Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 AK 3/06

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten nach Polen zur Strafverfolgung gemäß dem Auslieferungsersuchen der polnischen Justizbehörden vom 07. März 2006 wird für zulässig erklärt.

Der Antrag auf Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls vom 10. März 2006 wird zurückgewiesen. Die Auslieferungshaft hat fortzudauern.

Gründe

 
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, die Auslieferung für zulässig zu erklären, war zu entsprechen.
I.
Dem Verfolgten, einem polnischen Staatsangehörigen, wird in der Anordnung über die vorläufige Haft des Amtsgerichts P./Polen vom 13.08.2003 vorgeworfen, in der Zeit von Juni 1998 bis 11.09.1998 in leitender Funktion von K./Polen aus, in der Türkei 30 Pakete Heroin im Gesamtgewicht von 14,731 Kilogramm erworben und dieses über Bulgarien, Rumänien und die Ukraine nach Polen eingeführt zu haben. Außerdem habe er am 29.10.1998 in der Türkei weitere 9, 5 Kilogramm Heroin zum späteren Transit erworben.
Der Verfolgte hat gegen seine Auslieferung Einwendungen erhoben und vor allem das Vorliegen von Strafklageverbrauch geltend gemacht, weil er wegen der ihm vorgeworfenen Taten bereits in der Türkei zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden sei, wovon er etwa vier Jahre verbüßt habe. Außerdem beanstandet er eine Verletzung der EMRK und hält die Haftgrundlage nicht für wirksam.
II.
Der Senat nimmt zunächst auf die fortgeltenden Gründe seines Beschlusses vom 10.03.2006 Bezug. Nach abschließender Beurteilung ist die Auslieferung des Verfolgten nach Polen gemäß des mit Note vom 07.03.2006 übermittelten Auslieferungsersuchens des polnischen Justizministeriums in Verbindung mit dem Beschluss des Amtsgerichts P./Polen vom 13.08.2003 über die Anordnung der vorläufigen Haft zulässig.
1. Entgegen der Ansicht des Rechtsbeistandes des Verfolgten stellt der angeführte Beschluss des Amtsgerichts P./Polen eine wirksame und formell ausreichende Haftgrundlage i.S.d. Art. 12 Abs. 2 a EuAlÜbk dar. Zwar ist in der Entscheidung ausgeführt, dass diese Vorbeugungsmaßnahme nur für einen Zeitraum von sieben Tagen ab Festnahme des Verfolgten Gültigkeit beanspruche, gemeint ist hiermit aber der Zeitraum der in Polen zu vollziehenden Untersuchungshaft und nicht einer ggf. zuvor notwendig werdenden Auslieferungshaft. Dies ergibt sich bereits aus den Normen der polnischen Strafprozessordnung (PStPO; Weigend ZfStrV 2003, 153 ff., 157). Nach Art. 249 § 1 i.V.m. Art. 258 PStGB können zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Verlaufs des Verfahrens vorbeugende Maßnahmen angeordnet werden, wobei die Anordnung der Untersuchungshaft eines Gerichtsbeschlusses bedarf (Art. 250 § 1 PStPO) und hierin der Termin zu bestimmen ist, bis zu dem die Haft andauert (Art. 251 § 2 PStPO). Diese darf im vorbereitenden Verfahren drei Monate nicht überschreiten (Art. 263 § 1 PStPO), kann jedoch im Hinblick auf besondere einen Verfahrensabschluss noch nicht zulassende Umstände auf insgesamt zwölf Monate verlängert werden (Art. 263 § 2 PStPO). Da etwa die notwendige Vernehmung des Verfolgten (Art. 175 ff. PStPO) im vorbereitenden Verfahren erst nach seiner Auslieferung möglich ist, ist der Senat der Ansicht, dass mit dem Begriff der Festnahme in Art. 265 PStPO im Auslieferungsverkehr der Tag der Überstellung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zu verstehen ist. Im übrigen liegen die formellen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2a EuAlÜbk auch deshalb vor, weil die Bezirksstaatsanwaltschaft P./Polen gegen den Verfolgten am 20.08.2003 einen „Steckbrief“ erlassen hat und dieser auch die Festnahme des Verfolgten rechtfertigt (Art. 278, 279, 243 PStGB). Darüber hinaus besteht gegen den Verfolgten auch ein Europäischer Haftbefehl des Landgerichts P./Polen vom 08.11.2005 (vgl. hierzu Senat StV 2005, 673 f.).
2. Es liegt auch kein Auslieferungshindernis nach § 73 IRG vor.
a. Der Umstand, dass der Verfolgte seinen Angaben zufolge wegen der ihm von den polnischen Justizbehörden vorgeworfenen Straftaten in der Türkei bereits abgeurteilt wurde, steht der beantragten Auslieferung nicht entgegen. Weder das EuAlÜbk noch das Zweite Zusatzprotokoll zum EuAlÜbk enthalten nämlich eine Vertragsregelung, dass eine abschließende Sachentscheidung in einem Drittstaat (hier: Türkei) der Auslieferung zum Zwecke der neuerlichen Verfolgung oder Bestrafung im ersuchenden Staat (hier: Polen) wegen derselben Tat entgegensteht (vgl. hierzu Senat StV 1997, 360 f.). Dass die polnischen Justizbehörden einen Antrag auf Übernahme der Strafverfolgung an die türkischen Justizbehörden gerichtet hätten, ist nicht ersichtlich. Eine Anwendbarkeit von Art. 54 SDÜ scheidet aus, weil die Türkei keine Vertragspartei des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19.06.1990 ist. Entgegen der Ansicht des Rechtsbeistandes des Verfolgten ergibt sich auch aus § 9 IRG kein Auslieferungshindernis, weil in der Bundesrepublik Deutschland gegen den Verfolgten wegen der ihm von den polnischen Justizbehörden vorgeworfenen Taten weder ein Urteil gesprochen noch eine sonstige qualifizierte Verfahrensbeendigung im Sinne des § 9 Nr.1 IRG erfolgt ist. Die vom Verfolgten behauptete Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens in dieser Sache durch deutsche Strafverfolgungsbehörden reicht hierfür ebenso wenig wie die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs.2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts aus (vgl. Senat NStZ 1990, 241; Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe, 3. Aufl. IRG § 9 Rdn. 13 a). Auch Verjährung ist nicht eingetreten (§ 9 Nr. 2 IRG i.V.m. §§ 30, 29 a Abs. 1 Nr.2 BtMG, 78 Abs. 3 Nr.2 StGB).
b. Auch ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK ist nicht ersichtlich. Zwar kann eine überlange Verfahrensdauer im ersuchenden Staat zu einem Auslieferungshindernis führen (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 351; StraFo 2001, 326 f.; OLG Stuttgart NStZ-RR 2005, 181 f.), ein solcher Ausnahmefall liegt jedoch nicht vor. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten datieren aus dem Jahre 1998 und liegen damit noch nicht übermäßig lange zurück. Auch war seine Auslieferung an die polnischen Justizbehörden während der Inhaftierung in der Türkei nicht möglich. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Verfolgten, dass die polnischen Justizbehörden auf die Durchsetzung ihres eigenen Strafanspruchs verzichten, vermag der Senat in Anbetracht des Gewichts des ihm zur Last gelegten Verbrechens des organisierten Rauschgifthandels nicht zu erkennen. Eine entsprechende völkerrechtlich verbindliche Erklärung liegt nicht vor. Allein der Umstand, dass die polnischen Justizbehörden während der Inhaftierung des Verfolgten in der Türkei keinen Auslieferungsantrag gestellt haben, rechtfertigt diese Annahme nicht, zumal er nach seinem eigenen Vortrag erheblich vor dem an sich vorgesehenen Endstrafentermin aus der türkischen Haft entlassen wurde und es deshalb durchaus nahe liegt, dass dieser Umstand für die Entscheidung der polnischen Justizbehörden maßgeblich war.
III.
Die Auslieferungshaft hat fortzudauern, da weiterhin zu befürchten ist, der Verfolgte werde sich der ihm drohenden Auslieferung durch Flucht zu entziehen suchen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich.

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