Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 20 U 18/12
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Dezember 2011 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 51/11 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
3II.
4Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
5Die Klägerin hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihr auf den Versicherungsvertrag geleisteten Prämien abzüglich des ausgekehrten Rückkaufswerts gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Der Versicherungsvertrag ist auf der Grundlage des Policenmodells gemäß § 5 a Abs. 1 VVG a.F. wirksam mit Versicherungsbeginn zum 1. Juli 2004 zustande gekommen. Die Klägerin hat dem Vertragsschluss nicht binnen der vorliegend maßgebenden Frist von 14 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen widersprochen (§ 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.). Der erst mit Anwaltsschreiben vom 8. Oktober 2010 erklärte Widerspruch war verfristet.
6Nach § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.
7Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Klägerin mit dem Versicherungsschein auch die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen übersandt worden sind (GA 180). Diese waren – wie im Senatsurteil in dieser Sache vom 11. Mai 2012 näher ausgeführt – auch vollständig.
8Die Widerspruchsbelehrung, die im 1-seitigen Policenbegleitschreiben vom 24. Juni 2004 (GA 80) enthalten ist, ist formal und inhaltlich nicht zu beanstanden. Zur näheren Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in dem in dieser Sache ergangenen Urteil vom 11. Mai 2012, an denen auch nach erneuter Prüfung in vollem Umfang festgehalten wird. Der Senat hatte in jenem Urteil bereits dazu Stellung bezogen, dass die Belehrung drucktechnisch hinreichend hervorgehoben ist. Ergänzend ist anzuführen, dass § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. weder verlangt, darüber zu belehren, dass der Widerspruch ohne Angabe von Gründen erfolgen kann, noch muss über die Rechtsfolgen des Widerspruchs aufgeklärt werden.
9Das OLG Stuttgart hat zwar zu einer gleichlautenden Belehrung in einem Hinweisbeschluss vom 19. August 2014 (7 U 60/14) angedeutet („…dürfte … nicht ausreichend sein ..), dass Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Belehrung bestünden, weil die Verbraucherinformationen in der Belehrung selbst nicht erwähnt worden seien. Ob es an dieser Auffassung endgültig festgehalten hat, ist nicht vorgetragen. Der Senat bleibt dabei - und mit diesem Argumentationsansatz hat sich das OLG Stuttgart bislang nicht auseinandergesetzt -, dass mit der Formulierung „nach Überlassung der Unterlagen“ den gesetzlichen Anforderungen noch genügt wurde, weil der Versicherungsnehmer aus dem Gesamtinhalt des Policenbegleitschreibens und der mit dem Schreiben übersandten Unterlagen erkennen kann, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, um den Lauf der Widerspruchsfrist in Gang zu setzen. Daran hält der Senat weiterhin fest. Dem Senatsurteil vom 17. Oktober 2014 (20 U 110/14) liegt eine anders formulierte Belehrung zugrunde („nach Erhalt des Versicherungsscheins"); außerdem fehlte dort der zwingend notwendige Hinweis auf die Form des Widerspruchs.
10§ 5a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1 VVG a.F. verstößt nicht gegen europäisches Recht. Diese Gesetzesbestimmungen stellen sich insbesondere nicht als fehlerhafte Umsetzung der Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10. November 1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Buchstabe A der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 dar. Das Policenmodell steht auch im Einklang mit Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie (Richtlinie 90/619/EWG vom 8. November 1990) bzw. Art. 35 der die vorgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002. Das hat nunmehr der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 16. Juli 2014 – IV ZR 73/13 – (VersR 2014, 1065) entschieden, und dies entspricht auch der bisherigen ständigen Senatsrechtsprechung (zuletzt etwa Urt. v. 11. Juli 2014 - 20 U 68/14 -, Urt. v. 16. Mai 2014 - 20 U 31/14 -). Der Senat hält hieran fest und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in den vorstehend zitierten Entscheidungen.
11Der Senat ist auch nicht gehalten, die Frage der Europarechtskonformität des Policenmodells dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Dazu besteht schon deshalb keine Veranlassung, weil die Europarechtskonformität des Policenmodells außer Zweifel steht (so jetzt ausdrücklich BGH, aaO, Rz. 16; das hat auch der Senat in früheren Entscheidungen so vertreten, s. etwa Urt. v. 22. März 2013 - 20 U 178/12 -). Eine Vorlagepflicht scheidet darüber hinaus jedenfalls deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen unvereinbar ist, nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. dazu auch BVerfG, WM 2014, 647, Rz. 48 f.)
12Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es einem Versicherungsnehmer, der mit Überlassung der Versicherungspolice die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformationen und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. erhalten hat, auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach nationalem Recht gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (BGH, aaO, Rz. 32 ff.). Dem schließt sich der Senat an.
13Es bedarf auch keiner Vorlage an den EuGH zur Entscheidung darüber, ob das Recht zur Lösung vom Vertrag verwirkt sein kann. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht. Die generellen Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt. Danach ist eine missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (zuletzt etwa EuGH, ZfZ 2014, 100, Rn. 29). Rechtsmissbräuchliches Verhalten kann sich auf der Grundlage lediglich objektiver Kriterien ergeben, soweit die mit der einschlägigen Bestimmung verfolgten Zwecke beachtet werden (so insbes. EuGH, Slg. 2000, I-1705, Rz. 34). Wenn – wie vorliegend – der Versicherungsnehmer über sein Vertragslösungsrecht vor Wirksamwerden des Vertrags ordnungsgemäß belehrt wird und er die notwendigen Vertragsunterlagen rechtzeitig erhalten hat, dann sind die mit der Dritten Richtlinie Lebensversicherung angestrebten Ziele erreicht worden (s. BGH, aaO, Rz. 42). Demgemäß ist es treuwidrig, wenn sich der solchermaßen belehrte und informierte Versiche-rungsnehmer unter Berufung auf ein (unterstelltes) gemeinschaftswidriges Zustandekommen des Vertrags von diesem nach Jahren wieder lösen will. Er würde sich dadurch gegenüber den vertragstreuen Versicherungsnehmern einen objektiv widerrechtlichen Vorteil verschaffen.
14Die Treuwidrigkeit des Verhaltens der Klägerin ergibt sich vorliegend daraus, dass sie den Vertrag bis zur Widerspruchserklärung mehr als 6 Jahre lang durch Zahlung der Prämien durchgeführt und dadurch bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrags begründet hat.
15Der Klägerin steht auch kein auf Rückgängigmachung des Vertrags gerichteter Schadensersatzanspruch wegen unzureichender Aufklärung über die Folgen einer Kündigung (Rückkaufswert) bzw. über die Verrechnung von Abschluss- und Verwaltungskosten zu. Die Beklagte erfüllt ihre insoweit bestehenden Aufklärungspflichten mithilfe der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen, deren Übergabe mit Übersendung der Police vorliegend nicht im Streit steht. Folge einer etwaigen Intransparenz der Bedingungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Anspruch auf Erstattung eines Mindestrückkaufswerts, der bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung der Hälfte des ungezillmerten Fondsguthabens entspricht (BGH, VersR 2007, 1547). Zu einem solchen Anspruch fehlt indes jeder Vortrag; insbesondere ist nicht dargetan, dass der tatsächlich ausgekehrte Rückkaufswert geringer ist als ein etwa bestehender Anspruch auf einen Mindestrückkaufswert.
16Auf einen Schadensersatzanspruch wegen unterlassener Aufklärung über Rückvergütungen („Kick-back“) stützt sich die Klägerin im Berufungsrechtszug nicht mehr. Hierzu hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Übrigen zwischenzeitlich auch entschieden, dass die Kick-back-Rechtsprechung nur für eine Kapitalanlageberatung durch eine Bank gilt (Urt. v. 3. September 2014 ‑ IV ZR 145/12, Rz. 10 a.E.).
17Auf ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB (unterjährige Zahlung als entgeltlicher Zahlungsaufschub) hat sich die Klägerin erstinstanzlich nicht berufen. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu gehen daher ins Leere. Soweit die Klägerin sich in der Berufung nunmehr auf ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB stützen will, handelt es sich - wie bereits im Senatsurteil vom 11. Mai 2012 ausgeführt - um neues Vorbringen, das nicht berücksichtigungsfähig ist (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Der Bundesgerichtshof hat inzwischen auch entschieden, dass die vertraglich vereinbarte unterjährige Zahlung von Versicherungsprämien keine Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs darstellt (BGHZ 196, 150).
18Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
19Zur Zulassung der Revision besteht nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2014 keine Veranlassung mehr. Auch im Übrigen stellen sich keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
20Berufungsstreitwert: 7.649,59 €
21(zur Streitwertberechnung s. Senatsbeschl. v. 28. Januar 2015 - 20 W 72/14 -)
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