Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 16 UF 25/03 - 302 F 151/02

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Rechtspflegers des Amtsgerichts - Familiengericht - Heidelberg vom 30. Dezember 2002 (302 F 151/02) aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft L. - W. - auf Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind C. S. zurückgewiesen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Beschwerdewert wird auf 1.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I. Die Staatsanwaltschaft L. - W. -, die gegen den Großvater des Kindes C. S. wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gem. § 174 StGB ermittelt, hat am 21. Februar 2002 beantragt, gem. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB einen Ergänzungspfleger zu bestellen für das Kind für folgende Aufgabengebiete: Anhörung des Kindes, Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Entbindung der behandelnden Ärzte und Therapeuten von der Schweigepflicht sowie Entscheidung und Zustimmung über eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung.
Die Mutter des Kindes C., die seit Sommer 2001 von ihrem Ehemann und Vater des Kindes getrennt lebt, hat in den Verfahren auf Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes (31 F 142/01 AG Heidelberg) und Regelung des Umgangs (31 F 157/01 AG Heidelberg) den Vorwurf erhoben, es habe sich ca. Ende des Jahres 2000 ein Übergriff auf das Kind durch den Großvater väterlicherseits ereignet. Nachdem beide Eltern, die nach wie vor die elterliche Sorge für C. gemeinsam ausüben, einen sexuellen Übergriff des Großvaters nicht ausschließen konnten, haben sie einverständlich jeglichen Kontakt zu den Großeltern väterlicherseits seither unterbunden. Darüber hinaus haben sie das Kind durch Dipl.-Psychologin A. S. begutachten lassen, bei der sich C. nach wie vor in Spieltherapie befindet. Beide Eltern haben diese Therapeutin von ihrer Schweigepflicht entbunden. Sie sind übereinstimmend im Interesse des Kindes nicht bereit, dieses als Zeugin anhören zu lassen.
Der Rechtspfleger des Familiengerichts Heidelberg hat mit Beschluss vom 30. Dezember 2002 den Eltern die elterliche Sorge hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft beantragten Aufgabenkreise entzogen und eine Ergänzungspflegschaft angeordnet. Er ist davon ausgegangen, dass der Vater sich in einem Loyalitätskonflikt befindet als einerseits Vater des Kindes und andererseits Sohn des beschuldigten Großvaters. Ebenso stehe das Interesse des geschädigten Kindes gegen dasjenige des Ehemannes der Mutter, der somit ebenso die elterliche Sorge teilweise zu entziehen war.
Hiergegen wendet sich der Vater, da es keinen Interessenskonflikt gebe und beide Eltern allein aus Gründen des Schutzes ihrer Tochter einer Zeugenvernehmung widersprechen würden.
Die Staatsanwaltschaft verteidigt die familiengerichtliche Entscheidung, da sich die Mutter von C. zunächst erst für, dann gegen die Vernehmung des Kindes entschieden habe.
Das Jugendamt hält die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft für geeignet, unabhängig von dem Interessenskonflikt der Eltern zum Wohl von C. zu entscheiden.
Die Mutter hat sich fristgerecht nicht geäußert.
II. Die nach § 621 e ZPO zulässige Beschwerde ist begründet, da zu erwarten ist, dass die Sorgerechtsinhaber im Interesse des Kindes handeln werden.
Gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB kann das Familiengericht den Eltern die Vertretung des Kindes für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen. Die Entziehung soll nach § 1796 Abs. 2 BGB jedoch nur erfolgen, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse der Eltern oder einer der in § 1795 Nr. 1 BGB bezeichneten Personen (einem Verwandten in gerader Linie), also auch des hier beschuldigten Großvaters in erheblichem Gegensatze steht. Eine teilweise Entziehung der Vertretungsmacht der Eltern durch Bestellung eines dann erforderlichen Ergänzungspflegers (§ 1909 Abs. 1 S. 1 BGB) darf allerdings nur erfolgen, wenn aufgrund der im konkreten Einzelfall festgestellten Umstände die von den Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes im Strafverfahren gegen dessen Großvater wahrgenommenen Interessen des Kindes zu den Interessen der Eltern oder des Großvaters in einem erheblichen Gegensatz stehen. Ein erheblicher Interessengegensatz liegt vor, wenn das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen können (Verfahrenshandbuch/Schael, VI Rn. 156; MünchKomm/Huber, § 1629 BGB Rn. 68). Der äußerlich nur bei einem Elternteil vorhandene Interessengegensatz kann wegen gleichgelagerten eigenen Interesses auch zur Entziehung der Vertretung beim anderen Elternteil führen (OLG Köln, FamRZ 2001, 430; Palandt/Diederichsen, 62. Aufl., § 1629 BGB Rn. 24 und § 1796 Rn. 2).
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Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob konkret bejaht werden kann, dass ein Interessengegensatz durch die Interessen des Vaters selbst oder durch die des Großvaters, die er sich zu eigen machen könnte, entsteht. Denn wie bei allen Eingriffen in das Elternrecht hat das Familiengericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu wahren, so dass von einer Entziehung der Vertretungsmacht abzusehen ist, wenn trotz des konkret festgestellten oder erkennbaren Interessenwiderstreits zu erwarten ist, dass die Sorgerechtsinhaber dennoch im Interesse ihres Kindes handeln werden (OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 831; Verfahrenshandbuch/Schael, a.a.O.; Staudinger/Peschel-Gutzeit, § 1629 BGB Rn. 284, 285). Bei der Entscheidung des Familiengerichts über die Entziehung ist auch der Gesichtspunkt des Familienfriedens zu berücksichtigen (MünchKomm/Huber, a.a.O., Rn. 68, Palandt/Diederichsen, a.a.O., Rn. 24).
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Vorliegend erwartet der Senat eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung der Eltern im Strafverfahren gegen den Großvater väterlicherseits. Die Eltern haben übereinstimmend ihrer Tochter psychologische Hilfe angedeihen lassen. Sie haben auch übereinstimmend die Kindertherapeutin von der Schweigepflicht gegenüber der Staatsanwaltschaft entbunden. Schließlich sind von den weiteren Beteiligten keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, dass die Eltern trotz der möglichen Interessenkollisionen nicht zu einer Entscheidungsfindung in der Lage wären, die sich an dem Kindesinteresse orientiert. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, die Vertretung der Eltern einzuschränken.
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Die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei, da davon ausgegangen werden kann, dass sie im Interesse des Kindes eingelegt worden ist, § 131 Abs. 3 KostO. Im Übrigen folgt die Regelung der Kosten aus § 13 a FGG.
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Der Beschwerdewert wurde abweichend vom Regelwert gem. §§ 31 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 S. 1 und Abs. 2 KostO festgesetzt.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 621 e Abs. 2 ZPO.

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