Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 1 RVs 209/15
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
1
Gründe
2I.
3Das Amtsgericht Köln hat den Angeklagten am 9. Februar 2015 wegen „gemeinschaftlichen Diebstahls“ zu der Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete – auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Berufung hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung verworfen.
4Nach den getroffenen Feststellungen fassten der Angeklagte, der Mitangeklagte D und ein weiterer Mittäter am 14. Dezember 2014 den Entschluss, am L Hauptbahnhof Reisenden Stehlenswertes zu entwenden. Zu diesem Zweck beschmutzte der unbekannt gebliebene Mittäter den Geschädigten absichtlich an der Kleidung, während der Angeklagte „Schmiere stand“. Unter dem Vorwand, diesem bei der Reinigung der Jacke behilflich zu sein führten der Mitangeklagte D und der unbekannte Dritte den Geschädigten in ein nahe gelegenes Café. Dem so Abgelenkten entwendete der Angeklagte dessen Rucksack nebst Inhalt.
5Die Revision des Angeklagten rügt (allgemein) die Verletzung sachlichen Rechts.
6II.
7Das Rechtsmittel hat insofern (vorläufigen) Erfolg, als es gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht führt.
81.
9Die eindeutig erklärte Beschränkung der Berufung ist – was der Senat von Amts wegen zu überprüfen hat (st. Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt SenE v. 02.04.2013 - III-1 RVs 57/13) – wirksam. Die amtsgerichtlichen Feststellungen lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat erkennen und bilden damit eine genügend sichere Grundlage für die Bemessung der Rechtsfolgen. Von diesen zum Nachteil des Angeklagten abweichende Feststellungen (dazu vgl. SenE v. 01.08.2014 - III-1 RVs 130/14 -; SenE v. 10.10.2014 - III-1 RVs 184/14 -) hat das Tatgericht nicht getroffen. Der Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen sind damit in Rechtskraft erwachsen.
102.
11Indessen kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Die Berufungsstrafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des § 243 StGB entnommen und zur Begründung ihrer Strafrahmenwahl ausgeführt:
12„Auszugehen ist für den Diebstahl zunächst vom Strafrahmen des § 242 Abs. 1 StGB, der Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Mit dem Amtsgericht ist die Strafe allerdings aus dem Strafrahmen des §§ 243 Abs. 1 S. 1 StGB zu entnehmen, der für besonders schwere Fälle des Diebstahls Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht. Ob man dabei – mit dem Amtsgericht – auf das benannte Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit im Sinne von § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StGB abzustellen hat, was allerdings den Nachweis voraussetzt, dass der Täter in der Absicht handelt, sich selbst aus wiederholten Diebstählen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen, kann die Kammer dabei offen lassen. Denn jedenfalls begründet hier die Gewohnheitsmäßig galt der Tat unter Gesamtwürdigung aller tat- und täterbezogenen Umstände einen besonders schweren Fall im Sinne von § 243 Abs. 1 S. 1 StGB (vgl. dazu Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 243 Rn. 18; Schönke/Schröder/Bosch/Eser, StGB, 29 Aufl. 2014, § 243 Rn. 31). Unter Berücksichtigung des oben dargestellten Beweisergebnisses, der Tatsache, dass beide Angeklagte wiederholt einschlägig in Erscheinung getreten sind und die Tat absolut koordiniert, planvoll und unter Zuhilfenahme technischer Kommunikationsmittel „professionell“ ausgeführt haben, lässt – auch mit Blick auf die angewandte Methode des so genannten „Beschmutzungs-Tricks“ - wenn nicht schon auf Gewerbsmäßigkeit so doch aber jedenfalls unzweifelhaft auf ein im Ergebnis gleichgewichtiges gewohnheitsmäßiges Vorgehen schließen. Die Schuld der Angeklagten hebt sich hiernach nicht so deutlich von den Regelfällen des § 243 Abs. 1 S. 2 StGB ab, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint (…).“
13Das begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14Es ist Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht bestimmte Strafzumessungsfaktoren oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320). All dies gilt namentlich auch für die Strafrahmenwahl (BGH HRR 2009 Nr. 498; BGH NStZ 2009, 444; SenE v. 16.07.2013 - III-1 RVs 92/13 -; SenE v. 06.03.2015 - III-1 RVs 21/15 -; vgl. a. SenE v. 15.02.2013 - III-1 RVs 8/13).
15Davon ausgehend ist dem Tatgericht im rechtlichen Ansatz zunächst darin beizupflichten, dass der in § 243 Abs. 1 S. 2 StGB verwendeten Regelbeispieltechnik eine (begrenzte) Analogiewirkung beikommt. Ist der konkrete Fall einem Regelbeispiel ähnlich und weicht nur in Merkmalen ab, die nicht zu einer deutlichen Verringerung von Unrecht und Schuld führen, so liegt es nahe, einen unbenannten besonders schweren Fall anzunehmen (Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 46 Rz. 93; LK-StGB-Theune, 12. Auflage 2006, § 46 Rz. 303 f.; vgl. a. Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 29. Auflage 2014, vor §§ 38 ff. Rz. 50). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof es für möglich erachtet, dass gewohnheitsmäßiges Handeln zur Annahme eines (sonstigen) besonders schweren Falles des Diebstahls führt (BGH Urt. v. 27.09.1983 – 1 StR 290/83; B. v. 21.12.1993 – 1 StR 782/93 – Juris; ebenso in der Literatur über die bereits vom Landgericht zitierten Fundstellen hinaus Fischer, a.a.O., § 46 Rz. 89; LK-StGB-Vogel a.a.O., § 243 Rz. 68).
16Der früher verbreiteter – etwa in § 260 StGB a.F. aber auch in § 180 StGB a.F. - verwendete Begriff der Gewohnheitsmäßigkeit findet sich als strafschärfendes Merkmal im Kernstrafrecht heute nur noch bei der Jagdwilderei (§ 292 Abs. 2 StGB). Er wird allgemein als durch Übung, insbesondere wiederholte Tatbegehung erworbener, eingewurzelter und selbständig fortwirkender Hang verstanden (grundlegend BGHSt 15, 377; s. weiter RGSt 59, 142; BayObLG MDR 1962, 325; Fischer, a.a.O., vor § 52 Rz. 63; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, a.a.O. vor §§ 52 ff. Rz. 98-101; LK-StGB-Rissing-van Saan, a.a.O., vor 52 Rz. 80; LK-StGB-Schünemann, a.a.O., § 292 Rz. 88; MK-StGB-Zeng, 2. Auflage 2014, § 292 Rz. 55; Schönke/Schröder-Heine/Hecker, a.a.O., § 292 Rz. 24; SK-StGB-Hoyer, § 292 Rz. 27), als psychischer Zustand, der gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der Täter sich seiner beim Handeln nicht bewusst ist und der sich im täglichen Leben in den Fällen äußert, in denen ein Handeln auch dann noch wiederholt wird, wenn sich die dieses Handeln rechtfertigenden Umstände längst geändert haben (BGH a.a.O.). Die mehrfache Tatbegehung (mindestens zwei - vgl. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, a.a.O.; SK-StGB-Hoyer a.a.O.; Lackner/Kühl, StGB 28. Auflage 2014, Vor § 52 Rz. 20 aE) ist daher notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung gewohnheitsmäßigen Handelns.
17Gemessen hieran genügen die tatrichterliche Feststellungen zur Bejahung der Gewohnheitsmäßigkeit nicht, da sie letztlich nicht mehr belegen als die zuvorige mehrfache Tatbegehung, wenn auch der Angeklagte ausweislich der zu seinen Vorbelastungen getroffenen Feststellungen in der Vergangenheit bereits zweimal Diebstahlstaten gemeinsam mit Mittätern begangen hat, bei welchen das Tatopfer zuvor – in einem Fall durch Beschmutzung seiner Kleidung - abgelenkt wurde. Dieser Umstand lässt aber einen sicheren Schluss darauf, dass der Angeklagte einen im vorbezeichneten Sinne eingewurzelten, selbständig fortwirkenden Hang zur Begehung von Diebstählen entwickelt hätte, eben so wenig zu wie die angesprochene „koordinierte und planvolle“ – letztlich die Mittäterschaft kennzeichnende arbeitsteilige – Vorgehensweise der Angeklagten.
18Nicht ausgeschlossen werden kann indessen, dass in einer erneuten Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 StGB zu belegen geeignet sind.
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