Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - X. vom 18. Mai 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer X. zurückverwiesen.
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| | Der deutsche Staatsangehörige F. D., der sich zuvor seit dem 22.01.2002 in Untersuchungshaft befunden hatte, wurde durch Urteil des Schwurgerichts des Departements Bas-Rhin in Strasbourg vom 14.05.2004 wegen „der Komplizenschaft beim Verbrechen des Mordes“ zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren verurteilt. Dem Verurteilten wurden in französischer Strafhaft im Zeitraum von Juni 2004 bis Januar 2008 aufgrund richterlicher Entscheidungen insgesamt 4 Jahre und 65 Tage der ursprünglichen Strafe nachgelassen. Der zunächst in Frankreich auf den 22.01.2022 notierte Endstraftermin verschob sich dadurch nach vorn auf den 19.11.2017. |
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| | Aufgrund eines Überstellungsantrages des Verurteilten vom 20.03.2007 fragte das französische Justizministerium mit Schreiben vom 30.05.2007 beim Justizministerium Baden-Württemberg an, ob die deutschen Behörden die Überstellung befürworten und sich verpflichten würden, die weitere Strafvollstreckung zu übernehmen. Nachdem beim Justizministerium Baden-Württemberg keine Bedenken gegen die Überstellung bestanden und die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Y. den Erlass einer Exequaturentscheidung beantragt hatte, erklärte die Strafvollsteckungskammer des Landgerichts K. mit Beschluss vom 20.02.2008 - rechtskräftig seit dem 12.03.2008 - die Vollstreckung der Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren aus dem französischen Urteil vom 14.05.2004 wegen Komplizenschaft beim Verbrechen des Mordes für zulässig und wandelte diese in eine Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren nach deutschem Recht um. Die in Frankreich verbüßten Zeiten der Freiheitsentziehung wurden für anrechenbar erklärt. |
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| | Mit Schreiben vom 08.05.2008 übersandte das Justizministerium Baden Württemberg, das dabei förmlich um Überstellung des Verurteilten zur weiteren Strafvollstreckung in Deutschland ersuchte, die Exequaturentscheidung des Landgerichts K. an das französische Justizministerium und erklärte, eine vorzeitige Entlassung komme gemäß § 57 StGB frühestens nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe in Betracht. Das französische Justizministerium erklärte sich in einem Schreiben an das Justizministerium Baden-Württemberg vom 06.06.2008 mit der Überstellung des Verurteilten, der aktuell am 19.11.2017 freizulassen sei, einverstanden. Am 19.06.2008 wurde der Verurteilte nach Deutschland überstellt und in die Justizvollzugsanstalt X. eingeliefert, in der er bis heute inhaftiert ist. |
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| | Mit Schreiben vom 08.07.2009 an die Staatsanwaltschaft Y. vertrat das Justizministerium Baden-Württemberg die Auffassung, die in Frankreich gewährten Strafreduzierungen seien nicht endgültig erlassen und daher für die Strafzeitberechnung unbeachtlich. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft Y. mit Verfügung vom 29.07.2009 bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts X., gemäß § 458 StPO in Verbindung mit § 42 StVollStrO darüber zu befinden, „ob die nach französischem Recht gewährten Strafreduzierungen nach deutschem Recht Beachtung finden oder ob die Strafzeitberechnung allein nach deutschem Strafaussetzungsrecht vorzunehmen“ sei. |
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| | Mit Beschluss vom 29.12.2009 - rechtskräftig seit dem 27.01.2010 - entschied die Strafvollstreckungskammer X., dass bei der Vollstreckung der hier in Rede stehenden französischen Freiheitsstrafe „die nach französischem Recht gewährten Strafreduzierungen Anwendung finden“. Die französischen Strafreduzierungen seien nach Art und Wirkung am ehesten einem Straferlass im Sinne des § 56g Abs. 1 StGB vergleichbar. Da die Strafe in Frankreich aufgrund des beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens des Verurteilten unbedingt reduziert worden sei, sei der Entlassungszeitpunkt derzeit auf den 19.11.2017 zu notieren. Bei der Festlegung dieses Zeitpunktes handele es sich um eine verbindliche französische Entscheidung und nicht bloß um eine vorläufige Strafzeitberechnung, was sich auch daraus ergebe, dass das französische Justizministerium der Überstellung nur unter der Bedingung zugestimmt habe, dass die Strafreduzierung nach französischem Recht zur Anwendung gelangt. |
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| | Das Justizministerium Baden-Württemberg vertrat danach in einem Schreiben vom 23.02.2010 an die Staatsanwaltschaft Y. die Auffassung, dass sich aus den französischen Strafreduzierungen nur ergäbe, dass der Verurteilte spätestens am 19.11.2017 zu entlassen sei. Nichts anderes habe auch die Strafvollstreckungskammer X. in ihrem Beschluss vom 29.12.2009 entschieden. Hiervon zu unterscheiden sei die allein nach deutschem Strafvollstreckungsrecht zu beurteilende Frage, ob gegebenenfalls zu einem früheren Zeitpunkt eine bedingte Entlassung in Betracht komme. Der Zweidrittelzeitpunkt müsse sich gem. § 57 Abs. 1 StGB aus der verhängten Freiheitsstrafe von 20 Jahren ergeben, so dass zwei Drittel erst am 21.05.2015 verbüßt seien. Die Staatsanwaltschaft Y., die im September 2009 und Januar 2010 jeweils von einem am 19.03.2011 erreichten Zweidrittelzeitpunkt ausgegangen war, setzte diesen nunmehr mit Verfügung vom 10.03.2010 auf den 20.05.2015 fest. |
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| | Mit Schreiben vom 21.04.2011 beantragte der Verteidiger des Verurteilten, das Verfahren zur Prüfung der Aussetzung der Reststrafe im Hinblick auf den bereits am 19.03.2011 erreichten Zweidrittelzeitpunkt durchzuführen. Mit Beschluss vom 18.05.2011 lehnte die Strafvollstreckungskammer X. den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung als unzulässig - da verfrüht - ab. Der Beschluss des Landgerichts X. vom 29.12.2009 verlege lediglich den Entlassungszeitpunkt nach vorne. Er habe keine Auswirkungen auf den Zweidritteltermin. |
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| | Gegen diese ihm am 21.05.2011 zugestellte Entscheidung legte der Verteidiger am 23.05.2011 sofortige Beschwerde beim Landgericht X. ein, die - nachdem die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe am 07.06.2011 vorgelegt worden waren - mit Schriftsätzen vom 14.07.2011 und vom 07.10.2011 näher begründet wurde. |
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| | Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde führt zu einem vorläufigen Erfolg. Jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat ist der Antrag des Verurteilten auf Aussetzung der Vollstreckung der noch verbliebenen Freiheitsstrafe zum Zweidrittelzeitpunkt nicht mehr als verfrüht anzusehen. |
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| | 1. Die Frage, ob die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Schwurgerichts des Departement Strasbourg vom 14.05.2004 zur Bewährung ausgesetzt werden kann, richtet sich nach § 57 des deutschen Strafgesetzbuches. Zwar ist die Freiheitsentziehung aufgrund eines Übernahmeersuchens durch Vollzug der Exequaturentscheidung nur der Form nach Strafvollstreckung, ihrem Wesen entsprechend jedoch Rechtshilfe (vgl. OLG Köln NStZ 2008, 641, 642). Gleichwohl gelten für die Aussetzung des Strafrestes, wenn die deutsche Vollstreckungsbehörde - wie hier - nach der Bewilligung der Rechtshilfe die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Maßnahme aus einem ausländischen Urteil durchführt, nach Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk und § 57 Abs. 2 IRG die Vorschriften des deutschen Strafgesetzbuchs (OLG Hamburg StraFo 2009, 301 f.; OLG Köln a.a.O.; OLG Saarbrücken Beschluss vom 16.06.2008 - 1 Ws 46/08 -, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2006, 217 f.; OLG Schleswig Beschluss vom 11.04.2003 - 1 Ws 143/03 -, zitiert nach juris). Unter Zurücktreten des aus § 57 Abs. 2, 3 und 6 IRG abgeleiteten Meistbegünstigungsprinzips richten sich dabei Zuständigkeit, Verfahren und materielle Gestaltung der Vollstreckung auf Grund des gemäß § 1 Abs. 3 IRG spezielleren Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk allein nach deutschem Recht als dem Recht des Vollstreckungsstaates (vgl. OLG Hamburg a.a.O.; OLG Saarbrücken a.a.O. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., Art. 9 ÜberstÜbk Rdnr. 7 u. § 57 IRG Rdnr. 8 c). |
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| | 2. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB werden zwei Drittel der Freiheitsstrafe vorliegend nicht erst am 20.05.2015, sondern bereits im August 2012 erreicht sein. Verhängte Strafe im Sinne dieser Vorschrift ist nur noch die zum Zeitpunkt der Überstellung aufgrund der zuvor erfolgten französischen Strafreduzierungen ermäßigte Strafe: |
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| | Die Strafvollstreckungskammer X. hat mit rechtskräftigem Beschluss vom 29.12.2009 festgestellt, dass bei der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Schwurgerichts des Departements Bas-Rhin in Strasbourg vom 14.05.2004 in Verbindung mit dem deutschen Exequaturbeschluss des Landgerichts K. vom 20.02.2008 (bei der Angabe des Landgerichts Y. als Exequaturgericht im Tenor handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen) „die nach französischem Recht gewährten Strafreduzierungen Anwendung finden“. Unabhängig davon, ob über die Frage der Anrechenbarkeit der nach Beginn der Vollstreckung in Frankreich erfolgten Strafreduzierungen, über die die Strafvollstreckungskammer K. in ihrem Exequaturbeschluss vom 20.02.2008 nicht befunden hat, im Rahmen einer Ergänzungsentscheidung gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 IRG zu entscheiden war oder dies auch erst im Rahmen einer Entscheidung über die Strafzeitberechnung gemäß § 458 Abs. 1 StPO geklärt werden konnte (im ersteren Sinne OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16.11.2004 - 1 Ws 180/04 -), liegt demgemäß nunmehr eine in Rechtskraft erwachsene Anrechnungsentscheidung einer deutschen Strafvollstreckungskammer vor, die unabhängig von der Frage ihrer inhaltlichen Richtigkeit für das weitere Vollstreckungsverfahren zu beachten ist. Da die französischen Strafmaßreduzierungen - wie sich aus der vom französischen Justizministerium zur Verfügung gestellten „Strafliste“ (Fiche Pénale) ergibt - jeweils auf der Grundlage richterlicher Entscheidungen erfolgt sind, in denen die ursprünglich verhängte Freiheitsstrafe aufgrund eines richterlichen Gestaltungsaktes nachträglich unbedingt verändert wurde (vgl. für die réduction de peine gemäß Art. 721 CPP OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16.06.2008 - 1 Ws 46/08 -, zitiert nach juris), ist zum jetzigen, für die Prüfung der Voraussetzungen des § 57 StGB maßgeblichen Zeitpunkt von der modifizierten Strafe als Anknüpfungspunkt für den Zweidrittelzeitpunkt im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB dieser Vorschrift auszugehen (vgl. auch OLG Saarbrücken NJW 1973, 2037 f. im Zusammenhang mit dem abweichenden und - wie Schall in SK-StGB, Stand Juni 2011 § 57 Rdnr. 3a m.w.N. darlegt - umstrittenen Fall eines vollstreckungsbehördlichen Teilerlasses im Gnadenwege). |
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| | Vorliegend wurde die ursprünglich zu vollstreckende zwanzigjährige Freiheitsstrafe durch Entscheidungen französischer Gerichte bis zur Überstellung um insgesamt 4 Jahre und 65 Tage der ursprünglichen Strafe reduziert, so dass als verhängte Freiheitsstrafe im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB und damit für die Berechnung des Zweidrittelzeitpunkts von einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren und 300 Tagen auszugehen ist. Zwei Drittel hiervon sind demgemäß nach zehn Jahren und 200 Tagen Freiheitsentzug erreicht. Da die Zeit ab der Festnahme des Verurteilten am 22.01.2002 in Frankreich von Anfang an anrechenbar ist, wird der - von der Vollstreckungsbehörde in eigener Zuständigkeit noch konkret festzusetzende - Zweidrittelzeitpunkt vorliegend zwar nicht schon am 19.03.2011, jedoch im August 2012 erreicht werden. |
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| | 3. Der hier gestellte Antrag des Verurteilten auf bedingte Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt ist demgemäß jedenfalls zwischenzeitlich nicht mehr als verfrüht anzusehen. Im Hinblick darauf, dass zunächst noch gemäß § 454 Abs. 2 StPO ein kriminalprognostisches Sachverständigengutachten einzuholen sein wird, das nunmehr in Auftrag zu geben ist, damit unter Beachtung des Verfahrens gemäß § 454 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 und 4 StPO eine Entscheidung rechtzeitig vor dem in ca. einem Dreivierteljahr erreichten Zweidrittelzeitpunkt ergehen kann, ist die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis abweichend von § 309 Abs. 2 StPO aufzuheben und das Verfahren zur Einholung eines Sachverständigengutachtens und Entscheidung in der Sache an die Strafvollstreckungskammer X. zurückzuverweisen (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 309 Rdnr. 8 f.). |
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