Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 412 - 413/12; 2 Ws 412/12; 2 Ws 413/12

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - X. vom 04. Oktober 2012 aufgehoben.

Die mit Beschluss des Landgerichts X. vom 30. Mai 2007 (12 StVK 261-262/07) erfolgte Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts R. vom 29.04.2004 (9 Ds 301 Js 3785/03) und dem Urteil des Amtsgerichts G. vom 14. Dezember 2005 (7 Ls 103 Js 525/05) zur Bewährung bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate bis zum 12.06.2013 verlängert wird.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts R. vom 29.04.2003 war A. S. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,26 Gramm Heroin- und 0,645 Gramm Kokaingemisch) zu der Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt worden. Die zunächst erfolgte Strafaussetzung zur Bewährung war mit Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - M. vom 25.09.2006 widerrufen worden. Außerdem verurteilte das Amtsgericht G. den Verurteilten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (15 Gramm Heroin und ca. 6,8 Gramm Kokain für den Eigenbedarf) in Tateinheit mit Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.
Nach Vollstreckung von zwei Dritteln dieser Strafen setzte das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - X. mit Beschluss vom 30.05.2007, rechtskräftig seit 12.06.2007, die Strafreste zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt, der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt und u.a. angewiesen, eine ambulante Drogentherapie zu machen und Urinproben abzugeben.
Nachdem der Verurteilte mit am gleichen Tag rechtskräftig gewordenem Urteil des Amtsgerichts R. vom 08.07.2010 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln - er hatte am 07.10.2008 1,87 Gramm Kokaingemisch und 1,66 Gramm Amfetamingemisch bei sich geführt - und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verlängerte das Landgericht X. mit Beschluss vom 10.09.2010 die Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate.
Weil er im Juni 2011 in seiner Wohnung drei Tabletten Subutex, 0,265 Gramm Amfetamingemisch und 0,06 Gramm eines Heroin-Kokain-Gemischs verwahrte, wurde der Verurteilte durch Urteil des Amtsgerichts R. vom 31.01.2012 i.V.m. dem Berufungsurteil des Landgerichts B. vom 16.05.2012, rechtskräftig seit 18.08.2012, zu der Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.
Gestützt auf diese Verurteilung widerrief das Landgericht X. die Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der Reststrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts R. vom 29.04.2004 und des Amtsgerichts G. vom 14.12.2005 mit Beschluss vom 04.10.2012, der dem Verteidiger am 12.10.2012 zugestellt wurde. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 19.10.2012 eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II.
Die gemäß §§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO, 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
1. Nach §§ 57 Abs. 5, 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat, sieht von einem Widerruf aber dann ab, wenn es ausreicht, weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen oder die Bewährungszeit zu verlängern (§ 56f Abs. 1 Satz 1 StGB).
Vorliegend sind die Voraussetzungen eines Bewährungswiderrufs erfüllt, doch erscheint es ausreichend, die Bewährungszeit zu verlängern.
2. Der Senat hat berücksichtigt, dass der Verurteilte vielfach einschlägig vorbestraft ist, sich aufgrund von Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz bereits in Strafhaft befunden hat und bereits mit der Begehung der Taten, die zur Verurteilung durch das Amtsgericht R. vom 08.07.2010 geführt haben, bewährungsbrüchig geworden ist. Die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind zudem vor dem Hintergrund eines langjährigen Missbrauchs auch harter Drogen zu sehen. Zwar hat sich der Verurteilte bemüht, der Drogenproblematik Herr zu werden. So hat er mindestens bis Juni 2011 Einzelgesprächstermine bei der Drogenberatung K. wahrgenommen. Einzelne Drogenscreenings im Oktober 2011 sowie im zwei Mal im Mai 2012 ergaben jeweils einen negativen Befund. Gleichwohl bewahrte dies den Verurteilten nicht vor einem erneuten Rückfall, kurz nachdem eine Substitutionsbehandlung beendet worden war. Danach ist dem Verurteilten eine ungünstige Legalprognose zu stellen, woran die - durch den Abschluss eines Therapievertrages mit der Jugend- und Drogenberatung K. am 18.09.2012 belegte - Absicht, eine ambulante Drogentherapie durchzuführen nichts zu ändern vermag (vgl. Senat, B. v. 17.05.2010 - 2 Ws 88/10; OLG Hamburg NStZ-RR 2005, 221; OLG Jena StV 2007, 194).
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Gleichwohl liegen besondere Umstände vor, die ein Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB angezeigt erscheinen lassen.
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Zum Einen hat sich das soziale Lebensumfeld des Verurteilten deutlich stabilisiert hat. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin zusammen, die zwei Kinder mit in die Verbindung gebracht hat und mit der zusammen er ein weiteres im August 2008 geborenes Kind hat. Diese pocht energisch auf ein drogenfreies Leben des Verurteilten, wie der Umstand nachdrücklich belegt, dass von ihr der Besitz der zur Verurteilung vom 31.01.2012 führenden illegalen Substanzen aufgedeckt wurde. Auch beruflich hat der Verurteilte Fuß gefasst und hat seit Dezember 2010 eine Festanstellung, aus der er ein monatliches Einkommen von ca. 2.000 EUR erzielt. Zwar konnte auch dies nicht den Rückfall in den Drogenmissbrauch verhindern. Doch ist bei der Prüfung, ob von einem Widerruf nach § 56f Abs. 2 StGB abgesehen werden kann, auch einzubeziehen, ob durch den Widerruf eine begonnene soziale Integration nachhaltig gefährdet würde (vgl. dazu OLG Braunschweig NdsRpfl 2011, 269; OLG Düsseldorf StV 1991, 29), wovon hier unter Berücksichtigung des gleichzeitig erfolgten Bewährungswiderrufs hinsichtlich der dreimonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts R. vom 08.07.2010 auszugehen ist.
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Vor allem ist der Senat aber der Auffassung, dass die in der Bewährungszeit begangenen Straftaten auch in der Zusammenschau nicht von solchem Gewicht sind, dass das Ziel eines künftig straffreien Lebens nicht auch durch eine Verlängerung der Bewährungszeit erreicht werden könnte.
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3. Einer Verlängerung der Bewährungszeit steht vorliegend weder entgegen, dass die Bewährungszeit bereits abgelaufen ist (vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1982, 437; Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., Rn. 41 zu § 56f m.w.N.), noch dass mit der Verlängerung, die sich rückwirkend unmittelbar an die abgelaufene Bewährungszeit anschließt (OLG Celle NStZ 1991, 206; OLG Schleswig NStZ 1986, 363; OLG Zweibrücken StV 1987, 351; Hubrach, a.a.O., Rn. 42 zu § 56f; a.A. OLG Bamberg NStZ-RR 2006, 326), die Höchstfrist von fünf Jahren gemäß § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB überschritten wird. Denn § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB erlaubt eine Überschreitung dieser Höchstgrenze bis zur Hälfte der ursprünglich bestimmten Bewährungsdauer unabhängig von der Dauer der zunächst bestimmten Bewährungszeit (OLG Braunschweig NdsRpfl 2011, 269; OLG Jena VRS 118, 274; OLG Brandenburg OLGSt StGB § 56f Nr 49; OLG Hamburg NStZ-RR 1999, 330; JR 1993, 75; OLG Frankfurt StV 1989, 25; OLG Oldenburg NStZ 1988, 502; OLG Hamm JMBlNW 1987, 6; Dölling NStZ 1989, 345, 347; Maatz MDR 1988, 1017; Mosbacher in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, Rn. 28 zu § 56f; a.A. OLG Dresden Rpfleger 2011, 114; OLG Celle NdsRPfl 2010, 412; OLG Köln, B. v. 29.03.2010 - 2 Ws 194/10, bei juris; OLG Schleswig SchlHA 2010, 91; OLG Karlsruhe, B. v. 11.03.2010 - 3 Ws 483/09; OLG Stuttgart Die Justiz 2000, 315; Hubrach a.a.O., Rn. 38 f. zu § 56f; SK-Schall, StGB, 8. Aufl., Rn. 38 zu § 56f; Ostendorf in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., Rn. 14 zu § 56f; Schrader MDR 1990, 391, 394 - wonach nur dann eine Durchbrechung der Fünfjahresgrenze möglich ist, wenn und soweit das Eineinhalbfache der ursprünglichen Bewährungszeit über fünf Jahre hinausgeht).
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Dieses Verständnis von § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB lässt sich zwar weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzessystematik ableiten, ergibt sich aber nach der Auffassung des Senats aus der Entstehungsgeschichte (vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen bei OLG Hamm a.a.O., OLG Brandenburg a.a.O., Dölling a.a.O., Schrader a.a.O.).
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Danach war mit der Neufassung des § 56f Abs. 2 Satz 2 durch das 23. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13.04.1986 keine Änderung der vorherigen Rechtslage beabsichtigt, wonach bei der Verlängerung der Bewährungszeit gemäß § 56f Abs. 2 Satz 1 StGB das Höchstmaß der Bewährungszeit (im Sinn des § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB) um nicht mehr als die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit überschritten werden durfte. Vom Bundesrat war deshalb zunächst vorgeschlagen worden, § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB wie folgt zu fassen: „In den Fällen der Nummer 2 kann das Höchstmaß der Bewährungs- und Unterstellungszeit überschritten werden, jedoch darf die Bewährungszeit um nicht mehr als die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit verlängert werden.“ Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass mit der letztlichen Streichung des Verweises auf die Höchstdauer der Bewährungszeit in der Gesetz gewordenen Fassung nur eine redaktionelle Klarstellung, aber keine inhaltliche Änderung bezweckt war (BT-Drucks. 10/4391 S. 16).
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Der so interpretierte Inhalt der gesetzlichen Regelung in § 56f Abs. 2 Satz 2 StGB bietet aber keinen Anhalt dafür, dass die Anwendung dieser Vorschrift von der Dauer der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit abhängen soll. Soweit sich die Gegenauffassung darauf beruft, dass die Gesetzesänderung im Kontext einer beabsichtigten Verkürzung der Bewährungszeiten zu sehen sei (Schrader a.a.O.) und deshalb „überlange“ Bewährungszeiten vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen seien (vgl. auch OLG Stuttgart a.a.O.), verkennt dies, dass eine Verkürzung der Bewährungszeiten vom Gesetzgeber gerade nicht beschlossen worden ist und ein entsprechender gesetzgeberischer Wille auch sonst keinen Niederschlag in der gesetzlichen Neuregelung gefunden hat (OLG Braunschweig a.a.O., Maatz a.a.O.).
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4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO, wobei maßgeblich war, dass vorrangiges Anliegen des Verurteilten ersichtlich die Aufhebung des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung war.

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