Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 VAs 21/11

Tenor

Der Antrag des A. auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 17. Juni 2011 - 8 Zs 1066/11 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Gegenstandswert wird auf 3.000.- Euro festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller ist b... Staatsangehöriger. Er wurde durch Urteil des Landgerichts C. vom 17.10.2002 rechtskräftig wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gemäß § 456a StPO sah die Staatsanwaltschaft C. als Vollstreckungsbehörde nach Verbüßung der Hälfte der Strafe von der weiteren Vollstreckung ab. Der Verurteilte wurde am 24.10.2003 in sein Heimatland abgeschoben. Am 13.11.2003 erließ die Staatsanwaltschaft C. gemäß § 456a StPO einen Vollstreckungshaftbefehl. Der Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung der Reststrafe gemäß § 57 Abs. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen, wurde durch den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - D. vom 23.12.2009 zurückgewiesen; seine hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 26.01.2010, weil auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs und des straffreien Lebens und der sozialen Integration des Verurteilten in B. keine besonderen Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 StGB vorlägen.
Am 01.03.2011 beantragte der Verteidiger für den Verurteilten, den Vollstreckungshaftbefehl zeitlich befristet aufzuheben, um im Verfahren gemäß §§ 454 StPO, 57 StGB seine Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer und gegebenenfalls eine Exploration durch einen Sachverständigen zu ermöglichen. Daraufhin bestimmte die Strafvollstreckungskammer Termin zur Anhörung des Verurteilten auf den 11.08.2011. Indessen lehnte die Staatsanwaltschaft C. den Antrag auf Aufhebung des Vollstreckungshaftbefehls mit Verfügung vom 08.04.2011 ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Verurteilten wies die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.06.2011 zurück. Gegen diesen Bescheid richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 21.07.2011.
II.
1.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
Der Verurteilte wendet sich gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, mit der sein Begehren, den Vollstreckungshaftbefehl vom 13.11.2003 auszusetzen und die Nachholung der Strafvollstreckung einstweilen aufzuheben, zurückgewiesen wurde. Gegen diese Entscheidung ist nach Auffassung des Senats entgegen der Entscheidung des OLG Stuttgart (Justiz 2011, 49f.) der Rechtsweg gemäß §§ 23ff. EGGVG eröffnet.
Die gemäß § 456a Abs. 1 StPO von der Vollstreckungsbehörde zu treffenden Entscheidungen sind, soweit sie überhaupt einer Anfechtung unterliegen, nach einhelliger Ansicht Justizverwaltungsakte, die gemäß §§ 23ff. EGGVG anfechtbar sind (Senat in Justiz 2010, 75f.; Meyer-Goßner StPO, 54. Auflage, § 456a Rdnr. 9, § 23 EGGVG Rdnr. 16; KK-Schoreit, StPO 6. Auflage, § 23 EGGVG Rdnr. 93 mwN). Gleiches gilt für den Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls gemäß § 457 Abs. 2 StPO. Nach dem in § 458 Abs. 2 StPO eindeutig zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers sind weder der Vollstreckungshaftbefehl gemäß § 456a Abs. 2 StPO noch derjenige gemäß § 457 Abs. 1 StPO mit einem Rechtsmittel der StPO angreifbar. Damit ist insoweit allein der Rechtsweg gemäß §§ 23ff. EGGVG eröffnet (KG B. v. 04.06.2009 1 VAs 22/09 in juris; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 223).
Daran ändert nichts, dass mit dem Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls zwangsläufig die Anordnung der Strafvollstreckung verbunden ist, denn der Vollstreckungshaftbefehl dient als Zwangsmaßnahme nur der Ergreifung des Betroffenen zu ihrem Zweck; er wird - gleichgültig ob auf § 456a Abs. 2 StPO oder auf § 457 Abs. 2 StPO beruhend - sofort gegenstandslos, sobald sich der Betroffene in Haft befindet, da deren Vollzug dann auf dem zu vollstreckenden Urteil beruht. Angesichts dieses engen Zusammenhangs, der das OLG Stuttgart in dem von ihm entschiedenen Fall annehmen lässt, der Vollstreckungshaftbefehl stelle nur einen „Annex“ zur gemäß § 458 Abs. 2 StPO anfechtbaren Anordnung der Vollstreckung überhaupt dar, hat es entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift inzident den Erlass bzw. die Aufrechterhaltung des gemäß § 456a Abs. 2 StPO erlassenen Vollstreckungshaftbefehls geprüft.
Dem folgt der Senat nicht. Die Annahme des OLG Stuttgart, bei bloßer Außervollzugsetzung des Vollstreckungshaftbefehls bestünde die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Strafvollstreckung unvermindert fort, wenn sie sich auch nicht des Vollstreckungshaftbefehls bedienen dürfe, geht fehl, weil die zeitlich befristete Außervollzugsetzung des Vollstreckungshaftbefehls die Gewährung freien Geleits für einen bestimmten Zeitraum bedeuten würde und der Betroffene wegen der Aussetzung der Fahndung keine Strafvollzugsmaßnahmen befürchten müsste. Tatsächlich steht in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem es dem Verurteilten darum geht, „ohne bei seiner Einreise gleich verhaftet zu werden“ an dem Anhörungstermin teilnehmen zu können, die Vermeidung einer Verhaftung und damit die Außervollzugsetzung des Vollstreckungshaftbefehls im Vordergrund des Begehrens. Weitere Einwendungen gegen die Strafvollstreckung sind nicht erhoben worden. In einem solchen Fall hat es nach Ansicht des Senats mit der sich aus den §§ 23 ff. EGGVG ergebenden Regelung der Anfechtbarkeit des Vollstreckungshaftbefehls sein Bewenden. Der Subsidiaritätsgrundsatz des § 23 Abs. 3 EGGVG steht nicht entgegen, weil § 458 Abs. 2 StPO bei Vollstreckungshaftbefehlen eben nicht eingreift. Ob diese vom Gesetzgeber getroffene Regelung zwiespältiger Anfechtbarkeit, einerseits des Vollstreckungshaftbefehls gemäß § 23 EGGVG, andererseits der Anordnung der Nachholens der Strafvollstreckung gemäß § 458 Abs. 2 StPO, zweckmäßig ist, mag man bezweifeln. Der Senat sieht sich indessen nicht befugt, sie zu ändern.
2.
In der Sache hat der Antrag auf gerichtliche Entscheidung allerdings keinen Erfolg.
Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung ein Ermessen zu. Gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG hat der Senat die Entschließung der Vollstreckungsbehörde lediglich auf Ermessensfehler und darauf zu überprüfen, ob ihr ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Ermessensspielraums zu Grunde gelegt ist. Ob der Senat ebenso entschieden hätte wie die Vollstreckungsbehörde, ist für die Überprüfung ohne Belang. Grundlage der Prüfung des Senats ist die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde in der Gestalt, die sie im Vorschaltverfahren durch den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft gewonnen hat.
10 
Die Überprüfung dieser Entscheidung hat keinen Rechtsfehler aufgezeigt. Die Vollstreckungsbehörde hat alle maßgeblichen Umstände eingehend geprüft und zusammenfassend gewürdigt. Insbesondere hat sie die erheblichen Tatsachen berücksichtigt, die geeignet sind, das Begehren des Verurteilten zu stützen: die Dauer der Strafverbüßung, die seit der Abschiebung bis heute verstrichenen Jahre, die positive Entwicklung, die er in B. genommen hat, wo er geheiratet hat und Vater eines aus dieser Verbindung hervorgegangenen Sohnes geworden ist, dass er keine Straftaten begangen hat und arbeitet, dass er die hohen Abschiebungskosten bezahlt hat und zum Unterhalt seiner in E. bei einer Pflegefamilie lebenden Kinder beiträgt, die er anlässlich seines Aufenthaltes wiedersehen will. In Rechnung gestellt wurde auch die kurze Dauer des angestrebten Aufenthalts und der damit verbundene, der Rechtsfindung dienende Zweck der Anhörung im Verfahren gemäß § 57 Abs. 2 StGB. Gegenüber diesen Gesichtspunkten hat die Generalstaatsanwaltschaft von ihr als durchgreifend erachtete Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit in Rechnung gestellt. Diese resultierten aus der Schwere des vom Antragsteller begangenen Drogendelikts, das er nach vorangegangener zweimaliger Abschiebung begangen hatte. Bei seinen früheren Aufenthalten habe er falsche Personalien verwendet, so dass die Gefahr bestehe, dass er seine Einreise wieder zum Untertauchen in Deutschland nutzen könnte. Erwogen wurde ferner, dass das Landgericht D. und das Oberlandesgericht Karlsruhe erst vor relativ kurzer Zeit entschieden hätten, dass besondere Umstände im Sinne von § 57 Abs. 2 StGB, die eine bedingte Entlassung schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe erlauben würden, nicht gegeben seien, so dass sein erneuter Antrag nur geringe Erfolgsaussichten habe. Außerdem verfüge er über keine ausländerrechtliche Erlaubnis zum Betreten der Bundesrepublik, so dass er mit seiner Einreise erneut straffällig würde.
11 
Ein Ermessensfehlgebrauch ist danach nicht festzustellen. Er wird auch nicht dadurch aufgezeigt, dass der Verteidiger der Ansicht ist, der Ermessensgebrauch durch die Vollstreckungsbehörde hätte ein anderes Ergebnis haben müssen.
12 
Nach alldem war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
III.
13 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 1 EGGVG, die Entscheidung über die Festsetzung des Geschäftswertes fußt auf 30 Abs. 3 EGGVG in Verbindung mit § 30 KostO.
14 
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2 EGGVG zugelassen, um die Möglichkeit zu eröffnen, das unter II. 1. der vorstehenden Gründe aufgezeigte Zuständigkeitsproblem höchstgerichtlich zu klären.

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