Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (1. Strafsenat) - 1 Ss 319/04

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wittlich vom 10. August 2004 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wittlich zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt.

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Nach den Feststellungen des Urteils lebte der Angeklagte zur Tatzeit mit der Mutter der geschädigten Kinder zusammen. Der mit der Mutter verheiratete Vater der Kinder hatte sich im September 1996 von der Familie getrennt. Am 10. Juli 1998 wurde die Ehe geschieden. Ab 1. September 1997 bewohnte die Mutter mit ihren Kindern eine eigene Wohnung, die sie zum 1. Juni 1998 wechselte. Von da an hielt sich der Angeklagte, der damals noch seinen Wohnsitz in Frankreich hatte, überwiegend bei ihr auf. Da zunehmend Probleme mit den Kindern, insbesondere der am 30. September 1987 geborenen Tochter M. auftraten, übernahm der Vater die Kinder ab 1. August 2000 in seinen Haushalt, den er gemeinsam mit der Zeugin L. unterhielt. Mit dem Wechsel der Kinder zu ihrem Vater bezogen die Mutter und der Angeklagte eine gemeinsame Wohnung in einem anderen Ort. Gemäß Vereinbarung der geschiedenen Eheleute erhielt die Mutter das Recht, die Kinder alle zwei Wochen von freitag- bis sonntagabends zu sich zu nehmen. Am 27. Juli 2001 ging sie mit dem Angeklagten die Ehe ein.

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Zum Tatgeschehen stellt das Urteil folgendes fest:

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Während der Angeklagte zu den beiden jüngeren der drei Geschwister guten Kontakt fand, gelang ihm das im Verhältnis zur ältesten Tochter M. nur mit Einschränkungen. Die seelische und geistige Entwicklung des Kindes war hinter der körperlichen deutlich zurückgeblieben. In der Zeit vom 1. August 2000 bis Juli 2001, zuletzt am 28. Juli 2001, näherte sich der Angeklagte dem Kind in vier Fällen nach jeweils gleichem Verhaltensmuster. Er wartete jeweils den Freitagabend ab, an dem die Mutter zu einer bestimmten Zeit das Haus verließ. Während er die jüngeren Brüder des Kindes ins Bett schickte, verlangte er von M., dass sie auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz nahm. Regelmäßig stellte er dann einen Pornofilm an, den das Kind sich anschauen sollte. Begleitend dazu forderte er es wiederholt auf, sich das Nachthemd auszuziehen. Dem kam das Kind nach. In mindestens einem Fall umfasste der Angeklagte daraufhin von hinten in vollem Umfang dessen Brust und bewegte die Finger. In einem weiteren Fall fasste der Angeklagte mit der Hand dem Kind über dessen Unterhose zwischen die Beine und bewegte die Finger im Bereich der Scheide, ohne sie darin einzuführen. Bei einer weiteren Gelegenheit entkleidete er sich während der Filmvorführung, legte sich nackt mit dem Rücken auf das Sofa und forderte das Kind auf, sein erigiertes Glied mit der Hand anzufassen. Nach anfänglicher Ablehnung und wiederholter Aufforderung kam es dem Verlangen mit Widerwillen und Ekel nach. Im vierten Fall forderte der Angeklagte ohne gleichzeitiges Abspielen eines Pornofilms das Kind auf, das T-Shirt auszuziehen, fasste wiederum von hinten an dessen Brust und spielte daran mit seinen Fingern.

5

Die fünfte Missbrauchstat fand gemäß Urteilsdarstellung an M.’s jüngerem Bruder C. statt. Noch in der Wohnung, die die Mutter in der Zeit vom 1. Juni 1998 bis 1. August 2000 bewohnte, rief der Angeklagte den damals 10 oder 11 Jahre alten Jungen zu sich ins Wohnzimmer, als die Mutter die Wohnung verlassen hatte und die Geschwister sich im Kinderzimmer aufhielten. Mit der Erklärung, er wolle ihm zeigen, wie ein Mann sich selbst befriedigt, öffnete er den Hosenschlitz, entnahm das nicht erigierte Glied und vollzog einige Auf- und Abbewegungen .

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Der nicht vorbestrafte Angeklagte hat die Taten bestritten. Er hat sich eingelassen, die ihn belastenden Angaben M.’s seien aus Rache bzw. aus dem Bedürfnis heraus erfolgt, ihn von der Kindesmutter zu trennen. Das Mädchen habe die Mutter unbedingt für sich allein haben wollen. Für das Verhalten ihres Bruders C. habe er keine Erklärung. Sein Verhältnis zu ihm sei nach wie vor sehr gut. Möglicherweise habe der Junge den Erzählungen seiner älteren Schwester irgendetwas selbst hinzufügen wollen.

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Das Schöffengericht folgt den Aussagen der beiden Kinder, die in der Hauptverhandlung vernommen worden sind. In der Beweiswürdigung werden zunächst die Angaben der Zeugin L. dargestellt, die geschildert hat, unter welchen Umständen und mit welchem Inhalt M. sich ihr gegenüber erstmals zum Tatgeschehen geäußert habe. Es folgt eine ausführliche Inhaltsangabe über die Aussage M.’s in der Hauptverhandlung. Alsdann wird mitgeteilt, dass sich die Beurteilung dieser Aussage als glaubhaft auf eine breite Erkenntnisbasis stützen könne, „zu der nicht zuletzt auch das Gutachten der Sachverständigen G. gehört“. Anschließend wird ausgeführt, dass die Angaben der dreimal durch die Polizei, einmal durch die Sachverständige und zuletzt in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugin M. „in den wesentlichen Punkten“ konstant gewesen seien. Auch die eingehende Befragung M.’s in der Hauptverhandlung habe „keine gravierenden Widersprüche“ zu Tage gefördert. Ohne nähere Angaben zur Aussagekonstanz werden sodann ihre Aussage sowie ihr Aussageverhalten in der Hauptverhandlung analysiert. Die Verneinung von Stereotypen in den Angaben wird ergänzt durch den Hinweis: „In diesem Zusammenhang ist auf die überzeugende Einschätzung der Sachverständigen G. zu verweisen“.

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Die Würdigung der Aussage des Kindes C. stützt das Schöffengericht im Wesentlichen auf die Analyse seiner Angaben und seines Aussageverhaltens in der Hauptverhandlung.

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Die Handlungen zum Nachteil des Kindes M. werden rechtlich als vier Fälle des sexuellen Missbrauchs gemäß § 176 Abs. 1 StGB, in den drei Fällen des gleichzeitigen Abspielens eines Pornofilms in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch nach § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB bewertet. Die Tat zum Nachteil des Kindes C. würdigt das Gericht als sexuellen Missbrauch gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB.

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Bei Wahl des Strafrahmens wird das Vorliegen eines minderschweren Falls verneint, wobei dem Angeklagten u.a. angelastet wird, seine Handlungen nicht aus eigenem Antrieb, sondern erst nach Offenbaren der Taten durch das Kind M. beendet und bei dem Kind „erhebliche Angstzustände hervorgerufen und auch besondere psychische Belastungen geschaffen“ zu haben. Zu seinen Gunsten rechnet das Schöffengericht ihm unter anderen Milderungsgründen an, dass die Taten bereits drei, zum Teil schon fünf Jahre zurückliegen.

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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und rügt die Verletzung sowohl formellen als auch materiellen Rechts.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich dem Aufhebungsantrag angeschlossen.

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II. Das als Sprungrevision statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO), im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg. Ob die Verfahrensrügen durchgreifen, kann dahinstehen. Begründet ist in jedem Fall die Sachrüge.

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1. Die Beweiswürdigung des Schöffengerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

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Zwar ist die Würdigung der erhobenen Beweise ureigenste Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ein in der Revision beachtlicher Rechtsfehler liegt jedoch dann vor, wenn die Würdigung den in bestimmten Fallgestaltungen bestehenden besonderen Anforderungen nicht genügt. Steht wie vorliegend Aussage gegen Aussage und hängt die Entscheidung im Wesentlichen davon ab, welchen Angaben zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. nur BGH NStZ 2000, 496; StV 2002, 470, jeweils m.w.N.). Sind Sexualdelikte Gegenstand des Anklagevorwurfs bedürfen auch die Entstehung und Entwicklung der belastenden Angaben genauer Aufklärung. Das gilt vor allem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschließen ist (BGH NStZ 2002, 656; NStZ 1999, 45; NStZ 1995, 558; StV 2004, 59, 60; StV 2001, 551). Hat der Tatrichter einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogen, muss das Urteil eine revisionsrechtliche Überprüfung des verwerteten Gutachtens ermöglichen. Dazu bedarf es zwar keiner bis in alle Einzelheiten gehenden Ausführungen zur Konzeption, Durchführung und zu den Ergebnissen der Begutachtung. Jedoch müssen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und die angewandte Methodik soweit dargestellt werden, als es zum Verständnis des Gutachtens sowie zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Rechtsfehlerfreiheit erforderlich ist (BGHSt 45, 164, 182; BGH StV 2003, 61).

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Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht:

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Obwohl nach den geschilderten persönlichen Verhältnissen der geschädigten Kinder und des Angeklagten sowie nach dessen Einlassung familiäre Auseinandersetzungen als Hintergrund der erhobenen Vorwürfe nicht von vornherein ausscheiden, bleiben die Entstehung und Entwicklung der belastenden Aussagen weitgehend im Dunkeln. Mitgeteilt wird lediglich, dass M. erstmals durch die Zeugin L. - der Lebensgefährtin des Vaters - am 29. Juli 2001 befragt worden ist, nachdem diese durch ein Erlebnis mit dem Angeklagten am besagten Tag misstrauisch geworden war. M. habe ihr daraufhin erzählt, dass der Angeklagte sie aufgefordert habe, sich auszuziehen und ihr Pornofilme gezeigt habe. Dass sie vom Angeklagten berührt worden sei, habe sie zu diesem Zeitpunkt nicht geäußert und auch nur davon gesprochen, das Bekleidungsoberteil abgelegt zu haben. Wann, unter welchen Umständen und gegenüber wem das Kind sich erstmals in vollem Umfang offenbart hat, bleibt offen. Damit kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Kind nach den ersten Äußerungen zunächst eingehenderen Befragungen durch Privatpersonen ausgesetzt gewesen ist. Das müsste in der Beweiswürdigung besonders berücksichtigt werden (BGHSt a.a.O., 173 m.w.N.; BGH StV 2001, 551).

18

Zur Entstehung der Aussage C.’s enthält das Urteil überhaupt keine Angaben.

19

Die Konstanzanalyse der Aussagen ist ebenfalls unzureichend. Die gebrauchten allgemeinen Wendungen, wie Übereinstimmung „in den wesentlichen Punkten“ und „keine gravierenden Widersprüche“, sind in diesem Zusammenhang nicht aussagekräftig (vgl. BGH StV 2003, 61). Selbst vereinzelten und auf Details beschränkten Abweichungen kann in der Beweiswürdigung Bedeutung zukommen, wenn sie den Kernbereich der Tat, insbesondere solche Vorgänge betreffen, die als Einzelheiten des Tatgeschehens erfahrungsgemäß im Gedächtnis des Tatopfers haften bleiben. Sie bedürfen der Erklärung und schlüssigen Einordnung in das Beweisgebäude (BGH a.a.o.). In welchen Punkten sich vorliegend bei Vergleich aller Aussagen M.s Differenzen ergeben haben, wird nicht mitgeteilt. Sie lassen sich damit  nicht einordnen und in ihrer Bedeutung nicht überprüfen.

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Bezüglich der Angaben des Zeugen C. wird die Frage der Konstanz nicht angesprochen. Damit bleibt die auf seine Bekundungen und sein Verhalten in der Hauptverhandlung beschränkte Untersuchung unvollständig. Denn die Konstanzanalyse bildet ein wesentliches methodisches Element der Aussageanalyse und ist in der Gesamtbetrachtung angemessen zu berücksichtigen (BGHSt a.a.O., 172).

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Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Schöffengericht bei Würdigung der Aussage M.’s das Gutachten einer Sachverständigen verwertet hat. Zwar wird das Thema der Begutachtung nicht mitgeteilt. Der Gesamtzusammenhang der Ausführungen lässt jedoch darauf schließen, dass sie offenbar eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage des Kindes M. zum Gegenstand hatte.

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Ob die Sachverständige von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist und die an ein Glaubhaftigkeitsgutachten zu stellenden wissenschaftlichen Anforderungen (vgl. BGHSt a.a.O.) beachtet hat, kann nicht geprüft werden. Weder werden die verwerteten Anknüpfungstatsachen mitgeteilt, noch wird die dem Gutachten zugrunde liegende Methodik aufgezeigt. Der wissenschaftlich richtige Ansatz hätte erfordert, zunächst von der Unwahrheit der Aussage auszugehen, dazu weitere Hypothesen zu bilden und mit den vorhandenen Fakten abzugleichen. Erst wenn beides nicht mehr miteinander in Übereinstimmung zu bringen gewesen wäre, hätte die Unwahrhypothese verworfen und die Alternativhypothese, dass die Aussage wahr ist, angewandt werden können (BGHSt a.a.O., 167/168). Die Wahrung dieses methodischen Grundprinzips lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Ohne entsprechende Darlegungen kann eine Fehlerhaftigkeit der unter Verwertung des Sachverständigengutachtens erfolgten Beweiswürdigung nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH StV 2003, 61).

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Bei Bewertung der Aussage des Kindes C. hat das Schöffengericht sich dagegen keines Glaubhaftigkeitsgutachtens bedient, ohne dass ein Grund für diese Differenzierung erkennbar wäre. Verneint das Gericht ausreichende eigene Sachkunde für die Glaubhaftigkeitsüberprüfung der einen Aussage, so bedarf es näherer Darlegung, warum es sich für die Würdigung der anderen Aussage die erforderliche Sachkompetenz selbst zutraut.

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Diese die tatrichterliche Beweiswürdigung betreffenden Mängel zwingen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO).

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2. Ergänzend ist anzumerken, dass auch die Tenorierung des Schuldspruchs auf Bedenken stößt. In den Fällen, in denen der Missbrauchstatbestand zeitgleich durch Vornahme sexueller Handlungen (§ 176 Abs. 1 StGB) und Vorspielen eines Pornofilms (§ 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB) erfüllt wird, liegt keine Tateinheit (§ 52 StGB) vor. Vielmehr tritt die letztgenannte leichtere Begehungsform hinter der mit einer höheren Strafe bedrohten Alternative des Absatzes 1 zurück (BGH NStZ 1996, 383; Tröndle/Fischer, StGB, § 176 Rdn. 43). Das ändert jedoch nichts daran, dass die Erfüllung zweier Tatbestandsalternativen bei der Strafzumessung strafschärfend ins Gewicht fallen kann (BGH a.a.O.).

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3. Im Übrigen wird zur Strafzumessung auf folgendes hingewiesen:

27

Der herangezogene Straferschwerungsgrund, der Angeklagte habe bei dem Kind „erhebliche Angstzustände“ hervorgerufen und „besondere psychische Belastungen“ geschaffen, ist im Urteil nicht durch entsprechende Feststellungen belegt.

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Psychische Schäden können straferschwerend berücksichtigt werden, wenn sie tatsächlich eingetreten sind (BGH NStZ-RR 2004, 41). Sie müssen nach Art und Umfang konkretisiert werden. Sind sie die Folge der Gesamtheit aller Taten, können sie dem Angeklagten zudem nur einmal, z.B. bei der Gesamtstrafenbildung, angelastet werden (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 7). Das Bestehen einer bloßen Gefahr nachhaltiger Beeinträchtigungen darf sich dagegen nicht straferhöhend auswirken. Das verstieße gegen § 46 Abs. 3 StGB, da die Vermeidung einer solchen Gefahr bereits vom Schutzzweck der Strafnorm umfasst wird (BGH a.a.O.).

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Die erschwerende Verwertung des Umstandes, dass der Angeklagte „seine Handlungen nicht aus eigenem Antrieb beendet hat, sondern diese durch das Sich- offenbaren des Kindes beendet wurden“, stößt auf keine Bedenken, solange dadurch bei der Strafrahmenwahl lediglich verdeutlicht werden soll, dass der Tatrichter die Voraussetzungen eines minderschweren Falls auch unter diesem Gesichtspunkt - mit negativem Ergebnis - geprüft hat (vgl. BGHR StGB § 176 Abs. 3 Strafrahmenwahl 2). Bei der Strafzumessung im engeren Sinn kann die Berücksichtigung des Umstandes aber auf eine Strafschärfung wegen Fehlens eines Strafmilderungsgrunds hinauslaufen, die als solche nicht zulässig wäre.

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Die von der Revision vermisste Kompensation des langen Zeitabstands zwischen Tat und Verurteilung durch exakte Bestimmung des Ausmaßes der Strafherabsetzung auf Grundlage eines Vergleichs zwischen der verhängten und eigentlich verwirkten Strafe hätte nur im Fall einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erfolgen müssen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 3 und 11). Hinweise auf das Vorliegen einer derartigen Verzögerung ergeben sich jedoch weder aus den Urteilsgründen, noch wird eine solche mit der Revisionsbegründung vorgebracht.

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Der Zeitraum zwischen Tat und Urteil bleibt aber unabhängig von der Dauer des Strafverfahrens ein wesentlicher Strafmilderungsgrund, der sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu berücksichtigen ist (BGHR a.a.O. Verfahrensverzögerung 6).

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4. Ein zur Einstellung des Verfahrens zwingendes Verfahrenshindernis wegen Fehlens einer § 200 Abs. 1 StPO entsprechenden Anklageschrift liegt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht vor. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2003 genügt in Verbindung mit dem Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts vom 7. April 2004 ihrer gesetzlichen Umgrenzungsfunktion.

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Bei Sexualdelikten gegen Kinder reicht es zur Konkretisierung des Anklagevorwurfs regelmäßig aus, in der Anklage das oder die Tatopfer, Art und Weise der Tatbegehung in den Grundzügen, einen bestimmten Tatzeitraum und die Höchstzahl der Straftaten, die Gegenstand des Verfahrens sein sollen, mitzuteilen (BGHR StPO § 200 Abs. 1 S. 1 Tat 6 und 13). Dem wird die Anklageschrift schon für sich betrachtet überwiegend gerecht. Sie beschreibt die Art und Weise der Tatbegehung und bestimmt die Anzahl der Tathandlungen nach einer zahlenmäßig festgelegten Mindest- und Obergrenze. Soweit dem Anklagesatz der Mangel einer unzureichenden Tatzeitkonkretisierung („vor Juli 2001“) anhaftet, wird dieser durch den Eröffnungsbeschluss geheilt, der die Zeit der Tatbegehung auf den Zeitraum zwischen Juni 1998 und Juli 2001 eingrenzt.

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Dass der Anklagesatz die sexuellen Tathandlungen mit dem umgangssprachlich-unscharfen Begriff „befummeln“ beschreibt, berührt nur die weiter bestehende, für die Wirksamkeit aber bedeutungslose Informationsfunktion der Anklage.

35

Nach alledem ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

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