Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 1 RBs 219/15
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Betroffene ist Inhaber einer Reisegewerbekarte u.a. für das Feilbieten von Imbisswaren und betreibt einen Getränke- und Crepeverkaufsstand in L. Bei einer Überprüfung am 18. August 2013 wurde B angetroffen, welcher dort als Verkäufer beschäftigt war. Meldungen gem. § 28 a SGB IV an die Träger der Sozialversicherung hatte der Betroffene für seinen Arbeitnehmer nicht abgegeben.
4Am 30. Juni 2014 erließ das Hauptzollamt Köln in dem Verfahren EV 1859/14 – F 110103 einen Bußgeldbescheid über 100 € gegen den Betroffenen wegen eines leichtfertigen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur sog. „Sofortmeldung“ (§§ 111 Abs. 1 Nr. 2, 28 a Abs. 4 S. 1 SGB IV). Dieser wurde rechtskräftig.
5Nach Einstellung von Ermittlungen gem. § 153 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt verhängte die Verwaltungsbehörde gegen den Betroffenen in dem weiteren Verfahren EV 1860/14 – E 120601 mit Bußgeldbescheid vom 26. August 2014 eine Geldbuße in Höhe von 750 € wegen eines leichtfertigen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur sog. „Regelmeldung“ (§§ 111 Abs. 1 Nr. 2, 28 a Abs. 1 SGB IV). Hiergegen legte der Betroffene Einspruch ein.
6Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 14. Januar 2015 wegen der letztgenannten Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt.
7Hiergegen richtet sich seine – mit Beschluss des Einzelrichters vom 11. August 2015 zugelassene und gem. § 80 a Abs. 3 OWiG auf den Senat übertragene – Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, in erster Linie aber geltend macht, durch den Bußgeldbescheid vom 30. Juni 2014 sei vorliegend die Strafklage wegen des Verstoßes gegen in § 28 a SGB IV statuierten Meldepflichten insgesamt verbraucht worden. Demzufolge stehe dieser Bescheid einer weiteren Ahndung der Tat unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Pflicht zur sog. „Regelmeldung“ entgegen.
8II.
9Die nach ihrer Zulassung statthafte Rechtsbeschwerde begegnet auch hinsichtlich ihrer sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. Sie hat in der Sache (vorläufigen) Erfolg, indem sie gemäß §§ 353 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
101.
11Die Entscheidung des Amtsgerichts kann keinen Bestand haben, weil die in ordnungsgemäßer Weise erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO greift.
12Die Rüge ist (nur) zulässig mit der Behauptung, der Beweisstoff sei außerhalb der Hauptverhandlung gewonnen worden, wenn ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme des Tatrichters der Nachweis geführt werden kann, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung benutzten Beweismittel und auch sonst nicht aus den zum Inbegriff der Verhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden sind (vgl. SenE v. 29.07.2003 - Ss 277/03 -; SenE v. 18.11.2004 - 8 Ss-OWi 64-65/04 -).
13Vorliegend hat das Amtsgericht seine Überzeugung auf die „in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden“ sowie auf die - nicht näher mitgeteilten - Bekundungen des Zeugen H gestützt. Die Angaben des Zeugen „sowie die weiteren Beweismittel“ seien vom Betroffenen „nicht angezweifelt worden“. Ausweislich des Sitzungsniederschrift sind indes keine Urkunden verlesen worden. Angesichts dessen vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen außerhalb der Hauptverhandlung gewonnen worden sind. Angesichts der erfolgreichen Verfahrensrüge bedarf es eines Eingehens auf die weiter erhobene Sachrüge nicht.
142.
15Eine Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses des Strafklageverbrauchs (§ 84 Abs. 1 OWiG) ist nicht veranlasst. Der wegen des Verstoßes des Betroffenen gegen § 28 a Abs. 4 SGB IV rechtskräftige Bußgeldbescheid vom 30. Juni 2014 hindert vorliegend nicht die Ahndung der Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung des § 28 a Abs. 1 SGB IV.
16a)
17Verstöße gegen die Verpflichtung zur Regelmeldung einerseits und Sofortmeldung andererseits stehen bereits in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht im Verhältnis der Tateinheit zueinander, sondern stellen jeweils selbstständige Handlungen dar. Darauf deutet bereits die § 28 Abs. 4 S. S. 4 SGB IV zu entnehmende gesetzgeberische Grundentscheidung hin, dass eine Sofortmeldung nicht als Meldung gem. Abs. 1 Nr. 1 gilt. Dies ergibt sich weiter aus folgenden Erwägungen:
18Die genannten Regelungen begründen für den jeweils Meldepflichtigen konkrete Handlungspflichten. Ihre Verletzung stellt sich somit jeweils als echtes Unterlassungsdelikt dar. Das Unterlassen mehrerer gesetzlich gebotener Handlungen bildet eine Handlungseinheit aber nur dann, wenn die vom Täter geforderten Handlungen dem gleichen Zweck dienen, also identisch sind. Werden dagegen unabhängig voneinander verschiedene Handlungen verlangt, so liegen im Fall des Unterlassens rechtlich mehrere Handlungen vor (Göhler-Gürtler, OWiG, 16. Aufl., Vor § 19 Rdnr. 8 m.w.N.; Sternberg-Liebe/Bosch in: Schönke-Schröder, StGB, 29. Aufl., Vor § 52 Rdnr. 28 aE m.w.N.). Letzteres ist der Fall: Gemeinsam ist den (Ordnungs-)Vorschriften zwar der Regelungszweck der Durchführung eines einheitlichen Meldeverfahrens, um die Träger der Sozialversicherung von der Existenz versicherungspflichtiger Tätigkeiten in Kenntnis zu setzen sowie den Informationsaustausch untereinander und mit der Bundesagentur für Arbeit sicher zu stellen (Pietrek: in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV 2. Aufl., § 28 a SGB IV Rdnr. 64). Sie differenzieren aber nach den Meldeinhalten, den Mitteilungsempfängern sowie den Rechtsfolgen. Die mitteilungspflichtigen Daten für die Regelmeldung nach § 28 a Abs. 1 SGB IV ergeben sich aus Abs. 3 der Vorschrift. Sie sind umfassender als diejenigen des Abs. 4 und haben gegenüber der Einzugsstelle zu erfolgen. Erst auf ihrer Grundlage werden sozialversicherungspflichtige Leistungen erhoben. Die Meldung nach § 28 Abs. 4 SGB IV betrifft dagegen lediglich bestimmte, erfahrungsgemäß von Schwarzarbeit besonders betroffene Wirtschaftszweige und dient der (Erst-)Erfassung der Beschäftigungsverhältnisses. Sie hat gem. § 6 der Datenerfassungs- und Mitteilungsverordnung (DEÜV) gegenüber der Datenstelle der Träger der Rentenversicherung zu erfolgen, damit der Eintrag in die dortige Stammsatzdatei erfolgen kann.
19Entgegen der Auffassung der Verteidigung überschneiden sich die Meldepflichten auch in zeitlicher Hinsicht nicht. Gem. § 6 DEÜV ist der Beginn einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (erst) mit der ersten folgenden Lohn- und Gehaltsabrechnung, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach ihrem Beginn, zu melden ist. Die Sofortmeldung hat gem. § 7 DEÜV indes spätestens bei Beschäftigungsaufnahme zu erfolgen. Wird sie nicht abgegeben, ist der Tatbestand der Ordnungswidrigkeit nach Abs. § 28 a Abs. 4 SGB IV bereits verwirklicht, bevor die Handlungspflicht nach Abs. 1 greift.
20b)
21In verfahrensrechtlicher Sicht besteht kein Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Materiell-rechtliche selbstständige Handlungen stellen in aller Regel – so auch hier – unterschiedliche Taten im verfahrensrechtlichen Sinne dar.
22Es liegt im Ermessen der Bußgeldbehörde, ob sie Verstöße gegen unterschiedliche Meldepflichten in jeweils eigenständigen Verfahren verfolgt oder in ein und demselben (dann ggfls. gem. § 20 OWiG mit der Folge der Verhängung mehrerer Geldbußen). Wird gegen den Meldepflichtigen zunächst nur wegen eines Verstoßes gegen die Sofortmeldepflicht ermittelt, kann er nicht berechtigterweise darauf vertrauen, mit einem darauf gestützten Bußgeldbescheid habe es sein Bewenden. Aufgrund der schriftlichen Anhörung vom 27. Mai 2014 war dem Betroffenen klar, dass es in dem Verfahren EV 1859/14 – F 110103 (zunächst nur) um den Verstoß gegen die Pflicht zur Sofortmeldung ging. Bereits unter dem 23. Mai 2014 war ihm in dem Parallelverfahren der Verdacht des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt mitgeteilt worden. Der Wille der Behörde, die unterschiedlichen Sachverhalte auch gesondert zu verfolgen, ist somit unmissverständlich zum Ausdruck gelangt. Dies gilt bei verständiger Würdigung auch für den Bußgeldbescheid vom 26. August 2014, wenngleich dort aus Gründen der Klarheit eine Vermischung der Tatbestände des § 28 a Abs. 1 und 4 SGB IV vermieden werden sollte.
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