Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 341/18

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 2.10.2018 dahin abgeändert, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen vom 12.2.2018 unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen unverändert zugelassen wird.

2. Die Strafkammer wird in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG).

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen vom 12.2.2018, die weitere Tatvorwürfe umfasst, wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, im Frühjahr 2017 über Facebook unter Verwendung unzutreffender persönlicher Angaben Kontakt zu einem damals 17 Jahre alten Mädchen aufgenommen zu haben, das sich in der Folge in die vermeintlich hinter dem Kontaktprofil stehende Person verliebte. Bei zwei Treffen mit dem Mädchen brachte der Angeschuldigte dieses jeweils mit der Drohung, der vermeintliche Partner werde sonst die Beziehung beenden, dazu, mit ihm anal und oral zu verkehren, wobei der Angeklagte dabei einmal dem Mädchen zusätzlich schmerzhafte Schläge auf das Gesäß mit der Folge von Hämatomen versetzte (Taten 3 und 4 der Anklage). Die Staatsanwaltschaft hat deshalb unter Berufung auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 GVG Anklage zum Landgericht Waldshut-Tiengen erhoben.
Das Landgericht Waldshut-Tiengen hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 2.10.2018, der der Staatsanwaltschaft am 8.10.2018 zugestellt wurde, die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Taten 3 und 4 aus Rechtsgründen abgelehnt, weil es sich bei der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Drohung nicht um - wie dies § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB voraussetzt - eine solche mit einem empfindlichen Übel gehandelt habe, und im Übrigen das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Bad Säckingen eröffnet.
Hiergegen richtet sich die am 10.10.2018 eingelegte und am 22.10.2018 näher begründete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen, die auch von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vertreten wird. Der Angeschuldigte hält die sofortige Beschwerde für nicht begründet.
II.
Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Der in dem angefochtenen Beschluss vorgenommenen Bewertung, die in der Anklageschrift unter 3. und 4. beschriebenen Vorwürfe, die sich in tatsächlicher Hinsicht mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln voraussichtlich erweisen lassen werden, stellten keine Straftaten gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB dar, weil der Angeschuldigte nicht mit einem empfindlichen Übel gedroht habe, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
1. Zwar hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 31.3.1982 (2 StR 2/82, NStZ 1982, 287) die Auffassung vertreten, dass die Drohung, eine freundschaftliche Beziehung zu beenden, nicht das Tatbestandsmerkmal des empfindlichen Übels erfülle, da sie bei objektiver Betrachtung nicht geeignet sei, einen besonnenen Menschen in seiner konkreten Situation zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten (Ausübung des Geschlechtsverkehrs) zu bestimmen. Soweit dabei die Bestimmung der Empfindlichkeit des Übels an einem primär objektiven Maßstab ausgerichtet wurde, ist dies jedoch in nachfolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGHSt 31, 195, 201; 32, 165, 174; wistra 1984, 22; NStZ 1987, 222; 1992, 278; NJW 2014, 401) zugunsten eines individuell-objektiven Maßstabs aufgegeben worden. Danach ist das angedrohte Übel dann empfindlich, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinn des Täterverlangens zu motivieren, und von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Mithin kommt es auf eine den Opferhorizont berücksichtigende Sichtweise und nicht auf einen besonnenen Durchschnittsmenschen an. Auch unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Nötigungsdelikte - die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 240 Rn. 2 m.w.N.) - kommt deshalb der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zu (zum Ganzen: MK-Sinn, StGB, 3. Aufl., § 240 Rn. 76 f., LK-Altvater, StGB, 12. Aufl., § 240 Rn. 80; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 240 Rn. 13 jew. m.w.N.). Danach kann auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen, wenn dieser Beziehung für den Bedrohten ein hoher Stellenwert zukommt (BGH NStZ 1981, 139).
2. Diesem Prüfungsmaßstab trägt die vom Landgericht in seinem Beschluss vom 2.10.2018 vorgenommene Bewertung nicht hinreichend Rechnung.
Zwar hat die Kammer durchaus erkannt, dass sich das psychisch labile und nach seiner Darstellung in schwierigen Familienverhältnissen lebende mutmaßliche Tatopfer in eine auch sexuelle Abhängigkeit zu ihrem Chatpartner im Internet begeben hatte. Indem sie nachfolgend das Verhältnis als schwärmerisches Liebesverhältnis eines Teenagers relativiert und ausführt, es habe dem Opfer doch klar sein müssen, dass es lediglich Gefahr lief, die Freundschaft eines Mannes zu verlieren, der objektiv kein Interesse daran hatte, dass sie nur zu ihm eine sexuelle Beziehung unterhielt, und dieser habe durch sein Verlangen, sexuell mit einem anderen zu verkehren, eigentlich alle Eigenschaften, die ihn zunächst liebenswert erscheinen ließen, verloren haben müssen, nimmt sie indes eine - sachlich fraglos zutreffende - eigene Bewertung des Verhältnisses vor, statt die rechtlich gebotene Würdigung des Stellengehalts der Beziehung für das Tatopfer vorzunehmen, die jedoch allein den Maßstab dafür liefern kann, ob der angedrohte Beziehungsabbruch von diesem als empfindliches Übel empfunden wurde.
Nach Auffassung des Senats ergeben sich aus den Angaben, die das Tatopfer, aber auch deren Mutter zu der Bedeutung des Verhältnisses des Tatopfers zu dem Chatpartner gemacht haben, hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Beziehung - mag dies für einen Außenstehenden auch befremdlich erscheinen - für das Tatopfer einen ganz erheblichen emotionalen Stellenwert hatte und der angedrohte Beziehungsabbruch von diesem deshalb subjektiv als massiver Verlust empfunden wurde. Nach den Ermittlungen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tatopfer ansonsten zuvor einen sexuell freizügigen Lebensstil gepflegt haben könnte. Dass es sich sodann jedoch gleichwohl auf das Ansinnen eines ihr fremden Mannes, mit ihr - zudem unter Ausübung keineswegs selbstverständlicher Praktiken - sexuell zu verkehren, einließ, lässt nach Auffassung des Senats bereits als solches eher den Schluss auf einen hohen Stellenwert der Internetbeziehung für das Tatopfer zu, das nach seinen glaubhaft erscheinenden Angaben allein wegen der Drohung den vom Angeklagten verlangten sexuellen Handlungen nachkam. Letztlich wird eine zuverlässige Beurteilung der für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sichtweise und Empfindungen des Tatopfers allerdings nur aufgrund des unmittelbaren Eindrucks von diesem in der Hauptverhandlung möglich sein. Auch deshalb ist die Durchführung des Hauptverfahrens zur abschließenden Klärung der Tatvorwürfe erforderlich (vgl. Senat, Beschluss vom 28.11.2017 - 2 Ws 238/17, juris, m.w.N.). Darauf, ob die § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB unterfallende, nach den Umständen als sexuelle Handlung zu bewertende (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 184h Rn. 4a m.w.N.) Zufügung der Schläge bei der Tat 4 der Anklageschrift überraschend erfolgte und deshalb den Tatbestand des § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt, kommt es danach nicht mehr an.
10 
Da die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 GVG auch im Hinblick auf das Opfer der weiteren angeklagten Taten vorliegen, war deshalb die Anklage insgesamt zuzulassen. Obwohl es danach näher gelegen hätte, Anklage vor der Jugendschutzkammer zu erheben (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 74b GVG), hat die Staatsanwaltschaft die Anklage zu der neben der Jugendschutzkammer ebenfalls zuständigen allgemeinen Strafkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen erhoben, dessen örtliche Zuständigkeit sich jedenfalls aus § 8 Abs. 1 StPO ergibt. Das Hauptverfahren war deshalb vor der 1. Großen Strafkammer zu eröffnen.
III.
11 
Mangels gesetzlicher Bestimmung eines anderen Kostenschuldners fallen die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse zur Last. Da die zuungunsten des Angeschuldigten eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Erfolg hat, kommt eine Erstattung der der dem Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen nicht in Betracht.

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