Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 59/17

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Freiburg vom 13. Dezember 2016 (12 StVK 254/15) aufgehoben. Der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 11.08.2016 wird zurückgewiesen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

 
I.
A wurde mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 17.04.2012 (20 Ls 240 Js 15951/11), rechtskräftig seit dem 04.05.2012, wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Hehlerei in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde mit Beschluss vom selben Tag auf zwei Jahre festgesetzt. Dem Verurteilten wurde auferlegt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Diese Auflage hat der Verurteilte bis zum 23.07.2012 voll erfüllt.
Aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Freiburg vom 17.09.2013 befand sich der Verurteilte ab 18.09.2013 in Untersuchungshaft. Mit Anklageschrift vom 25.10.2013 erhob die Staatsanwaltschaft Freiburg Anklage wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl (141 Js 21836/13). Hierauf beantragte die Staatsanwaltschaft am 11.12.2013 für den Fall eines Geständnisses oder der Verurteilung wegen der angeklagten Tat, den Widerruf der verfahrensgegenständlichen Bewährung. Mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 27.03.2014 (16 Ls 141 Js 21836/13), rechtskräftig seit dem 29.09.2014, wurde der Verurteilte wegen Beihilfe zum Diebstahl in elf Fällen in Tateinheit mit Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Durch Schreiben seiner Verteidigerin vom 29.10.2014 und 30.01.2015 beantragte der Verurteilte, von dem Widerruf der verfahrensgegenständlichen Bewährung abzusehen, während die Staatsanwaltschaft am 04.02.2015 an ihrem entsprechenden Antrag festhielt. Das Amtsgericht Freiburg widerrief sodann mit Beschluss vom 06.02.2015 die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten wegen der in der Bewährungszeit begangenen neuen Straftaten. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wurde dieser Beschluss durch Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 16.04.2015 (2 Qs 22/15) wegen sachlicher Unzuständigkeit des Amtsgerichts aufgehoben, da gegen den Verurteilten im Zeitpunkt der Entscheidung Strafhaft vollstreckt worden war. Nachdem das Amtsgericht die Bewährungsüberwachung im vorliegenden Verfahren sodann an die Strafvollstreckungskammer abgegeben hatte, verlängerte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 05.05.2015 - unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen (durch Beschluss des Landgerichts vom 27.03.2015) erfolgten Vollstreckungsaussetzung der restlichen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 27.03.2014 - die verfahrensgegenständliche Bewährungszeit um drei Jahre bis zum 03.05.2017. Der Verurteilte war am 07.04.2015 aus der Strafhaft entlassen worden.
Mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 23.11.2015 i.V.m. dem Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg vom 21.06.2016 (10 Ns 220 Js 20409/15) wurde der Verurteilte wegen Hehlerei, begangen am 13.04.2015, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 05.09.2016 (im Verfahren 12 StVK 124/15) wurde die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 27.03.2014 widerrufen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten wurde vom Senat mit Beschluss vom 22.11.2016 (2 Ws 356/16) als unbegründet verworfen.
Dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 11.08.2016 entsprechend widerrief die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg wegen der am 13.04.2015 begangenen Hehlerei auch die Strafaussetzung zur Bewährung im vorliegenden Verfahren gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB. Gegen die der Verteidigerin am 21.12.2016 zugestellte Entscheidung vom 13.12.2016 richtet sich die am 22.12.2016 beim Landgericht Freiburg eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten. Nachdem im Beschwerdeschriftsatz irrtümlich das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens (10 Ns 220 Js 20409/15) aufgeführt war, wurde es (offensichtlich ohne jede inhaltliche Prüfung) zum dortigen Verfahren gebracht und gelangte es erst am 13.02.2017 zur Kenntnis der zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Mit Schriftsatz vom 16.02.2017 wies die hierüber am 13.02.2017 telefonisch informierte Verteidigerin auf die von ihr unter falschem Aktenzeichen eingelegte Beschwerde vom 22.12.2016 hin und beantragte für den Fall, dass das Gerichts angesichts des falschen Aktenzeichens die sofortige Beschwerde für verfristet halten würde, Widereinsetzung in den vorigen Stand und legte erneut sofortige Beschwerde ein, die sie zugleich begründete.
II.
1. Einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedurfte es vorliegend nicht, da die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht versäumt wurde. Die eindeutig als sofortige Beschwerde des Verurteilten Daniel John gegen den Beschluss des Landgerichts vom 13.12.2016 bezeichnete Rechtsmittelschrift ist am 22.12.2016 beim Landgericht Freiburg und damit rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist nach § 311 Abs. 2 StPO bei dem gemäß § 306 Abs. 1 StPO zutreffenden Gericht eingegangen. Die Auslegung von Prozesshandlungen orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (BGH NJW-RR 2000, 1446). Die Anwendung dieses Grundsatzes führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt hat. Wird eine Beschwerde schriftlich eingelegt, genügt es, wenn aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise der Urheber und dessen Wille hervorgeht, Beschwerde einzulegen (Zabeck in KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 306 Rn. 8). Insoweit war nicht allein auf das irrig angegebene Aktenzeichen des abgeschlossenen Berufungsverfahrens abzustellen. Das Gesetz schreibt in den §§ 306, 311 StPO die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens auch nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich damit um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist (BGH VersR 1982, 673). Das gilt grundsätzlich auch für eine sofortige Beschwerde. Auch wenn durch die Angabe des falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt wurde, in welcher Sache das Rechtsmittel eingelegt werden sollte, war vorliegend die Rechtsmittelschrift nach dem auf den ersten Blick zu erkennenden Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen der Verteidigerin eindeutig dem vorliegenden Verfahren der Strafvollstreckungskammer, mit dem die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe widerrufen worden war, zuzuordnen. Auf der ersten Seite der Rechtsmittelschrift wurde sowohl die angegriffene Entscheidung korrekt benannt als auch das eingelegte Rechtmittel der sofortigen Beschwerde - mittig und unterstrichen - deutlich hervorgehoben.
2. Die zulässige sofortige Beschwerde (§§ 453 Abs. 2 Satz 3, 311, 306 StPO) des Verurteilten hat auch in der Sache Erfolg. Der mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen ausgeschlossen und war deshalb aufzuheben. Die neue Straftat, derentwegen das Landgericht die Strafaussetzung widerrufen hat, ist erst nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit (am 03.05.2014) und noch vor der Entscheidung über ihre Verlängerung (am 05.05.2015) begangen worden. Damit ist die neue Straftat (die am 13.04.2015 begangen Hehlerei) entgegen § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nicht innerhalb der Bewährungszeit begangen worden. Ob unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Vertrauensschutzes ausnahmsweise von der klaren gesetzlichen Regelung abgewichen werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da der Verurteilte zum Zeitpunkt der neuen Straftat schon nicht mit einer Verlängerung der Bewährungszeit rechnen musste.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen, dass sich nach ganz herrschender obergerichtlicher Rechtsprechung die verlängerte Bewährungszeit - rechnerisch - auch dann unmittelbar an das Ende der zunächst bestimmten Bewährungszeit anschließt, wenn diese im Zeitpunkt der Verlängerung bereits abgelaufen war (OLG Bamberg NStZ-RR 2010, 60; KG Berlin NStZ-RR 2010, 27; OLG Jena VRS 117, 344; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 127; jeweils m.w.N.).
Auch wenn sich die verlängerte Bewährungszeit rechnerisch rückwirkend unmittelbar an die abgelaufene Bewährungszeit anschließt, rechtfertigen Straftaten, die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und dem Erlass des Verlängerungsbeschlusses begangen worden sind, nach ganz überwiegender Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gleichwohl nicht, denn der Verurteilte stand insoweit zum Tatzeitpunkt unbeschadet der späteren Rückwirkung tatsächlich nicht unter offener Bewährung (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.03.2015 - 22 Ws 19/15 -, juris; KG Berlin a.a.O.; OLG Jena a.a.O., jeweils m.w.N.). Ob etwas anderes unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Vertrauensschutzes ausnahmsweise dann gilt, wenn der Verurteilte (vor der neuen Straftatbegehung) in einem gerichtlichen Hinweisschreiben nicht nur auf die Möglichkeit eines Widerrufs, sondern gerade auf diejenige einer Verlängerung hingewiesen worden war und das zur Entscheidung über den Widerruf berufene Gericht auf Wunsch des Verurteilten selbst zunächst noch den Ausgang des weiteren Verfahrens abgewartet hat (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2010, 127; OLG Jena NStZ-RR 2014, 206; kritische Anmerkung hierzu Groß, jurisPR-StrafR 12/2014 Anm.1), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn weder wurde der Verurteilte vorliegend vor Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit vom Gericht ausdrücklich auf die Möglichkeit der Verlängerung der Bewährungszeit hingewiesen noch wurde auf seinen Wunsch der Ausgang des weiteren Verfahrens abgewartet; vielmehr hat das (hierfür nicht zuständige) Amtsgericht - nach der am 29.10.2014 eingetretenen Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Freiburg vom 27.03.2014 - mit Beschluss vom 06.02.2015 die Strafaussetzung aus dem vorliegenden Anlassurteil vom 17.04.2012 widerrufen und sich damit tatsächlich gegen eine vom Beschwerdeführer mit Schriftsätzen seiner Verteidigerin zuvor beantragte Verlängerung der Bewährungszeit entschieden. Zum Zeitpunkt der neuen Straftatbegehung am 13.04.2015 musste und konnte der Verurteilte damit nicht mit einer Verlängerung der - bereits seit 03.05.2014 abgelaufenen - Bewährungszeit im vorliegenden Verfahren rechnen, sondern er durfte (trotz der von ihm eingelegten sofortigen Beschwerde) zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Bewährungszeit im vorliegenden Verfahren durch den am 06.02.2015 erfolgten Widerruf - wegen innerhalb der Bewährungszeit begangener Straftaten - beendet wurde. Auch das Landgericht Freiburg ist im Urteil vom 21.06.2016 im Rahmen der Strafzumessung zutreffend davon ausgegangen, dass im vorliegenden Verfahren - wegen der am 13.04.2015 außerhalb der Bewährungszeit begangenen Hehlerei - kein Widerruf drohe und hat dementsprechend von einer strafmildernden Berücksichtigung des drohenden Widerrufs abgesehen.
III.
10 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.

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