Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 383/04

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts X. vom 22. September 2004 aufgehoben.

2. Die Vollstreckung der restlichen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts X. vom 01. April 2003 wird zum 01. März 2005 zur Bewährung ausgesetzt.

3. Der Verurteilte ist am 01. März 2005 aus der Haft zu entlassen.

4. a. Die Bewährungszeit wird auf drei Jahre festgesetzt.

b. Für deren Dauer wird der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des für seinen künftigen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

c) Dem Verurteilten wird auferlegt, weiterhin und auch nach seiner Entlassung seiner Arbeitstätigkeit bei der Firma R. in A. nachzugehen, unter der Anschrift in U. Wohnsitz zu nehmen und jeden Wechsel dem Landgericht X. und seinem Bewährungshelfer mitzuteilen.

5. Die mündliche Belehrung des Verurteilten über die Aussetzung des Strafrestes nach § 454 Abs. 4 StPO wird der Justizvollzugsanstalt V. übertragen, die gebeten wird, die Niederschrift der Belehrung zu den Gerichtsakten zu übersenden.

6. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
Der Strafgefangene Z. wurde durch Urteil des Landgerichts X. vom 01.04.2003 wegen Betruges in 60 Fällen unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts X vom 25.09.2002 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, weil er als verantwortlicher Inhaber einer in U. ansässigen Firmengruppe in einer Vielzahl von Fällen Kunden um eingezahlte Kautionen bzw. vorausbezahlten Kaufpreisleistungen in Höhe von mehr als einer Million DM betrogen hatte, indem er unter anderem in Zeitungsanzeigen in Wirklichkeit nicht vorhandene Waren zum Kauf angeboten hatte. Er befindet sich seit 26.07.2001 in Haft. Die Hälfte der Strafe war am 24.10.2004 verbüßt; der Zweidrittelzeitpunkt ist auf den 23.11.2005 notiert.
Mit Beschluss vom 22.09.2004 hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte auszusetzen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II.
Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtliche Erfolg.
Der Senat hat die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bejaht und den Entlasszeitpunkt auf den 01.03.2005 festgesetzt
Nach dieser Vorschrift kann schon nach Verbüßung der Hälfte einer Freiheitsstrafe die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn die Gesamtwürdigung von Tat(en), Persönlichkeit des Verurteilten und dessen Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen, die eine mildere Beurteilung zulassen. Durchschnittliche oder einfache Strafmilderungsgründe rechtfertigen eine ausnahmsweise Aussetzung der Vollstreckung noch nicht. Es muss sich vielmehr um mildernde Umstände handeln, die von besonderem Gewicht sind und dem Fall im Rahmen der abwägenden Gesamtschau zugunsten des Täters eine besondere Prägung geben. Die Umstände müssen die Tat, ihre Auswirkungen bzw. die Entwicklung der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt vergleichbarer Fallgestaltungen so deutlich abheben und in einem so milden Licht erscheinen lassen, dass eine Strafaussetzung ohne Gefährdung der allgemeinen Interessen verantwortet werden kann (vgl. hierzu Senat Die Justiz 1987, 386; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage 2004, § 57 Rn. 16).
Allerdings spricht das Tatbild vorliegend zunächst gegen eine solche Wertung. Bei den Straftaten des Verurteilten handelt es sich nicht um Bagatellen, sondern er hat in ganz erheblichem Umfang Betrugsstraftaten auch zum Nachteil einer Vielzahl von Kleinkunden begangen, wobei er - worauf die Strafvollstreckungskammer zu Recht hingewiesen hat - planmäßig und mit erheblicher krimineller Energie vorgegangen ist. Allein die Schwere der Straftat steht jedoch einer Halbstrafenaussetzung nicht grundsätzlich entgegen, da der Gesetzgeber - entgegen der sog. Erstverbüßerregelung in § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB - in § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB gerade keine zeitliche Obergrenze für zeitige Freiheitsstrafen normiert hat (OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 323 f.; LK-Gribbohm, 11. Auflage 1992, § 57 Rn. 45). Solche aus der Tatschwere resultierenden Gesichtspunkte werden im Regelfalle aber im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB entgegenstehen und die Anordnung der Haftfortdauer auch aus Gründen der Verteidigung der Rechtsordnung gebieten (KG Beschluss vom 04.10.2000, 5 Ws 674/00; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 57 Rn. 29), auch wenn der Verurteilte - wie hier - vor der Tat nicht vorbestraft war, in der Hauptverhandlung ein Geständnis abgelegt hat und sich erstmals in Haft befindet.
Eine hiervon abweichende Beurteilung kann sich allerdings dann ergeben, wenn beim Verurteilten während des Strafvollzuges eine nachhaltige Entwicklung seiner Persönlichkeit eingetreten ist und sich hieraus eine günstige Sozial- und Kriminalprognose ergibt. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass in der Person liegenden Umständen im Einzelfall eine maßgebliche Bedeutung bei der gebotenen Gesamtschau beigemessen werden kann (OLG Zweibrücken MDR 1979, 600; OLG Hamburg StV 1983, 114; OLG Stuttgart StV 1983, 115; Tröndle, a.a.O.).
Zu diesen Gesichtspunkten gehört insbesondere auch die Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug, denn dieser dient vornehmlich der Resozialisierung und Wiedereingliederung des straffällig Gewordenen (§ 2 Satz 1 StVollzG; BVerfGE 45, 187 ff., 239; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 7. Auflage 1998, § 2 Rn. 6). Setzt sich ein Verurteilter etwa während der Haft mit dem von ihm begangenen Unrecht nachhaltig auseinander, distanziert er sich hiervon und zeigt durch sein Gesamtverhalten glaubwürdig Einsicht und Reue, so kommt dem besondere Bedeutung bei (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.01.2000, 3 Ws 256/99; OLG Celle NStZ 1986, 573 f.; LK - Gribbohm a.a.O.).
Auch stellt es einen besonders gewichtigen Umstand dar, wenn dem Verurteilten während seiner Inhaftierung Lockerungen gewährt werden und er diese über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei absolviert. Eine solche Entwicklung kann zusammen mit anderen günstigen Umständen ein derartiges Gewicht erlangen, dass sie die Gesamtwürdigung wesentlich beeinflusst und insgesamt zur Annahme besonderer Umstände i.S.d. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB führt (Senat, Beschluss vom 17.12.2002, 1 Ws 387/02).
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So liegt der Fall hier. Der Verurteilte, dem von der Strafvollstreckungskammer als Erstverbüßer zu Recht eine günstige Sozialprognose bescheinigt wurde, befindet sich seit 24.05.2004 als Freigänger in der Justizvollzugsanstalt V. und ist bei der Firma R. als Disponent beschäftigt. Dort ist er sowohl für die Tourenplanung als auch die Fahrereinteilung verantwortlich. Sein Vollzugsverhalten war nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt V. auch im Übrigen beanstandungsfrei. Auch die Entlassbedingungen sind günstig. So kann der Verurteilte seine Arbeitsstelle behalten und erhält von der Firma eine Wohnung zur Verfügung gestellt.
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Wegen des früheren häufigen Berufswechsels des Verurteilten und einer hierin zum Ausdruck kommenden Unstetigkeit hat es der Senat aber für geboten erachtet, die weitere Entwicklung des Verurteilten an seiner Arbeitsstelle noch abzuwarten und hat unter Anwendung des § 454 a Abs. 1 StPO den Entlasszeitpunkt auf den 01.03.2005 bestimmt.
12 
Der Verurteilte wird darauf hingewiesen, dass er mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung rechnen muss, wenn er erneut Straftaten begeht oder gröblich oder beharrlich gegen die ihm erteilten Weisungen verstößt und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird.
II.
13 
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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