Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 12 W 1/19

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägervertreter wird der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 04.12.2018 - 2 O 85/18 - abgeändert und der Streitwert für die erste Instanz auf 55.855,14 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Klägervertreter wendet sich mit im eigenen Namen erhobener Streitwertbeschwerde gegen die vom Landgericht getroffene Streitwertfestsetzung.
Der Kläger hat in der Hauptsache von der beklagten Versicherung Rückzahlung begehrt nach einem von ihm erklärtem Widerspruch gegen zwei im Jahr 1999 im Policenmodell gemäß § 5a VVG a.F. abgeschlossene Versicherungsverträge. Er hat geltend gemacht, nicht ordnungsgemäß gemäß § 5a Abs. 2 VVG a.F. belehrt gewesen zu sein, weshalb ihm ein unbefristetes Widerspruchsrecht zugestanden habe. Der Kläger hat durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 22.9.2017 den Widerspruch erklärt. Die Beklagte hat keine Zahlungen erbracht, auch nicht etwa einen Rückkaufswert zur Auszahlung gebracht.
Der Kläger hat als Forderungsbetrag die von ihm auf die Versicherungsverträge eingezahlten Prämien, abzüglich des von ihm zur Anrechnung gebrachten Werts des Risikoschutzes, jedoch zuzüglich der von ihm berechneten Nutzungen, geltend gemacht. Den Gesamtbetrag hat er auf 55.855,14 EUR errechnet und somit beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 55.855,14 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen.
Das Landgericht hat den Rechtsstreit mit Urteil vom 4.12.2018 entschieden und mit Beschluss vom selben Tage den Streitwert auf 39.036,07 EUR festgesetzt. Hiergegen richtet sich die am 19.12.2018 beim Landgericht eingegangene Beschwerde des Klägervertreters, mit welchem er die Festsetzung des Streitwerts auf 55.855,14 EUR begehrt. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, die im Forderungsbetrag enthaltenen Nutzungen seien nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
II.
Die gemäß §§ 32 Abs. 2 S. 1 RVG, 68 Abs. 1 GKG zulässige Beschwerde des Klägervertreters ist begründet. Der Streitwert ist in Höhe des mit Klageantrag Ziffer 1 begehrten Gesamtbetrages festzusetzen ohne Rücksicht darauf, dass dieser Betrag auch vom Kläger zur Herausgabe geforderte Nutzungen des eingezahlten Kapitals enthält.
Allerdings hat das Landgericht seiner Streitwertfestsetzung die bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. September 2017 - 12 U 89/17 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24. Juli 2017 - 12 U 75/17 -, juris), wonach gemäß § 43 Abs. 2 GKG im Forderungsbetrag enthaltene Nutzungen als Nebenforderung beim Streitwert unberücksichtigt bleiben, korrekt angewandt und auf dieser Grundlage den Streitwert zutreffend errechnet.
Jedoch hat inzwischen der Bundesgerichtshof zur Streitwertberechnung in derartigen Fällen entschieden wie folgt:
„Der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung beträgt ... und übersteigt damit die Wertgrenze von 600 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), weil der vom Kläger geltend gemachte Nutzungsherausgabeanspruch im Streitfall nicht als Nebenforderung im Sinne des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO zu qualifizieren ist.
Verlangt ein Versicherungsnehmer gestützt auf einen Widerspruch nach § 5a VVG a.F. die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, ist ein in diesem Rahmen geltend gemachter Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen bei der Streitwertberechnung zu berücksichtigen. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO. Die Vorschrift bezweckt eine praktische, einfache und klare Wertermittlung, da von der Wertfestsetzung die sachliche Zuständigkeit der Gerichte und die Zulässigkeit von Rechtsmitteln abhängt (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 1994 - IV ZR 270/93, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2013 - III ZR 143/12, NJW 2013, 3100 Rn. 8; vom 7. Oktober 1976 - VII ZR 95/76, WM 1976, 1201; vom 6. Oktober 1960 - VII ZR 42/59, NJW 1960, 2336; vom 23. November 1956 - V ZR 32/55, NJW 1957, 103, 104; Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 2, Abteilung 1, 2. Aufl. S. 147; MünchKomm-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl. § 4 Rn. 1; Roth in Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl. § 4 Rn. 1, 16; Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl. § 4 Rn. 2, 18). Dieser Zweck einer Vereinfachung der Berechnung würde verfehlt, wenn es in Fällen der vorliegenden Art für die Streitwertermittlung darauf ankäme, ob und in welchem Umfang der eingeklagte Nutzungsherausgabeanspruch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem weiter geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung der Versicherungsbeiträge steht, von diesem also sachlich rechtlich abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2016 - IX ZR 60/16, juris Rn. 2 m.w.N.). Dies kann hier von Fall zu Fall insbesondere danach variieren, mit welchem der Ansprüche der an den Versicherungsnehmer typischerweise ausgezahlte Rückkaufswert in welcher Höhe zu verrechnen ist. Hierfür kommt es nicht nur darauf an, wie die Frage nach der Verrechnung des Rückkaufswerts abstrakt-generell zu beantworten ist - dazu werden in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung verschiedene Positionen vertreten (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2017, 1420 unter 1 [juris Rn. 3 ff.] m.w.N.). Es bestimmt sich, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, auch nach den Umständen des Einzelfalles, deren rechtliche Bewertung unterschiedlich ausfallen kann.
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Auf dieser vielschichtigen Grundlage wäre es für die Parteien in derartigen Prozessen häufig kaum möglich, im Vorhinein zu erkennen, welches Gericht sachlich zuständig ist und ob ein Rechtsmittel zulässigerweise eingelegt werden kann, wenn die volle oder teilweise (Nicht-)Berücksichtigung des Nutzungsherausgabeanspruchs insofern zu unterschiedlichen Ergebnissen führte; die insbesondere auch in ihrem Interesse gebotene praktische, einfache und klare Wertermittlung wäre nicht mehr gewährleistet. Der § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO zugrunde liegende Vereinfachungsgedanke spricht daher entscheidend dafür, den Nutzungsherausgabeanspruch des Versicherungsnehmers in Fällen der vorliegenden Art unabhängig von den Umständen des Einzelfalles bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen“ (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - IV ZB 10/18 -, Rn. 7 - 10, juris).
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Der Bundesgerichtshof hat sich in dieser Entscheidung nicht nur zum Zuständigkeits- und Rechtsmittelstreitwert nach §§ 1 ff., 511 ZPO geäußert, sondern zugleich den Gebührenstreitwert in identischer Höhe festgesetzt. Somit gelten die Ausführungen auch für den Gebührenstreitwert gemäß §§ 39 ff. GKG.
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Nach höchstrichterlicher Entscheidung dieser Frage ist dem im Interesse der Rechtseinheit zu folgen. Die oben zitierte bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats wird aufgegeben. Im Forderungsbetrag enthaltene ausgerechnete Nutzungen sind in den Fällen einer Rückforderungsklage gemäß § 5a VVG a.F. - oder auch gemäß § 8 VVG a.F. - beim Streitwert zu berücksichtigen.
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Insoweit kann es nach Ansicht des Senats auch nicht darauf ankommen, ob die Ermittlung und Berechnung des im Gesamtbetrag enthaltenen Anteils der Nutzungen schwierig ist, weil bereits ein Rückkaufswert ausgezahlt wurde, oder - wie hier - keine Schwierigkeiten bereitet, weil noch keine auf den aus Hauptforderung und Nutzungen bestehenden Gesamtbetrag anzurechnende Zahlung erfolgt ist. Denn anderenfalls würde - ersichtlich sinnwidrig - eine auch nur geringe anzurechnende Zahlung des Versicherers zu einer Erhöhung des festzusetzenden Streitwerts führen.
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Für diese Entscheidung fallen keine Gerichtskosten an; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

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