Beschluss vom Oberlandesgericht München - 34 AR 114/18

Tenor

Als funktional zuständig wird die allgemeine Zivilkammer bestimmt.

Gründe

I.

Die in München ansässige Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, begehrt nach Abgabe an das im Mahnbescheid als Streitgericht bezeichnete Landgericht Augsburg mit Anspruchsbegründung vom 12.2.2018 von dem im Bezirk des Landgerichts Augsburg wohnhaften Beklagten, einem Versicherungsvermittler, Rückzahlung von Provisionsvorschüssen i.H.v. 6.150,23 € wegen vom Beklagten vermittelter, aber stornierter bzw. reduzierter Versicherungen. Die Parteien schlossen am 1.4.2009 einen Versicherungsagenturvertrag, wonach der Beklagte ausschließlich für die Klägerin im Wesentlichen die Erschließung neuer Kundenkreise und die Pflege der Bestandskunden übernahm. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Ziff. 4 der nach dem Agenturvertrag geltenden Allgemeinen Provisionsbedingungen, wonach eine Abschlussprovision zurückbelastet wird, soweit ein Versicherungsvertrag storniert oder reduziert wird.

Das Verfahren wurde zunächst von der allgemeinen Einlaufstelle des Landgerichts Augsburg der für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen gemäß § 72 a Abs. 1 Nr. 4 GVG zuständigen 9. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg zugeteilt. Nach Eingang der Anspruchsbegründung verfügte die Vorsitzende dieser Kammer die Umtragung in den allgemeinen Turnus.

Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Az.: 21 O 178/18) erklärte sich nach Zustellung der Klage und Eingang von Klageerwiderung und Replik mit Beschluss vom 25.6.2018 für unzuständig und leitete das Verfahren der 9. Zivilkammer zu. Zur Begründung ist ausgeführt, es sei die Zuständigkeit der Spezialkammer gegeben. Es handle sich zwar nicht um eine Streitigkeit zwischen Versicherungsnehmer, Versichertem oder Bezugsberechtigem einerseits und Versicherer andererseits. Unter § 72a Nr. 4 GVG würden wegen der Sachnähe aber auch Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung i.S.d. § 59 VVG sowie Streitigkeiten mit Versicherungsmaklern i.S.d. § 59 Abs. 3 VVG fallen, wobei die Beteiligung des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Bezugsberechtigen nicht zwingend sei. Die im Rahmen des § 72a Nr. 4 GVG erforderliche Sachnähe ergebe sich daraus, dass zur Beurteilung der Begründetheit von Provisionsrückforderungen gegen den Versicherungsvermittler in Einzelheiten der zu Grunde liegenden Versicherungsverträge einzusteigen sei.

Der Beschluss wurde den Parteien mitgeteilt.

Mit Beschluss vom 4.7.2018 lehnte die 9. Zivilkammer (Az. 91 O 178/18) die Übernahme des Verfahrens ab mit der Begründung, es liege keine Streitigkeit i.S.d. § 72a Nr. 4 GVG vor. Eine Sachnähe zu Versicherungsvertragsverhältnissen, mit der die über den Wortlaut des § 72a Nr. 4 GVG hinausgehende Ausweitung des Anwendungsbereiches gerechtfertigt werden könne, bestehe, wenn Ansprüche eines Versicherungsnehmers gegen Versicherungsvermittler/-berater betroffen seien, die im Zusammenhang mit deren Vermittlungs- oder Beratungstätigkeit stehen. Insoweit gehe es um die unmittelbare Einwirkung dieser Personen auf den konkreten Versicherungsvertrag und die im Versicherungsvertragsgesetz enthaltenen Regelungen. Im vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich, inwiefern zur Begründetheit der Klage Einzelheiten der zugrundeliegenden Versicherungsverträge beurteilt werden müssten.

Mit Beschluss vom 11.7.2018 hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Az. nunmehr: 21 O 2275/18) die Akten dem Oberlandesgericht München (Az.: 34 AR 114/18) zur Bestimmung der zuständigen Zivilkammer entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Dieser Beschluss wurde mit dem Ablehnungsbeschluss der 9. Zivilkammer vom 4.7.2018 den Parteien mitgeteilt.

Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Die Klägerin hat vorgetragen, es bestehe die Möglichkeit, dass im Rahmen der Beweisaufnahme die Frage zu prüfen sei, wer die Nichtausführung eines Versicherungsvertrages zu vertreten habe. Dies könne auch Fragen des Versicherungsvertrages betreffen.

II.

Das Oberlandesgericht München ist als das nächst höhere Gericht analog §§ 36 Abs. 1, 37 ZPO zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen.

1. Die Voraussetzungen für die funktionelle Zuständigkeitsbestimmung entsprechend §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 ZPO liegen vor. Die 2. und die 9. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg haben sich jeweils durch Beschlüsse für unzuständig erklärt. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte, und nicht einzelne Spruchkörper, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Die Vorschrift ist jedoch entsprechend anwendbar, wenn zwischen mehreren Spruchkörpern des gleichen Gerichts ein Zuständigkeitsstreit besteht und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuweisungsregelung abhängt (BGH NJW-RR 2014, 573; BGH NJW 2000, 80; KG BeckRS 2018, 32681; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2018, 17370; OLG Hamburg BeckRS 2018, 33588; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 39. Aufl. § 72a GVG Rn. 9; Zöller/Lückemann ZPO 32. Aufl. § 72a GVG Rn. 7; BeckOK ZPO/Fischer 31. Edition § 348 Rn. 64; Fölsch in MDR 2018, 1481; Schultzky in MDR 2018, 1015 ff.). Bei der in § 72a GVG aufgeführten Zuständigkeit der Spezialkammern handelt es sich um eine gesetzliche Zuständigkeitsverteilung (BeckOK/Feldmann GVG 1. Edition § 72a Rn. 6; Zöller/Lückemann § 72a GVG Rn. 2; Fölsch in MDR 2018, 1481 ff.).

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg hat die Zustellung der Klage veranlasst und damit die für die Zuständigkeitsbestimmung notwendige Rechtshängigkeit der Klage gemäß §§ 253 Abs. 1, 263 Abs. 1 ZPO bewirkt (BGH NJW-RR 1996, 254; Zöller/Schultzky § 36 Rn. 31; Hüßtege in Thomas/Putzo § 36 Rn. 22). Die am Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper haben sich auch jeweils durch den Parteien bekannt gegebene Entscheidungen für unzuständig erklärt, die 2. Zivilkammer durch Beschluss vom 25.6.2018 und die 9. Zivilkammer durch den die Übernahme ablehnenden Beschluss vom 4.7.2018. Dieser wurde zwar nicht durch die 9. Zivilkammer, wohl aber durch die 2. Zivilkammer - was ausreichend ist - mit Verfügung vom 11.7.2018 an die Parteien herausgegeben. Die entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei einem Kompetenzkonflikt zwischen zwei Spruchkörpern setzt nämlich zumindest voraus, dass die betreffenden Entscheidungen den Beteiligten bekannt gemacht wurden (KG NJW-RR 2018, 639; KG BeckRS 2018, 32681; Hüßtege in Thomas/Putzo § 36 Rn. 23; Zöller/Schultzky § 36 Rn. 35).

Die Zuständigkeit des 9. Zivilsenats steht auch nicht bereits deswegen fest, weil der Beschluss des 2. Zivilsenats für den 9. Zivilsenat bindend wäre. Eine Vorschrift, die - wie etwa § 281 ZPO oder § 102 GVG - die Bindung eines Verweisungsbeschlusses regeln würde, fehlt im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsregelung des § 72a GVG (OLG Hamburg BeckRS 2018, 18116). Die bindende Wirkung einer Verweisung gem. § 281 ZPO setzt voraus, dass zwei verschiedene Gerichte beteiligt sind. Das trifft auf allgemeine Zivilkammern und Spezialkammern desselben Landgerichts, deren Abgrenzung voneinander keine Frage der sachlichen Zuständigkeit im herkömmlichen Sinne der ZPO ist, nicht zu (BGH NJW 1978, 1531).

2. Funktional zuständig ist die allgemeine Zivilkammer.

a) Die in § 72a Satz 1 GVG getroffenen Regelung orientiert sich an den in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO genannten Sachgebieten und deren Begriffsverständnis. Die unter § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GVG (entsprechend § 348 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. h ZPO) genannten Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen umfassen Streitigkeiten über Ansprüche aus Versicherungsverhältnissen zwischen dem Versicherungsnehmer, dem Versicherten oder dem Bezugsberechtigten einerseits und dem Versicherer anderseits und - nach dem Willen des Gesetzgebers - daneben, wegen der Sachnähe, auch Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung i.S.d. § 59 VVG (BT-Drs. 18/11437, 45; BeckOK/Feldmann § 72a GVG Rn. 16). Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen betreffen Ansprüche aus Versicherungsverträgen, also alle mit der Begründung und Durchführung eines Versicherungsverhältnisses verbundenen Streitigkeiten (Büscher in Wieczorek/Schütze ZPO 4. Aufl. § 348 Rn. 62; Klimke in Prölss/Martin VVG 30. Aufl. § 215 Rn. 4). Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung sind Klagen mit Versicherungsvermittlern i.S.d. § 59 Abs. 2 und 3 VVG, d.h. mit Versicherungsvertretern oder -maklern bzw. mit Versicherungsberatern i.S.d. § 59 Abs. 4 VVG, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Anbahnung eines (zumindest abstrakt in Aussicht genommenen) Versicherungsvertrages stehen (Klimke in Prölss/Martin § 215 Rn. 6, 7). Die in der Gesetzesbegründung enthaltene Formulierung „aus“ setzt das Vorliegen eines Versicherungsvermittlungs- oder -beratungsvertrages voraus, aus dem die betreffenden Ansprüche abgeleitet werden.

b) Ausgehend von diesem Verständnis ist nicht ersichtlich, dass für den vorliegenden Rechtsstreit eine Sonderzuständigkeit nach § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GVG begründet sein könnte. Grundlage des streitgegenständlichen Anspruchs ist kein Versicherungsvertrags-, vermittlungs- oder -beratungsverhältnis, sondern der zwischen den Parteien abgeschlossene Agenturvertrag i.V.m. mit den in Bezug genommenen Allgemeinen Provisionsbedingungen der Klägerin. Die neu geschaffenen gesetzlichen Sonderzuständigkeiten sollen nach der Gesetzesbegründung sicherstellen, dass eine häufige Befassung mit einer bestimmten Materie eine schnellere und kompetentere Bearbeitung der betreffenden Verfahren erwarten lässt. Dieses Anliegen vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass die hierzu neu geschaffenen Vorschriften - wie auch sonstige Zuständigkeitsnormen - einer klaren und eindeutigen Abgrenzung bedürfen. Denn ihre uferlose Ausdehnung brächte die Gefahr mit sich, die mit ihrer Einführung von dem Gesetzgeber erhofften Spezialisierungseffekte wieder zunichte zu machen (KG BeckRS 2018, 32681). Es mag sein, dass im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Anspruch auf Provisionsrückzahlung auch Fragestellungen versicherungsvertraglicher Art von Bedeutung sein können. Allein dies rechtfertigt jedoch noch nicht die Anwendung des § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GVG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.