Endurteil vom Oberlandesgericht München - 23 U 4248/19

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München II vom 11.07.2019, Az. 14 O 5325/18 wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 575,06 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.408,40 Euro vom 07.02.2019 bis 04.05.2019, aus einem Betrag von 5.575,06 Euro von 05.05.2019 bis 12.02.2020 und aus einem Betrag von 575,06 Euro seit dem 13.02.2020.

II. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen und wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

III. Von den Kosten der ersten Instanz trägt der Kläger 96% und die Beklagte 4%, von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 90% und die Beklagte 10%.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

1.

Gründe

I.

Die Klagepartei begehrt Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Fahrzeugs, das von der Manipulation der Schadstoffsoftware im sogenannten Dieselskandal betroffen ist. Die Klagepartei erwarb am 29.06.2014 von einer Privatperson einen PKW SEAT Alhambra zum Kaufpreis von 22.900,00 Euro.

Im Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe EA189 eingebaut, bei dem das Abgasrückführungssystem so manipuliert ist, dass im Prüfmodus im Gegensatz zum normalen Betriebsmodus die Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden.

Im September 2015 räumte die Beklagte die Verwendung der entsprechenden Software öffentlich ein. Das Kraftfahrbundesamt (KBA) sah in der Software in dem Motor EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung, die zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit der davon betroffenen Fahrzeuge entfernt werden müsse. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Update zum Zwecke der Beseitigung der Software. Die für Pkw der Marke SEAT zuständige Behörde hat das Update freigegeben. Das Update wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt.

Zum Zeitpunkt der Übernahme des Fahrzeugs durch der Kläger hatte dieses einen Kilometerstand von 24.083 km. Am 12.02.2020 verkaufte der Kläger das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 195.000 km zum Verkaufspreis von 5.000,00 Euro.

Die Klagepartei ist der Ansicht, ihr stünde gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises des Fahrzeugs in Höhe von 22.900,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.12.2018 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zubezahlen für weitere Aufwendungen und Schäden, die aufgrund des Erwerbs und des Unterhalts des Fahrzeugs SEAT Alhambra mit der FIN …17 entstanden sind und entstehen werden.

Dies (Antrag Ziff 1 und 2) Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs SEAT Alhambra mit der FIN …17 sowie Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klagepartei, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus dem Kaufpreis in Höhe von 22.900,00 Euro seit dem 30.06.2014 bis zum 06.12.2018 zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs SEAT Alhambra mit der FIN …17 seit dem 07.12.2018 in Annahmeverzug befindet.

5. Die Beklagte wird verurteilt, die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 633,32 Euro nebst Zinsen in Höhe Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.12.2018 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es fehle an substantiiertem Vortrag der Klagepartei zu Kenntnis und Schädigungsvorsatz der Beklagten sowie am Nachweis der Kausalität.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Der Feststellungsantrag sei zu unbestimmt und daher unzulässig. Im Übrigen sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Insbesondere fehle es an einem Schaden.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, in der er seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Nachdem der Kläger zunächst im Wesentlichen die gleichen Anträge gestellt hat wie in erster Instanz (Schriftsatz vom 23.09.2020, S. 1, 2, Bl. 106 f d.A.), hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17.09.2020 (Bl. 221 f d.A.) die Berufung hinsichtlich der begehrten Verurteilung zur Zahlung von Deliktszinsen zurückgenommen.

Im Hinblick auf den Verkauf des Fahrzeugs am 12.02.2020 beantragt der Kläger zuletzt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 3.715,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz und zwar vom 07.12.2018 bis 12.02.2020 auf einen Betrag von 22.900,00 Euro und seither auf einen Betrag in Höhe von 3.715,00 Euro zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs SEAT Alhambra mit der FIN …17 vom 07.12.2018 bis zum 12.02.2020 in Annahmeverzug befand.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 633,32 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.12.2018 zu bezahlen.

4. Im Übrigen wird der Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Erledigterklärung stimmt die Beklagte nicht zu und verteidigt das landgerichtliche Urteil.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2020 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat nur insoweit Erfolg, als die Beklagte zur Zahlung von 575,06 Euro nebst Zinsen zu verurteilen war. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 575,06 Euro aus § 826 BGB.

1.1. Die Änderung seines Antrags insoweit, als er nunmehr Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 22.900,00 Euro abzüglich von 14.185,00 Euro Nutzungsentschädigung und Abzüglich 5.000,00 Euro Verkaufserlös, insgesamt 3.715,00 Euro, verlangt und den Antrag im Hinblick auf den Verkauf des Fahrzeugs im Übrigen für erledigt erklärt, ist zulässig. Es liegt keine Klageänderung i.S. des § 533 BGB vor, sondern nur eine teilweise Reduzierung des Antrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO.

1.2. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 826 BGB zu.

1.2.1. Das sittenwidrige Verhalten der Beklagten im Sinne des § 826 BGB liegt in dem Inverkehrbringen des mit einer Abschaltautomatik versehenen Motors EA 189, ohne auf die entsprechende Software hinzuweisen. Die Motorsoftware, die bei einem erkannten Prüfstandlauf eine verstärkte Abgasrückführung aktivierte, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.2007 dar (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 17; BGH Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11). Die Beklagte brachte den Motor mit der unzulässigen Software in den Verkehr, ohne die Typengenehmigungsbehörden darauf hinzuweisen. Auf diese Weise spiegelte sie konkludent und der Wahrheit zuwider vor, dass der Motor ohne eine derartige unzulässige Einrichtung betrieben wird, und erschlich die Typengenehmigung durch eine Täuschung der zuständigen Behörde (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 18; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11). Damit hat die Beklagte die Gefahr geschaffen, dass bei einer Entdeckung der Software eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung hätte erfolgen können (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 19 ff; BGH Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11).

Das Verhalten der Beklagten ist verwerflich. Die Beklagte handelte mit dem Ziel, Fahrzeuge kostengünstiger als sonst möglich zu produzieren, und damit zur Erhöhung ihres Gewinns. Dieses Ziel ist dann verwerflich, wenn es - wie vorliegend - auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - des KBA - erreicht werden soll und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen als auch im Hinblick auf die insoweit dem Schutz von Gesundheit und Umwelt dienenden Vorschriften gegenüber gleichgültig zeigt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 22 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11).

Dass streitgegenständlich vorliegend ein Fahrzeug der Marke SEAT und nicht der Marke VW ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entscheidend ist das Inverkehrbringen des mit der unzulässigen Software ausgestatteten Motors durch die Beklagte. Dieser ist in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut.

1.2.2. Es ist von einer Kenntnis der Beklagten von den Tatumständen, die die Sittenwidrigkeit begründen, auszugehen. Nach dem Klägervortrag hatten zumindest einzelne Mitglieder des damaligen Vorstands und weitere Mitglieder der höheren Leitungsebene der Beklagten im Sinne des § 31 BGB Kenntnis von Existenz und Zweck der Software (Klageschrift S. 8 und S. 11, Bl. 8 und 11 d.A. sowie Anlage K 6). Dies hat die Beklagte nicht hinreichend detailliert und also nicht wirksam bestritten. Die Beklagte trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 39 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 13 ff.; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 367/19, juris Tz. 17 ff), der sie im vorliegenden Fall nicht nachgekommen ist.

Insbesondere übersieht die Beklagte, dass ihr nicht nur die Kenntnis und das Verhalten des Vorstands, sondern auch der weiteren verfassungsmäßig berufenen Vertreter i.S. des § 31 BGB zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 43). Der Vortrag der Beklagten, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen und die Entscheidung über die Entwicklung und Verwendung der Software sei unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden, genügt mithin gerade nicht.

1.2.3. Der Schaden des Klägers liegt in dem Abschluss des von ihm so ungewollten Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 48 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 16).

1.2.3.1. Der Kläger ist veranlasst durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Dabei kann dahinstehen, ob er einen Vermögensschaden dadurch erlitten hat, dass bei Erwerb des Fahrzeugs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht gegeben war. Denn ein Schaden ist hier jedenfalls eingetreten, weil der Kläger durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die aufgrund der jedenfalls möglichen Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 48 ff, Tz. 53 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 16).

1.2.3.2. Es steht ferner zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der wahren Sachlage nicht erworben hätte. Wie ausgeführt, bestand bei Erwerb des Fahrzeugs im Jahr 2014 die Gefahr, dass es im Falle einer Entdeckung der Manipulationssoftware zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung kommen könnte. Insbesondere gab es im Kaufzeitpunkt kein Software-Update zur Beseitigung des Problems und es war 2014 in keiner Weise absehbar, ob zu einem späteren Zeitpunkt ein derartiges Software-Update entwickelt werden könnte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung zumindest theoretisch droht, wenn gleichzeitig unklar ist, ob überhaupt, wenn ja zu welchem Zeitpunkt und wie, vor allem ohne Nachteil für den Käufer, der Mangel behoben werden kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 49 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 16).

Dass der Kläger hierüber anders gedacht hätte, ist nicht ersichtlich; insbesondere hat er in seiner Anhörung in erster Instanz ausgeführt, dass ihm beim Erwerb des Fahrzeugs der praktische Nutzen wichtig gewesen sei (Protokoll vom 08.05.2019, S. 3, Bl. 79 d.A.).

1.2.3.3. Der Schaden ist nicht durch das nachträgliche Aufspielen des Software-Updates entfallen. Der ungewollte Vertragsschluss im Juni 2014 wird nicht durch ein Update Jahre später rückwirkend zu einem gewollten Vertrag (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 58; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 367/19, juris Tz. 22).

1.3. Allerdings muss sich der Kläger eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 17.324,94 Euro sowie den erzielten Verkaufspreis von 5.000,00 Euro im Wege des Vorteilsausgleichs in Abzug bringen lassen.

1.3.1. Die Grundsätze des Vorteilsausgleichs gelten auch für einen Anspruch aus § 826 BGB. Andernfalls würde der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes gerückt. Dem steht auch das unionsrechtliche Effizienzgebot nicht entgegen (ausführlich BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 66 ff und Tz. 76; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 16).

Eine Schätzung der Vorteile nach § 287 ZPO, wobei der Bruttokaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird, erscheint als geeignete Methode (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 80 ff). Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, welche Nachteile der Kläger erlitten hätte, wenn er ein anderes Fahrzeug erworben und genutzt hätte (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 82).

Der Senat schätzt nach § 287 Abs. 1 ZPO die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen SEAT Alhambra auf 250.000 km. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgebend:

Bei dem streitgegenständlichen SEAT Alhambra handelt es sich um ein robustes Mittelklassefahrzeug aus dem Baujahr 2013, das grundsätzlich auf eine umfangreichere Nutzung ausgelegt ist. Nach verbreiteter Ansicht sind die Gesamtlaufleistungen für derartige Fahrzeuge neueren Baujahrs in der mittleren und gehobenen Klasse im Bereich von 250.000 km bis 300.000 km anzusiedeln (250.000 km: BGH BeckRS 2015, 1267; KG NJW-RR 2014, S. 57, 58; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 40569; 300.000 km: OLG Koblenz NJW 2019, S. 2237, 2246; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 1974 Tz. 86; allg. Staudinger/Kaiser, BGB, 2012, § 346 Rn. 261 mwN). Eine erheblich niedrigere Laufleistung, etwa eine solche von nur 150.000 km, wird der heutigen Fahrzeugtechnik regelmäßig nicht mehr gerecht, umgekehrt erscheint die Annahme von deutlich mehr als 300.000 km, gar 500.000 km überzogen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rz. 3571). Es gilt einerseits zu berücksichtigen, dass neuere Fahrzeuge infolge fortschreitender Technik eine höhere Motorlaufleistung erreichen (BeckOGK/Schall, BGB, 1.3.2020, § 346 Rn. 437); die Karosserie hat nicht zuletzt wegen eines erheblich verbesserten Korrosionsschutzes eine Lebensdauer von weit über 10 Jahren (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rz. 3573). Andererseits macht die in moderneren Fahrzeugen verbaute Elektronik das Fahrzeug störanfälliger. Ein Schaden in diesem Bereich löst mitunter hohe Kosten aus, was bei einem bereits länger genutzten Fahrzeug die Frage der wirtschaftlichen Rentabilität einer Reparatur aufwerfen kann. Dies wirkt sich negativ auf die ex ante zu erwartende Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs aus (BeckOGK/Schall, BGB, 1.3.2020, § 346 Rn. 437).

1.3.2. Zudem ist dem Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs der erzielte Verkaufspreis in Höhe von 5.000,00 Euro anzurechnen.

Ein Vorteilsausgleich ist vorzunehmen, wenn zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil ein adäquater Kausalzusammenhang besteht und die Anrechnung des Vorteils dem Zweck des Schadensersatzes entspricht, d.h. den Geschädigten nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt (BGH NJW 2019, S. 215, 216 Tz. 17; BGH, NZG 2010, S. 1029, 1030, Tz. 35). Vorliegend besteht die sittenwidrige Schädigung des Klägers im Abschluss des so nicht gewollten Kaufvertrags über ein mangelhaftes Fahrzeug. Eigentum und Besitz an dem Fahrzeug hat der Kläger infolge dieses Vertragsschlusses erhalten. Nach völlig einhelliger Rechtsprechung hat der Kläger, wenn er als Schadenersatz die Erstattung des Kaufpreises von der Beklagten fordert, den adäquat kausal erlangten Vorteil, Eigentum und Besitz des Fahrzeugs, an die Beklagte herauszugeben (s. z.B. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 12). Dies ist weder dem Kläger unzumutbar noch wird dadurch die Beklagte unbillig begünstigt. Nichts anderes gilt, wenn der Kläger noch vor der Rückerstattung des Kaufpreises durch die Beklagte das Fahrzeug veräußert hat. Der dadurch erlangte Verkaufspreis steht noch immer in adäquat kausalem Zusammenhang zur sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte. Dass ein Käufer, der mit einem für ihn nachteiligen Vertrag belastet wird, das Fahrzeug weiterverkauft und mithin anstelle des Fahrzeugs nunmehr den Verkaufspreis als Vorteil hat, erscheint weder fernliegend noch außerhalb eines adäquaten Kausalzusammenhangs. Die Anrechnung des erzielten Verkaufspreises ist weder dem Kläger unzumutbar noch wird die Beklagte dadurch unbillig begünstigt. Insbesondere behaupten vorliegend die Parteien selbst nicht, dass der erzielte Verkaufspreis von 5.000,00 Euro im Verhältnis zum Wert des Fahrzeugs unangemessen hoch oder viel zu niedrig wäre.

Der Ansicht des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2020, dem Kläger sei ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte in Form der Erstattung des Kaufpreises verwehrt, da der Kläger infolge der Veräußerung des Fahrzeugs nicht mehr zur Herausgabe des erhaltenen Vorteils in der Lage sei, vermag der Senat nicht zu folgen.

Soweit der Beklagtenvertreter auf § 326 Abs. 1 BGB verwiesen hat, übersieht er, dass es vorliegend nicht um Leistungspflichten aus einem gegenseitigen Vertrag geht. Vielmehr besteht lediglich ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB, der per se um die anzurechnenden Vorteile vermindert ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl, vor § 249 Rz. 71).

Zudem hätte die Ansicht des Beklagtenvertreters zur Folge, dass der Geschädigte verpflichtet wäre, bis zur rechtskräftigen Durchsetzung der Ansprüche gegen den Schädiger - was unter Umständen erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann - das Fahrzeug zu behalten. Eine derartige Beschränkung ist dem Geschädigten, zumal im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, unzumutbar. Soweit der Geschädigte im Rahmen des Verkaufs einen viel zu niedrigen Preis erzielt oder gar das Fahrzeug verschenkt hätte, wäre § 254 Abs. 2 Satz 1 letzter HS BGB zu prüfen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., vor § 249 Rz. 70). Indessen behauptet dies im vorliegenden Fall auch die Beklagte nicht.

2. Die Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als ihm Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.408,40 Euro vom 07.02.2019 bis 04.05.2019, aus einem Betrag von 5.575,06 Euro von 05.05.2019 bis 12.02.2020 und aus einem Betrag von 575,06 Euro seit dem 13.02.2020 aus § 291, § 288 Abs. 1 BGB zustehen.

Soweit der Kläger weitergehende Verzugszinsen fordert, ist die Berufung unbegründet, da ihm ein entsprechender Anspruch nicht zusteht.

2.1. Ein Anspruch auf Verzugszinsen aus § 286, § 288 Abs. 1 BGB besteht nicht, da es jedenfalls am Verschulden der Beklagten nach § 286 Abs. 4 BGB fehlt.

Zwar hat der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 22.11.2018 (Anlage K 5) aufgefordert, Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises bis spätestens 06.12.2018 zu zahlen, „Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, sowie Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die durch unsere Mandantschaft gefahrenen km“.

Eine Zuvielforderung steht einer Mahnung zwar grundsätzlich nicht entgegen, wenn sie als Aufforderung zum Bewirken der eigentlich geschuldeten Leistung zu verstehen und davon auszugehen ist, dass der Gläubiger auch die geringere, geschuldete Leistung annimmt (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl, § 286 Rz. 20). Indessen fehlt es dann am Verschulden des Schuldners, wenn er die wirklich geschuldete Leistung nicht selbst errechnen kann, weil sie von ihm unbekannten internen Daten das Gläubigers abhängt (BGH NJW 2006, S. 3271 Tz. 16). So liegt der Fall hier. Dem Schreiben des Klägervertreters vom 22.11.2018 lässt sich zwar die grundsätzliche Bereitschaft, einen Abzug als Nutzungsentschädigung zu akzeptieren, entnehmen. Indessen war es der Beklagten nicht möglich, die tatsächlich geschuldete Leistung selbst zu errechnen. Wieviel Kilometer der Kläger mit seinem Fahrzeug gefahren war, hat dieser in dem Schreiben vom 22.11.2018 nicht mitgeteilt. Dass der Beklagten aus sonstigen Gründen vor Klageerhebung der Kilometerstand bekannt gewesen wäre, ist vom Kläger nicht vorgetragen.

2.2. Dem Kläger steht lediglich ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 BGB im ausgeurteilten Umfang zu. Maßgeblich für die Berechnung der Forderung des Klägers war für den Zeitraum vom 07.02.2019 bis 04.05.2019 der Kilometerstand am 04.05.2019 von unstreitig 167.048 km, für den Zeitraum bis zum Verkauf am 12.02.2020 der Kilometer von 195.000 km an diesem Tag und für die Zeit nach dem Verkauf des Fahrzeugs der im Tenor zugesprochene Anspruch von 575,06 Euro.

3. Der Antrag des Klägers auf Feststellung, dass sich die Beklagte vom 07.12.2018 bis zum 12.02.2020 in Annahmeverzug befunden hatte, ist zulässig, aber unbegründet. Auch insoweit bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg.

Es fehlt an einem ordnungsgemäßen Angebot des Klägers i.S. der §§ 294, 295 BGB. Ein zur Begründung des Annahmeverzugs auf Seiten der Beklagten ausreichendes Angebot liegt dann nicht vor, wenn der Kläger zwar die Rückgabe des Fahrzeugs anbietet, aber durchgängig die Zahlung eines höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können, insbesondere sich gegen die Anrechnung der Nutzungsentschädigung wehrt (BGH, Urteil vom 25.05.2019, VI ZR 252/19, juris Tz. 85; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 30).

Vorliegend hat der Kläger im Schreiben vom 22.11.2018 (Anlage K 5) Zahlung des gesamten Kaufpreises gefordert „Zug um Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die durch unsere Mandantschaft gefahrenen km“. Ein konkreter Betrag ist ebensowenig genannt wie eine Mitteilung, wieviel km der Kläger tatsächlich gefahren war und von welcher Gesamtlaufleistung der Kläger bei einer Berechnung der Nutzungsentschädigung ausgeht.

Auch in der Klageschrift hat der Kläger zwar ausgeführt, er wolle sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen, stellt diese der Höhe nach aber „in das Ermessen des Gerichts“ und erklärt zudem, er gehe von einer Laufleistung von 300.000 bis 500.000 km aus (Klageschrift S. 15, Bl. 15 d.A.). Konkret berechnet der Kläger eine Nutzungsentschädigung erst in dem nach Verkauf des Fahrzeugs am 12.02.2020 eingereichten Schriftsatz vom 17.09.2020 (Bl. 221 d.A.).

4. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht ebenfalls nicht. Auch insoweit bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg. Ein solcher Anspruch könnte sich zwar grundsätzlich aus § 826 BGB ergeben. Indessen hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger sei rechtsschutzversichert und der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten sei auf die Rechtsschutzversicherung übergegangen. Dies hat der Kläger nicht bestritten. Damit ist der Kläger für den Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht aktivlegitimiert.

5. Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 17.09.2020 (Bl. 221 f d.A.) den Rechtsstreit aufgrund des Verkaufs des Fahrzeugs am 12.02.2020 im Übrigen für erledigt erklärt hat, verbleibt dieser Antrag ebenfalls ohne Erfolg.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2020 (Protokoll S. 2, Bl. 225 d.A.) ausdrücklich die Zustimmung zur Erledigterklärung verweigert. Der Antrag des Klägers ist mithin als Antrag auf Feststellung auszulegen, dass sich die Klage abgesehen von den im Schriftsatz vom 17.09.2020 noch gestellten Zahlungsanträgen in der Hauptsache erledigt habe.

Dieser Feststellungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

5.1. Bezüglich der Zahlungsanträge stellt der Verkauf des Fahrzeugs kein erledigendes Ereignis dar. Der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 826 BGB bestand von vornherein nur Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Der Kläger war im Wege des Vorteilsausgleichs zur Herausgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs verpflichtet. Anstelle der Rückgabe des Fahrzeugs ist nunmehr der Anspruch auf Herausgabe des erzielten Verkaufserlöses getreten. Eine Erledigung in der Hauptsache liegt darin nicht.

5.2. Der Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für weitere Aufwendungen und Schäden, die aufgrund des Erwerbs und des Unterhalts des Kraftfahrzeugs entstanden sind und noch entstehen werden, war schon bei Verkauf des Fahrzeugs am 12.02.2020 unzulässig. Eine Erledigung ist daher nicht eingetreten.

Es fehlt am Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 2 ZPO. Bei reinen Vermögensschäden kommt eine Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden dann in Betracht, wenn der Schadenseintritt wahrscheinlich ist (BGH, Urteil vom 10.07.2014, IX ZR 197/12, juris Tz. 10). Vorliegend haftet die Beklagte nicht wegen der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, sondern wegen der sittenwidrigen vorsätzlichen Herbeiführung eines ungewollten Vertragsschlusses. Der in dem Vertragsschluss selbst liegende Schaden wird bereits von der Verurteilung der Beklagten zur Kaufpreiserstattung umfasst (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 29). Dass weitere konkrete Schäden wahrscheinlich oder auch nur möglich sind, hat der Kläger nicht ausreichend dargetan. Soweit der Kläger völlig pauschal auf Kosten für Reparaturen, Inspektionen, Gebühren, Auslagen und Zubehör, das nur für das Fahrzeug nutzbar sei, verweist, fehlt es schon an hinreichend konkretem Vortrag. Im Übrigen wären diese Positionen per se nicht erstattungsfähig. Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltskosten zählen, sind in Fällen wie dem vorliegenden nicht ersatzfähig. Da der Kläger das Fahrzeug wie vorgesehen genutzt hat, handelt es sich nicht um vergebliche Aufwendungen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, juris Tz. 24).

Soweit der Kläger auf Schäden verweist, die nach Berichten anderer betroffener Autofahrer infolge des Aufspielens des Software-Updates auftreten können, wie erhöhter Kraftstoffverbrauch, gesteigerte Abnutzung der Rußpartikelfilter oder instabiles Fahrverhalten, genügt dies ebenfalls nicht. Zum einen handelt es sich insoweit um keine Schäden „aufgrund des Erwerbs und Unterhalts“, wie beantragt, sondern um befürchtete Schäden infolge des Aufspielens des Software-Updates. Zum anderen wurde das Update unstreitig bereits vor zwei Jahren aufgespielt. Dem Kläger wäre daher möglich und zumutbar konkreter darzutun, welche Schäden gerade infolge des Aufspielens des Updates bei seinem Fahrzeug noch zu erwarten sind.

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Kläger unter anderem hinsichtlich des Anspruchs auf Deliktszinsen, den er in erster Instanz und in zweiter Instanz bis zur Rücknahme der Berufung insoweit verfolgt hat, unterlegen ist. Das derart erhebliche Unterliegen mit einer Nebenforderung ist kostenrechtlich relevant (BGH NJW 1988, 2173, 2175; OLG München BeckRS 2020, 16257 Rn. 47).

7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Abs. 1 Nr. 10, § 711 ZPO.

8. Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

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