Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 150/16 L

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft L. gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - G. vom 03. Juni 2016 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass Ziffer VII des dortigen Beschlusses wie folgt geändert und ein Entlassungszeitpunkt festgesetzt wird.

Ziffer VII:

a. Dem Verurteilten wird auferlegt, binnen zwei Wochen nach seiner Freilassung mit einer nach der VwV Forensischen Ambulanz vom 21. Juni 2010 des Landes Baden-Württemberg (Die Justiz 2010, 274) zugelassenen Forensischen Ambulanz Kontakt aufzunehmen und sich dort unter Entbindung der Einrichtung von der gesetzlichen Schweigepflicht im zweiwöchigen Abstand einer therapeutischen Behandlung von mindestens einer Therapiestunde von 50 Minuten Dauer zu unterziehen. Im Hinblick auf die Auswahl der geeigneten und aufnahmebereiten Einrichtung hat er sich hierzu unverzüglich mit dem ihm zugewiesenen Bewährungshelfer abzusprechen.

b. Die Kosten der therapeutischen Behandlung in der Forensischen Ambulanz sowie die Kosten der Anfahrt zur Therapieeinrichtung sind durch die Staatskasse zu tragen, solange und soweit der Verurteilte zur Tragung der Kosten selbst nicht in der Lage ist.

c. Der Verurteilte hat in jeder Woche, in welcher ein Therapiegespräch in einer Forensischen Ambulanz nicht stattfindet, mithin im zweiwöchigen Abstand, seinen Bewährungshelfer aufzusuchen.

d. Nach Ablauf eines Jahres nach der Haftentlassung hat die Strafvollstreckungskammer zu entscheiden, in welcher Häufigkeit die Gespräche mit der Forensischen Ambulanz und/oder dem Bewährungshelfer fortzusetzen sind.

Entlassungszeitpunkt:

Der Verurteilte ist am 19. Juli 2016 aus der Strafhaft zu entlassen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahren sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
U. wurde durch Urteil des Landgerichts L. - ohne Feststellung der besonderen Schwere der Schuld - wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er am 09.04.2001 in S. Ehefrau, nachdem ihn diese verlassen hatte und die eheliche Beziehung nicht wieder aufnehmen wollte, getötet hatte, indem er dieser eine Bügeleisenschnur um die Hals gelegt und diese so lange zugezogen hatte, bis das sein Opfer erstickt war. Der am 09.04.2001 vorläufig festgenommene Verfolgte befindet sich seit dem 14.03.2002 in Strafhaft, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt G., wobei 15 Jahre der gegen ihn verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe am 08.04.2015 verbüßt waren. Aufgrund eines unter Einverständnis mit dem Verurteilten erfolgten Antrags der Justizvollzugsanstalt G. vom 06.07.2015 setzte die sachverständig beratene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. mit Beschluss vom 03.06.2016 die lebenslange Freiheitsstrafe unter Erteilung zahlreicher Weisungen und Auflagen zur Bewährung aus. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft L. mit ihrer form- und fristgemäß eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt im Ergebnis ohne Erfolg, es führt lediglich zur Änderung des im angefochtenen Beschluss unter Ziffer VII erteilten Weisung.
1. Die Verantwortungsklausel des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, welche nach § 57 a Abs.1 Satz 1 Nr. 3 StGB auch für die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe gilt, fordert als Voraussetzung für eine vorzeitige bedingte Entlassung die Wahrscheinlichkeit des Erfolges der Aussetzung der Vollstreckung, wobei insbesondere das ausdrückliche genannte Kriterium des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit sowie das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes dem Wahrscheinlichkeitsurteil Grenzen setzen. In diesem Rahmen setzt das mit der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung verbundene „Erprobungswagnis“ keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus; es genügt vielmehr, wenn - eindeutig festzustellende - positive Umstände die Erwartung im Sinne einer wirklichen Chance rechtfertigen, dass der Verurteilte im Falle seiner Freilassung nicht mehr straffällig, sondern die Bewährungszeit durchstehen werde. Dabei gehen nicht aufklärbare Unsicherheiten und Zweifel, ob solche Umstände in zureichendem Maße vorliegen, zu Lasten des Verurteilten. Bezüglich möglicher künftiger Straftaten ist zwar ein Restrisiko einzugehen; ob dieses vertretbar ist, ist durch eine Gesamtabwägung aller entscheidungserheblicher Umstände zu ermitteln, wobei dem Sicherheitsanliegen der Allgemeinheit besonderes Gewicht zukommt. Je höherwertigere Rechtsgüter in Gefahr kommen können, um so geringer darf das Risiko eines Rückfalls sein. Auch insoweit gehen verbleibende Zweifel und Unsicherheiten zu Lasten des Verurteilten. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Falle eines Bewährungsbruchs schwere Gewalttaten oder sogar Tötungsdelikte zu erwarten sind. Die nicht näher konkretisierbare bloße Möglichkeit, dass der Verurteilte erneut solche schwere Straftaten begehen könnte, steht der Aussetzung jedoch nicht entgegen (vgl. BVerfG NJW 1992, 2345; 1998, 2202; Senat StraFo 2004, 287 sowie Beschlüsse vom 09.05.2007 - 1 Ws 247/06 -, vom 08.02.2011 - 1 Ws 122/10 -, vom 27.02.2014 - 1 Ws 136/13 - und vom 28.03.2014 - 1 Ws 12/13 L).
2. Diese grundsätzlich auch für die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a StGB geltenden allgemeinen Maßstäbe bedürfen wegen der nunmehr bereits über 15 Jahre andauernden Inhaftierung des Verurteilten im vorliegenden Fall besonders sorgfältiger Prüfung, um verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist nämlich nur dann mit der sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Menschenwürde als vereinbar anzusehen, wenn der Verurteilte, dessen Freiheitsanspruch gegenüber dem Sicherheitsanliegen der Allgemeinheit mit der Dauer seiner Inhaftierung zunehmend an Gewicht gewinnt, eine konkrete und realisierbare Chance auf Wiedererlangung seiner Freiheit hat (BVerfGE 45, 187 ff., 245; Senat a.a.O.; zur Frage einer generellen zeitlichen Obergrenze für die lebenslange Freiheitsstrafe vgl. BVerfG EuGRZ 2002, 567 f. a.E.).
a. Erforderlich ist zunächst eine qualifizierte Prognose im Hinblick auf das im Falle einer Freilassung des Verurteilten gefährdete Rechtsgut. Während es zwar grundsätzlich bezüglich des Rückfallrisikos nicht auf die Art der zu erwartenden Delikte ankommt, sondern bereits jede Straftat von einigem Gewicht ausreichen kann, ist bei der Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a Abs.1 StGB die Gefahr der Begehung von Gewaltdelikten oder ähnlich schwerwiegender Straftaten erforderlich (BVerfG NJW 2007, 1933; KG NStZ-RR 1997, 382; NStZ 2004, 157; OLG Nürnberg StV 2000, 266). Ohne eine solche Begrenzung wäre die dem Verurteilten aus verfassungsrechtlichen Gründen eingeräumte konkrete und realisierbare Chance auf Wiedererlangung seiner Freiheit nicht gewährleistet, weil bereits die Befürchtung der Begehung weniger gewichtiger Delikte, wie etwa von leichten oder mittelschweren Vermögens- oder Betäubungsmittelstraftaten, die Fortdauer des wegen eines Gewaltdeliktes verhängten lebenslangen Freiheitsentzugs rechtfertigen könnte (Senat a.a.O.).
b. Auch sind erhöhte Anforderungen an die Kriminalprognose zu stellen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass mit zunehmender Vollzugsdauer die Anlasstat an prognostischer Bedeutung verliert und demgegenüber solche Umstände an Bedeutung gewinnen, die Erkenntnisse über das Erreichen des Vollzugsziels vermitteln (BVerfG NStZ 2000, 109). Auch ist zu sehen, dass in Fällen von außergewöhnlich langer Vollzugsdauer und erheblicher Überschreitung der Mindestverbüßungszeit wegen besonderer Schuldschwere das Recht des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) und sein verfassungsrechtlich verbürgter Freiheitsanspruch deutlich an Bedeutung gewinnen (BVerfG StV 1992, 25). Dies gilt insbesondere bei Fällen, in denen das fortschreitende Lebensalter die Wirkungen des Freiheitsentzugs noch verstärkt (BVerfGE 72, 105). Zwar kann die Verpflichtung des Staates zur Wahrung der Menschenwürde des Verurteilten wegen des fortbestehenden Sicherungsbedürfnisses der Allgemeinheit vor schwersten Straftaten nicht dazu führen, dass ein wegen Mordes Verurteilter entlassen wird, wenn unklar oder zweifelhaft ist, ob die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit noch fortbesteht (BVerfG StV 1992, 25), jedoch muss die gewonnene Prognose sorgfältig gegen das Recht des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde abgewogen werden, so dass bei geringem Rückfallrisiko dieses Recht entscheidende Bedeutung erlangen kann. Auch darf die tatsächliche Verbüßungsdauer nicht außer Verhältnis zur Schuld des Verurteilten stehen (Senat JR 1988, 163 f.).
3. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss des Landgerichts G. ohne weiteres gerecht. Der Senat teilt die Ansicht der dortigen Strafvollstreckungskammer, dass dem Verurteilten schon jetzt eine günstige Prognose gestellt werden kann und eine solche entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft nicht von einer weiteren in der Strafhaft durchzuführenden therapeutischen Behandlung abhängig ist.
Insoweit genügt auch die erfolgte sachverständige Begutachtung der Sachverständigen X. den Mindestanforderungen für Prognosegutachten (vgl. Boetticher u.a. NStZ 2006, 537 ff., 542), auch wenn diese keine ausdrückliche eigene diagnostische Bewertung eines Störungsbildes vornimmt, sondern lediglich auf frühere Begutachtungen verweist. So ist der durchaus komplexen und vertieften Expertise zu entnehmen, dass der Verurteilte nicht nur Defizite im Konfliktmanagement aufweist, sondern auch grundsätzlich nicht in der Lage ist, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und deren Perspektive zu übernehmen, was - wie bei der Anlasstat erfolgt - die Gefahr auch von zukünftigen Impulsdurchbrüchen mit körperlicher Gewalt begründen könnte. An diesen Defiziten wurde jedoch bereits - auch nach Ansicht des Senats - erfolgreich im Rahmen des Behandlungsprogramms für Gewaltstraftäter in der Justizvollzugsanstalt L. mit insgesamt 57 Einzel- und 36 Gruppensitzungen gearbeitet, so dass nunmehr nach erfolgreicher Erprobung im Rahmen vom Freigang sowie eines freien Beschäftigungsverhältnisses durchaus verantwortet werden kann, die noch vorhandenen und im Strafvollzug auch nicht vollständig aufarbeitbaren Risiken bei Schwierigkeiten in möglichen neuen Partnerbeziehungen im Sinne eines modernen Risikomanagements im Rahmen einer therapeutischen Nachsorge durch ein - wie von der Strafvollstreckungskammer vorgeschlagen - engmaschiges Behandlungs- und Beratungsangebot zu minimieren.
4. Insoweit war es jedoch aus Sicht des Senats nicht nur notwendig, eine Therapieweisung nach §§ 57, 57a, 56c StGB auszusprechen, sondern durch Auswahl einer geeigneten Einrichtung auch durch die Auferlegung einer Pflicht zur Entbindung derselben von der gesetzlichen Schweigepflicht für die Unterrichtung der Justizbehörden über den Behandlungsverlauf und die Sicherung der Kostentragung der therapeutischen Behandlung zu sorgen, zumal gerade eine solche das Risiko eines Rückfalls erheblich senkende Nachsorge zur Verhinderung einer erneuten Straffälligkeit bis auf weiteres auch dann unerlässlich ist, wenn der Verurteilte für die Kosten nicht oder nicht vollständig selbst aufkommen kann. Eine solche Versorgung kann vorliegend, auch wenn noch keine Einrichtung konkret ausgewählt ist, dadurch sichergestellt werden, dass dem Verurteilten auferlegt wird, sich binnen zwei Wochen nach seiner Freilassung mit einer nach der VwV Forensische Ambulanz vom 21.06.2010 des Landes Baden-Württemberg (Die Justiz 2010/274) zugelassenen Forensischen Ambulanz Kontakt aufzunehmen und sich dort unter Entbindung der Einrichtung von der gesetzlichen Schweigepflicht im zweiwöchigen Abstand einer therapeutischen Behandlung von mindestens einer Therapiestunde von 50 Minuten Dauer zu unterziehen. Insoweit gilt, dass die notwendigen Kosten einer Therapie in einer Forensischen Ambulanz im Falle einer Strafaussetzung zur Bewährung von der Staatskasse zu tragen sind, sofern der Verurteilte wirtschaftlich hierzu nicht in der Lage ist (OLG Karlsruhe NStZ 2014, 62; Senat, Beschluss vom 20.05.2015, 1 Ws 213/14 L; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.08.2012, 4 a Ws 33/12), zumal die VwV Forensische Ambulanz vom 21.06.2010 des Landes Baden-Württemberg (Die Justiz 2010/274) nur Fälle der Nachsorge im Rahmen der Führungsaufsicht erfasst und daher vorliegend kostenmäßig nicht anwendbar wäre. Auch war es vorliegend notwendig, bereits über die Frage zu entscheiden, ob das Land auch für die Kosten der möglicherweise erforderlichen Fahrten des Verurteilten zur Therapie ganz oder teilweise aufkommen werden wird (vgl. hierzu Senat NStZ-RR 2011, 30). Dies hat der Senat bejaht und einen entsprechende Anordnung getroffen, da vorliegend derzeit - insoweit wird der Verurteilte die Hilfestellung seines Bewährungshelfers benötigen - nicht abschließend geklärt ist, in welcher Forensischen Ambulanz des Landes der Verurteilte behandelt werden wird und nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine solche Versorgung in der Ambulanz der Bewährungshilfe S. durchgeführt werden wird, was mit erheblichen Fahrtkosten verbunden wäre.
III.
10 
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

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