziellen Aufwendung überhaupt in der Lage war, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn die Möglichkeit einer Reparatur des Wagens war schon im Hinblick auf die anstehende Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen ausgeschlossen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Beklagte den Wagen bereits durch einen eigenen Sachverständigen hatte untersuchen lassen und dabei zu einem für den Kläger ungünstigen Ergebnis gekommen war, machte es aus Sicht eines objektiven Dritten in der Person des Klägers erforderlich, dass der gerichtliche Sachverständige sich einen unmittelbaren Eindruck vom Schadensbild verschaffen konnte. Darüber hinaus war bis zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Q auch noch nicht geklärt, ob der Kläger unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Totalschadens überhaupt eine Reparatur vornehmen lassen durfte. Erst durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. Q wurde letztlich abschließend geklärt, dass eine fachgerechte Reparatur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht in Betracht kam, sondern eine Ersatzbeschaffung erfolgen musste.
24bb. Der Kläger war im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht auch nicht gehalten, im Rahmen einer Vorfinanzierung bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen neuen Wagen zu beschaffen. Zwar kann der Geschädigte im Hinblick auf die ihn treffende Schadensminderungspflicht gehalten sein, binnen angemessener Frist ein Ersatzfahrzeug zu beschaffen (vgl. BGH NJW 2010, 2426). Dies galt jedoch unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles für den Kläger nicht:
25Es ist schon zweifelhaft, ob ein früherer Erwerbs eines neuen Fahrzeugs für den Kläger im Hinblick auf dessen Finanzlage überhaupt in Betracht kam. Denn nach dem überzeugenden Ergebnis der Beweisaufnahme verfügte der Kläger zu diesem früheren Zeitpunkt noch nicht über die erforderlichen Mittel, um einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Allein der Umstand, dass der Kläger keine konkreten Anfragen bei Banken vorgenommen hat, steht dieser Wertung nicht entgegen. Denn soweit der Geschädigte – wie der Kläger aufgrund der zusätzlichen Aufwendungen für die Umzüge – noch nicht einmal über einen Mindestbestand an Eigenkapital sowie nur über ein geringes Einkommen verfügt, ist es ihm nicht zuzumuten, den Schädiger durch eine Zwischenfinanzierung zu entlasten, die auf Kosten der eigenen Lebensführung erbracht werden müsste. Im Ergebnis kann die Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls war bis zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Q noch nicht geklärt, ob der Kläger überhaupt eine Ersatzbeschaffung vornehmen konnte oder er sich von der Beklagten nicht möglicherweise auf eine (preiswertere) Reparatur verweisen lassen musste.
26cc. Soweit der Kläger schließlich, wie es die Beklagte mit der Berufungsbegründung (Bl. 312 d.A.) vorträgt, während der Zeit der Schadensermittlung einen Mietwagen genutzt hätte, wäre damit, unabhängig von der Frage, wie der Kläger angesichts seiner beschränkten finanziellen Mittel die entsprechende Miete hätte aufbringen sollen, keine Schadensminderung verbunden gewesen. Denn die notwendigen Mietwagenkosten des Klägers wären in einem solchen Fall ebenso Teil des von der Beklagten zu erstattenden Schadens gewesen wie es nunmehr die Nutzungsausfallentschädigung im Falle einer unterlassenen Miete ist. Die Beklagten haben nicht geltend gemacht, dass ein vom Kläger angemietetes Fahrzeugs geringere Kosten verursacht hätte, als die mit 35 Euro pro Tag bemessene Nutzungsausfallentschädigung. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger trotz seiner entsprechenden Ankündigung im Schreiben vom 26.11.2010 auch keinen (möglicherweise kostengünstigeren) Mietwagen zur Verfügung gestellt.
27Auch der unterlassene Ankauf eines Interimsfahrzeugs kann dem Kläger im Rahmen der Schadensminderungspflicht nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zwar kann der Geschädigte verpflichtet sein, einen längeren Nutzungsausfall durch die Anschaffung eines Interimsfahrzeugs zu überbrücken und damit im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbeseitigung zu wählen (vgl. BGH NJW 2010, 2426). Dies war dem Kläger jedoch im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf seine finanzielle Situation nicht zumutbar. Darüber hinaus war für ihn aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht vorhersehbar, wie lange die Erstattung des Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren dauern würde und ob der sich daraus ergebende Zeitraum überhaupt die Anschaffung sowie den Verkauf eines Interimsfahrzeugs unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erlaubt hätte.
28dd. Soweit das Landgericht die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung nach der Tabelle von Sanden-Danner-Küppersbusch berechnet hat, begegnet dies keinen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 2005, 1044) ist der Tatrichter auch bei älteren Fahrzeugen nicht gehalten, in jedem Einzelfall bei der Beurteilung der entgangenen Gebrauchsvorteile eine aufwendige Berechnung anzustellen. Vielmehr darf er im Rahmen des ihm nach § 287 ZPO bei der Schadensschätzung eingeräumten Ermessens aus Gründen der Praktikabilität und der gleichmäßigen Handhabung typischer Fälle auch bei älteren Fahrzeugen mit den in der Praxis anerkannten Tabellen arbeiten und dem Alter des Fahrzeugs durch eine Herabstufung Rechnung tragen. Dabei ist dem Alter des klägerischen Fahrzeugs, das im Schadenszeitpunkt älter als zehn Jahre war, zutreffend durch eine Abstufung von zwei Gruppen (vgl. BGHZ 161, 151; OLG Dresden, Urteil v. 30.6.2010 – 7 U 313/10, juris; OLG Düsseldorf VRR 2008, 267; OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190) Rechnung getragen worden. Dass eine solche Berechnung dazu führen kann, dass die Nutzungsausfallentschädigung in einem Missverhältnis zum Zeitwert des Fahrzeuges steht, ist unschädlich und zwingt nicht dazu, den Anspruch des Klägers auf Basis der Vorhaltekosten zu berechnen. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung ist nicht schematisch durch den Wert des Fahrzeugs begrenzt – entscheidend ist vielmehr, ob die dem Kläger entgangenen Gebrauchsvorteile sich während der Zeit des Nutzungsausfalls gemindert haben (BGH NJW 2005, 1044; BGH NJW 1988, 484; OLG Düsseldorf VRR 2008, 267). Dies ist hier nicht der Fall, denn das klägerische Fahrzeug war nach den Feststellungen des Sachverständigen (Bl. 86 d.BA.) in einem guten Zustand und nicht mit Mängeln behaftet, die den Nutzungswert wesentlich beeinträchtigt hätten.
29Dafür, dass die Höhe der Ausfallentschädigung letztlich den Wert des Fahrzeuges erheblich übersteigt, ist nicht der Kläger, sondern allein die Beklagte verantwortlich, weil sie es – im Wissen um die Dauer des selbständigen Beweisverfahrens und die finanziellen Verhältnisse des Klägers – unterlassen hat, diesen durch eine schnellere Ersatzleistung oder durch Zahlung eines Vorschusses finanziell in die Lage zu versetzen, eine Interimsbeschaffung zu einem früheren Zeitpunkt vorzunehmen (vgl. BGH NJW 2005, 1044). Die von der Beklagten in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des Landgerichts Dortmund (3 O 669/05) betraf einen anderen Sachverhalte, da in dem dort entschiedenen Fall bereits vor Einholung des gerichtlichen Gutachtens feststand, dass eine Reparatur zu verhältnismäßig geringen Kosten erfolgen konnte.
309. Der Kläger kann schließlich auch Freistellung von den Gebührenansprüchen seiner Prozessbevollmächtigten in der geltend gemachten Höhe verlangen. Soweit die Beklagte mit der Berufung einwendet, eine 1,3-Geschäftsgebühr sei für ein einfaches Schreiben überhöht, verkennt sie den Anwendungsbereich von Nr. 2302 VV RVG. Schon aus dem Wortlaut wird deutlich, dass es für die Anwendbarkeit dieses Gebührentatbestandes nicht auf die konkrete Tätigkeit des Rechtsanwaltes ankommt oder darauf, ob das Schreiben ein solches einfacher Art ist. Maßgeblich ist allein, ob der Anwalt von seinem Mandanten den Auftrag erhalten hatte, ein einfaches Schreiben zu erstellen (vgl. BGH NJW 1983, 2451; Gerold/Schmidt (Mayer), 20. Auflage, Nr. 2302 VV RVG Rn. 1, 2). Dies ist hier nicht der Fall, da die Prozessbevollmächtigten des Klägers außergerichtlich von diesem mit der Durchsetzung von Mängelansprüchen beauftragt wurden. Ein solcher Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung wird mit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG aus einem Rahmen von 0,5 bis 2,5 abgegolten, womit die hier geltend gemachte Regelgebühr von 1,3 nicht zu beanstanden ist.
31II.
32Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme – auch zur Frage der Durchführung des Berufungsverfahrens – innerhalb der gesetzten Frist.
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