Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 2 Ws 435/14
Tenor
Der Beschluss wird aufgehoben.
1
Gründe:
2I.
3Durch Urteil des Amtsgerichts L. vom 19.02.2014 wurde die Beschwerdeführerin wegen gemeinschaftlicher Bestechung in drei Fällen sowie Beihilfe zur gewerbsmäßigen Untreue in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gemäß dem Protokoll der Hauptverhandlung wurden zuvor die Beschwerdeführerin und die beiden Mitangeklagten L. und B. zur Person und zur Sache befragt. Der Mitangeklagte B., der bei der Firma C. angestellt war, schwieg zunächst zu den Tatvorwürfen, während die Angeklagten L. und C. sich zur Sache einließen. Die Angeklagte C. ließ sich unter anderem dahingehend ein, dass sie den Kontakt zum Angeklagten B. hergestellt habe, und diesem in drei Fällen wissentlich Geld für das Zustandekommen von Geschäften zwischen der Firma L. und der Firma C. übergeben habe. Weiter habe sie in der Folgezeit gemeinsam mit dem Angeklagten B. ein Unternehmen gegründet, das unter Ausschluss von Konkurrenten Geschäfte mit der Firma C. getätigt habe.
4Von 13:08 Uhr bis 13:48 Uhr wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Das Protokoll enthält weder einen Hinweis auf eine Verständigung gemäß § 257 c StPO, noch einen Vermerk über das Nichtvorliegen einer solchen. Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung wurde auf die Vernehmung der Zeugen verzichtet. Der Verteidiger des Angeklagten B. erklärte für seinen Mandanten, dass dieser die Tatvorwürfe einräume, was dieser auf Befragen bestätigte. Die Verurteilung aller drei Angeklagten erfolgte sodann entsprechend den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigern.
5Im Anschluss an die Urteilsverkündung und die Rechtsmittelbelehrung heißt es im Hauptverhandlungsprotokoll: ,,Alle Beteiligten erklären Rechtsmittelverzicht.“ Einen Vermerk, dass diese Erklärungen den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden sind, enthält das Protokoll nicht.
6Mit Telefax vom 25.02.2014, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, hat der neue Verteidiger der Beschwerdeführerin gegen das Urteil vom 19.02.2014 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 16.05.2014 damit begründet, dass die Beschwerdeführerin keinen Rechtsmittelverzicht habe erklären wollen. Weiter liege dem Urteil eine informelle Absprache gemäß § 257 c StPO zugrunde, weswegen der Rechtsmittelverzicht gemäß § 302 Abs. 1 S. 2 StPO unwirksam sei.
7Mit Verfügung vom 20.05.2014 hat die Vorsitzende der Berufungskammer dienstliche Erklärungen von dem am Ausgangsverfahren beteiligten Richter, der Protokollführerin, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft sowie Stellungnahmen des früheren Verteidigers der Angeklagten C. und des Verteidigers des Angeklagten B. zu den Fragen eingefordert, ob die Angeklagte C. einen Verzicht auf Rechtsmittel erklärt habe und ob dem Urteil eine (möglicherweise informelle) Verständigung vorausgegangen sei.
8Mit Beschluss vom 24.06.2014 hat die Berufungskammer sodann die Berufung der Beschwerdeführerin als unzulässig verworfen, da ein wirksamer Rechtsmittelverzicht der Verurteilten einer Berufungseinlegung entgegenstehe.
9Gegen diese dem Verteidiger am 27.06.2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde vom 01.07.2014, mit der im wesentlichen geltend gemacht wird, der Rechtsmittelverzicht – der von dem früheren Verteidiger wohl erklärt worden sei – sei mit Blick darauf, dass dem Urteil eine informelle Absprache vorangegangen sei, unwirksam.
10II.
11Die gemäß §§ 322 Abs. 2, 311 StPO statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung der Berufung ist begründet.
12Die Voraussetzungen einer Verwerfung der Berufung als unzulässig liegen nicht vor.
131.
14Der Senat stimmt mit der Kammer allerdings darin überein, dass die Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung vom 19.02.2014 – jedenfalls über ihren Verteidiger – auf ein Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet hat. Das wird mit der sofortigen Beschwerde auch nicht mehr in Zweifel gezogen, so dass weitere Ausführungen hierzu nicht mehr veranlasst sind.
152.
16Der Rechtsmittelverzicht war jedoch gemäß § 302 Abs. 1 S. 2 StPO unzulässig.
17Ein im Verständigungsverfahren unzulässiger Rechtsmittelverzicht ist auch dann unwirksam, wenn dem Urteil eine informelle Verständigung vorausgegangen ist. Denn durch Verständigungen, die nicht den gesetzlichen Formerfordernissen genügen, darf das Verbot eines Rechtsmittelverzichts nicht umgangen werden. Daher gilt das Verbot des § 302 Abs. 1 S. 2 StPO erst recht für eine informelle Absprache (BGH NJW 2014, 872), von der hier auszugehen ist.
18a) Das Hauptverhandlungsprotokoll ist in diesem Punkt lückenhaft, weil es die nach § 273 Abs. 1a StPO für das Verständigungsverfahren erforderlichen Angaben nicht enthält. Die Verletzung der Protokollierungspflichten, zu denen auch das sog. „Negativattest“ gehört, führt dazu, dass das Protokoll seine Beweiskraft verliert (BGH NJW 2011, 321; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 213).
19Die hier nicht beachtete Protokollierungspflicht eröffnet die vom Landgericht vorgenommene freibeweisliche Feststellung eines rechtlich unzulässigen Geschehens, gleichgültig ob es sich innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung ereignet hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. A. § 273 Randnr.12a; BGH 45, 227, 228; NStZ-RR 07,245).
20b) Der Senat vermag dem Ergebnis, zu dem das Landgericht insoweit gelangt ist, nicht zu folgen. Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten ein informelles Gespräch stattgefunden hat. Das Landgericht hat sich jedoch nicht in der Lage gesehen, den Inhalt einer bestimmten Absprache festzustellen. Das greift bei dem hier gegebenen Sachverhalt aus Sicht des Senats zu kurz. Dass eine Verständigung nach Ablegen eines Geständnisses nicht mehr in Betracht kommt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, das zum zulässigen Inhalt möglicher Urteilsabsprachen nichts Abschließendes sagt. Rechtsstaatliche Grenzen werden aber durch Beachtung der Grundsätze der Strafzumessung gezogen, die auch bei Absprachen unter Würdigung aller Umstände des Falles zu geschehen hat (BVerfG NJW 2013, 1058 <1068>). Das mangels Protokollierung intransparente Prozessgeschehen lässt besorgen, dass die Grundsätze der Strafzumessung beeinflusst durch das zuvor stattgefundene Gespräch nicht beachtet worden sind.
21c) Die eingeholten Äußerungen der Verfahrensbeteiligten belegen – mit unterschiedlicher, dem Sinne nach aber gleichbedeutender Wortwahl – hinlänglich, dass zwischen dem Amtsrichter, der Staatsanwältin und den Verteidigern der (dabei nicht anwesenden) Angeklagten während der 40-minütigen Unterbrechung der Hauptverhandlung ein informelles Gespräch über die Vorstellungen der Verteidiger zum möglichen Strafmaß stattgefunden hat, an dem die Angeklagten nicht teilgenommen haben. Inhalt und Ziel des Gesprächs soll nach der Darstellung des früheren Verteidigers der Beschwerdeführerin gewesen sein, die Strafen ohne die zu erwartende ausführliche und peinliche Vernehmung von Zeugen „auf ein für alle drei Angeklagten erträgliches Maß“ zu bringen, wobei die Strafe für den Mitangeklagten B. unter zwei Jahren und für die Beschwerdeführerin deutlich unter einem Jahr liegen sollte.
22Dabei soll nach der dienstlichen Erklärung des Amtsrichters, die zu Vorstehendem nicht in Widerspruch steht und an deren Richtigkeit der Senat deswegen nicht zweifelt, der Beschwerdeführerin wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten daran gelegen gewesen sein, nicht noch zusätzlich mit einer Geldstrafe belastet , sondern „auch mit einer Freiheitsstrafe“ belegt zu werden.
23d) Ob angesichts dessen, dass nach der Sitzungsunterbrechung der Mitangeklagte B. ein nicht mehr überprüftes knappes Geständnis abgelegt hat, dass von einer Beweisaufnahme abgesehen worden ist und dass ein den übereinstimmenden Anträgen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft entsprechendes Urteil ergangen ist, von der stets unzulässigen Vereinbarung einer „Punktstrafe“ auszugehen ist (vgl. dazu BVerfG NJW 2013, 1058 <1068>; BGH NJW 2006,3362; BGH NStZ 2011,231), lässt sich anhand der von den Verfahrensbeteiligten abgegebenen Stellungnahmen zwar nicht feststellen.
24Ein mit den Vorschriften über die Verständigung unvereinbares Prozessgeschehen liegt aber bereits darin, dass das Gericht im Strafmaß gleichsam konkludent auf die – von der Staatsanwaltschaft mitgetragenen – Vorstellungen der Angeklagten eingegangen ist und gegen die Beschwerdeführerin statt - wie bei dem Mitangeklagten L. - einer Geldstrafe gleichsam auf deren Bitte hin eine nach der Schwereskala der strafrechtlichen Sanktionen schwerere Freiheitsstrafe verhängt hat. Eine solchermaßen zustande gekommene Verurteilung ist weder mit den materiell-rechtlichen Vorschriften über die Strafzumessung noch mit den verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Verständigung im Strafverfahren vereinbar.
25Sofern das Amtsgericht allein die Verhängung einer (bewährungsfähigen) Freiheitsstrafe für tat- und schuldangemessenen und seine Entscheidungsfindung trotz des informellen Gesprächs über mögliche Strafmaße verfahrensmäßig für unbedenklich gehalten hat, hätte es dies durch die Negativerklärung gem. § 273 Abs. 1 a S.3 StPO zum Ausdruck bringen müssen. Dass dies unterblieben ist, zieht im Ergebnis nach sich, dass der Rechtsmittelverzicht als unwirksam anzusehen ist.
26Das Landgericht wird nach alledem die Berufungsverhandlung durchzuführen haben.
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