Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Rb 7 Ss 202/19

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Sinsheim vom 12.12.2018 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

 
I.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 12.12.2018 verurteilte das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässiger Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 37 km/h zu der Geldbuße von 120 EUR. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit einem Messgerät des Typs PoliScan Speed der Fa. Vitronic GmbH. Einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag des Betroffenen auf Überprüfung der Messdaten durch einen Sachverständigen, weil ihm die Rohmessdaten trotz Anforderung nicht zur Verfügung gestellt worden seien, lehnte das Amtsgericht als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ab. Mit dem frist- und formgerecht gestellten und begründeten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sowohl durch die Ablehnung des Beweisantrags als auch durch die Nichtzurverfügungstellung der Rohmessdaten geltend gemacht. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Mit Beschluss vom 6.5.2019 hat der originär zuständige Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
a) Mit der Ablehnung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nicht verletzt, weil die Ablehnung rechtsfehlerfrei ist. Sachlicher Maßstab für die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ist die gerichtliche Aufklärungspflicht gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 244 Abs. 2 StPO (OLG Hamm, Beschluss vom 10.3.2017 - 2 RBs 202/16, juris; KK-Senge, OWiG, 5. Aufl., § 77 Rn. 16 m.w.N.). Bei Einsatz eines standardisierten Messverfahrens - wie vorliegend - muss Anträgen auf Überprüfung des Messvorgangs danach nur nachgegangen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion bestehen (Senat VRS 127, 241; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2018, 156; OLG Hamm a.a.O.; OLG Bamberg DAR 2016, 337, jew. m.w.N.), was vorliegend nicht der Fall war.
b) Soweit dem Betroffenen nach seiner Behauptung trotz eines entsprechenden Antrags die Rohmessdaten zu eigener Überprüfung nicht zur Verfügung gestellt wurden, ist damit der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103. Abs. 1 GG) ebenfalls nicht verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu im Beschluss vom 12.1.1983 (BVerfGE 63, 45, bei juris Rn. 47) ausgeführt: „Art. 103 Abs. 1 GG will verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwertet. Sein Schutzbereich ist hingegen nicht mehr berührt, wenn die wesensverschieden andere Frage zu beantworten ist, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, weil sie ihm nicht unterbreitet wurden, erst zu verschaffen habe; denn es ist nicht Sinn und Zweck grundgesetzlicher Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Auch wenn man unterstellt, dass der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör ihm - unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen auch immer - ein Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, ist dieses Recht daher jedenfalls beschränkt auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten.“
Da damit die Reichweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das zur Auslegung verfassungsrechtlicher Normen berufene Bundesverfassungsgericht verbindlich geklärt ist, gibt die davon abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 16.6.2016 - 1 Ss (OWi) 96/16 (juris) -, an der dieses auf Anfrage des Senats festgehalten hat - wohingegen das Oberlandesgericht Oldenburg unter Verweis auf die spätere Entscheidung vom 23.7.2018 - 2 Ss OWi 197/18 (juris) - mitgeteilt hat, dass es seine im Beschluss vom 6.5.2015 - 2 Ss (OWi) 65/15 (DAR 2015, 406) - geäußerte Rechtsauffassung aufgegeben hat - keine Veranlassung zur Divergenzvorlage gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG (BGHSt 44, 171; 46, 17; NJW 1977, 686; OLG Hamm NJW 1976, 762; LR-Franke, StPO, 26. Aufl., § 121 GVG Rn. 46; KK-Feilcke, StPO, 7. Aufl., § 121 GVG Rn. 28).
c) Soweit die Ablehnung eines Antrags auf Einsichtnahme in Messdateien oder andere für die Beurteilung der Fehlerfreiheit des Messvorgangs erhebliche Unterlagen eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung und damit einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren darstellen kann (insoweit zutreffend SaarlVerfGH NZV 2018, 275, ebenso OLG Naumburg DAR 2013, 37; OLG Brandenburg StraFo 2017, 31; OLG Jena NJW 2016, 1457; KG DAR 2017, 593, ZfS 2018, 472; Cierniak ZfS 2012, 664 und DAR 2014, 2; a.A. OLG Bamberg DAR 2016, 337; 2018, 573; OLG Oldenburg ZfS 2017, 469 und Beschluss vom 23.7.2018 - 2 Ss (OWi) 197/18, juris), kann dahinstehen, ob dies vorliegend vom Betroffenen beanstandet wurde (zur Notwendigkeit der Bestimmung der Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge BGH NStZ 2013, 671; NStZ 2019, 227). Denn jedenfalls genügt der Vortrag hierzu nicht den sich aus §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen, nachdem bereits unklar bleibt, ob der Antrag auf Einsichtnahme in die Messdateien in der Hauptverhandlung wiederholt und vom Gericht durch einen Beschluss i.S.d. § 238 Abs. 2 StPO zurückgewiesen wurde (zum Ganzen Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541, 543 m.w.N.).
2. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge deckt ebenfalls keine Rechtsfehler auf. Insbesondere hat sich das Amtsgericht in der gebotenen Weise von der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung überzeugt und mangels Besonderheiten des Einzelfalls auf die sich aus der Bußgeldkatalogverordnung ergebende Rechtsfolge erkannt.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs, 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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