Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (1. Strafsenat) - (1) 4420 BL - III - 29/07

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Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Mainz vom 5. Mai 2007 (409 Gs 24/07) wird aufgehoben.

Gründe

I.

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Am frühen Morgen des 26. April 2007 um 00:49 verstarb in der Kinderklinik der Universität M. der knapp 4-jährige R. an inneren Blutungen, die durch eine stumpfe Gewalteinwirkung auf die rechte Bauchseite ausgelöst worden waren.

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Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeschuldigten, dem damaligen Lebensgefährten der Kindesmutter, zur Last, schuldhaft den Tod des Kindes verursacht zu haben.

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1. Dem Haftbefehl des Amtsgerichts Mainz vom 5. Mai 2007, der seit diesem Tage vollzogen wird und in dem dem Angeschuldigten Totschlag angelastet wird, liegt in tatsächlicher Hinsicht folgender Sachverhalt zugrunde:

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„Der Beschuldigte beaufsichtigte am Abend des 25.04.2007 mit Einverständnis seiner Lebensgefährtin, der Zeugin B., deren am 14.05.2003 geborenen Sohn R., in seiner Wohnung in der K. Straße in M.. Gegen 21.30 Uhr spielte der Beschuldigte dergestalt mit dem bis dahin gesunden Kind, dass er dieses bis nahezu unter die Zimmerdecke in die Höhe warf und mit seinen Armen wieder auffing. Um das Auffangen zu erleichtern, winkelte der Beschuldigte zudem sein rechtes Bein an. In dieser Situation schlug das Kind – nachdem es der Beschuldigte nicht sicher auffangen konnte — auf dessen Knie oder Oberschenkel auf, wodurch R. ein stumpfes Bauchtrauma erlitt und nahezu bewusstlos wurde. Gegenüber der unmittelbar danach eintreffenden Zeugin B. sowie dem Notarzt äußerte der Beschuldigte bewusst wahrheitswidrig, dem Kind sei schon längere Zeit übel gewesen, es habe sich übergeben und sei dann plötzlich zusammen gebrochen. Durch diese falsche Darstellung bewirkte der Beschuldigte – wie ihm auch bewusst war –, dass die eingeleiteten Behandlungsbemühungen sich auf eine als möglich diagnostizierte internistische Ursache‚ nämlich eine Sepsis oder eine Infektion‚ beschränkten. Das durch stumpfe Gewalt hervorgerufene Bauchtrauma blieb dagegen unerkannt und unbehandelt, so dass R. am 26.04.2007 um 0.48 Uhr verstarb. Mit Blick auf dessen ersichtlich lebensbedrohlichen Gesundheitszustand nahm der Beschuldigte zumindest billigend in Kauf, dass das Kind infolge der auf seiner gezielten Falschinformation beruhenden fehlgehenden Behandlung zu Tode kommen könnte.“

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2. Mit Anklageschrift vom 18. Oktober 2007 wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge vor und legt diesem Vorwurf folgenden Sachverhalt zugrunde:

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„Am 25. April 2007 ab etwa 17.00 Uhr beaufsichtigte der Angeschuldigte in seiner Wohnung auf Bitten der Zeugin B. deren knapp 4-jährigen Sohn R.

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In der Zeit zwischen 18.00 und 19:00 Uhr schlug und/oder trat der Angeschuldigte auf das Kleinkind ein, sodass es von den Schlägen verschiedene Unterblutungen an Armen, Beinen und am Rücken davontrug. Durch die Mißhandlungen trug der Junge weiterhin einen Riss in der Leber sowie einen Riss im Zwölffingerdarm davon. Aufgrund der Verletzungen lief in der Folgezeit etwa die Hälfte des Blutes des Kindes in dessen Bauchhöhle, zudem trat Darminhalt aus, sodass sich eine schwere Entzündung entwickelte.

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Für den Angeschuldigten war vorhersehbar, dass die von ihm ausgeübte Gewalt, insbesondere gegenüber einem kleinen Kind, zu inneren Verletzungen mit Blutungen und auch zum Tod führen kann.

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Als Folge der Mißhandlungen litt das Kind, welches zunächst noch hätte gerettet werden können, unter erheblichen Schmerzen und verlor im Laufe der folgenden Stunden und für den Angeschuldigten erkennbar zunehmend das Bewußtsein. Der Angeschuldigte, der das Kind zunächst nicht hatte töten wollen, blieb nun gleichwohl untätig und veranlasste die erforderlichen ärztlichen Maßnahmen nicht, da er Unannehmlichkeiten für sich befürchtete und diese vermeiden wollte. Hierbei nahm er den Tod von R. bewusst in Kauf.

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Für die ärztliche Versorgung sorgte erst die gegen 21.45 Uhr erschienene Mutter des Kindes. Das Leben des Jungen war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr zu retten, zumal der Angeschuldigte unzutreffende Angaben zu den Ursachen dessen Zustandes machte, so dass R. wegen Verdachtes auf ein septisches Geschehen behandelt wurde. Das Kind verstarb nach drei Reanimationen am 26. Mai 2007 gegen 0.49 Uhr an einen hämorrhagischen Schock in Kombination mit einer starken peritonalen Reizung infolge des stumpfen Bauchtraumas.“

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Die von der Staatsanwaltschaft mit Anklageerhebung beantragte Anpassung des Haftbefehls an den Anklagevorwurf ist bisher nicht erfolgt. Auch wurde noch keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage getroffen.

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Der Vorsitzende hatte zunächst lediglich mitgeteilt, die Fortdauer der Untersuchungshaft werde für erforderlich gehalten; ob die Kammer den Angeschuldigten für dringend verdächtig hält, die Tat wie angeklagt – oder auf sonstige Weise – begangen zu haben, blieb offen. Nachdem der Senat unter Vermittlung der Generalstaatsanwaltschaft seine Bedenken gegen diese Verfahrensweise mitgeteilt – und zwischenzeitlich der Angeschuldigte beim Landgericht Mainz einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls gestellt – hatte, hat der Vorsitzende am 12. November 2007 per Fax mitgeteilt:

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„Eine Entscheidung über

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- den Antrag der Staatsanwaltschaft Mainz auf Abänderung des Haftbefehls vom 5.5.07

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- den Antrag des Angeklagten v. 6.11.07 auf Aufhebung des Haftbefehls v. 5.5.07

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ist nicht veranlaßt, da die Sache zur Haftprüfung beim OLG vorliegt. Eine Kammerentscheidung wäre mit der Beschwerde angreifbar und würde auch zu einer Befassung des OLG führen.“

II.

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Bei dieser Sachlage kommt eine Haftfortdaueranordnung nicht in Betracht.

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1. Grundlage der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO ist einzig und allein die zuletzt erlassene und prozeßordnungsgemäß bekanntgegebene Haftentscheidung (OLG Hamm StV 95, 200). Das Oberlandesgericht darf zwar den dem Haftbefehl zugrundeliegenden Sachverhalt rechtlich abweichend würdigen. Zu einer Nachbesserung, Anpassung oder Erweiterung eines bestehenden – oder gar zum Erlaß eines neuen – Haftbefehls auf neuer Tatsachengrundlage ist aber nur das nach §§ 125, 126 StPO zuständige Gericht (ggf. auch das Beschwerdegericht) befugt (st. Rspr. des Senats, zuletzt Beschl. v. 21.12.2005 - (1) 4420 BL - III - 51/05; siehe auch OLG Oldenburg NStZ 05, 342). Deshalb ist es unerläßlich, daß das zuständige Gericht vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts eine eigene neue Haftentscheidung trifft und eröffnet, wenn wie hier nach Erlaß des Haftbefehls der dem Tatvorwurf zugrundeliegende Sachverhalt zwischenzeitlich ausgetauscht wurde (LR-Hilger, StPO, 26. Aufl., § 114 Rdn. 47 f.). Nur so kann auf rechtsstaatskonforme Weise einem Untersuchungsgefangenen die Möglichkeit erhalten bleiben, gegen die Tatsachengrundlage vorzugehen, auf der die Annahme eines dringenden Tatverdachts beruht (OLG Hamm a.a.O.). Eine andere Verfahrensweise liefe faktisch auf die Schaffung einer unanfechtbaren (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO) neuen Haftgrundlage durch ein Gericht hinaus, dem das Gesetz insoweit überhaupt keine Zuständigkeit zuweist.

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2. Da der immer noch vollzogene Haftbefehl auf einer tatsächlichen Grundlage fußt, die die Staatsanwaltschaft, wie sich aus der Anklageschrift vom 18. Oktober 2007 ergibt, inzwischen als unzutreffend ansieht, wird er seiner Funktion, in tatsächlicher Hinsicht verläßlich Auskunft über den Grund der (Aufrechterhaltung der) Untersuchungshaft zu geben (§ 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO), nicht mehr gerecht. Er ist somit aufzuheben. Umfang und Tragweite der jetzt gegen den Angeschuldigten konkret erhobenen Vorwürfe – darunter der erstmals erhobene Vorwurf der Kindesmißhandlung, an den der Vorwurf des Verdeckungsmords anknüpft – ergeben sich lediglich aus der Anklageschrift. Mangels einer entsprechenden Haftentscheidung scheidet die Anordnung von Haftfortdauer aus.

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