Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (2. Strafsenat) - 2 Ws 204/16

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Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez vom 11. März 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Das Landgericht Landau verhängte gegen den Beschwerdeführer mit Urteil vom 24. Februar 2004 wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung (§§ 249, 223, 52 StGB; Tatzeit: 27.07.2002) und wegen der tateinheitlich verwirklichten Delikte des Diebstahls mit Waffen (Messer), Wohnungseinbruchdiebstahls, der gefährlichen Körperverletzung und schweren räuberischen Erpressung (§§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 3, 224 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1 253, 255, 52, 53 StGB; Tatzeit: 11.10.2003) eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen: 1 Jahr 6 Monate und 6 Jahre). Zugleich ordnete es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB an. Nach vollständiger Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe befindet sich der Verurteilte seit dem 25. August 2009 im Maßregelvollzug. Eine Vollzugsdauer von zehn Jahren gemäß § 67d Abs. 3 StGB wird mit Ablauf des 24. August 2019 erreicht sein.

2

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer im Regelüberprüfungsverfahren nach §§ 67d Abs. 2, 67e Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 StGB nach Einholung eines forensisch-psychologischen Prognose-Gutachtens und mündlicher Anhörung der Sachverständigen den weiteren Maßregelvollzug nicht für erledigt erklärt und nicht zur Bewährung ausgesetzt. Nach Ansicht der Kammer könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird.

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Hiergegen richtet sich die - nicht ausgeführte - sofortige Beschwerde des Untergebrachten.

II.

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Das nach §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 3 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist aufzuheben.

5

1. Er beruht auf einer unzureichend aufgeklärten Prognosegrundlage. Die Auffassung der Kammer, „ohne festes Beschäftigungsverhältnis droht für den Untergebrachten ein Abgleiten in vergangene Verhaltensweisen mit der Begehung weiterer Taten wie der Anlasstaten“, findet weder in dem schriftlichen Sachverständigengutachten, das noch vom Bestehen eines festen Arbeitsverhältnisses ausging, noch in den Erläuterungen der Sachverständigen im Anhörungstermin vom 11. März 2016, an dem das Beschäftigungsverhältnis nicht mehr bestand, eine Stütze. Worauf sich die Prognose der Kammer gründet, ist nicht ersichtlich. Welche Straftaten mit welcher Wahrscheinlichkeit vom Untergebrachten unter den gegebenen Umständen im Fall einer Außervollzugsetzung zu erwarten sind, bleibt nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand offen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu zutreffend ausgeführt:

6

„Im vorliegenden Fall vermittelten dem Gericht jedoch weder das schriftliche Sachverständigengutachten vom 27.01.2016, noch die mündlichen Ausführungen der Sachverständigen im Termin vom 11.03.2016 die tatsächlichen Grundlagen, die es ihm ermöglichten, eigenständig die geforderte Gefährlichkeitsprognose anzustellen. Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen war die Kammer zwar in der Lage festzustellen, dass der Untergebrachte (weiterhin) an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung leidet, die in seinem spezifischen Fall vor allem durch haltschwache, unorganisierte, impulsive und dissoziale Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. Diesbezüglich ist jedoch hinzuzufügen, dass die Sachverständige eine Abmilderung der dissozialen Persönlichkeitsstruktur feststellte.

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Auf der Grundlage der aktenkundigen Ausführungen der Sachverständigen kann indes nicht beurteilt werden, ob zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges keine erheblichen Taten im Sinne der §§ 63 ff. StGB mehr begehen wird. Die Sachverständige hat dem Untergebrachten in ihrem Gutachten vom 27.01.2016 ein weitestgehend günstiges Entlassungssetting attestiert; seine Persönlichkeitsentwicklung sei grundsätzlich als positiv zu bewerten. Er führe (weiterhin) psychologische Einzelgespräche, sei mittlerweile schuldenfrei und habe die ihm gewährten Lockerungen zuverlässig absolviert. Allerdings zeige sich in der Lebensgeschichte des Untergebrachten eine klare Abhängigkeit seiner Fähigkeit, ein strukturiertes Leben ohne schwere Delikte zu führen, von äußerer Struktur und äußerer Grenzsetzung. Das Delinquenzrisiko des Untergebrachten weise eine Bindung an unstrukturierte Lebenssituationen mit geringer sozialer Kontrolle auf. Zum Zeitpunkt der Erstattung des schriftlichen Gutachtens befand sich der Untergebrachte in fester Arbeit, so dass die Sachverständige die Wahrscheinlichkeit der Begehung neuer Gewalttaten zum damaligen Zeitpunkt als „gering“ bezeichnete. Aufgrund der Persönlichkeitsentwicklung des Untergebrachten sei das von ihm ausgehende Gewaltrisiko insgesamt gesunken, so dass ein Einstieg in neuerliche Delikte eher über den „Eigentumsbereich“ vorstellbar wäre. Im Ergebnis nahm die Sachverständige im schriftlichen Sachverständigengutachten eine günstige Legalprognose an. Dabei führte sie indes aus:

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„In dem ungünstigen Fall, dass Herr S. die Arbeitsstelle verliert und zunächst keine neue findet, damit Struktur und soziale Einbindung verloren gehen und die depressiven Anteile des Probanden wieder aktiviert würden, ist allerdings zu befürchten, dass Herr S. erneut versuchen würde, seine (depressive) Stimmung über die Einnahme von psychoaktiven Substanzen zu regulieren. (…) Dies wiederum könnte langfristig eine ungünstige Entwicklung auf die Lebensgestaltung des Probanden nehmen, mit sich anhäufenden Problemen, finanziellen Engpässen und einem strukturlosen Lebensstil, was wiederum längerfristig zu einem Ansteigen des Rückfallrisikos führt“.

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Nachdem der Untergebrachte nach Fertigstellung des schriftlichen Sachverständigengutachtens seine Arbeitsstelle unverschuldet verlor, relativierte die Sachverständige im Rahmen der mündlichen Anhörung vom 11.03.2016 ihre Bewertung und führte aus, dass nach der Entlassung des Untergebrachten aus dem freien Beschäftigungsverhältnis ein günstiger Prognosefaktor nicht mehr vorhanden sei, was sich negativ auswirke. Im Rahmen der mündlichen Anhörung erklärte sie ferner, dass die für eine positive Legalprognose erforderlichen festen Strukturen alternativ auch aus sozialen Kontakten, Vereinsaktivitäten, ehrenamtlichen Tätigkeiten oder ähnlichem resultieren könnten, solche aber nicht gegeben seien. Die Sachverständige hat indes (auch) im Rahmen der mündlichen Anhörung vom 11.03.2016 keinerlei Ausführungen dazu getätigt, ob von dem Untergebrachten im Falle seiner Entlassung überhaupt „erhebliche Taten“ im Sinne der §§ 63 ff. StGB zu erwarten sind. Selbst wenn sich die Legalprognose durch den Wegfall der Arbeitsstelle verschlechtert haben sollte, ist dies nicht gleichbedeutend damit, dass die neuen, zu erwartenden Straftaten auch „erheblich“ im Rechtssinne sind. Schreibt die Sachverständige in dem Fazit ihres Gutachtens, dass neuerliche Delikte des Untergebrachten nach einer „längeren Phase des Abgleitens in eine strukturlose Lebensführung“ denkbar sind, wobei aufgrund der „erfolgten Persönlichkeitsentwicklung“ das Gewaltrisiko insgesamt gesunken sei, so dass ein Einstieg in neuerliche Delikte eher „über den Eigentumsbereich“ vorstellbar wäre, kann man diese vagen Feststellungen zumindest so lesen, als dass von dem Untergebrachten selbst im Falle eines strukturlosen Lebens keine schwerwiegenden Taten mehr zu erwarten sind. Ferner verhalten sich die Ausführungen der Sachverständigen auch nicht zu der Frage, wie hoch sich das Risiko der Begehung weiterer erheblicher Straftaten bemisst. Die Feststellung der Kammer, ohne ein festes Beschäftigungsverhältnis drohe für den Untergebrachten „ein Abgleiten in vergangene Verhaltensweisen mit der Begehung weiterer Straftaten wie der Anlasstaten“ findet in den aktenkundigen Ausführungen der Sachverständigen keine Stütze. Im Ergebnis erscheint es daher erforderlich, auf der Grundlage einer ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen in der Sache neu zu entscheiden.“

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Dem schließt sich der Senat an. Wegen des Erfordernisses einer nochmaligen mündlichen Anhörung der Sachverständigen nach Ergänzung ihres Gutachtens (§§ 463 Abs. 3 Satz 3, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO) kann der Senat das bestehende Aufklärungsdefizit nicht durch eine eigene Sachentscheidung nach § 309 Abs. 2 StPO selbst beseitigen. In einem solchen Fall ist nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ausnahmsweise die Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht geboten (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 309 Rdn. 8 m.w.N.).

11

2. Indem die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Fortdauerentscheidung auf die Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten abgestellt hat, hat sie zudem einen unzutreffenden, zu weit gefassten Prognosemaßstab angewandt.

12

Liegen die Anlasstaten, wie hier, vor dem 1. Juni 2013, sind bei Entscheidungen über die Fortdauer der Unterbringung gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB - soweit in Abs. 3 nichts anderes bestimmt ist - die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung anzuwenden (in den Altfällen, in denen das Vertrauensschutzgebot zu beachten ist, nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4). Einschlägige Vorschrift ist, soweit es, wie vorliegend, um Fortdauer der Unterbringung bis zu zehn Jahren geht, gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 und 2 EGStGB sowohl für Fälle vor als auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) unter Beachtung des bis zum 31. Mai 2013 geltenden Maßstabs „strikter Verhältnismäßigkeit“ gemäß Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 2365/09 u.a. vom 4. Mai 2011 (Senat, Beschl. 2 Ws 411/14 vom 03.09.2014 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil 5 StR 563/13 vom 11.03.2014, NStZ 2014, 263).

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Das Gebot strikter Verhältnismäßigkeit der Unterbringung gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 172). Diesen Maßstab, den die Strafvollstreckungskammer ihrer Prognose in der Fortdauerentscheidung vom 21. Dezember 2012 (7 StVK 177/12) zugrunde gelegt hat, wird sie auch bei der neuen Entscheidung anzulegen haben.

III.

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Eine Erledigung der Unterbringung ist nicht auszusprechen.

15

Die Zehnjahresgrenze nach § 67d Abs. 3 StGB ist noch nicht erreicht.

16

Die Voraussetzungen des Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB, der gilt, wenn die Sicherungsverwahrung, wie vorliegend durch Urteil des Landgerichts Landau vom 24. Februar 2004, vor dem 1. Januar 2011 angeordnet worden ist, liegen ebenfalls nicht vor. Das hat die Strafvollstreckungskammer bereits mit Beschluss vom 10. März 2011 (7 StVK 16/11) geprüft und zutreffend verneint. Die Auffassung, dass in dem Verfahren nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB die nach § 66 StGB a. F. angeordnete Sicherungsverwahrung nur dann für erledigt zu erklären ist, wenn alle für die Anordnung der Sicherungsverwahrung kausalen Taten aus den Anlass- und Vorverurteilungen nicht mehr in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung fallen, hat der Bundesgerichtshof in dem auf Vorlage der Rechtsfrage ergangenen Beschluss 5 StR 451/11 vom 25. April 2012 (NJW 2012, 1824) bestätigt.

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