Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 202 - 203/16; 2 Ws 202/16; 2 Ws 203/16

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Karlsruhe vom 13. Mai 2016 wird kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe

 
I.
Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Landgerichts S vom 27.11.2003 - 9 Ks 116 Js 40988/02 - wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion sowie versuchter räuberischer Erpressung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den Feststellungen dieses Urteils hatte der zuvor nicht vorbestrafte Verurteilte am 30.04.1995 und am 18.10.1996 zwei selbst gebaute Bombensprengfallen in Telefonzellen in S deponiert, die - von zufälligen Passanten ausgelöst - explodiert waren und drei Personen erheblich verletzt hatten. In an die Polizei gerichteten Schreiben hatte er unter Bezugnahme auf diese Bomben unter Androhung einer noch größeren Explosion in einer U-Bahn-Station im Dezember 1996 versucht, die Bezahlung von 300.000 DM zu erzwingen. Schließlich hatte er am 14.09.1998 im Ser Hauptbahnhof eine Zeitbombe deponiert, die lediglich deshalb nicht explodiert war, weil die Zeitschaltuhr versagt hatte.
Nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S vom 17.02.2014, das am 24.09.2014 schriftlich ergänzt wurde, ordnete das Landgericht K - Auswärtige Strafvollstreckungskammer P - mit Beschluss vom 22.10.2014 gemäß § 67c Abs. 1 StGB an, die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung zu vollziehen. Nachdem die zwölfjährige Gesamtfreiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil sowie anschließend eine viermonatige Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung aus dem Urteil des Amtsgerichts M vom 22.11.2012 - 1 Ds 84 Js 9262/12 - vollständig verbüßt waren, befand sich der Verurteilte vom 23.11.2014 bis zum 13.08.2015 im Vollzug der Sicherungsverwahrung.
Ab dem 14.08.2015 wurde der Vollzug der Sicherungsverwahrung gemäß § 44 StVollstrO zum Zwecke der Vollstreckung einer einjährigen Gesamtfreiheitsstrafe zunächst aus dem Berufungsurteil des Landgerichts K - Auswärtige Strafkammer P - vom 10.12.2014 - 18 Ns 84 Js 12990/12 - unterbrochen. Dieser Verurteilung, der erstinstanzliche Entscheidungen des Amtsgerichts M vom 25.02.2014 - 1 Ds 84 Js 12990/12 - und des Amtsgerichts P vom 03.07.2014 - 3 Ds 84 Js 9068/13 - vorausgegangen waren, lagen Taten der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil eines Justizvollzugsbeamten am 12.11.2012 sowie der Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zum Nachteil der Richter der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer P durch Schreiben vom 08.07.2013 zugrunde. Diese Gesamtfreiheitsstrafe wurde später durch das Urteil des Landgerichts K vom 24.08.2015 - 11 Ns 150 Js 28110/14 - in Verbindung mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts K vom 27.11.2015 - 1 (10) Ss 603/15 - aufgelöst; aus den ihr zugrundeliegenden Einzelstrafen von zehn Monaten und sechs Monaten sowie einer weiteren Einzelstrafe wegen eines am 29.07.2014 zum Nachteil von Justizvollzugsbeamten begangenen Vergehens der Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von wiederum einem Jahr gebildet. Zwei Drittel dieser Gesamtfreiheitsstrafe waren am 13.04.2016 vollstreckt.
Nach Unterbrechung der Vollstreckung der vorgenannten Gesamtfreiheitsstrafe zum 07.07.2016 wird seither eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts F vom 01.07.2015 - 35 Cs 220 Js 1259/15 - in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts F vom 22.02.2016 - 9 Ns 35 Cs 220 Js 1259/15 - und dem Senatsbeschluss vom 01.06.2016 - 2 (7) Ss 229/16 - vollstreckt. Dieser Verurteilung liegen im Januar 2015 im Strafvollzug begangene Straftaten der Sachbeschädigung in zwei Fällen, der Bedrohung, der Beleidigung in neun tateinheitlichen Fällen, der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, der Beleidigung in acht tateinheitlichen Fällen sowie der Beleidigung zugrunde. Zwei Drittel dieser Strafe werden am 16.10.2016 verbüßt sein; das Strafende ist auf den 06.12.2016 notiert. Anschließend ist bis zum 13.01.2017 die Vollstreckung der restlichen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts K vom 24.08.2015, bis zum 03.04.2017 die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts F vom 04.11.2015 - 23 Cs 220 Js 24411/15 - und sodann der erneute Vollzug der Sicherungsverwahrung vorgesehen.
Nachdem er bereits mit Schreiben vom 07.08.2015 eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach Vollstreckung der Hälfte bzw. von zwei Drittel der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts K - Auswärtige Strafkammer P - vom 10.12.2014 beantragt hatte, erklärte der Verurteilte am 02.01.2016 sein Einverständnis mit einer Reststrafenaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 2 StGB und bat zudem um Prüfung, ob die Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt werden könne.
Am 22.03.2016 ordnete der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer die Einholung eines mündlichen kriminalprognostischen Gutachtens über den Verurteilten an und bestimmte Dr. S erneut zum Sachverständigen. Am 26.04.2016 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten an. Im Rahmen des Anhörungstermins erstattete der Sachverständige ein mündliches Gutachten.
Mit Beschluss vom 13.05.2016 lehnte das Landgericht Karlsruhe eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe sowie der weiteren Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts S vom 27.11.2003 angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ab. Zudem ordnete das Landgericht an: „Die durch Urteil des Landgerichts S vom 27.11.2003 (9 Ks 116 Js 40988/02) angeordnete Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ist im Anschluss an die vollständige Verbüßung der (Ersatz-)Freiheitsstrafe erneut zu vollziehen.“
Nachdem ihm der Beschluss am 25.05.2016 zugestellt worden war, legte der Verteidiger des Verurteilten mit Telefax vom 30.05.2016 ebenso sofortige Beschwerde ein wie der Verurteilte selbst mit am 31.05.2016 eingegangenem Schreiben vom 26.05.2016.
II.
Die gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1, 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
10 
1. Soweit der Verurteilte eine Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts K vom 24.08.2015 begehrt, kommt eine solche schon deshalb nicht in Betracht, weil die Vollstreckung dieser Strafe unterdessen gemäß § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO unterbrochen wurde, derzeit die fünfmonatige Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts F vom 01.07.2015 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts F vom 22.02.2016 sowie dem Senatsbeschluss vom 01.06.2016 vollstreckt wird und der Zeitpunkt, zu dem über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen entschieden werden kann, noch nicht erreicht ist (§ 454b Abs. 3 StPO).
11 
2. Soweit das Landgericht die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung abgelehnt hat, ist dies im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden.
12 
a) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass über den Antrag des Verurteilten zu entscheiden war, die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen, obgleich die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung derzeit zur Vollstreckung im Strafvollzug begangener Straftaten unterbrochen ist (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.11.1976, 1 Ws 374/16; OLG Hamm, NStZ 1990, 251, 252).
13 
b) Unzutreffend war allerdings der rechtliche Maßstab, den das Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Nachdem die Sicherungsverwahrung bereits vom 23.11.2014 bis zum 13.08.2015 vollzogen wurde, richtet sich ihre (weitere Vollstreckung) nicht nach § 67c Abs. 1 oder Abs. 2 StGB. Diese Vorschriften betreffen ausschließlich den Zeitraum vor dem erstmaligen Vollzug einer Sicherungsverwahrung; wenn die Sicherungsverwahrung bereits vollzogen worden ist, bestimmt sich ihre Fortdauer nach §§ 67d Abs. 2, Abs. 3, 67e Abs. 1 StGB (vgl. Pollähne, in: NK-StGB, 4. Aufl. 2013, § 67c Rn. 10 f.; Rissing-van Saan/Peglau, in: LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 67c Rn. 1; siehe auch OLG Hamm, NStZ-RR 2016, 230, 231). Dies gilt auch, wenn - wie hier - der Vollzug der Sicherungsverwahrung zur Vollstreckung einer in anderer Sache verhängten Strafhaft unterbrochen wurde (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamm, a. a. O.). Soweit das Landgericht ausgehend von seiner Auffassung, eine Entscheidung nach § 67c Abs. 1 und/oder Abs. 2 StGB zu treffen, den erneuten Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Anschluss an die vollständige Verbüßung der derzeit vollzogenen Strafhaft beschlossen hat, war dieser Ausspruch zwar nicht erforderlich, bedurfte im Hinblick auf seinen zutreffenden Inhalt und sein mögliches Verständnis als lediglich deklaratorischen Charakters jedoch nicht der Korrektur durch den Senat.
14 
c) Dass die Strafvollstreckungskammer seiner Entscheidung diesen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat, hat sich jedoch auf das Ergebnis ihrer Entscheidung nicht ausgewirkt; die unterbliebene Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ist auch bei Anwendung der §§ 67d Abs. 2, Abs. 3, 67e Abs. 1 StGB nicht zu beanstanden.
15 
aa) Die Entscheidung des Landgerichts leidet zunächst an keinem durchgreifenden Verfahrensfehler. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob es den Vorgaben des §§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 StGB genügen kann, wenn ein nach diesen Vorschriften gebotenes Sachverständigengutachten ausschließlich mündlich erstattet wird (so Senat, NStZ-RR 1999, 253; Appl, in: KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 454 Rn. 2; siehe auch OLG Hamm, NStZ-RR 2016, 230, 232; demgegenüber für das Erfordernis der Schriftlichkeit BGH, NJW 2010, 544; KG, NStZ-RR 2011, 29 f.; Klein, in: Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, § 454 Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 454 Rn. 37b; differenzierend Baier, in: Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 454 Rn. 35). Denn vorliegend war die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 3 StPO, 454 Abs. 2 Satz 1 StPO insgesamt entbehrlich, da es für die Strafvollstreckungskammer keinen Grund gab, die Aussetzung der weiteren Sicherungsverwahrung zur Bewährung zu erwägen. Zwar kommt die Verneinung eines solchen „Erwägens“ bereits im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung regelmäßig nur in Betracht, wenn die Möglichkeit der Aussetzung der Vollstreckung völlig fernliegend und als ernsthafte Alternative zur Fortdauer des Maßregelvollzugs von vornherein ausgeschlossen erscheint (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.04.2016, 1 Ws 13/16, m. w. N.). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier jedoch gegeben. Noch durch Senatsbeschluss vom 04.12.2014 - 2 Ws 409/14 - war bescheinigt worden, dass im Falle einer Entlassung des Verurteilten eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung vor allem von Sprengstoffdelikten und damit auch von erheblichen Körperverletzungs- bis hin zu Tötungsdelikten bestehe und dieses sehr hohe Rückfallrisiko nur durch eine mehrjährige intensive therapeutische Behandlung entscheidend reduziert werden könne. Ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt B vom 18.03.2016 häuften sich im weiteren Vollstreckungsverlauf zunächst in der Justizvollzugsanstalt F massive Beleidigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen; aus diesen Taten resultierte insbesondere auch die Verurteilung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten. Seit der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt B am 02.09.2015 konnte ausweislich deren vorgenannten Stellungnahme weiterhin kaum eine Mitwirkungs- und Kooperationsbereitschaft des Verurteilten festgestellt werden; vielmehr kam es nach wie vor zu verbalen Gewaltandrohungen gegenüber bestimmten Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes. Die Justizvollzugsanstalt erachtet - plausibel - die Durchführung einer Sozialtherapie für unbedingt erforderlich, für die allerdings erst die Voraussetzungen geschaffen werden müssten, worauf durch Einzelkontakte mit dem für Gruppenmaßnahmen derzeit nicht geeigneten Verurteilten hinzuarbeiten versucht werde. Bei dieser Sachlage kommt eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung zum jetzigen Zeitpunkt ersichtlich nicht ansatzweise in Frage, so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor der entsprechenden ablehnenden Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 StPO nicht geboten war und die Frage, ob das dennoch eingeholte mündliche Gutachten den Formvorgaben dieser Vorschriften entsprach, nicht entscheidungserheblich ist.
16 
bb) Aus den vorgenannten Gründen liegen auch die materiellen Voraussetzungen für eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB nicht ansatzweise vor. Es besteht keinerlei Grundlage für die Erwartung, dass der Verurteilte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen würde.
17 
Eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auf der Grundlage des gemäß Art. 316f Abs. 3 Satz 1 EGStGB anwendbaren § 67d Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 StGB scheidet schon deshalb aus, weil bisher keine Frist zum Angebot einer ausreichenden Betreuung gemäß § 67d Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 StGB gesetzt werden musste. Eine solche Fristsetzung ist auch weiterhin nicht erforderlich, nachdem sich aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt B vom 18.03.2016 ergibt, dass dem Verurteilten sowohl in der Justizvollzugsanstalt F in der Abteilung für Sicherungsverwahrung eine - gemessen an seiner den Vollzugsverlauf bestimmenden Weigerungshaltung - ausreichende, individualisierte und fachkundige therapeutische Betreuung nach Maßgabe des § 66c Abs. 1 StGB angeboten wurde wie er auch derzeit im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt B ein derartiges Angebot erhält (vgl. § 66c Abs. 2 StGB).
18 
§ 67d Abs. 3 StGB findet keine Anwendung, da sich der Verurteilte noch nicht zehn Jahre im Vollzug der Sicherungsverwahrung befunden hat.

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