Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (12. Zivilsenat) - 12 U 713/10


Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 14.05.2010 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5330,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.03.2008 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 546,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.05.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben der Kläger 25,36 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 74,64 % zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 28 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 72 % zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls. Der Pkw des Klägers, gefahren von seiner Ehefrau, und der Pkw des Beklagten zu 1) waren am 11.2.2008 in ...[X] zusammengestoßen.

2

Der Kläger hat seinen Unfallschaden in Höhe von 7141,60 € sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 759,22 € geltend gemacht. Bei den Anwaltskosten hat er eine 1,5-Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG berechnet.

3

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 7141,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.02.2008 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 759,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Hilfsweise hat er beantragt, die Beklagten zu verurteilen, ihn von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen freizustellen.

4

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

5

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5330,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.03.2008 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dabei hat das Landgericht die Klage auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten in vollem Umfang abgewiesen.

6

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Klage auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten.

7

Der Kläger trägt vor, eine Gebühr von 1,3 sei bei Verkehrsunfällen regelmäßig zu erstatten, ohne dass es dazu eines besonderes Vortrages zur Angemessenheit der Gebühr bedürfe. Bei Erstattungsfähigkeit einer 1,3-Gebühr könne das anwaltliche Ermessen dahingehend ausgeübt werden, dass ein Aufschlag von 20 %, mithin auch eine 1,5-Gebühr verlangt werden könne. Im Übrigen habe der Fall auch einen leicht überdurchschnittlichen Bearbeitungsaufwand erfordert.

8

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 759,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

9

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie tragen vor, die Aktivlegitimation des Klägers sei nicht gegeben. Im Übrigen stehe dem Kläger allenfalls eine 1,0-Gebühr zu.

11

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

12

Die Berufung ist teilweise begründet.

13

Der Kläger hat gegen die Beklagten gemäß § 7 StVG einen Anspruch auf Zahlung außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 546,68 €.

14

Der Kläger ist aktivlegitimiert. Die Rechtschutzversicherung des Klägers hat die außergerichtlichen Anwaltskosten an die Prozessbevollmächtigten des Klägers gezahlt. Die von der Versicherung übernommenen Kosten hat der Kläger durch Vorlage der Kostenrechnung vom 10.04.2008 dargelegt. Den infolge der Übernahme dieser Kosten auf die Versicherung übergegangenen Erstattungsanspruch gegen die Beklagten hat die Versicherung ausweislich des vom Kläger vorgelegten Schreibens vom 07.09.2010 an den Kläger abgetreten.

15

Es ist unerheblich, ob die Voraussetzungen der §§ 8 und 10 RVG erfüllt sind. Diese Bestimmungen haben nur Bedeutung für das Verhältnis des Klägers zu seinen Prozessbevollmächtigten (vgl. LG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.01.2010, Az.: 2/16 S 162/09; Hartmann, Kostengesetze, 41. Auflage, § 8 RVG Rn. 1, § 10 RVG Rn. 1). Im Übrigen hat der Kläger im Berufungsverfahren die Kostenrechnung vom 10.04.2008, die den Anforderungen des § 10 RVG entsprechen dürfte, vorgelegt.

16

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers sind außergerichtlich für den Kläger tätig gewesen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts bestand bereits in der ersten Instanz kein Anlass, an einer entsprechenden Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu zweifeln. Die Beklagten hatten eine solche Tätigkeit in der ersten Instanz nicht in Abrede gestellt. Auch im Berufungsverfahren haben die Beklagten eine außergerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht bestritten.

17

Der Kläger kann für diese Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten eine 1,3-Gebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG in Ansatz bringen. Die Gebühr ist aus einem Gegenstandswert von 5330,34 € zu berechnen. Dieser Wert entspricht dem vom Landgericht zugesprochenen Schadensbetrag. Die 1,3-Gebühr kann der Rechtsanwalt bei durchschnittlichen Verkehrsunfallsachen regelmäßig ohne nähere Darlegungen verlangen (BGH NJW-RR 2007, 420; OLG München VersR 2007, 267). Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend um eine unterdurchschnittlich schwierige Angelegenheit handelt, liegen nicht vor.

18

Eine höhere Gebühr als 1,3 kann der Kläger nach Auffassung des Senats nicht erstattet verlangen.

19

Bei der Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG handelt es sich um eine Rahmengebühr im Sinne des § 14 RVG. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Gegen den Ansatz einer 1,3-Gebühr für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers bestehen unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit keine Bedenken. Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers berechnete 1,5-Gebühr ist jedoch unbillig.

20

Zur Bestimmung der Unbilligkeit können die Maßstäbe des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG herangezogen werden (Mayer/Kroiß/Winkler, RVG, 4. Auflage, § 14 Rn. 55; BeckOK von Seltmann/Lutje RVG, § 14 Rn. 53; Hartmann, Kostengesetze, 41. Auflage, § 14 RVG Rn. 23). Nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Das Gesetz nennt beispielhaft u.a. den Umfang oder die Schwierigkeit der angefallenen anwaltlichen Tätigkeit. Hierbei ist anerkannt, dass dem Rechtsanwalt bei dieser Ermessensausübung ein Toleranzspielraum von jedenfalls 20 % einzuräumen ist (BGH NJW-RR 2007, 420; BeckOK von Seltmann/Lutje RVG, § 14 Rn. 13).

21

Der Bundesgerichtshof hat vor diesem Hintergrund in seinem Urteil vom 13. Januar 2011 (NJW 2011,1603, 1605) ausgeführt, dass im Hinblick auf den genannten Toleranzspielraum die Erhöhung der bei durchschnittlichen Rechtssachen anfallenden 1,3-Geschäftsgebühr auf eine 1,5-Gebühr einer gerichtliche Nachprüfung entzogen sei. Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, dass die der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG zu entnehmende Kappungsgrenze bei durchschnittlichen Sachen eine höhere Gebühr als 1,3 nicht zulässt.

22

Nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Regelung begrenzt nach Auffassung des Senats den in § 14 Abs. 1 S. 1 und S. 4 RVG dem Rechtsanwalt eingeräumten Spielraum. Der Wert von 1,3 stellt eine Grenze dar, die nicht überschritten werden darf, wenn die Tätigkeit nicht umfangreich oder schwierig war (wie hier OLG Jena, Beschluss vom 02.02.2005, Az.: 9 Verg 6/04 = OLGR Jena 2006, 81).

23

Für diese Sichtweise spricht neben dem Wortlaut auch die Begründung des Gesetzgebers, der für durchschnittliche Fälle ausdrücklich von der 1,3-Gebühr ausgeht (BT-Drucksache 15/1971, 206, 207 zu Nr. 2400 VV RVG). Diese Wertung würde unterlaufen, wenn man dem Rechtsanwalt gestattete, unter Berufung auf den genannten Toleranzspielraum bei jedem durchschnittlichen Fall den Wert von 1,3 zu überschreiten.

24

Demnach kann der Kläger eine Gebühr über 1,3 nur verlangen, wenn konkrete Umstände eine mehr als durchschnittlich schwierige oder umfangreiche Angelegenheit nahelegen. Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht detailliert dazu vorgetragen, inwieweit sich die anwaltliche Tätigkeit als in Intensität oder Umfang überdurchschnittlich erwiesen haben soll. Die im Berufungsverfahren vorgebrachten Umstände (etwa Stellungnahme zum Umfang der Reparaturkosten, Bitte um Deckungszusage beim Rechtschutzversicherer des Klägers, Erfassung der streitigen Umstände des Verkehrsunfalls) rechtfertigen nicht die Annahme einer überdurchschnittlich schwierigen oder überdurchschnittlich umfangreichen Angelegenheit. Hierbei handelt es sich vielmehr um regelmäßig auftretende anwaltliche Tätigkeiten bei streitigem Unfallgeschehen.

25

Danach ergibt sich folgende Berechnung:

26

1,3-Gebühr aus 5330,54 €

Nr. 2300 VV RVG

      439,40 €

Pauschale

Nr. 7002 VV RVG

20,00 €

Mehrwertsteuer 19 %

     

  87,28 €

ergibt zu ersetzenden Betrag:  

     

546,68 €

27

Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Kostenersatz besteht nicht. Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 286, 288 BGB.

28

Die Kostenentscheidung folgt den §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO.

29

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

30

Die Revision gegen diese Entscheidung ist nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 2. Alternative ZPO zuzulassen. Klärungsbedürftig ist das Verhältnis von § 14 Abs. 1 S.+ 4 RVG zu Nr. 2300 VV RVG. Die Entscheidung des Senats weicht von dem genannten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.01.2011 (NJW 2011, 1603) ab.

31

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 759,22 € festgesetzt.

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