Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (6. Zivilsenat) - 6 W 101/18

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 1. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Gründe

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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens wendet, ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft; anfechtbar ist auch die nicht vollständige Erschöpfung der einmal angeordneten Beweiserhebung (vgl. BeckOK ZPO/Kratz, § 490 Rdnr. 6 m.w.Nachw.). Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat die sofortige Beschwerde jedoch keinen Erfolg; sie ist deshalb zurückzuweisen.

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1. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 485 Abs. 2 ZPO ein schriftliches Sachverständigengutachten einzuholen ist, sind bezüglich der noch offenen Beweisfrage Nr. 3 im Beweisbeschluss des Landgerichts vom 25. April 2017 nicht erfüllt.

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a) In dem Beweisbeschluss hat das Landgericht angeordnet, dass Beweis zu der Frage zu erheben ist, ob bei der Antragstellerin seelische Schäden vorliegen (Nr. 1), ob die Ursache hierfür in Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Handlungen liegt, die ohne ihr Einverständnis vorgenommen wurden (Nr. 2) und, falls dies der Fall ist, ob Vergewaltigungen oder andere sexuelle Handlungen, die ohne ihr Einverständnis vorgenommen wurden, durch den Antragsgegner - den früheren Ehemann der Antragstellerin - erfolgt seien (Nr. 3); die Beweisfrage Nr. 4 befasst sich mit erforderlichen Behandlungsmaßnahmen bei der Antragstellerin und hierfür anfallenden Kosten. Das Landgericht hat hinsichtlich aller Fragen zunächst eine auf aussagepsychologische Zeugenbegutachtungen spezialisierte Diplom-Psychologin zur Sachverständigen ernannt. Auf deren Hinweis, dass die Fragen Nr. 1, 2 und 4 vorzugsweise von einem psychiatrischen Sachverständigen geprüft werden sollten, hat das Landgericht für alle Beweisfragen statt dessen einen psychiatrischen Sachverständigen ernannt. Dieser hat zu der Beweisfrage Nr. 3 keine gutachterliche Stellungnahme abgegeben, weil hierzu nach seiner Beurteilung eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung notwendig wäre (Gutachten vom 10. August 2017, Seiten 55/56; ebenso bereits im Schreiben des Sachverständigen vom 1. August 2017, GA 72). Den nochmaligen Antrag der Antragstellerin, ein ergänzendes Glaubwürdigkeitsgutachten zur Beweisfrage Nr. 3 einzuholen, hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss abgelehnt.

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b) Das Landgericht hat dem Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Beweisfrage Nr. 3 zu Recht nicht entsprochen.

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aa) Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht zunächst durch Beweisbeschluss vom 25. April 2017 eine aussagepsychologische Begutachtung (auch) zu der Beweisfrage Nr. 3 angeordnet hatte. Denn das Landgericht war an seinen ursprünglichen Beschluss nicht gebunden. § 318 ZPO gilt für Beschlüsse des erkennenden Gerichts grundsätzlich nicht (vgl. BGH, NJW 1992, 982 Rdnr. 3 m.w.Nachw.; Zöller/Feskorn, ZPO, 32. Aufl., § 318 Rdnr. 8 m.w.Nachw.). In der Ablehnung des (erneuten) Antrags der Antragstellerin durch den angefochtenen Beschluss liegt zugleich eine Aufhebung der ursprünglichen Beweisanordnung, soweit diese auf eine aussagepsychologische Begutachtung gerichtet war.

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bb) Die Voraussetzungen für eine Beweiserhebung nach § 485 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor; dies macht die Antragstellerin auch nicht geltend. Nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO kann darüber hinaus eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Ursache (unter anderem) eines Personenschadens festgestellt wird. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist ein rechtliches Interesse anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

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Ein solches rechtliches Interesse ist hier nicht gegeben.

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(1) Der Senat verkennt nicht, dass das erforderliche rechtliche Interesse grundsätzlich weit zu verstehen ist, um dem auf Prozessvermeidung gerichteten Zweck des Gesetzes gerecht zu werden (vgl. Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 485 Rdnr. 30; zu Einzelheiten vgl. BGHZ 198, 237 ff. - diese und die folgenden Entscheidungen jeweils zitiert nach juris).

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Das Landgericht hat aber zutreffend ausgeführt, dass die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht isoliert vorab in einem selbständigen Beweisverfahren festgestellt werden kann.

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Ein Sachverständigengutachten ist (nur) dann einzuholen, wenn aus feststehenden Tatsachen kraft besonderer Fachkunde Schlussfolgerungen gezogen werden müssen, um dem Gericht die Überzeugung von der streitigen Behauptung zu verschaffen, wenn es also um die Vermittlung von Fachwissen geht (Zöller/Greger, aaO, vor § 402 Rdnr. 9). Die Antragstellerin erstrebt, durch ein psychologisches Sachverständigengutachten zu belegen, dass die von ihr gegen den Antragsgegner erhobenen Vorwürfe zutreffend sind, das Gericht also ihre Sachdarstellung - und nicht das bestreitende Vorbringen des Antragsgegners - für wahr erachten soll (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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Die noch offene Beweisfrage, ob Vergewaltigungen oder andere sexuelle Handlungen an der Antragstellerin ohne ihr Einverständnis durch den Antragsgegner erfolgten, kann jedoch für sich genommen in gerichtsverwertbarer Weise nicht durch einen Sachverständigen mit dem Fachgebiet Aussagepsychologie „festgestellt“ werden (§ 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Sie kann nur in einem Hauptsacheverfahren durch den Tatrichter im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung geklärt werden. Die Antragstellerin hat als Klägerin hierzu einen konkreten Sachverhalt vorzutragen - auch hieran fehlt es derzeit - und Beweismittel zu bezeichnen. Die Vernehmung der Klägerin selbst als Partei kommt nur unter den Voraussetzungen der §§ 447, 448 ZPO in Betracht; in die Beweiswürdigung hat aber auch das Ergebnis einer etwaigen persönlichen Anhörung der Klägerin nach § 141 ZPO, der Anhörung des Beklagten und weiterer gegebenenfalls zu erhebender Beweise einzufließen. Die Feststellung, ob die Angaben der Antragstellerin - betreffend den streitgegenständlichen konkreten Sachverhalt - zutreffen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung nach freier Überzeugung zu würdigen (§ 286 ZPO).

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Bei der Tatsachenfeststellung kann der Tatrichter sich auch durch einen Sachverständigen mit dem Fachgebiet der aussagepsychologischen Begutachtung beraten lassen. Gegenstand einer solchen aussagepsychologischen Begutachtung ist allerdings nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Untersuchten im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, das heißt einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl. BGHSt 45, 164 Rdnr. 11).

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Die aussagepsychologische Begutachtung ist dabei nur ein Element der richterlichen Überzeugungsbildung, das nicht isoliert von dem übrigen Ergebnis der mündlichen Verhandlung und des Ergebnisses der weiteren Beweisaufnahme gewertet werden kann. Da die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben Aufgabe des Tatrichters ist und er diese Aufgabe im Regelfall kraft eigener Sachkunde erfüllen kann, kommt die Anordnung einer aussagepsychologischen Begutachtung - die sich jedenfalls im Regelfall auf des Beweismittel des Zeugen bezieht - nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Zöller/Greger, vor § 373 Rdnr. 14; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kapitel 31, § 114 Rdnr. 76 f.; OLG Hamm, OLGR Hamm 2006, 465 Rdnr. 11). Entscheidet sich das erkennende Gericht gleichwohl für eine aussagepsychologische Begutachtung, kann es neben einer präzisen Auftragsbeschreibung insbesondere dienlich sein, die Anknüpfungstatsachen mitzuteilen, von denen das Gutachten ausgehen soll (BGHSt 45, 164 Rdnr. 58).

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Hieraus folgt, dass die aussagepsychologische Begutachtung nicht vorab und losgelöst von dem Streitgegenstand und Tatsachenstoff eines Hauptsacheverfahrens erfolgen kann. Eine solche Vorab-„Feststellung“, die sich im selbständigen Beweisverfahren allein auf die Angaben der Antragstellerin gründen kann, ist für ein späteres Hauptsacheverfahren ohne Wert.

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(2) Eine solche Begutachtung ist auch nicht geeignet, der Vermeidung eines Rechtsstreits zu dienen (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO); denn die Feststellung der Ursache eines Personenschadens kann, wie ausgeführt, nicht allein anhand einer aussagepsychologischen Begutachtung erfolgen und kann die tatrichterliche Beurteilung nicht ersetzen. Dies gilt auch für das vorliegende selbständige Beweisverfahren. Dass die Antragstellerin ihre Beweisbehauptung für wahr hält, kann unterstellt werden; dass der Antragsgegner sie bestreitet, ist aus seinem Vorbringen eindeutig ersichtlich. Ein aussagepsychologisches Gutachten könnte hier zu einer Befriedung zwischen den Parteien ersichtlich nichts beitragen.

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2. Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen, weil die Ausgangsentscheidung des Landgerichts über die Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens keine Kostenentscheidung enthalten durfte und das Beschwerdeverfahren daher nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (für die Gerichtskosten vgl. Nr. 1812 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) bilden einen Teil der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 1289 Rdnr. 12 m.w.Nachw.). Das Landgericht musste nicht deshalb eine Kostenentscheidung erlassen, weil es der beantragten Beweiserhebung nicht nachgekommen ist. Zwar kann das Gericht im Falle der Ablehnung des Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens eine selbständige Kostenentscheidung treffen (vgl. MünchKommZPO/Schreiber, 5. Aufl., § 490 Rdnr. 3 m.w.Nachw.). Im vorliegenden Fall hat das Landgericht jedoch weit überwiegend eine Beweiserhebung angeordnet und seine Entscheidung lediglich hinsichtlich der Beweisfrage Nr. 3 geändert. In diesem Fall war eine Kostenentscheidung des Landgerichts nicht veranlasst.

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