Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (2. Senat für Familiensachen) - 9 UF 131/17

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Trier vom 02.02.2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin Auskunft über sein Einkommen für die Jahre 2015 und 2016 zu erteilen und die Auskunft je nach der ausgeübten Tätigkeit und der entsprechenden Einkunftsart zu belegen durch ... .

2. Im Übrigen wird das Verfahren zur Behandlung und Entscheidung über die weiteren Stufen des Stufenantrags an das Amtsgericht zurückverwiesen.

II. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens, einschließlich der in der Beschwerdeinstanz angefallenen Kosten, bleibt der abschließenden Entscheidung des Amtsgerichts vorbehalten.

III. Der Beschwerdewert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner im Wege des Stufenantrags auf Auskunft und Zahlung von Elternunterhalt aus übergegangenem Recht in Anspruch.

2

Die Antragstellerin gewährt der am ...1961 geborenen Mutter des Antragsgegners, Frau J.S., seit dem 01.03.2013 Sozialhilfeleistungen nach dem dritten und dem fünften bis neunten Kapitel des SGB XII in unterschiedlicher Höhe von bis zu 350,00 € monatlich. Die noch in einem eigenen Haushalt lebende Hilfeempfängerin erhält ambulante Eingliederungshilfen und Hilfe zur Pflege, deren Kosten sie nicht vollständig aus eigenen Einkünften - Rente wegen voller Erwerbsminderung - zahlen kann.

3

Mit Schreiben vom 11.07.2013 hat die Antragstellerin den Antragsgegner rechtswahrend über den Anspruchsübergang informiert und den von ihm zu zahlenden (übergegangenen) Elternunterhalt nach Auskunftserteilung auf monatlich 48,00 € ab Juli 2013 und 65,00 € ab Dezember 2013 festgesetzt. Der Antragsgegner hat keine Zahlungen auf den geforderten Unterhalt geleistet; über die Rückstände für die Zeit von Juli 2013 bis April 2014 hat die Antragstellerin einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Im Übrigen verweigert der Antragsgegner die von der Antragstellerin im Jahr 2016 angeforderte neue Auskunft über seine (aktuellen) Einkünfte.

4

Im vorliegenden Verfahren macht die Antragstellerin ihre Ansprüche im Wege des Stufenantrags geltend. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Mutter des Antragsgegners wegen der bezogenen Hilfen überhaupt ein Unterhaltsanspruch gegen ihren Sohn zusteht. Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, dass seine Mutter ihren Bedarf vollständig aus eigenen Mitteln decken könne und ein Rückgriff auf ihn aus Rechtsgründen ausscheide.

5

Das Amtsgericht hat den Stufenantrag der Antragstellerin durch Beschluss vom 02.02.2017 insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin schon keinen die eigenen Renteneinkünfte übersteigenden Bedarf der Hilfeempfängerin dargelegt habe. Im Übrigen sei der Kausalitätsgedanke des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII analog auch auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 94 SGB XII anwendbar, sodass ein sozialhilferechtlicher Anspruch der Hilfeempfängerin nicht automatisch bedeute, dass diese Leistungen vom Antragsgegner zu tragen seien. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die bei den Akten befindliche Entscheidung verwiesen (Bl. 91 ff GA).

6

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Stufenantrag weiter. Die Beteiligten vertreten - wie schon in erster Instanz - unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, ob die Antragstellerin einen Bedarf der Hilfeempfängerin und einen in entsprechender Höhe übergegangenen Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner dargelegt habe und ob ein Forderungsübergang aus Rechtsgründen ausgeschlossen sei.

II.

7

Die gem. §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Stattgabe des Auskunfts- und Belegvorlagebegehrens (1. Stufe). Über die weiteren Stufen wird das Amtsgericht, sofern sie aufgerufen werden sollten, zu entscheiden haben. Insoweit wird das Verfahren nach Erörterung mit den Beteiligten und im Einvernehmen mit der Antragstellerin an das Amtsgericht zurückverwiesen.

8

Nach § 94 Abs. 1 SGB XII geht der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch einer leistungsberechtigten Person für die Zeit, in der sie Sozialleistungen erhalten hat, bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über. Eine vollständige Abweisung des Stufenantrags kann deshalb nur in Betracht kommen, wenn ein Zahlungsanspruch unbeschadet der nicht erteilten Auskunft von vornherein ausscheidet. Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung des Senats nicht vor.

9

Die Antragstellerin hat einen Unterhaltsbedarf der Hilfeempfängerin hinsichtlich der von ihr erbrachten Hilfen zur Pflege und der Eingliederungshilfen hinreichend substantiiert dargelegt. Grundsätzlich richtet sich der Bedarf eines (bedürftigen) Elternteils nach seiner persönlichen Lebensstellung, sodass der Grundbedarf eines nicht erwerbstätigen und nicht erwerbsfähigen Elternteils unter Rückgriff auf die Eigenbedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle mit dem Mindestbedarf eines nicht erwerbstätigen unterhaltsberechtigten Ehegatten angenommen wird. Dies sind in der hier maßgeblichen Zeit 800,00 € und ab 01.01.2015 880,00 €. Der Darlegungslast für einen darüber hinausgehenden Mehrbedarf, wie etwa höhere Wohnkosten, notwendige Pflegekosten oder Eingliederungshilfen genügt ein Sozialhilfeträger bereits dann, wenn er darlegt, dass diese Mehrkosten sozialhilferechtlich anerkannt worden sind. Dem ist die Antragstellerin nachgekommen. Sie hat im Einzelnen aufgelistet, welche Leistungen sie monatlich in welcher Höhe erbracht hat und die entsprechenden Bewilligungsbescheide vorgelegt. Damit ist ein monatlicher Gesamtbedarf der Hilfeempfängerin für die Zeit ab Mai 2014 (die Ansprüche bis April 2014 sind tituliert) in wechselnder Höhe zwischen 1.218,64 € und 1.615,64 € dargelegt.

10

Diesen Gesamtbedarf kann die Mutter des Antragsgegners nicht vollständig aus ihren Renteneinkünften decken, die sich ausweislich der Auflistung der Antragstellerin auf Beträge zwischen 937,67 und 1.074,60 € belaufen (Bl. 149 f GA).

11

Ohne Erteilung der von der Antragstellerin geforderten Auskünfte kann nicht festgestellt werden, ob und in welcher Höhe der Antragsgegner zur Zahlung von Elternunterhalt leistungsfähig und verpflichtet ist, Unterhaltsansprüche damit - bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen - auf die Antragstellerin übergegangen sind und während der Weitergewährung von Leistungen noch übergehen werden.

12

Der in § 94 SGB XII geregelte gesetzliche Forderungsübergang wird nicht durch die in § 85 SGB XII festgelegten Einkommensgrenzen begrenzt; eine analoge Anwendung des § 93 SGB XII kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

13

§ 85 Abs. 1 SGB XII sieht vor, dass eine um Hilfen nach dem fünften bis neunten Kapitel nachfragende Person ihr Einkommen nicht einsetzen muss, mithin Anspruch auf die vorgenannten Hilfen hat, wenn ihr Einkommen die in der vorgenannten Vorschrift geregelten Beträge nicht überschreitet. Diese zugunsten einer hilfebedürftigen Person getroffene Regelung soll gewährleisten, dass demjenigen, der auf Hilfen zur Pflege oder Eingliederungshilfen (Hilfen nach dem fünften bis neunten Kapitel) angewiesen ist, in jedem Fall ein Lebensstandard oberhalb der Bedürftigkeit für Hilfen zum Lebensunterhalt (§ 19 Abs. 1 SGB XII) gesichert wird (vgl. Gutzler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SBG XII, 2.Aufl. 2014, § 85 Rdn. 16). Die in den erhöhten Einkommensgrenzen liegende "Privilegierung" des Hilfeempfängers bei Leistungen, die nicht den Lebensunterhalt sichern, ist auch zu beachten, wenn es um die Überleitung von Ansprüchen geht, die der leistungsberechtigten Person gegen Dritte zustehen, die also nicht Unterhaltsansprüche betreffen. Insoweit regelt § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, dass der Sozialhilfeträger solche Ansprüche nur überleiten darf, wenn bei rechtzeitiger Zahlung des Dritten an die bedürftige Person keine Hilfen nach dem fünften bis neunten Kapitel hätten erbracht werden müssen. Die Vorschrift über die Überleitung von Ansprüchen nach § 93 SGB XII stellt darauf ab, dass eine Kausalität zwischen der Nichterfüllung des Anspruchs durch einen Dritten und der Leistungsverpflichtung des Trägers der Sozialhilfe bestehen muss (vgl. Weber in BeckOK SozR, SGB XII, § 93 Rdn. 21 ff, beck-online).

14

Eine entsprechende Regelung findet sich nicht in § 94 SGB XII über den gesetzlichen Forderungsübergang, der sich automatisch mit Erbringung der Sozialhilfeleistungen vollzieht, soweit ein Unterhaltsanspruch besteht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die ausdrücklich in § 93 SGB XII als Voraussetzung für eine Überleitung aufgenommene Kausalität zwischen rechtzeitiger Leistung des Dritten und Gewährung von Hilfen nach den fünften bis neunten Kapitel auch für den gesetzlichen Forderungsübergang von Unterhaltsansprüchen wollte und eine vergleichbare Aufnahme im Gesetzestext lediglich "vergessen" hat. Der Gesetzgeber hat für die Ansprüche einer leistungsberechtigten Person gegenüber Dritten oder gegenüber einem ihr Unterhaltsverpflichteten unterschiedliche Regelungen für die Überleitung solcher Ansprüche oder den gesetzlichen Forderungsübergang getroffen. Auch wenn dies im Einzelfall zu einer Ungleichbehandlung führen mag, beruht dies darauf, dass für unterschiedliche Sachverhalte voneinander abweichende gesetzliche Voraussetzungen geschaffen wurden. Eine planwidrige Regelungslücke oder Wertungslücke in § 94 SGB XII, die durch analoge Heranziehung eines in § 93 SGB XII geregelten Grundsatzes geschlossen werden müsste, besteht nicht. Der Gesetzgeber hat den gesetzlichen Forderungsübergang bei der Neuregelung in § 94 SGB XII bewusst abweichend von der früheren Regelung in § 91 Abs. 2 BSHG nicht mehr davon abhängig gemacht, dass die für den Leistungsberechtigten geltenden Einkommensgrenzen auch für den Unterhaltsverpflichteten gelten, dieser mithin an den besonderen Einkommens- und Vermögensgrenzen des Berechtigten partizipiert. Die hierin liegende Werteentscheidung mit einer im Einzelfall möglichen Schlechterstellung des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem Unterhaltsberechtigten und im Vergleich zur früheren gesetzlichen Regelung ist hinzunehmen (vgl. Armbruster in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2.Aufl. 2014, § 94, Rdn. 163 und 174). Der Senat folgt nicht der vom Amtsgericht und teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung, dass der gesetzliche Forderungsübergang im Rahmen einer erweiterten Kausalitätsprüfung abzulehnen ist, wenn die Nichterfüllung von Unterhaltspflichten nicht für die Sozialhilfegewährung ursächlich ist (vgl. Armbruster, aaO., Rdn. 120).

15

Ob ein gesetzlicher Forderungsübergang im vorliegenden Fall ganz oder teilweise wegen unbilliger Härte nach § 94 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen sein kann, wird erst nach Erteilung der geforderten Auskunft und Kenntnis von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Antragsgegners zu entscheiden sein.

16

Dem Auskunfts- und Beleganspruch war deshalb - mangels Kenntnis von den Einkommensarten - im beantragten Umfang stattzugeben.

III.

17

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (vgl. BSG, Beschluss v. 20.12.2012 - B 8 SO 75/12 B -, SozR 4-3500 § 117 Nr. 2, bei juris).

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