Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 W 19/20

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird die Kostenentscheidung im Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 08.04.2020 - N 4 O 125/19 - aufgehoben.

2. Der Antrag des Beklagten, dem Kläger die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

4. Die weitergehende Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

 
I.
Mit seiner Klage vom 09.04.2019 hat der Kläger von dem Beklagten die Zahlung von 15.000,00 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangt. Der Kläger hatte den Beklagten mit Baudienstleistungen beauftragt. In diesem Zusammenhang hatte er Zahlungen an den Beklagten in Höhe von insgesamt 15.000,00 EUR geleistet. Nach einer fristlosen Kündigung des Bauvertrages am 14.02.2019 hat der Kläger im Verfahren vor dem Landgericht geltend gemacht, der Beklagte sei zur Rückzahlung der vom Kläger erbrachten Leistungen verpflichtet.
Die Klageschrift ist dem Beklagten am 16.04.2019 zugestellt worden. Während des Rechtsstreits hat sich herausgestellt, dass bereits am 23.01.2019 durch Beschluss des Amtsgerichts V. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden war. Der Insolvenzverwalter hat sich am Verfahren vor dem Landgericht nicht beteiligt. Mit Verfügung vom 07.10.2019 hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Beklagten erhoben wurde, und daher von Anfang an gemäß §§ 80 Abs. 1, 87 InsO unzulässig gewesen sein dürfte. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 24.03.2020 hat der Kläger die Klage zurückgenommen. Beide Parteien haben daraufhin widerstreitende Kostenanträge gestellt.
Mit Beschluss vom 08.04.2020 hat das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Die Entscheidung beruhe auf § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nach der Klagerücknahme. Ein Fall von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO (Wegfall des Anlasses zur Klageerhebung vor Rechtshängigkeit) liege nicht vor. Denn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten sei bereits mehr als zwei Monate vor Klageerhebung eröffnet worden. Im Übrigen stelle die Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen Wegfall des Klageanlasses im Sinne von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO dar.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Die Kosten seien gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO dem Beklagten aufzuerlegen, da der Kläger vom Wegfall des Klagegrundes - Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten - schuldlos vor Klageerhebung keine Kenntnis gehabt habe. Der Beklagte habe die unzulässige Klage verursacht, weil er den Kläger nicht über die Insolvenzeröffnung informiert habe. Hinzu komme, dass der Beklagte gegenüber dem Insolvenzverwalter die Forderung des Klägers verschwiegen habe. Der Kläger folge bei seiner Rechtsauffassung der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 30.04.2020 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur Entscheidung vorgelegt. Ein Fall des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO liege auch aufgrund der Ausführungen im Beschwerdevorbringen nicht vor.
Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist teilweise begründet.
1. Auf das Rechtsmittel des Klägers ist die Entscheidung des Landgerichts, mit welcher die Kosten des Verfahrens dem Kläger auferlegt wurden, aufzuheben. Der Antrag des Beklagten, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen, ist gleichzeitig zurückzuweisen.
a) Die Klage ist durch Zustellung an den Beklagten am 16.04.2019 rechtshängig geworden. Der Umstand, dass bereits vorher das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden war, ändert daran nichts (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 567, Rdnr. 7). Die Rechtshängigkeit ist mit der Klagerücknahme vom 24.03.2020 entfallen. Mithin ist der Anwendungsbereich für eine Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 ZPO eröffnet.
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b) Ein möglicher Kostenerstattungsanspruch des Beklagten, der während des laufenden Insolvenzverfahrens entstanden ist, gehört gemäß § 35 Abs. 1 InsO als Neuerwerb zur Insolvenzmasse. Es handelt sich bei einem solchen Kostenerstattungsanspruch nicht um eine zweckgebundene (unpfändbare) Forderung, die nicht in die Insolvenzmasse fallen würde (BGH a.a.O., NJW-RR 2009, 567, 568. 569, Rdnr. 18 ff.). Da ein möglicher Kostenerstattungsanspruch des Beklagten zur Insolvenzmasse gehört, war der Beklagte im Verfahren vor dem Landgericht nicht berechtigt, einen Kostenantrag zu stellen. Denn die Prozessführungsbefugnis für einen solchen Kostenantrag lag allein beim Insolvenzverwalter, der sich jedoch am Verfahren nicht beteiligt hat. Der Kostenantrag des Beklagten ist mithin unbeachtlich; auf die sofortige Beschwerde des Klägers ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung aufzuheben. (Vgl. BGH, NJW-RR 2009, 566, 568, Rdnr. 15 ff.; die fehlende Prozessführungsbefugnis des Beklagten für diesen Antrag ist in der vom Kläger zitierten - früheren - Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 14. Zivilsenat - in NJW-RR 2007, 1166, nicht berücksichtigt.)
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c) Da der Senat im Beschwerdeverfahren lediglich über den Kostenantrag des Beklagten entscheidet, bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, selbst einen eigenen Kostenantrag für die Insolvenzmasse zu stellen.
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2. Die sofortige Beschwerde des Klägers hat hingegen keinen Erfolg, soweit er selbst beantragt, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht aufzuerlegen.
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a) Der Kostenantrag des Klägers gegen den Beklagten ist zulässig. Für eine Verteidigung gegen diesen Antrag ist der Beklagte prozessführungsbefugt. Für die Verteidigung gegen den Kostenantrag des Klägers liegt die Prozessführungsbefugnis nicht beim Insolvenzverwalter. Denn der Kläger ist für einen Kostenerstattungsanspruch im vorliegenden Verfahren Neugläubiger im Sinne der Vorschriften des Insolvenzrechts, weil der Rechtsstreit gegen den Schuldner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen hat (vgl. Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rdnr. 49 mit Rechtsprechungsnachweisen). Während Forderungen des Schuldners, die er während des Verfahrens erlangt, gemäß § 35 Abs. 1 zur Insolvenzmasse gehören, gibt es keine korrespondierende Vorschrift für Forderungen von Neugläubigern, die sich gegen den Schuldner richten und erst nach Eröffnung des Verfahrens entstehen. Eine Kostenerstattungsforderung des Klägers gegen den Beklagten aus dem Verfahren vor dem Landgericht wäre weder eine Insolvenzforderung, die zur Tabelle angemeldet werden könnte, noch eine Masseforderung gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 1 InsO. (Dies wird in der vom Kläger zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg in NZI 2019, 190 übersehen; auf die vom Oberlandesgericht Hamburg erörterte Frage, ob „prozessökonomische Gründe“ in einem Fall der vorliegenden Art einen Kostenantrag des Klägers rechtfertigen könnten, kommt es mithin nicht an.) Der Umstand, dass der Kläger eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten vor Abschluss des Insolvenzverfahrens kaum im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen könnte, spielt für die Zulässigkeit des Antrags keine Rolle.
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b) Der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, ist jedoch nicht begründet. Denn die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO liegen nicht vor.
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1) Allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift grundsätzlich eröffnet. Denn der Anlass für die Klage ist im Sinne von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO vor Rechtshängigkeit weggefallen. Der Begriff „Anlass zur Einreichung der Klage“ ist ebenso zu verstehen wie der Begriff der „Erledigung“ in § 91 a Abs. 1 ZPO. Eine „Erledigung“ gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO tritt insbesondere dann ein, wenn durch ein bestimmtes Ereignis eine ursprünglich zulässige Klage nachträglich unzulässig wird. Dementsprechend ist auch der Wegfall des Klageanlasses in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO in gleicher Weise zu verstehen. Vorliegend war die Klage in der Hauptsache unzulässig, weil bereits vor Klageerhebung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden war. Daher ist die Klageveranlassung vor Rechtshängigkeit entfallen (ebenso Ghassemi-Tabar/Delaveaux, NZM 2011, 537 und OLG Hamburg a.a.O.; anders - ohne Begründung - Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 269 ZPO Rdnr. 18 c). Nach dem Wortlaut des Gesetzes spielt es für eine Anwendung von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO keine Rolle, ob der Klageanlass zwischen der Einreichung der Klage und der Rechtshängigkeit weggefallen ist, oder bereits vor Einreichung der Klage, (vgl. OLG Karlsruhe - 10. Zivilsenat -, Beschluss vom 17.01.2020 - 10 W 9/19 -, zitiert nach Juris). Die Frage des Zeitpunkts, zu welchem der Klageanlass weggefallen ist, kann lediglich für die Ermessensausübung bei der Kostenentscheidung eine Rolle spielen (dazu siehe unten).
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2) Die Ausübung des billigen Ermessens gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO führt zu dem Ergebnis, dass kein Anlass besteht, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen. Dies ergibt sich bereits aus einer entsprechenden Anwendung der zu § 91 a Abs. 1 ZPO entwickelten Grundsätze. Wenn die Parteien - nach Rechtshängigkeit - ein Verfahren übereinstimmend für erledigt erklären, führt die Ermessenausübung in aller Regel dazu, dass bei einer von Anfang an unzulässigen Klage die Kosten der Kläger zu tragen hat. Dieser Gesichtspunkt steht auch im Rahmen von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO einer Auferlegung der Kosten auf den Beklagten entgegen. Es gibt keine Gesichtspunkte, die vorliegend zu einer abweichenden Ermessensausübung führen könnten. Gesichtspunkte gemäß § 93 ZPO (sofortiges Anerkenntnis), die im Rahmen von § 91 a Abs. 1 ZPO regelmäßig berücksichtigt werden, spielen vorliegend keine Rolle. Bei einer unzulässigen Klage kann es für die Kostenentscheidung auch keine Rolle spielen, ob die Klage - ihre Zulässigkeit unterstellt - begründet gewesen wäre. Schließlich sind - jedenfalls im Rahmen der vorliegenden Kostenentscheidung - auch keine materiell-rechtlichen Gesichtspunkte für eine Entscheidung zugunsten des Klägers erkennbar. Es gibt keine Verpflichtung eines Schuldners, von sich aus sämtlichen Gläubigern die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mitzuteilen, um unzulässige Klagen zu verhindern. Es ist Sache des jeweiligen Klägers und seines Anwalts, sich vor Klageerhebung über die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Klage, auch über die Frage der Prozessführungsbefugnis bei einem möglichen Insolvenzverfahren, zu informieren.
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c) Vorsorglich weist der Senat zu möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf Folgendes hin:
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1) Der Senat hat mit der Beschwerdeentscheidung lediglich über den Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, entschieden. Über einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch der Gegenseite hat der Senat keine Entscheidung getroffen, da der Kostenantrag des Beklagten unzulässig ist (siehe oben). Mithin wird der Insolvenzverwalter durch die Entscheidung des Senats nicht gehindert, gegebenenfalls einen Kostenantrag zu stellen, über welchen das Landgericht dann neu zu entscheiden hat.
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2) Der Senat hat in der Sache nur über einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch des Klägers entschieden. Über einen möglichen materiellen Kostenerstattungsanspruch, der sich beispielsweise aus vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ergeben könnte, hat der Senat keine Entscheidung getroffen. (Vgl. zur Unterscheidung zwischen prozessualem Kostenerstattungsanspruch und einem möglichen materiell-rechtlichen Anspruch Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rdnr. 49).
20 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
21 
4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

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