Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 (7) Ss 571/15; 2 (7) Ss 571/15 - AK 170/15

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Freiburg vom 8. Juli 2015

- im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte der Körperverletzung und der versuchten gefährlichen Körperverletzung schuldig ist,

- im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, auch soweit von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist, aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere strafrichterliche Abteilung des Amtsgerichts Freiburg zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen

Gründe

 
Das Amtsgericht Freiburg hat den Angeklagten wegen vollendeter vorsätzlicher Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Hiergegen richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Die Rüge, das Amtsgericht habe § 155a StPO verletzt, indem es dem Angeklagten die Möglichkeit eines förmlichen Täter-Opfer-Ausgleichsverfahrens nicht eröffnet habe, entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Von daher kann offen bleiben, ob - wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift ausführt - die Revision prinzipiell nicht auf eine Verletzung des § 155a StPO gestützt werden kann (so auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 155a StPO, Rn 6; Beck-OK/Graf, StPO, Stand 1.9.2015, § 155a StPO, Rn. 7). Dagegen spricht, dass § 337 Abs. 2 StPO nicht zwischen Kann-, Soll- und Mussvorschriften unterscheidet und auch sonst kein Hinweis dafür besteht, dass ausdrücklich als Sollvorschriften bezeichnete Bestimmungen von der Revisibilität ausgeschlossen sein sollen (LR/Franke, StPO, 26. Aufl. 2012, § 337 StPO, Rn. 19; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl. 2013, § 337 StPO, Rn. 13). Insoweit dürfte es daher vielmehr darauf ankommen, ob die Nichtbefolgung der Vorschrift im Einzelfall Verfahrensrechte des Beschwerdeführers verletzt, es sich also um eine dem Schutz des Angeklagten dienende Bestimmung handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 14.5.1974, 1 StR 366/73, BGHSt 25, 325; LR/Franke, StPO, 26. Aufl. 2012, § 337 StPO, Rn. 21; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl. 2013, § 337 StPO, Rn. 13). Dies wird angesichts der erheblichen Bedeutung, die § 155a StPO im Hinblick auf die Regelung des § 46a StGB für den Angeklagten haben kann, nicht zu verneinen sein (vgl. Weimer, Probleme mit der Handhabung des § 155a StPO in der strafgerichtlichen Praxis, NStZ 2002, 349, 351; die grundsätzliche Möglichkeit, eine Verletzung des § 155a Satz 1 und 2 StPO zu rügen nicht ausschließend, auch BGH, Beschluss vom 4.11.2010, 1 StR 551/10).
Dem Revisionsvorbringen ist jedoch die nach § 155a StPO erforderliche Eignung der Taten für einen Täter-Opfer-Ausgleich nicht zu entnehmen.
Hinsichtlich der Tat II.2. fehlt es bereits - wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist - an dem hierfür regelmäßig erforderlichen Geständnis (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2002, 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 155a StPO, Rn. 3). Der Angeklagte hat insoweit wesentliche Teile der Tatbegehung bestritten, indem er erklärte, die in Richtung des Zeugen geworfene Flasche habe er absichtlich daneben geworfen. Damit fehlt es an der für den Täter-Opfer-Ausgleich erforderlichen Übernahme von Verantwortung.
Der Revisionsführer trägt zudem hinsichtlich beider Verletzter nicht vor, dass deren entgegenstehender Wille der Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs nicht entgegensteht. Dies ist aber erforderlich, da ansonsten gemäß § 155a Satz 3 StPO die Eignung des Verfahrens zum Täter-Opfer-Ausgleich ausscheidet.
Zudem kann das Urteil auf der gerügten fehlenden Mitwirkung des Gerichts nur dann beruhen, wenn der Angeklagte ohne eine solche Mitwirkung einen Täter-Opfer-Ausgleich nicht hätte erreichen können. Es hätten daher die eigenen - vergeblichen - Anstrengungen des Angeklagten, in einen kommunikativen Prozess mit dem Opfer einzutreten, dargelegt werden müssen (vgl. Weimer, aaO, S. 351). Nicht ausreichend ist es, gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht das Interesse an einem Täter-Opfer-Ausgleich zu bekunden, ohne selbst irgendeine Initiative, mit dem Opfer einen Ausgleich zu finden, zu ergreifen.
Für die Durchführung der hilfsweise beantragten konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG - im Hinblick auf einen Verstoß der Regelungen aus § 46a StGB und § 155a StPO gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG - besteht kein Anlass. Dem Revisionsvorbringen lassen sich Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit dieser Normen nicht entnehmen. Es wird lediglich pauschal eine dem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG widersprechende Anwendung im Einzelfall behauptet.
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b) Die weitere dem Revisionsvorbringen zu entnehmende Rüge, das Amtsgericht habe über den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung nicht durch Beschluss entschieden, wäre nur dann begründet, wenn durch das Übergehen des Aussetzungsantrags die Verteidigung unzulässig beschränkt worden wäre; dies ist in der Revisionsbegründung darzulegen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 228 StPO, Rn 17; KK-StPO/Gmel, 7. Aufl. 2013, § 228 StPO, Rn. 150). Hieran fehlt es, so dass diese Verfahrensrüge gleichfalls nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Die mitgeteilten Umstände der konkreten Antragstellung - Aussetzungsantrag nach Abschluss des Verteidigerplädoyers verbunden mit einem hilfsweisen Antrag zur Strafhöhe, ersichtlich für den Fall der Ablehnung des Aussetzungsantrags - lassen vielmehr darauf schließen, dass der Verteidiger auf einen förmlichen Beschluss vor der Urteilsverkündung verzichtet hat (BGH, Urteil vom 10.4.1996, 3 StR 557/95).
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2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Rechtsfehler auf, der die Teilaufhebung und Zurückverweisung nach sich zieht, §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO.
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a) Die Nachprüfung des Schuldspruchs aufgrund der erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Schuldspruch bedurfte jedoch der Korrektur. Die Vollendung der Tatbegehung gehört prinzipiell nicht in die Urteilsformel. Bei der Körperverletzung nach § 223 StGB ist auch die vorsätzliche Tatbegehung angesichts der gesetzlichen Überschrift im Tenor nicht zu erwähnen (BGH, Beschluss vom 3.5.2002, 2 StR 133/02).
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b) Der Rechtsfolgenausspruch kann jedoch keinen Bestand haben.
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aa) Das Amtsgericht verletzt § 46 Abs. 2 Satz 2, 6. Alt. StGB, indem es den Entschuldigungen des Angeklagten ausdrücklich eine strafmildernde Wirkung abspricht. Das Amtsgericht verkennt hierbei, dass das Verhalten des Angeklagten nach der Tat, insbesondere sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen oder einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, einen bestimmenden Strafzumessungsgrund darstellt.
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Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Gericht bei gebotener Berücksichtigung des näher festzustellenden Nachtatverhaltens des Angeklagten bei der Tat II.2 entweder einen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 2 StGB angenommen oder den niedrigeren Strafrahmen nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB angewendet sowie bei der Tat II.1 eine noch geringere Strafe ausgesprochen und die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht mehr als unerlässlich zur Einwirkung auf den Angeklagten angesehen hätte, § 47 Abs. 1 StGB.
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Hinsichtlich der Tat II.1. lässt sich den getroffenen Feststellungen zudem nicht hinreichend entnehmen, ob das Amtsgericht zu Recht eine Anwendung des § 46a StGB nicht in Betracht gezogen hat. Nach den Urteilsgründen war ein Täter-Opfer-Ausgleich im Gespräch, ohne dass hierzu nähere Feststellungen getroffen worden wären. Das Urteil weist daher eine Lücke auf, die dem Senat eine Prüfung, ob Wiedergutmachungsleistungen oder -bemühungen des Angeklagten vorliegen, die im Hinblick auf die Tat II.1., die der Angeklagte - im Gegensatz zur Tat II.2. - eingeräumt und für die er sich entschuldigt hat, eine Anwendung des § 46a Nr. 1 oder Nr. 2 StGB begründen könnten.
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Die Strafzumessung ist bei der Tat II.2. auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil tragende Feststellungen für die strafschärfende Wertung, dass es nur durch glückliche Umstände nicht zu einer (dann erheblichen) Verletzung des Zeugen gekommen ist, fehlen. Insbesondere mangelt es an Feststellungen, wie weit der Zeuge vom Angeklagten beim Wurf der Flasche bereits entfernt war und wie leicht er deshalb der vom Angeklagten geworfenen Flasche ausweichen konnte.
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bb) Nicht durch die Feststellungen getragen ist auch die Behauptung, dass keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Taten im Rausch oder wegen des Hangs, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, begangen wurden und deshalb eine Unterbringung nach § 64 StGB ausscheidet. Vielmehr hatte der Angeklagte, bei dem eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt - „wegen Antiaggression und Alkohol“ (UA, S. 4) -, zur Bewährung ausgesetzt ist, am Tatabend einen Rückfall mit Alkohol, ohne dass hierzu nähere Feststellungen, insbesondere über die Menge des genossenen Alkohols und über den Anlass der begangenen Delikte, getroffen worden wären. Auch insoweit ist das Urteil lückenhaft. Die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat bedarf zwar bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln oder den dazu erforderlichem Geld zielen, besonderer hierfür sprechender Umstände (BGH, Beschluss vom 12.3.2014, 4 StR 572/14); diese können aber in einem Zusammenhang von Alkoholkonsum und damit einhergehender erhöhter Aggressivität liegen. Entsprechende Anhaltspunkte, die einen solchen Zusammenhang möglich erscheinen lassen, ergeben sich aus den in den Urteilen des Amtsgerichts Freiburg vom 15.11.2010 und vom 28.9.2011 angeordneten Unterbringungen in der Entziehungsanstalt, denen gleichfalls Körperverletzungsdelikte zu Grunde lagen (UA, S. 5; vgl. BGH, Beschluss vom 5.5.2009, 3 StR 96/09).
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Dass gegen den Angeklagten bereits in einem früheren Verfahren die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet wurde, steht einer erneuten Anordnung nicht entgegen, § 67f StGB (Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 64 StGB, Rn. 25).
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Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (st. Rspr. des BGH, vgl. Beschluss vom 18.8.15, 3 StR 237/15 m.w.N.). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen, sondern vielmehr ausdrücklich erklärt, die Sachrüge unbeschränkt zu erheben.
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Auch das Verschlechterungsverbot hindert nicht, eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen, wenn deren Voraussetzungen vorliegen, § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO. Die aufgrund des Verschlechterungsverbots unabänderliche Aussetzung einer ggfs. auszusprechenden Freiheitsstrafe entfaltet nicht die Wirkung, dass eine in der neuen Hauptverhandlung - bei Vorliegen der Voraussetzungen - ggfs. daneben anzuordnende Maßregel nach § 64 StGB ebenfalls und selbst dann auszusetzen wäre, wenn die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Maßregel an sich nicht vorliegen. Die Aussetzung der Freiheitsstrafe bei gleichzeitiger Anordnung und Nichtaussetzung der Maßregel ist rechtlich möglich, da Maßregelaussetzung und Strafaussetzung unterschiedlichen Prognosebezugspunkten folgen (OLG Celle, Beschluss vom 26.3.2013, 32 Ss 39/13, NStZ-RR 2013, 317).

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