Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor ist vom Gericht nicht mitgeteilt worden.
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| | Das LG verwarf die Berufung des Angekl. gegen das Urteil des AG als unzulässig. Der Angekl. habe wirksam auf Rechtsmittel verzichtet. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angekl.. |
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| | Die gem. § 322 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die unter Berücksichtigung der vom Senat ergänzend eingeholten Informationen verbleibenden Zweifel an der Erklärung eines Rechtsmittelverzichts sind vorliegend nicht zu Lasten des Angekl. zu werten. |
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| | 1. Rechtlich zutreffend geht die Kammer davon aus, dass der in der Sitzungsniederschrift protokollierte Rechtsmittelverzicht des Angekl. und seines Verteidigers nicht an der absoluten Beweiskraft des Protokolls nach § 274 Satz 1 StPO teilnimmt, da der Verzicht nicht vorgelesen und genehmigt wurde (§ 273 Abs. 3 StPO). Damit ist der Vermerk nur ein Beweisanzeichen, das den Rechtsmittelverzicht beweisen kann, aber nicht notwendig beweist. Der Rechtsmittelverzicht ist in diesem Fall im Freibeweisverfahren zu klären (BGHSt 18, 257; OLG Köln, NStZ-RR 2006, 83; OLG Hamm, NStZ-RR 2010, 215). |
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| | 2. Hiervon ausgehend hat der Senat nicht die hinreichende Überzeugung gewinnen können, dass der Angekl. und sein Verteidiger nach der Urteilsverkündung im Hauptverhandlungstermin tatsächlich auf Rechtsmittel verzichtet hätten. |
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| | Dabei hat der Senat gesehen, dass der Umstand, dass das Protokoll von zwei Urkundspersonen - dem Vorsitzenden sowie der Urkundsbeamtin - unterzeichnet wurde, zunächst ein Indiz für die inhaltliche Richtigkeit des Protokolls darstellt (OLG Hamm, a.a.O.). Die dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin bestätigen, dass der Angekl. sowie der Mitangekl. und ihre Verteidiger Rechtsmittelverzicht erklärt hätten. Der Sitzungsvertreter der StA war sich in seiner Stellungnahme dagegen nicht sicher, meinte aber sich zu erinnern, dass ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei. Im für die Handakte der StA gefertigten Sitzungsbericht habe er hierzu nichts vermerkt. |
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| | Demgegenüber steht die Erklärung des Verteidigers des Angekl., dass weder bezüglich seines Mandanten noch des Mitangekl. Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei. Diese Darstellung wird bestätigt durch die vom Senat eingeholte Erklärung des Verteidigers des Mitangekl. Weder er oder sein Mandant noch der Verteidiger des Angekl. oder dessen Mandant hätten auf Rechtsmittel verzichtet. Zum Ablauf der Verhandlung führte der Verteidiger des Mitangekl. insoweit aus: „Als der Vorsitzende die Rechtsmittelbelehrung anführen wollte, habe ich angefangen mit dem Kopf zu nicken, um dem Gericht ein Zeichen zu geben, dass das, was nun gesagt wird, bekannt ist. Dies vermutlich erkannt, brach der Vorsitzende die Rechtsmittelbelehrung gegen Ende ab und erklärte noch in Richtung der beiden Angekl., dass dies die beiden Rechtsanwälte noch ausführlicher und deutlicher erläutern können. Daraufhin habe ich und ich meine mich noch erinnern zu können, dass auch der Verteidiger des Angekl. genickt hatte. Sodann ließ der Vorsitzende erklären, dass beide Angekl. erklären, auf Rechtsmittelbelehrung zu verzichten. Dies wurde insbesondere von mir erneut abgenickt. Ich meine auch, dass der Verteidiger des Angekl. dies ebenfalls bestätigend abgenickt hatte. Sodann wurde auch unmittelbar die Verhandlung beendet.“ Noch im Gerichtssaal habe er mit seinem Mandanten über mögliche Rechtsmittel gesprochen. Er habe auch gehört, dass dies der Verteidiger des Angekl. mit seinem Mandanten ebenfalls getan habe. |
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| | Aufgrund der detailreichen Schilderung des Verteidigers des Mitangekl. erscheint es dem Senat durchaus möglich, dass der Verzicht des Angekl. auf Rechtsmittelbelehrung vom Gericht als Verzicht auf Rechtsmittel missverstanden wurde. |
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| | 3. Die verbleibenden Zweifel - weitere Möglichkeiten der Sachaufklärung stehen dem Senat nicht zu Gebote - können vorliegend nicht zu Lasten des Angekl. gehen. Zwar gehen im Freibeweisverfahren nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zu Lasten des Angekl. (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 261 Rdn. 35). Doch findet das vom Angekl. zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts dort seine Grenze, wo die Ursache hierfür in einem Verstoß des Gerichts gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht liegt (vgl. BVerfG, NJW 2012, 1136), wie dies vorliegend durch die Nichtbeachtung der Beurkundungsförmlichkeiten des § 273 Abs. 3 StPO der Fall war. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 StPO dient nämlich gerade der Vermeidung solcher - hier nicht auszuschließender - Missverständnisse. |
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