Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 7 U 96/10

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14. April 2010 - Az. 5 O 324/06 - wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Der Kläger macht im Berufungsrechtszug noch Schadensersatz- und Feststellungsansprüche im Zusammenhang mit seiner Geburt geltend.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen, weil die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht im Zusammenhang mit der Geburt des Klägers stünden, sondern ihre Ursache in einer Mutation des Gens FGFR3 hätten (Hypochondroplasie).
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren hinsichtlich des Schadensersatzes und der Feststellung in vollem Umfang weiterverfolgt, nicht jedoch den im ersten Rechtszug noch verfolgten Auskunftsanspruch. Darüber hinaus rügt er erstmals im Berufungsrechtszug im Schriftsatz vom 19.03.2012, S. 3/4 (II 2357237) eine unzureichende Aufklärung seiner Mutter hinsichtlich einer Vakuumextraktion und Schnittentbindung. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 01.08.2013 (II 341).
Der Senat hat gem. Beschlüssen vom 02.03.2011 (II 109-111), 24.06.2011 (II 121), 12.01.2012 (II 177-183) und 10.07.2013 (II 331-337) Beweis erhoben durch Einholung (teilweise ergänzender) schriftlicher Sachverständigengutachten sowie Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. B., Prof. Dr. H. und Prof. Dr. U.. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Gutachten der Sachverständigen Prof. em. Dr. S. vom 29.07.2011 (II, SH), Prof. Dr. B. vom 02.02.2012 (II, Sonderheft (SH)), Prof. Dr. U. vom 04.07.2011 (II, SH) und Prof. Dr. H. vom 25.11.2012 (II, SH) sowie die Sitzungsniederschrift vom 01.08.2013 (II 341-357) verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat weder aus Vertrag gem. §§ 280, 611, 253, 249 BGB noch aus deliktischer Haftung gem. §§ 823 Abs. 1, 253, 249 BGB einen Anspruch auf Zahlung materiellen Schadensersatzes und von Schmerzensgeld sowie die begehrte Feststellung.
1. Die Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil sind allerdings für den Senat nicht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO bindend, denn dem Landgericht sind bei seiner Entscheidung wesentliche Verfahrensfehler unterlaufen, auf denen das angefochtene Urteil beruht. Es hat die von ihm zu Recht angeordnete Beweiserhebung durch Einholung von Sachverständigengutachten verfahrensfehlerhaft nicht zu Ende geführt. Für dieses Nichtausschöpfen von angebotenen Beweismitteln gilt dasselbe wie für die vollständige Übergehung (Senat, OLGR 2002, 403 f., juris Tz. 6 m.w.N.; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., vor § 284 Rn. 8a m.w.N.).
a) Enthält das von einem gerichtlichen Sachverständigen erstellte Gutachten eine Beurteilungslücke, darf der Tatrichter diese nur hinnehmen und daran den von der beweisbelasteten Partei zu erbringenden Beweis scheitern lassen, wenn die Lücke durch eine Ausdehnung der Beweisaufnahme, d. h. durch die Erhebung weiterer angebotener Beweise nicht behoben werden kann. Falls die Unvollständigkeit des Gutachtens darauf beruht, dass dem Sachverständigen Tatsachengrundlagen, die so genannten Anknüpfungstatsachen, gefehlt haben, so ist es Aufgabe des Tatrichters, dem Sachverständigen die fehlenden Anknüpfungstatsachen nachträglich an die Hand zu geben und im Wege eines Ergänzungsgutachtens oder der Anhörung des Sachverständigen die Auswirkungen des geänderten Sachverhalts auf das Gutachten mit dem Sachverständigen zu klären (BGH, VersR 2002, 1258 ff., juris Tz. 10 m. w. N.). Dabei hat im Arzthaftungsprozess das Gericht dem Sach- und Streitstand besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdigen. Unklarheiten, Unvollständigkeiten oder Zweifel sind von Amts wegen auszuräumen (BGH, NJW-RR 2011, 428 ff., Tz. 9; VersR 2009, 1406 ff., Tz. 7; VersR 2009, 499, Tz. 7, jeweils m.w.N.; Senat, OLGR 2002, 403 f. m.w.N.). Die demnach gebotene vollständige Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht erfordert es in aller Regel, dass sich das Gericht die vollständigen Originalkrankenakten des beklagten Arztes vorlegen lässt und diese dem mit der Beurteilung des Behandlungsgeschehens betrauten medizinischen Sachverständigen zur Verfügung stellt. Darüber hinaus hat das Gericht, soweit es zur Beurteilung der medizinischen Fragen erforderlich ist, auch darauf hinzuwirken, dass sonstige Behandlungsunterlagen vorgelegt und dem Sachverständigen zugänglich gemacht werden. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn eine Vor- oder Anschlussbehandlung bei einem anderen Arzt oder in einem Krankenhaus in Frage steht, die Rückschlüsse darüber ergeben können, ob der in Anspruch genommene Arzt den medizinischen Standard gewahrt hat oder ob dessen Behandlungsmaßnahmen für die eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen ursächlich waren (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Saarbrücken, NJOZ 2004, 598; OLG Oldenburg, OLG-RR 1997, 535; KGR 2004, 474 f.).
b) Die Beweiserhebung durch das Landgericht wird diesen Anforderungen in keiner Weise gerecht. Den Sachverständigen lagen keinerlei Behandlungsunterlagen im Original vor. Die in Kopie vorgelegten Unterlagen waren zudem unvollständig. Bereits aus ihnen ergibt sich, dass bildgebende Verfahren zum Einsatz kamen.
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2. Der Senat hat die deshalb gebotene Ergänzung der Beweisaufnahme selbst vorgenommen.
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Dem Kläger gelingt danach zwar im Berufungsrechtszug der Beweis eines groben Behandlungsfehlers. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität wegen dieses groben Behandlungsfehlers liegen jedoch nicht vor, weil der Beklagten der Nachweis gelingt, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass die vom Kläger geklagten Beschwerden auf ihm beruhen.
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a) Der Senat geht mangels hinreichender Dokumentation davon aus, dass in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus beim Kläger und seiner Mutter der Versuch einer Vakuumextraktion ohne hinreichende vorherige Befunderhebung und damit ohne ausreichende Indikation unternommen wurde.
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aa) Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. in seinen schriftlichen Gutachten vom 22.08.2007, S. 5/6 (I 44/45) und vom 26.01.2008, S. 4 (I 76) lässt sich infolge der medizinisch gebotenen, aber unterbliebenen Dokumentation des Höhenstandes des kindlichen Kopfes nicht mehr beurteilen, ob eine Indikation zu einer Vakuumextraktion vorgelegen hat.
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Die unterbliebene, unvollständige oder nur lückenhafte Dokumentation bildet grundsätzlich jedoch keine eigenständige Anspruchsgrundlage und führt auch nicht unmittelbar zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen einem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Primärschaden. Jedoch kann aus der Tatsache einer fehlenden, mangelhaften oder unvollständigen Dokumentation einer aus medizinischen Gründen aufzuzeichnenden Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils durch die Behandlungsseite darauf zu schließen sein, dass diese Maßnahme unterblieben ist bzw. vom Arzt nicht getroffen wurde (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., D 394 f. m.w.N.). In Anwendung dieser Grundsätze kann mit indizieller Bedeutung aus einem Dokumentationsmangel eine Beweiserleichterung für den Patienten dahingehend hergeleitet werden, es bestehe die Vermutung, dass die nichtdokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen worden sei (BGH, NJW 1999, 863 f., juris Tz. 14; VersR 1995 f., juris Tz. 13). Der Arzt kann die Vermutung des Unterbleibens der nicht dokumentierten Maßnahme insbesondere durch die Zeugenaussage der an der Behandlung beteiligten Ärzte und Pfleger jedoch widerlegen (Senat, OLGR Karlsruhe 2006, 339 ff., juris Tz. 12; Martis/Winkhart, a.a.O., D 396 m.w.N.).
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bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier zu vermuten, dass Dr. L. entgegen dem ärztlichen Standard fehlerhaft den Versuch einer Vakuumextraktion unternommen hat, ohne zuvor den Höhenstand des kindlichen Kopfes in der vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen Weise zu ermitteln und damit, ohne das Vorliegen einer Indikation hinreichend zu prüfen.
16 
Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat bei seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend daran festgehalten, dass der kindliche Höhenstand zu dokumentieren ist (Sitzungsniederschrift vom 01.08.2013, S. 2 f., II 343 f.). Der genaue Höhenstand ist nach seinen Ausführungen für die Indikationsstellung von entscheidender Bedeutung. Die Dokumentationspflicht besteht nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung, sondern hat auch medizinische Gründe. Denn aus geburtshilflicher Sicht ist sie deshalb erforderlich, weil neonatologische Auffälligkeiten in Abhängigkeit von der Schwierigkeit der Saugglockenentbindung auftreten können. Der Grad der Schwierigkeit hängt wiederum mit dem Höhenstand zusammen. Die Eintragungen der Hebamme um 20.05 Uhr und der OP-Bericht stellen keine hinreichende Dokumentation dar, denn sie erlauben keine genauen Rückschlüsse auf den Stand des Kopfes zur Zeit der Vakuumextraktion. Vielmehr deuten sie darauf hin, dass der Kopf jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht vakuumgerecht war (II 343).
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Der hier unternommene Versuch einer Vakuumextraktion ohne ausreichende Kenntnis des Höhenstandes war nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung vor dem Senat (I 345) fehlerhaft. Zwar ist es aus medizinischer Sicht nicht möglich, eine Saugglocke ohne vorherige Tastung anzubringen. Weil sich die Hand des Geburtshelfers und die Saugglocke bei deren Einführen zusammen in Richtung des kindlichen Kopfes bewegen, hat der Geburtshelfer jedenfalls eine grobe Vorstellung, wo der Kopf sich befindet. Dies ist jedoch unzureichend. Vielmehr ist es dennoch fehlerhaft, die Saugglocke einzuführen, ohne zuvor den Höhenstand durch eine vorherige Tastuntersuchung festgestellt zu haben.
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cc) Der Beklagten gelingt es nicht, die oben genannte gegen sie sprechende Vermutung zu widerlegen. Soweit sie vorträgt, Dr. L. habe nicht den Versuch einer Vakuumextraktion unternommen, sondern nur einen Probezug versucht, um die Möglichkeit einer Vakuumextraktion zu prüfen, und eine genaue Dokumentation des Höhenstandes sei deshalb nicht erforderlich gewesen (I 56/57), hat der Sachverständige dies in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.01.2008, S. 4 (I 76) überzeugend verneint. Auch die Stellungnahme des Dr. L. vom 26.08.2004 (AH II, B1) sowie insbesondere sein Operationsbericht vom 10.12.2003 (AH II, B2) geben dafür nichts her. In Letzterem heißt es ausdrücklich: „VE-Versuch abgebrochen.“ Im Übrigen hat das Landgericht mit der Tatbestandswirkung des § 314 ZPO im unstreitigen Sachverhalt auf S. 3 des angefochtenen Urteils (I 213) ausgeführt, Dr. L. habe mit der Durchführung einer Vakuumextraktion begonnen. Dies steht den erneuten Ausführungen der Beklagten in der Berufung (vgl. Schriftsatz vom 02.05.2012, S. 3/3, II 255) hinsichtlich eines nur versuchten Probezugs entgegen. Im Übrigen trägt die Beklagte dort selbst vor, die Glocke sei angesetzt worden. Soweit die Beklagte dort weiter behauptet und durch das Zeugnis des Dr. L. unter Beweis stellt, dass die Weichteile des Kopfes beim Ansetzen der Glocke bis zur Beckenmitte gereicht hätten, die knöcherne Leitstelle sich im Beckeneingang befunden habe und die hintere Excavatio vaginae noch relativ leer gewesen sei, sowie, dass bei dem Probezug die Finger des Geburtshelfers noch an der Leistelle und gleichzeitig in Kontakt zur Beckenwand gelegen hätten, handelt es sich um neuen, vom Kläger bestrittenen (vgl. II 235) Vortrag, der gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen ist. Es ist auch nach Hinweis des Senats (II 357) weder dargetan noch sonst ersichtlich, warum die Beklagte dies nicht bereits im ersten Rechtszug vorgetragen hat. Sie hätte hierzu allen Grund gehabt, nachdem ihr dort bereits vom Kläger vorgeworfen und sachverständig bestätigt worden war, dass ihre Dokumentation insoweit unzureichend war.
19 
b) Behandlungsfehlerhaft wäre es ferner gewesen, wenn - die vom Kläger vorgetragene und unter Beweis gestellte Kooperationsbereitschaft seiner Mutter unterstellt - auf die nach 20.00 Uhr eingetretene Situation nicht durch die Vornahme einer Fetalblutanalyse (fortan: FBA) regiert worden wäre (vgl. Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. vom 26.01.2008, S. 2, I 74; Sitzungsniederschrift vom 01.08.2013, II 349). Ob ein derartiger Versuch an der in den Behandlungsunterlagen dokumentierten fehlenden Kooperationsbereitschaft der Mutter des Klägers scheiterte, bedarf jedoch aus den nachstehend weiter unten ausgeführten Gründen keiner abschließenden Entscheidung.
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c) Der Kläger erbringt nicht den Beweis weiterer Behandlungsfehler, insbesondere dass im Zusammenhang mit seiner Geburt in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus keine hinreichende Befunderhebung durch CTG-Überwachung, Dopplersonographie sowie den Versuch - mangelnde Mitwirkung der Mutter des Klägers insoweit unterstellt - einer FBA erfolgte, und auf erhobene Befunde wie etwa pathologische Auffälligkeiten des CTG`s, nicht hinreichend reagiert wurde.
21 
aa) Die Aufnahme der Mutter des Klägers zum Belastungskardiogramm gebot nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. bei seiner Anhörung (II 347) keine weitergehenden Maßnahmen, denn das durchgeführte Belastungskardiogramm war unauffällig. Der Sachverständige hat weiter dargelegt, dass zur Geburt des Klägers über ca. 7 Stunden eine kontinuierliche, in der Aufzeichnungsqualität nicht zu beanstandende CTG-Überwachung erfolgt sei, die aus nachvollziehbaren Gründen wie etwa Toilettenbesuchen und Ultraschallmaßnahmen nur jeweils kürzere Zeit unterbrochen wurde. Dies stellte eine auf die Intensität bezogene standardmäßige Überwachung der Geburt dar (Ergänzungsgutachten vom 02.02.2012, S. 8).
22 
Der Sachverständige hat weiter ausgeführt (a.a.O., S. 8/9), ab 16.53 Uhr sei der CTG-Befund nicht mehr gänzlich unauffällig gewesen, sondern wegen der leicht eingeschränkten Variabilität kontrollbedürftig im Sinne der Notwendigkeit der weiteren Fortführung der Überwachung. Diese sei aber auch erfolgt. Zwischen 19.15 Uhr und 19.25 Uhr ergibt sich zwar nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Registrierungspause mit lediglich punktuellen Aufzeichnungen (a.a.O., S. 9). Diese kleineren Aufzeichnungspausen waren jedoch nach seinen überzeugenden Ausführungen bei seiner Anhörung vor dem Senat (II 347) nicht fehlerhaft und nicht geeignet, Besorgnisse im Hinblick auf den Zustand des Klägers zu wecken.
23 
Nach seinen Darlegungen im Gutachten vom 22.08.2007, S. 3 (I 42) trat zwar gegen 19.15 Uhr nach einem Toilettengang der Mutter des Klägers eine Verlangsamung der kindlichen Herzfrequenz bis 70 Schläge pro Minute auf, die sich auch nach Lagerung im Bett nur langsam erholt. Die betreuende Hebamme informierte darauf den betreuenden Arzt. Dies stellte jedoch eine sachgerechte Reaktion dar (Anhörung, II 347).
24 
bb) Der Sachverständige hat weiter dargelegt, erst nach 19.55 Uhr habe sich erstmals im Geburtsverlauf ein kardiotokographischer Überwachungsbefund ergeben, der unmittelbar reaktionspflichtig gewesen sei. Bei einwandfreier Variabilität sei es zu einem wellenförmigen Verlauf der Basallinie gekommen, die sich bis ca. 20.06 Uhr auf unter 100 SPM eingependelt habe, möglicher Weise auch auf einen tieferen Bereich, was wegen der wiederum gegen 20.08 Uhr nur punktmäßigen Aufzeichnungen nicht hinreichend gesagt werden könne. Die CTG-Aufzeichnungen waren jedoch nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung hinreichend. Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen wurde auf den reaktionspflichtigen Befund in der fachlich gebotenen Weise durch sofortige Benachrichtigung des zuständigen Oberarztes und überbrückende Maßnahmen wie Wehenhemmung, Sauerstoffgabe, Beckenhochlagerung und den Versuch, eine Kopfschwartenelektrode anzulegen (vgl. dazu: Gutachten vom 22.08.2007, S. 3, I 42, und Anhörung, II 349) sowie den Versuch - unkooperatives Verhalten der Mutter des Klägers insoweit unterstellt - einer FBA (vgl. Gutachten vom 26.01.2008, S. 2, I 74) reagiert. Das Zeitintervall von zehn Minuten bis zum Eintreffen des Oberarztes sei unter Berücksichtigung bestehender Strukturvorgaben nicht zu beanstanden.
25 
cc) Im Krankenhaus der Beklagten wurde nicht entgegen dem dort geschuldeten ärztlichen Standard eines Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung die Durchführung einer Doppleruntersuchung unterlassen.
26 
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. (Gutachten vom 26.01.2008, S. 3, I 75; Gutachten vom 02.02.2012, S. 7) entspricht die Dopplersonographie nicht einem diagnostischen Standardverfahren unter der Geburt. Vielmehr ist das Standardverfahren zur Erfassung von Mangelversorgungssituationen des neugeborenen Kindes unter der Geburt das Cardiotokogramm. Die Dopplersonographie kann zwar in besonderen Fällen dabei als eine ergänzende diagnostische Maßnahme herangezogen werden. Die zunächst aufgetretenen CTG-Veränderungen einschließlich des CTG`s unter dem Oxytocinbelastungstest boten jedoch hier aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht und Berücksichtigung des Versorgungslevels eines Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung keine hinreichende Veranlassung, von der standardmäßigen Überwachungsmethode in der Geburtshilfe, dem CTG, abzuweichen. Eine Dopplersonographie war hier auch nicht nach der deutlichen Verschlechterung des CTG nach 20.05 Uhr geboten. Denn zu diesem Zeitpunkt standen die durchgeführten Akutmaßnahmen wie die sog. intrauterine Reanimation, Sauerstoffgabe, Beckenhochlagerung und der Versuch einer FBA in ihrer Notwendigkeit und Dringlichkeit in klinischer Priorität gegenüber einer Doppleruntersuchung.
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c) Auf das Fehlschlagen der Vakuumextraktion wurde hier in der fachlich gebotenen Weise reagiert. Die für den Fall des Nicht-Gelingens medizinisch gebotenen generellen Voraussetzungen für die sofortige Durchführung einer notfallmäßigen Schnittentbindung waren erfüllt. Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 22.08.2007, S. 6 (I 45) überzeugend ausgeführt, dass Oberarzt L. in fachlich gebotener Weise innerhalb weniger Minuten die Verlagerung der Mutter des Klägers in den Operationssaal zur Durchführung einer eiligen Sectio veranlasst hat und der Zeitraum bis zur Entbindung des Klägers nicht zu beanstanden ist.
28 
d) Der Kläger erbringt ferner nicht den Beweis, dass ein Kinderarzt nicht rechtzeitig hinzugezogen wurde und in kausaler Weise postnatal bis zur Übernahme durch das neonatologische Abholteam der Kinderklinik H. keine hinreichende Überwachung und Befunderhebung erfolgte bzw. auf erhobene Befunde nicht bzw. nicht adäquat reagiert wurde.
29 
Der gynäkologische Sachverständige Prof. Dr. B. hat zwar bereits in seinem Gutachten vom 26.01.2008, S. 3 (I 75), ausgeführt, die Hinzuziehung eines Kinderarztes nach der Geburt sei aufgrund des festgestellten niedrigen pH-Wertes in der Nabelschnur fachlich geboten gewesen. Die Versorgung durch den zunächst anwesenden Anästhesisten sei jedoch fachlich nicht zu beanstanden, da ein solches Vorgehen dann, wenn ein Kinderarzt nicht unmittelbar bei der Geburt anwesend sei, den Vereinbarungen der Fachgesellschaften entspräche. Im Hinblick auf den nach 5 Minuten genommenen Apgar-Wert sei die Benachrichtigung des Kinderarztes erst etwa 10 Minuten nach der Bestimmung des zweiten Apgar-Wertes nicht zu beanstanden. Dies hat er in seinem Ergänzungsgutachten vom 02.02.2012, S. 10/11, überzeugend bekräftigt. Er hat erläutert, die Benachrichtigung des für die geburtshilfliche Abteilung zuständigen Kinderarztes um 21.10 Uhr sei unter Berücksichtigung der um 21.00 Uhr bzw. 21.02 Uhr erstellten Ausdrucke der venös und arteriell bestimmten pH-Werte im Nabelschnurblut und der dokumentierten Zustandsdiagnostik nach Apgar (Apgar 10 in der 10. Lebensminute, also um 20.58 Uhr) nicht zu beanstanden. Daran hat er im Ergebnis auch bei seiner Anhörung festgehalten und ausgeführt, ein früher hinzugezogener Kinderarzt hätte auch keine anderen Entscheidungen treffen können (II 347/349).
30 
Dies stimmt mit der Beurteilung des neonatologischen Sachverständigen Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 25.11.2012 (S. 9-13) und bei seiner Anhörung (Sitzungsniederschrift S. 8, II 355) überein. Danach hat der Anästhesist bis zum Eintreffen des Kinderarztes die adäquaten Maßnahmen durchgeführt. Es erfolgte eine hinreichend sorgfältige Überwachung mit einer engmaschigen klinischen Kontrolle der Vitalfunktionen wie Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Blutwerte, ph-Wert und Blutzucker, aufgrund derer das gynäkologische Team von einem günstigen und unproblematischen Verlauf ausgehen durfte. Auch sind anschließend bis zur Übernahme um 04.05 Uhr durch das neonatologische Team der Universitätsklinik H. die gebotenen Maßnahmen rechtzeitig getroffen worden. Dies bezieht sich insbesondere auf die Überwachung des Klägers, die pränatale Information und Hinzuziehung des Kinderarztes Dr. S., die Alarmierung des diensthabenden Arztes und die Entnahme einer - unauffälligen - Blutgasanalyse bei einer längeren Atempause um 3.15 Uhr, die Benachrichtigung der Intensivstation bei einer erneuten kurzfristigen Bradykardie um 3.25 Uhr sowie bei Auftreten eines weiteren Sättigungsabfalls und unregelmäßiger Atmung um 3.35 Uhr sowie die zeitgleiche Organisation der Verlegung in die Kinderklinik H. nach Rücksprache mit dem Kinderarzt. Soweit der Sachverständige ein oder zwei Blutdruckmessungen, eine Beschreibung des Atemtyps und der Atemfrequenz und eine weitere Messung der Körpertemperatur – jedenfalls ex post – bemängelt (vgl. Gutachten, S. 10/12) entsprach dies nach seinen Ausführungen bei seiner Anhörung (Sitzungsniederschrift vom 01.08.2013, S. 8, II 355) nicht dem hier maßgeblichen Standard eines Kreiskrankenhauses und hat sich im Übrigen nicht kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt (Gutachten, S. 12; Sitzungsniederschrift vom 01.08.2013, S. 8, II 355). Auch wenn sich die Bestimmung des Basendefizits immer mehr durchsetzt, war nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. H. bei ihrer Anhörung (II 355) unter Berücksichtigung des Standards eines Kreiskrankenhauses zum Zeitpunkt der Geburt die ph-Wertbestimmung ausreichend.
31 
e) Ein Befunderhebungsfehler durch Unterlassen einer histologischen Untersuchung der Plazenta liegt nicht vor. Eine solche erfolgt nach den Ausführungen der o.g. Sachverständigen bei ihrer Anhörung (II 357) nicht aus medizinischen Gründen.
32 
f) Eine Schädigung des Gehirns des Klägers in der Zeit um die Geburt lässt nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. (Gutachten S. 13 ff., 21) keine Rückschlüsse auf einen Behandlungsfehler zu. Die schicksalhafte Verursachung des Hirnschadens durch eine periventrikuläre Leukomalazie (PVL) oder durch die beim Kläger unstreitig vorhandene Hypochondroplasie seien zwar wenig wahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen. Auch sei eine Chorioamnionitis (Entzündung von Plazenta und Eihäuten) als mögliche Ursache weder bewiesen noch ausgeschlossen. Im Übrigen könne selbst dann, wenn die nachweisbaren hirnorganischen Veränderungen durch einen Sauerstoffmangel verursacht worden seien, dies ohne einen Behandlungsfehler schicksalhaft eingetreten sein.
33 
g) Im Übrigen gelingt dem Kläger nicht der ihm obliegende Nachweis, dass die von ihm geklagten Gesundheitsbeeinträchtigungen kausal auf etwaige Behandlungsfehler in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus zurückzuführen sind. Beweiserleichterungen kommen ihm in diesem Zusammenhang nicht zu Gute. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers liegen nicht vor, denn der Beklagten gelingt der Nachweis, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass der grobe Behandlungsfehler die vom Kläger geklagten gesundheitlichen Beeinträchtigungen verursacht hat.
34 
aa) Es steht weder gem. § 286 ZPO hinsichtlich der Primärschäden noch gem. § 287 ZPO hinsichtlich von Sekundärschäden zur Überzeugung des Senats fest, dass einer der o.g. möglichen Behandlungsfehler die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers verursacht hat.
35 
Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 01.10.2008 (I 123-126) zunächst die vom Kläger geklagten Schlafapnoen, die Bronchopneumonie, die Makrozephalie sowie die für das Klagebegehren im Vordergrund stehende statomotorische Entwicklungsstörung und psychomotorische Retardierung auf eine von ihm diagnostizierte Achondroplasie zurückgeführt. In seinem Gutachten vom 24.08.2009 (I 162-166) hat er dagegen nach einer molekulargenetischen Untersuchung des Klägers die Makrozephalie und statomotorische Entwicklungsstörung mit der bei der Untersuchung diagnostizierten und unstreitig vorhandenen Hypochondroplasie begründet und geht vorbehaltlich einer quantifizierenden audiologischen und psychomotorischen Untersuchung von einer kognitiven und sprachlich weitgehend altersentsprechenden Entwicklung des Klägers aus. Hinsichtlich der Schlafapnoen hält er einen Kausalzusammenhang mit der Hypochondroplasie oder einer u. U. daneben aufgetretenen hypoxisch-ischämischen Encephalopathie für möglich. Gegenüber anderen Kindern außergewöhnlich viele oder schwer verlaufende Bronchopneumonien ließen sich beim Kläger nicht feststellen. In seinem Gutachten vom 29.07.2011 führt der Sachverständige - insoweit vom Kläger nicht weiter angegriffen - hinsichtlich der Schlafapnoen aus, diese seien beim Kläger als unauffällig befundet und könnten nicht als Schädigung bezeichnet werden (S. 2, 4). Hinsichtlich der Bronchopneumonien hat er - vom Kläger nicht weiter beanstandet - seine zuvor vertretene Auffassung überzeugend bekräftigt (S. 3, 4). Auch nach den im Berufungsrechtszug eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. U. vom 04.07.2011 (II, SH) und Prof. Dr. H. vom 25.11.2012, S. 13 ff., 21 (II, SH) ist es keineswegs ausgeschlossen, dass behandlungsunabhängig eine schicksalhafte Entwicklung die Hirnschädigung verursacht hat.
36 
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger im Zusammenhang mit der bei ihm im Zuge der Begutachtung festgestellten Hypochondroplasie gem. Schriftsatz vom 15.09.2011, S. 3/4 (II 165/167) auf ein Verwertungsverbot wegen fehlender Einwilligung der auch sorgeberechtigten Mutter bzw. darauf, die Zustimmung des Vaters habe sich lediglich auf die Frage bezogen, ob der Kläger unter Achondroplasie leide. Denn der Umstand, dass er unter Hypochondroplasie leidet, ist unstreitig. Im Übrigen verhält sich der Kläger insoweit rechtsmissbräuchlich.
37 
Soweit der Kläger der Sache nach im Schriftsatz vom 15.09.2011, S. 4 (II 167) - wie schon im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 18.03.2010 (Sitzungsniederschrift, S. 2, I 208) unter Berufung auf Äußerungen von Prof. Dr. A. B. (I 206; AH III, 421, BK 41) behauptet, der bei ihm vorliegende Gendefekt sei auf den während der Geburtsphase erlittenen Sauerstoffmangel zurückzuführen, hat dies bereits der Sachverständige Prof. Dr. S., allerdings ohne weitere Begründung, verneint (Sitzungsniederschrift Landgericht vom 18.03.2010, S. 2, I 208). Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat zwar bei seiner Anhörung vor dem Senat die Möglichkeit einer epigenetischen Veränderung durch einen Sauerstoffmangel nicht ausgeschlossen, eine Verursachung jedoch überzeugend für den hier maßgeblichen, genau definierten, die Hypochondroplasie verursachenden Gendefekt ausgeschlossen (II 355)
38 
Wenn der Kläger behauptet (a.a.O.), der Gendefekt könne auch auf andere Faktoren wie z.B. Medikamente oder Röntgenmaßnahmen zurückzuführen sein, ist dieser Vortrag auch bei Beachtung der Besonderheiten des Arzthaftungsrechts gem. § 531 Abs. 2 ZPO neu und zurückzuweisen. Im Übrigen bleibt er auch unter Berücksichtigung der nur maßvollen Anforderungen an den Vortrag des Patienten im Arzthaftungsrecht ohne Substanz. Der Kläger behauptet insoweit nicht einmal einen Behandlungsfehler.
39 
bb) Beweiserleichterungen kommen dem Kläger nicht zu Gute.
40 
Zwar erfolgt bei der Unterlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (BGH, Urteil vom 02.07.2013, Az. VI ZR 554/12, Tz. 11 m.w.N.).
41 
Danach liegt hier zwar jedenfalls hinsichtlich des Versuchs einer Vakuumextraktion ohne hinreichende vorherige Befunderhebung (s.o.) ein grober Behandlungsfehler vor. Die Verursachung der geklagten Beschwerden durch einen möglichen Sauerstoffmangel im Zusammenhang mit der Geburt ist jedoch äußerst unwahrscheinlich.
42 
aa) Als grober Behandlungsfehler ist ein ärztliches Fehlverhalten anzusehen, das nicht etwa aus subjektiven, in der Person des handelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht "schlechterdings" nicht unterlaufen darf (BGH, NJW 1983, 2080; NJW 1992, 754 f.; NJW 1995, 778; NJW 1996, 2428). Es kommt also darauf an, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstößt (vgl. BGH, NJW 1992, 754 f.). Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn auf eindeutige Befunde nicht nach gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagiert wird oder sonst eindeutig gebotene Maßnahmen zur Bekämpfung möglicher, bekannter Risiken unterlassen werden und besondere Umstände fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können (vgl. BGH, NJW 1983, 2080 f.).
43 
Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat einen groben Behandlungsfehler im Zusammenhang mit dem Versuch einer Vakuumextraktion zwar in seinem Gutachten vom 02.02.2012, S. 5, zunächst verneint. Dabei ging er jedoch ersichtlich davon aus, dass die gebotenen Befunderhebungen zuvor erfolgt und lediglich falsch eingeschätzt wurden. Bei seiner Anhörung (II 345) hat er dann jedoch überzeugend dargelegt und begründet, dass und warum für den hier zu unterstellenden Fall des Versuchs einer Saugglockenentbindung ohne vorangegangene gebotene Befunderhebung von einem groben Behandlungsfehler auszugehen ist. Der Höhenstand des Kopfes ist für die Frage der Vakuumentbindung ein ganz entscheidender Faktor. Die Durchführung einer Vakuumentbindung ohne vorherige Feststellung des Höhenstandes bringt für die Mutter bzw. das Kind das Risiko mit sich, dass man sich im Übermaß im Höhenstand täuscht.
44 
Weitere grobe Behandlungsfehler liegen nicht vor. Hinsichtlich des Unterbleibens einer FBA bzw. eines Versuchs - kooperatives Verhalten der Mutter des Klägers entsprechend seinem Vortrag unterstellt - hat der Sachverständige Prof. Dr. B. überzeugend hier unter Berücksichtigung der CTG-Werte bei seiner Anhörung (II 349) einen groben Fehler verneint. Prof. Dr. H. hat das Vorliegen von Behandlungsfehlern aus neonatologischer Sicht nach dem o.g. verneint. Im Übrigen lägen jedenfalls keine groben Fehler vor (vgl. Gutachten vom 25.11.2012, S. 21).
45 
bb) Auch unter dem o.g. Gesichtspunkt des sog. fiktiven groben Behandlungsfehlers kann der Kläger keine Beweiserleichterungen beanspruchen. Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat aus neonatologischer Sicht die Voraussetzungen dafür verneint (Gutachten vom 25.11.2012, S. 21). Nach seinen Ausführungen (Gutachten vom 25.11.2012, S. 10) ist es zudem extrem unwahrscheinlich, dass sich bei einer qualifizierten Untersuchung durch einen erfahrenen Kinderarzt oder gar einen spezialisierten Neonatologen bzw. durch die Messung von Blutdruckwerten und/oder der Körpertemperatur ein Befund ergeben hätte, der zu einem anderen Vorgehen hätte führen müssen. Ob im Hinblick auf die vom Sachverständigen Prof. Dr. B. bei seiner Anhörung (Sitzungsniederschrift S. 3, II 345) genannten Befunderhebungen im Zusammenhang mit dem Versuch der Vakuumextraktion oder der FBA (II 349) ein derartiger fiktiver grober Behandlungsfehler aus Sicht des Geburtshelfers zu bejahen wäre, kann dahingestellt bleiben, denn es steht - wie nachstehend ausgeführt - zur Überzeugung des Senats fest, dass ein solcher sich hier auf die vom Kläger geklagten Beeinträchtigungen nicht ausgewirkt hat.
46 
cc) Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nach einem groben Behandlungsfehler ausgeschlossen, wenn, was zur Beweislast der Behandlerseite steht, jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich (BGH, VersR 2012, 1176, 1177; NJW 2004, 2011, 2012; VersR 2004, 645, 647; NJW 1998, 1782, 1784) / grundsätzlich unwahrscheinlich (BGH, NJW 1998, 1780, 1782) / gänzlich unwahrscheinlich (BGH, NJW 2004, 2011, 2013; VersR 1995, 707, 708) bzw. in hohem Maße unwahrscheinlich (BGH, NJW 1995, 778, 779) ist. Diesen Nachweis hat die Beklagte hier erbracht.
47 
Dass die Beeinträchtigungen des Klägers durch das Ansetzen der Saugglocke selbst hervorgerufen wurden, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr hält der Sachverständige Prof. Dr. H. dies für nicht möglich (Anhörung, Sitzungsniederschrift S. 5, II 349/351). Nach seinen weiteren Ausführungen (S. 7, II 353) ist es äußerst unwahrscheinlich, dass die - von ihm bejahte (vgl. Sitzungsniederschrift S. 6, II 351) - Sauerstoffunterversorgung unter der Geburt in Folge der versuchten Vakuumextraktion eingetreten ist, wenn es nicht zur Anspannung der Nabelschnur durch Herunterziehen des Köpfchens gekommen ist. Dies war jedoch nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. (Sitzungsniederschrift S. 7, II 353) nicht der Fall. Dass es bei einer sachgerechten Untersuchung des Höhenstandes des Kindes und einem daraufhin erfolgten Entschluss, eine Vakuumextraktion zu unterlassen, zu einer wesentlich früheren Entbindung gekommen wäre, hält der Sachverständige für äußerst unwahrscheinlich (Sitzungsniederschrift S. 4, II 347).
48 
Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass die vom Kläger geklagten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht durch eine sorgfaltswidrig herbeigeführte Sauerstoffunterversorgung im Zusammenhang mit seiner Geburt verursacht wurden. Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat überzeugend dargelegt (Sitzungsniederschrift S. 7/8, II 353/355), dass eine schwere Asphyxie während oder unmittelbar nach der Geburt habe vorliegen müssen, um eine organische Beeinträchtigung zu verursachen, die zu weiteren Schäden wie den hier beim Kläger eingetretenen führe. Unter einen solchen Asphyxie seien Apgar-Werte zwischen 0 und 3 zu verstehen sowie eine neurologische Symptomatik und ein Multiorganversagen, was hier alles nicht vorgelegen habe. Man könne ausschließen, dass Entwicklungsstörungen wie im vorliegenden Fall ohne das Vorliegen einer schweren Asphyxie auftreten. Eine solche lag jedoch nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vor (vgl. Gutachten vom 25.11.2012, S. 16/17). Auch der Sachverständige Prof. Dr. U. hat einen solchen schweren Sauerstoffmangel ausgeschlossen (II 353). Danach können die geklagten Entwicklungsverzögerungen auch nicht durch das vom Kläger behauptete Unterlassen des Versuchs einer FBA herbeigeführt worden sein, denn diese dient nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. (Sitzungsniederschrift S. 9, II 357) gerade dazu, eine mögliche Sauerstoffunterversorgung festzustellen.
49 
2. Die Beklagte haftet dem Kläger auch nicht wegen unzureichender Aufklärung seiner Mutter im Zusammenhang mit seiner Geburt.
50 
a) Der Berücksichtigung des Vorbringens steht § 531 Abs. 2 ZPO entgegen. Der Kläger hat erstmals im Berufungsrechtszug die Aufklärungsrüge erhoben. Es handelt sich um neuen Tatsachenvortrag im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO, der nach dieser Vorschrift nicht zuzulassen ist, da weder dargetan noch ersichtlich ist, warum der Vortrag nicht im ersten Rechtszug erfolgt ist und die Frage der Aufklärungspflicht zwischen den Parteien streitig ist (vgl. BGH, GesR 2013, 50; vorgehend: Senat, Urteil vom 08.08.2012, Az. 7 U 128/11).
51 
aa) Auch wenn an die Substantiierungspflicht der Partei im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann, so war dem Kläger durchaus zuzumuten, zu der Aufklärung oder aber zu einer fehlenden Aufklärung vor der eingeleiteten Behandlung vorzutragen. Dazu bedurfte er keiner medizinischen Kenntnisse, sondern er musste lediglich den tatsächlichen Ablauf der Behandlung schildern (Senat, OLGR Karlsruhe 2007, 258 ff., juris Tz. 6; vgl. OLG Köln, Beschluss vom 02.12.2009, Az. 5 U 76/09, juris Tz. 5). Der Kläger hat im ersten Rechtszug überhaupt nicht geltend gemacht, dass seine Mutter über die Vakuumextraktion und Schnittentbindung bzw. die Sectio als Alternative zur vaginalen Geburt unzureichend aufgeklärt worden sei. Der Kläger trägt keine Umstände vor, nach denen die unterbliebene Geltendmachung nicht auf Nachlässigkeit beruht.
52 
bb) Der neue Vortrag des Klägers zur Aufklärung ist auch nicht deshalb zu berücksichtigen, weil er unstreitig ist. Der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug gilt, auch soweit sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind, allerdings nicht für unstreitige Tatsachen. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen (BGH, NJW 2009, 2532 ff., Tz. 15 m.w.N.). Die Beklagte hat hinsichtlich des neuen Vorbringens des Klägers jedoch bestritten, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Aufklärungspflicht vorlagen. Sie hat im Schriftsatz vom 02.05.2012 (II 251 ff.) dazu vorgetragen, es habe sich - was naheliegt - um eine medizinische Notsituation gehandelt, in der eine hinreichende Aufklärung nicht mehr möglich gewesen sei.
53 
b) Im Übrigen gelingt dem Kläger nicht der ihm obliegende Beweis, dass die unterbliebene Aufklärung für die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ursächlich war.
54 
aa) Der Patient trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Schadensfolge, für die er Ersatz verlangt, auch wirklich durch den eigenmächtigen Eingriff des Arztes verursacht worden ist und nicht auf anderes zurückgeht. Der Beweis, dass der ohne rechtswirksame Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriff bei dem Patienten auch zu einem Schaden geführt hat, ist ebenso wie im Fall des Behandlungsfehlers Sache des Patienten. Dieser Grundsatz gilt sowohl bei der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht über die Risiken eines Eingriffs wie auch über bestehende Behandlungsalternativen (Selbstbestimmungsaufklärung). Der Patient hat nicht nur in den Fällen, in denen die rechtswidrige Behandlung in einem Eingriff, beispielsweise in einer Operation, liegt, sondern auch in den Fällen der rechtswidrigen Fortsetzung konservativer Behandlungsmethoden trotz Bestehens gleichwertiger Behandlungsalternativen zu beweisen, dass die bei ihm vorgenommene Behandlung ursächlich für den geltend gemachten Schaden geworden ist. Eine Unterlassung ist für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Die bloße Möglichkeit, ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nach § 286 ZPO nicht (BGH, NJW 2012, 850 f., juris Tz. 10 m.w.N.).
55 
bb) Nach den Ausführungen der Sachverständigen steht nach dem o. g. nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei einer früheren Aufklärung der Mutter des Klägers über die Möglichkeit einer Sectio zum Zeitpunkt des Auftretens des nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. in seinem Zusatzgutachten vom 02.02.2012, S. 9, reaktionspflichtigen kardiotokographischen Überwachungsbefundes ab 19.55 Uhr die Beeinträchtigungen vermieden worden wären. Vielmehr erbringt der Kläger gemäß den Ausführungen der Sachverständigen gerade nicht den Beweis, dass die Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit seiner Geburt verursacht wurden.
III.
56 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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