Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 (3) Ss 188/15; 1 (3) Ss 188/15 - AK 60/15

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 18. November 2014 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Baden-Baden zurückverwiesen.

Gründe

 
I.
Mit Urteil vom 18.11.2014 verwarf das Landgericht Baden-Baden die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Baden-Baden vom 23.06.2014, durch welches der Angeklagte wegen unbefugten Gebrauchs eines Kraftfahrzeuges in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort nebst dem Entzug der Fahrerlaubnis und einer Sperrfrist von sechs Monaten zu der Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 EUR verurteilt worden war, mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Gesamtgeldstrafe auf 80 Tagessätze zu je 50 EUR und die Sperrfrist auf drei Monate reduziert wurde. Nach den insoweit von der Strafkammer getroffenen Feststellungen entnahm der bei den Stadtwerken Baden-Baden arbeitstätige Angeklagte am 28.12.2013 gegen 16:04 Uhr aus dem Betriebsgelände der Stadtwerke in der W. Straße … in Baden-Baden ohne Erlaubnis seines Arbeitgebers den dort abgestellten Lastkraftwagen der Marke Daimler-Benz 1828 AK mit dem amtlichen Kennzeichen BAD-… …, öffnete mit dem ihm zur Verfügung stehenden Schlüssel das Haupttor und fuhr mit dem Lkw zu einer Baustelle in der K. Straße in Baden-Baden, wo er mit dem Kranausleger des Lkw ohne Erlaubnis des Eigentümers eine dort abgestellte Rüttelmaschine auflud, um diese auf sein Hofgrundstück in der Y. Straße in Baden-Baden zur Ausführung von Pflasterarbeiten zu verbringen. Hierzu kam es jedoch nicht, da der Angeklagte wegen des noch zu weit ausgefahrenen Kranauslegers des Lkw gegen 16:50 Uhr an der Unterseite einer Betonbrücke auf der Bundesstraße 500 hängen blieb, wodurch zahlreiche Betonteile abgelöst wurden und insgesamt neben einem Schaden am Lkw in Höhe von 76.559,88 EUR, an der Rüttelplatte in Höhe von 1.488,00 EUR, an der Fahrbahn in Höhe von 2.437,00 EUR, an der Brücke in Höhe von 1.711,70 EUR auch am Fahrzeug PKW VW Golf der hinter dem Lkw fahrenden Zeugin A.-L. A. durch herabfallende Betonteile der Brücke ein Schaden in Höhe von 2.476,16 EUR entstand. Nachdem der Angeklagte nach einem kurzen Anhalten nach Durchfahren der Brücke die Zeugin A.-L. A. darauf verwiesen hatte, sich wegen der Schäden an ihrem Fahrzeug mit den Stadtwerken Baden-Baden in Verbindung zu setzen, verließ er unter Zurücklassung des Lkw die Unfallstelle zu Fuß, ohne auf weitere feststellungsbereite Personen zu warten.
Mit seiner gegen die Verurteilung fristgemäß und unbeschränkt eingelegten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung sachlichen und formellen Rechts.
II.
Der Revision kann bereits aufgrund der näher ausgeführten Sachrüge ein – zumindest vorläufiger - Erfolg nicht versagt bleiben, weshalb es auf die Begründetheit der zulässig erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
Insoweit hält bereits die gerichtliche Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings obliegt die Würdigung der Beweise dem Tatrichter. Dem Revisionsgericht ist es insoweit grundsätzlich verwehrt, die - auf dem Ergebnis der Hauptverhandlung beruhende - Beweiswürdigung des Tatrichters durch eine eigene zu ersetzen. Aufgabe des Revisionsgerichts bleibt es jedoch, die tatrichterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung auf Rechtsfehler zu überprüfen. Als ein dem sachlichen Recht zuzurechnender Mangel ist es dabei anzusehen, wenn die Tatsachenfeststellungen und/oder die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, lückenhaft sind oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen. Der Tatrichter muss die für seine Überzeugungsbildung verwerteten Beweisanzeichen lückenlos zusammenfügen und unter allen für ihre Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkten würdigen. Insbesondere hat das Tatgericht die Beweise erschöpfend zu würdigen, vor allem naheliegende und sich deshalb aufdrängende Möglichkeiten einer anderweitigen Gestaltung des Sachverhaltes zu erwägen (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 337 Rn. 26, 26a m.w.N.).
1. Soweit die Revision im Rahmen einer Verfahrensrüge der Sache nach beanstandet, die Strafkammer habe vor allem den Beweiswert der Aussage der Zeugin A.-L. A. verkannt, welche nach den getroffenen Feststellungen den Angeklagten bei einer im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung durchgeführten sequentiellen Wahllichtbildvorlage als Fahrer des fraglichen Lkw´s sicher erkannt hatte, zeigt die revisionsrechtliche Nachprüfung jedoch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (zum Erfordernis der - vorliegend unterbliebenen - näheren Beschreibung der vorgelegten Lichtbilder im Urteil bzw. einer Bezugnahme auf diese vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 21.12.2009, 2 Ss 204/09, abgedruckt bei juris). Entgegen der Revision ist es nämlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer keine Abstriche vom Beweiswert der Wahllichtbildvorlage vorgenommen hat, denn diese ist rechtsfehlerfrei durchgeführt worden. Der Zeugin wurden acht Lichtbilder nacheinander vorgelegt und diese Lichtbildvorlage auch fortgesetzt, obwohl die Zeugin schon nach dem dritten Lichtbild angegeben hatte, den Täter erkannt zu haben (vgl. BGHSt NStZ 2012, 172). Es wurde seitens der Ermittlungsbehörden auch kein Versuch unternommen, die Zeugin A.-L. A. bei dieser Lichtbildvorlage in irgendeiner Form zu beeinflussen (BGH NStZ 2011, 648). Insbesondere ergibt sich ein solche Beeinflussung (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Identifizierung 10) entgegen der Ansicht der Revision nicht daraus, dass der Zeugin keine Lichtbilder von acht Personen mit „nackenlangen Haaren“ vorgelegt wurden. Vielmehr hätte gerade eine Vorlage solcher Bilder zur Verfälschung beigetragen, weil der Angeklagte eine solche Haartracht zum Zeitpunkt der Tat gerade nicht getragen hatte, womit sich der Tatrichter auch im Hinblick auf den Wert des Wiederkennens anhand der vorgelegten Lichtbilder ausdrücklich und in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise in den Urteilsgründen auseinandergesetzt hat. Auch hat die Strafkammer ihre Überzeugung nur auf das Wiedererkennen im Rahmen der früheren Lichtbildvorlage gestützt und dem von ihr lediglich mitgeteilten wiederholten Wiederkennen in der Berufungshauptverhandlung ersichtlich keinen Beweiswert beigemessen (OLG Hamm StraFo 2009, 109).
2. Die Beweiswürdigung ist aber aus einem anderen Grunde rechtsfehlerhaft und führt zur Aufhebung des Urteils.
Die Strafkammer stützt ihre Überzeugung vorliegend neben einigen sonstigen auf die Täterschaft des Angeklagten hindeutenden Indizien vor allem auf die Aussage der Zeugin A.-L. A., welche den Angeklagten, wie bereits ausgeführt, im Rahmen einer polizeilich durchgeführten Wahllichtbildvorlage wieder erkannt hat. Sie setzt sich jedoch mit weiteren sich aufdrängenden Beweismitteln und Beweiserkenntnissen nicht auseinander. Dabei kann der Senat offen lassen, ob und in welchem Umfang sich solche Erkenntnisse auch aus einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge ergeben und zu einer Berücksichtigung im Rahmen der Sachrüge führen finden können (vgl. hierzu BGHSt 49, 84; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl. 2013, § 337 Rn. 5 a.E.), weil das Urteil schon aus sich heraus lückenhaft ist. Insoweit ergibt sich aus den Urteilsgründen (UA S. 12), dass neben dem als Zeugen vernommenen Polizeibeamten PHM R. auch die Strafkammer selbst in der Hauptverhandlung Lichtbilder und Filmaufnahmen bzw. Videoaufzeichnungen von den Ein- und Ausfahrten auf das und von dem Betriebsgelände der Stadtwerke Baden-Baden im tatrelevanten Zeitraum in Augenschein genommen hat, auf welchen auch der um 16:04 Uhr ausfahrende und später verunfallte Lkw zu sehen gewesen war, und diese Aufnahmen bzw. Aufzeichnungen zudem von einem weiteren Mitarbeiter der Stadtwerke Baden-Baden vollständig und zuverlässig betrachtet worden sind. Eine nähere und ausdrückliche Befassung mit den hieraus gewonnenen Beweiserkenntnissen im Urteil hätte sich vorliegend vor allem deshalb aufgedrängt, weil sich aus den weiteren Urteilsfeststellungen (UA S. 5) ergibt, dass der Führer des LKW mit einem Dienstschlüssel gegen 16:04 Uhr zur Ausfahrt das Haupttor des Betriebsgeländes der Stadtwerke geöffnet hatte, was darauf schließen lässt, dass der Fahrzeugführer den Lkw zumindest kurzzeitig verlassen haben und deshalb auch auf den Filmaufnahmen abgebildet sein muss. Insoweit hätte es deshalb näherer Darlegung und Einstellung der entsprechenden Erkenntnisse in die gerichtliche Beweiswürdigung bedurft, ob auf diesen Filmaufnahmen die Person des Fahrers des Lkw zu erkennen gewesen war bzw. welche Qualität diese Filmaufnahmen aufwiesen. Vor allem hätte die Strafkammer aber nicht die Befassung mit der sich aufdrängenden Fragestellung unterlassen dürfen, ob für sie selbst, für den Zeugen PHM R. und/oder für den befassten Mitarbeiter der Stadtwerke eine Identifizierung des Angeklagten aufgrund dieser Filmaufnahmen möglich war oder nicht bzw. aus welchen Gründen ein solche nicht erfolgen konnte.
Der Senat hat vorliegend geprüft, ob das Beruhen das Urteils auf diesem Erörterungsmangel ausgeschlossen werden kann, eine solche Überzeugung trotz der gewichtigen und für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Beweisumstände jedoch nicht zu gewinnen vermocht.

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