Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 211/16

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Justizministeriums Baden-Württemberg wird der Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 4. Mai 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Freiburg zurückverwiesen.

2. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 100 Euro festgesetzt (§§ 65, 60, 52 GKG).

Gründe

 
I.
Das Landgericht Freiburg hat mit Beschluss vom 04.05.2016 festgestellt, dass die Verfügung der Antragsgegnerin vom 25.09.2014, mit der die Zulassung alkoholfreien Bieres in ihrer Abteilung für Sicherungsverwahrung abgelehnt wurde, rechtswidrig sei. Mit der genannten Verfügung hatte die Antragsgegnerin den Antrag des in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Antragstellers abgelehnt, ihm den Einkauf alkoholfreien Bieres zu genehmigen. Sie hatte sich darauf berufen, dass sich in der Abteilung für Sicherungsverwahrung zahlreiche Untergebrachte befänden, die in der Vergangenheit einen schädlichen und teilweise suchtartigen Konsum von Alkohol praktiziert hätten und bei denen die Gefahr bestehe, dass der Genuss alkoholfreien Bieres ihren Suchtdruck erhöhe, was - beispielsweise im Rahmen unbeaufsichtigter vollzugsöffnender Maßnahmen - zu einem Alkoholrückfall führen könne.
Gegen den Beschluss des Landgerichts, der der Antragsgegnerin mit am 11.05.2016 ausgeführter Verfügung vom 06.05.2016 formlos übersandt wurde, hat das Justizministerium Baden-Württemberg mit Telefax vom 07.06.2016 Rechtsbeschwerde erhoben und mit dieser eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts sowie die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
Der Antragsteller hat zu der Rechtsbeschwerdebegründung mit Schreiben vom 28.06. sowie vom 01., 03. und 11.07.2016 Stellung genommen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Das Justizministerium Baden-Württemberg ist als am Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß §§ 130, 111 Abs. 2 StVollzG beteiligte Aufsichtsbehörde befugt, die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gemäß §§ 130, 116 Abs. 1 StVollzG selbst zu erheben (Senat, Beschluss vom 18.08.2005, 2 Ws 159/05; Beschluss vom 16.10.2008, 2 Ws 253/08; OLG Karlsruhe, NStZ 2003, 622, 623 m. w. N.).
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 130, 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, da es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Eine obergerichtliche Entscheidung zu den Voraussetzungen und Grenzen des § 20 JVollzGB V, der den Einkauf in der Sicherungsverwahrung regelt, ist bisher - soweit dem Senat ersichtlich - nicht ergangen.
Form und Frist der §§ 130, 118 Abs. 1, Abs. 2 StVollzG sind gewahrt.
2. Die Rechtsbeschwerde hat jedenfalls mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Abgesehen davon, dass der Beschluss der Strafvollstreckungskammer insofern rechtsfehlerhaft ist, als über den zulässigen Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Neubescheidung gemäß §§ 109 Abs. 1 Satz 2, 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG durch einen Feststellungsausspruch entschieden wurde, der nur im Falle eines - vorliegend nicht eingetretenen - erledigenden Ereignisses zulässig gewesen wäre (§ 115 Abs. 3 StVollzG), leidet der angefochtene Beschluss an Darstellungsmängeln und verkennt die Voraussetzungen und Grenzen des § 20 JVollzGB V.
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a) Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB V erhalten die in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen die Möglichkeit, unter Vermittlung der Justizvollzugsanstalt in angemessenem Umfang einzukaufen, wobei die Justizvollzugsanstalt gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB V auf ein Angebot hinzuwirken hat, das auf die Wünsche und Bedürfnisse der Untergebrachten Rücksicht nimmt. § 20 Abs. 2 JVollzGB V schließt solche Gegenstände vom Einkauf aus, die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährden.
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Aus diesem gesetzlichen Regelungskonzept folgt kein genereller Anspruch des einzelnen Sicherungsverwahrten, dass ein bestimmtes Produkt seiner Wahl in das Einkaufssortiment aufgenommen wird (LT-Drucksache 15/2450, Seite 69; vgl. auch - zu § 22 StVollzG - OLG Frankfurt, ZfStrVo 1979, 33; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.04.2016, Vollz (Ws) 13/14; Arloth, StVollzG, 3. Auflage 2011, § 22 Rn. 2). Welche Artikel in das Angebot aufgenommen werden, wie der Einkauf zu organisieren ist und wie oft Gelegenheit zum Einkauf gewährt wird, stellt das Gesetz vielmehr in das Ermessen der Vollzugsbehörde, bei dessen Ausübung einerseits auf die Wünsche und Bedürfnisse der Untergebrachten Rücksicht zu nehmen ist und das andererseits seine äußeren Grenzen darin findet, dass die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährdende Gegenstände nicht zum Einkauf zugelassen werden dürfen (vgl. OLG Frankfurt, ZfStrVo 1979, 33, 34; OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2011, III - 1 Vollz (Ws) 421/11). Danach getroffene Einkaufsregelungen unterliegen der gerichtlichen Überprüfung (nur) insoweit, als zu entscheiden ist, ob die Justizvollzugsanstalt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (hier insbesondere: aus § 20 Abs. 2 JVollzGB V) überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung (hier insbesondere: dem Leitgesichtspunkt des § 20 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB V Rechnung tragend) Gebrauch gemacht hat (§ 115 Abs. 5 StVollzG).
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b) Das Landgericht hätte sich vor diesem Hintergrund nicht darauf beschränken dürfen, die Entscheidung der Antragsgegnerin - zumal ohne jedwede Bezugnahme auf eine Rechtsnorm sowie deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen - als unzureichend begründet und daher rechtswidrig zu erklären. Vielmehr wäre die Darlegung und Begründung im Einzelnen erforderlich gewesen, ob und inwieweit die Verfügung der Antragsgegnerin vom 25.09.2014 den äußeren und inneren Grenzen des dieser in § 20 JVollzGB V eingeräumten Ermessens gerecht geworden ist.
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aa) Insoweit hätte es zunächst der näheren Überprüfung bedurft, ob die Zulassung alkoholfreien Bieres in der Sicherungsverwahrung die Sicherheit oder Ordnung in der Justizvollzugsanstalt gefährdet und daher zwingend versagt werden musste (§ 20 Abs. 2 JVollzGB V). Dies wäre der Fall, wenn das Vorhandensein alkoholfreien Bieres in der Abteilung für Sicherungsverwahrung eine konkrete Gefahr für Personen oder Sachen in der Justizvollzugsanstalt oder ein geordnetes und menschenwürdiges Zusammenleben im Maßregelvollzug begründete (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2001, 349, 350; Dorsch, in: BeckOK Strafvollzugsrecht BW, § 3 JVollzGB III Rn. 18, 20), wobei diese Gefahr nicht zwingend in der Person des Antragstellers begründet sein müsste (vgl. KG, Beschluss vom 26.09.2005, 5 Ws 444/05; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.04.2016, Vollz (Ws) 13/14; Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 22 Rn. 4). Demgegenüber ermöglicht § 20 Abs. 2 JVollzGB V nicht den Ausschluss von Gegenständen vom Einkauf zum Zwecke der Vorbeugung (außerhalb) der Justizvollzugsanstalt begangener erheblicher Straftaten; einen solchen, beispielsweise in der Generalklausel des § 4 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB V enthaltenen Vorbehalt hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 JVollzGB V gerade nicht aufgenommen.
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Demzufolge könnte ein Ausschluss des Einkaufs alkoholfreien Bieres durch Sicherungsverwahrte durch § 20 Abs. 2 JVollzGB V unter der Voraussetzung gerechtfertigt werden, dass sein Konsum für den Antragsteller oder - nach einer etwaigen Weitergabe - für andere, suchtkranke Sicherungsverwahrte als konkret gesundheitsschädlich einzustufen wäre oder den Suchtdruck in einer Weise erhöhen würde, dass die Ordnung der Anstalt gefährdende Aktivitäten mit dem Ziel der (subkulturellen) Beschaffung oder Herstellung alkoholischer Getränke erwartet werden müssten (vgl. OLG Zweibrücken, NStZ 1985, 479; OLG Karlsruhe, Die Justiz 2004, 131). Hierzu hat die Strafvollstreckungskammer keine Feststellungen getroffen. In ihren daher lückenhaften Darlegungen ist sie auf die jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Ausführungen der Antragsgegnerin, wonach der Konsum alkoholfreien Bieres alkoholkranke Personen „wieder auf den Geschmack bringen, den Suchtdruck erhöhen“ und einen Alkoholrückfall bereits während vollzugsöffnender Maßnahmen wahrscheinlich machen könne, nicht eingegangen. Auch wenn der Gesetzgeber alkoholfreiem Bier andernorts ersichtlich keine die Entstehung von Alkoholmissbrauch fördernde Wirkung beimisst (vgl. § 9 Abs. 1 JuSchG; hierzu Liesching, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 9 JuSchG Rn. 5), wird sich nach Auffassung des Senats letztlich nur durch die Einholung eines suchtmedizinischen Sachverständigengutachtens (nach Anhörung der Beteiligten, erforderlichenfalls unter Vermittlung eines geeigneten Gutachters durch die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e. V. oder eine vergleichbare Fachorganisation) und unter ergänzender Heranziehung der in der Justizvollzugsanstalt R (Niedersachsen) seit 2013 gemachten Erfahrungen beurteilen lassen, ob der Konsum alkoholfreien Bieres als (für alkoholkranke Personen in der Sicherungsverwahrung) bereits konkret gesundheitsschädlich oder den Suchtdruck in einer die Anstaltsordnung gefährdenden Weise steigernd angesehen kann.
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bb) Soweit sie eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt in Folge der Zulassung alkoholfreien Bieres der Sache nach nicht bejaht hat, hätte die Strafvollstreckungskammer weiter zu prüfen gehabt, ob die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung, dem Antragsteller den Einkauf alkoholfreien Bieres zu untersagen, den Wünschen und Bedürfnissen der Untergebrachten in der gebotenen Weise Rechnung getragen oder dies - dann ermessensfehlerhaft - unterlassen hat (§ 20 Abs. 1 Satz 2 JVollzGB). Bei dieser Entscheidung sind zum einen die (rein subjektiven) Wünsche der (Gesamtheit der) Sicherungsverwahrten zu berücksichtigen, ohne dass insoweit allerdings - zumal angesichts des in § 2 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB V normierten Angleichungsgrundsatzes und des Abstandsgebotes zwischen Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2011, III - 1 Vollz (Ws) 421/11) - übertriebene Anforderungen an die Zahl und Häufigkeit des Wunsches nach dem Einkauf eines bestimmten Produktes gestellt werden dürfen. Zum anderen sind aber auch die (objektiven) Bedürfnisse der in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen zu berücksichtigen, was die Verfolgung der in § 1 JVollzGB V normierten Ziele des Vollzugs der Sicherungsverwahrung einschließt, die Gefährlichkeit der Untergebrachten für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Unterbringung möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann, und die Untergebrachten zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn nicht sogar geboten, bei der Entscheidung, ob ein bestimmtes Produkt zum Einkauf zugelassen wird, Gesichtspunkte der Resozialisierung und damit auch der Suchttherapie - unterhalb der Schwelle der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt - zu berücksichtigen, zu gewichten und in Relation zu den vorhandenen Wünschen der Sicherungsverwahrten nach dem Bezug dieses Produktes sowie dem Angleichungsgrundsatz zu stellen. Auch hierzu fehlt es an den erforderlichen Darlegungen der Strafvollstreckungskammer, die dazu gehalten gewesen wäre, sich mit dem - in der ablehnenden Verfügung der Antragsgegnerin substantiiert vorgetragenen - Gesichtspunkt einer möglichen „Triggerwirkung“ alkoholfreien Bieres auf alkoholkranke Sicherungsverwahrte näher auseinanderzusetzen, was nach Auffassung des Senat ebenfalls die Einholung eines suchtmedizinischen Sachverständigengutachtens nahegelegt hätte.
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c) Angesichts der aufgezeigten Rechtsfehler war der Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufzuheben (§§ 130, 119 Abs. 4 Satz 1 StVollzG). Da die Sache mangels zureichender Feststellungen nicht spruchreif ist, war die Sache zudem zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (§§ 130, 119 Abs. 4 Satz 2, 3 StVollzG).

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