Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (Vergabesenat) - 1 Verg 1/10
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 18.12.2009 (VK 2 LVwA LSA – 30/09) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin trägt die Beigeladene. Die Antragsgegnerin trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 127.330,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragsgegnerin (i.F. Vergabestelle) schrieb im offenen Verfahren einen Dienstleistungsauftrag europaweit aus. Gegenstand des Auftrages war die Sammlung, der Transport und die Verwertung von Altpapier im Landkreis S. . Die Ausschreibung gliederte sich in zwei Lose, für die einzeln oder zusammen Angebote abgegeben werden konnten. Der Vertrag sollte eine Laufzeit (ohne Option) vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2013 haben. Unter IV 2.1 heißt es (Bl 141 I):
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Zuschlagskriterium: Niedrigster Preis
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Unter III 2.1 (Bl. 139) verlangte die Vergabestelle eine
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Bestätigung der Krankenkasse(n), bei der/bei denen Mietarbeiter des Bieters versichert sind, dass der Bieter seinen Pflicht (en) zur regelmäßigen Zahlung nachkommt.
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Erklärungen und Nachweise konnten sowohl im Original als auch in Kopie vorgelegt werden. Die Vergabestelle behielt sich die Nachforderung von Originalen vor. Die Angebote hatten bis zum 25.9.2009, 9.00 Uhr bei der Vergabestelle einzugehen (IV 3.4 - Bl. 141 I -). Die Frist wurde später mit der 3. Bieterinformation vom 24.9.2009 (dort unter II) bis zum 2.10.2009 verlängert.
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In Nr. 9 der Bewerbungsbedingungen heißt es (u.a.):
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Das Angebot ist mit allen nach den Vergabe- und Verdingungsbedingungen erforderlichen Unterlagen im Original und mit 2 Kopien einzureichen bis zum … (Bl. 149 I)
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Die Angebote müssen deutlich gekennzeichnet sein mit der Aufschrift Angebotsunterlagen – nicht öffnen ! Angebot an die ALS–Dienstleistungsgesellschaft m.b.H „Altpapier“ (Bl. 150 I)
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Es ist zu versichern, dass die jeweiligen Kopien mit dem Original identisch sind. Bei Abweichungen ist das Original maßgeblich.
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In 10.1 der Bewerbungsbedingungen heißt es u.a. (Bl. 151 I) :
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Die Vergabestelle bittet, das in den Vergabeunterlagen enthaltene Angebotsschreiben (Teil III) genau durchzusehen und dem Angebot möglichst die gem. Nr.10.2 geforderten Unterlagen beizufügen.
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Die Vergabestelle behält sich vor, Nachweise und Erklärungen, die mangels Kalkulationserheblichkeit keinen Einfluss auf die Wettbewerbsstellung des Bieters haben, nachzufordern, falls diese dem Angebot nicht beigefügt sind. Insoweit erachtet die Vergabestelle die unter 10.2 abgefragten Nachweise und Erklärungen bis auf die Versicherungsbestätigung (s. dazu unter Nr. 10.2) nicht als kalkulationsrelevant.
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Unter 10.2 2. der Bewerbungsbedingungen heißt es dann (Bl. 152 I) :
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Bestätigung der Krankenkasse(n), bei der/bei denen Mitarbeiter des Bieters versichert sind, dass der Bieter seiner Pflicht zur regelmäßigen Zahlung von Beiträgen nachkommt.
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In der Bieterinformation 1 vom 16.9.2009 hat die Vergabestelle zu den Nachweisen über regelmäßige Zahlungen von Krankenkassenbeiträgen unter I.2 erläutert:
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Dazu ist festzuhalten, dass der Formulierung bereits entnommen werden kann, dass es sich um Bestätigungen der , also sämtlicher Krankassen handelt, bei denen Mitarbeiter des Bieters versichert sind. Es reicht also gerade nicht die Bestätigung nur einer oder einiger Krankenkassen.
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Teil III der Angebotsschreiben für die Lose 1 und 2 enthält unter II.1.a (Los 1) bzw. II.2.a (Los 2) jeweils eine Preisgleitklausel. Dazu hat die Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 24.9.2009 (Bl. 48 BA) ausgeführt,
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dass die Preisgleitklauseln ein unkalkulierbares Risiko für Bieter birgt, was wir hiermit ausdrücklich rügen....
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Die Antragstellerin hat insgesamt 12 Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Krankenversicherungen über die Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen für Mitarbeiter (gemäß 10.2.2 Bewerbungsbedingungen) vorgelegt. Lediglich 3 Krankenkassen haben die Anzahl der bei ihr versicherten Mitarbeiter angegeben. Unstreitig hat die Antragstellerin im Jahre 2008 rund 50 Mitarbeiter beschäftigt. Die Beigeladene hat 4 Bescheinigungen vorgelegt, wobei sich aus 3 Bescheinigungen
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… 25 Arbeitnehmer
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… 11 Arbeitnehmer
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… 14 Arbeitnehmer
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die Anzahl der versicherten Beschäftigten ergibt. Unstreitig beschäftigte die Beigeladene im Jahre 2008 rund 100 Mitarbeiter.
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Insgesamt gingen bei der Vergabestelle 7 Angebote ein. In der Niederschrift zur Angebotsöffnung ist vermerkt, dass alle 7 Angebote ordnungsgemäß verschlossen und äußerlich gekennzeichnet (§ 22 Nr. 3 lit. a VOL/A) und 6 Angebote bis zum Ablauf der Angebotsfrist eingegangen waren (§ 22 Nr. 3 lit. b VOL/B). Auch das 7. - nach Ablauf der Frist eingegangene - Angebot wurde nach Erläuterung der Bieterin zu den Gründen der Verspätung zugelassen.
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Von der Vergabekammer wurde festgestellt, dass sich jedenfalls auf den Umschlägen (mit denen die Angebote eingereicht wurden) der Beigeladenen und der Bieters Nr. 2 (T. GmbH) und Nr. 7 (K. GmbH) zwar Eingangsstempel befinden, aber keine Namen(szeichen) , die auf die Person des Entgegennehmenden hindeuten.
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Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer vom 8.12.2009 hat die Vergabestelle 3 Eidesstattliche Versicherungen von Mitarbeiters vorgelegt (Bl. 209 - 211 BA/ von der Beigeladenen mit der Beschwerdebegründung wiederholt - Bl. 172 - 174 I -), mit denen sie ihren Vortrag untermauern will, dass sämtliche Angebote - wie in der Niederschrift zur Angebotsöffnung dokumentiert - in korrekter Weise eingegangen sind.
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Die vorliegenden Angebote wurden zunächst von der E. mbH ausgewertet. Die E. schlug vor, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Dieses Ergebnis wurde den Bietern (u.a. auch der Antragstellerin - Bl. 58 BA -) mit Schreiben der Vergabestelle vom 6.11.2009 unter Hinweis auf § 101 a Abs. 1 GWB mitgeteilt. Mit Schreiben vom 10.11.2009 (Bl. 69 - 71 BA) rügte die Antragstellerin Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften (u.a.):
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- das Schreiben vom 6.11.2009 genüge inhaltlich nicht den Anforderungen von § 101 a Abs. 1 S. 1 GWB;
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-die Wertung der Angebote gemäß § 25 VOL/A sei willkürlich erfolgt;
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-die Beigeladene verfüge nicht über die geforderte Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde;
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-bei dem von der Beigeladenen abgegebenen Angebot handele es sich um ein rechtswidriges Unterpreisangebot mit Verdrängungsabsicht.
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Die Vergabestelle hat die Einwände mit Schreiben vom 12.11.2009 (Bl. 62/63 BA) zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 13.11.2009 hat die Antragstellerin ihre Einwände vertieft (Bl. 64 - 66 BA). Im Vergabevermerk (unter 3.) hat die Vergabestelle die Einwände der Antragstellerin erneut als unbegründet eingestuft.
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Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 14.11.2009 einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer gestellt. Neben den bereits erhobenen Rügen bemängelt die Antragstellerin, dass die Vergabestelle das Prüfergebnis der E. einfach übernommen und den Vorschlag nicht eigenständig überprüft habe. Die Antragstellerin ist weiter der Ansicht, dass die Vergabekammer auch weitere Vergabeverstöße von Amts wegen prüfen könne.
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Die Vergabekammer hat nach mündlicher Verhandlung mit dem angefochtenen Beschluss der Vergabestelle aufgegeben,
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das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer ab Versendung der Verdingungsunterlagen zu wiederholen.
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Im übrigen wurde der Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt:
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Die Rüge aus dem Schreiben vom 24.9.2009 hinsichtlich der Preisgleitklauseln sei unzulässig, weil verfristet (§ 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB). Im übrigen sei der Nachprüfungsantrag gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB zulässig. Die erhobenen Rügen seien hinreichend substanziiert. Dies gelte allerdings nicht für die Rüge der mangelnden Eignung der Beigeladenen, dieses Vorbringen sei nicht weiter beachtlich.
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Der Nachprüfungsantrag sei teilweise begründet : Für die Begründetheit reichten die von der Vergabekammer von Amts wegen festgestellten Vergabeverstöße aus:
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Bei drei Angeboten (darunter das der Beigeladenen) seien die Eingangsvermerke nicht mit einem Namenszug versehen. Dadurch habe die Vergabestelle gegen § 22 Nr. 1 S. 1 VOL/A verstoßen (unter Hinweis auf OLG Naumburg, Beschluss vom 31.3.2008 - 1 Verg 1/08 -). Die Einhaltung von § 22 Nr. 1 S. 1 VOL/A sei zum einen bieterschützend und solle zum anderen dazu dienen, dem Verhandlungsleiter bei der Angebotseröffnung zu ermöglichen, die Feststellungen gemäß § 22 Nr. 3 lit. a VOL/A zu treffen. Insoweit enthalte die Niederschrift zur Angebotseröffnung unzutreffende Angaben, soweit dort gerade nicht vermerkt sei, dass bei den vorgenannten Angeboten die Kennzeichnung mit Namen(szeichen) fehle. Dieser Fehler könne weder durch das Empfangsbekenntnis (der Beigeladenen) noch durch die vorgelegten Eidesstattlichen Versicherungen geheilt werden. Die Vorschriften über die Dokumentation des Vergabeverfahrens seien zwingend einzuhalten, um mögliche Manipulationen weitgehend auszuschließen. Darüber hinaus solle den Eingangsvermerk ein an der Vergabe nicht beteiligter Dritter anbringen. Die Einhaltung dieser Vorschrift sei indes bei fehlendem Namenszeichen für den Verhandlungsleiter nicht kontrollierbar.
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Die Bieter (auch bei der Antragstellerin und der Beigeladenen) hätten zudem nicht versichert, dass die eingereichten Kopien mit dem Original des Angebots identisch seien. Dies werde aber in Nr. 9 S. 5 Teil 1 der Bewerbungsbedingungen
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Es ist zu versichern, dass die jeweiligen Kopien mit dem Original identisch sind. Bei Abweichungen ist das Original maßgeblich.
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ausdrücklich gefordert. Dem Verhandlungsleiter obliege es nicht, festzustellen, bei welchem Exemplar es sich um das Original und bei welchem es sich um eine Kopie handele. Um späteren Manipulationsversuchen oder Unklarheiten zu begegnen, bedürfe es hinsichtlich der Einstufung als Original oder Kopie einer eindeutigen Willenserklärung des Bieters. Dies um so mehr, als bei Abweichungen das Original gelten solle.
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Die Vergabestelle habe vorgegeben, dass die Bieter eine
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Bestätigung der Krankenkasse(n), bei der/bei denen Mietarbeiter des Bieters versichert sind, dass der Bieter seinen Pflicht (en) zur regelmäßigen Zahlung nachkommt.
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vorzulegen hatten. In der Bieterinformation 1 habe die Vergabestelle präzisiert:
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Dazu ist festzuhalten, dass der Formulierung bereits entnommen werden kann, dass es sich um Bestätigungen der , also sämtlicher Krankassen handelt, bei denen Mitarbeiter des Bieters versichert sind. Es reicht also gerade nicht die Bestätigung nur einer oder einiger Krankenkassen.
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Dass dies für die Beigeladene zutreffe, könne deren Angebot nicht entnommen werden. Eine von der Vergabestelle behauptete Plausibilitätsprüfung, sei nicht dokumentiert (in dem Vergabevermerk [gemeint offenbar: durch die Bezugnahme auf die Auswertung durch die E. ] seinen lediglich die Namen der Krankenkassen verzeichnet, von denen die Beigeladenen Bescheinigungen vorgelegt habe). Eine Plausibilitätsprüfung wäre zudem nicht ausreichend gewesen. Die Vergabestelle hätte sich aus Transparenzgesichtspunkten davon überzeugen müssen, dass für jeden Mitarbeiter ein entsprechender Nachweis durch eine Krankenkasse vorgelegen habe.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beigeladene mit der sofortigen Beschwerde.
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Sie hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig . So seien mit den Schreiben vom 10.11.2009 und 13.11.2009 nur unsubstanziierte Einwände erhoben worden, sodass bereits keine ordnungsgemäße Rüge vorliege. Die Antragstellerin habe auch keine Rechtsverletzung und schon überhaupt keinen möglichen Schaden darlegen können. Dies betreffe jedenfalls das Los 2, bei dem sie lediglich als Drittplazierte bewertet worden sei. Es bestehe auch kein Rechtschutzbedürfnis. Soweit das Informationsschreiben der Vergabestelle vom 6.11.2009 unzureichend i.S.v. § 101a ZPO gewesen sein sollte, sei die entsprechende Unterrichtung im Nachprüfungsverfahren nachgeholt worden. Soweit die Antragstellerin beanstande, dass ihren Rügen durch die 3. bzw. 4. Bieterinformation nur pro forma abgeholfen worden seien, sei sie mit diesem Vortrag gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB präkludiert.
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Da die Antragstellerin ihren Antrag lediglich mit bloßen Behauptungen begründe, fehle es auch an der zwingend erforderlichen Begründung i.S.v. § 108 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 GWB. Da es daran fehle, habe die Vergabekammer diesen Mangel nicht dadurch „heilen“ können, dass sie von Amts wegen nicht gerügte formale Mängel in das Verfahren eingeführt habe. Die Vergabekammer sei weder berechtigt noch verpflichtet gewesen, auf Fragen der Eignung bzw. Formalität im Hinblick auf Angebotsumschlag und Eingangsvermerk einzugehen.
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Selbst wenn der Nachprüfungsantrag zulässig sein sollte, wäre er unbegründet gewesen. So behaupte die Antragstellerin lediglich pauschal die Ungeeignetheit der Beigeladenen (Beschwerdebegründung S. 17 - Bl. 106 I -).
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Die Vergabestelle habe zutreffend eine Plausibilitätsprüfung dahingehend vorgenommen, dass die Beigeladene die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ordnungsgemäß erbringe. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Mitteilungen der Krankenversicherungen einzelnen Mitarbeiters zuzuordnen. Eine solche Pflicht folge weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, hätte sie - die Beigeladene - im Hinblick auf Nr. 10.1 der Bewerbungsbedingungen darauf vertrauen können, dass die Vergabestelle eine solche Ergänzung der Unterlagen angefordert hätte. Die Beigeladene habe die Bewerbungsunterlagen 1x im Original und 2x in Kopie vorgelegt. Sie habe zudem unter Nr. 17 des Angebotsschreibens versichert, dass die Kopien mit dem Original vollinhaltlich übereinstimmten. Ein Verstoß gegen Nr. 9 S. 5 der Bewerbungsbedingungen liege somit nicht vor. Auf die Vollständigkeit des Eingangsvermerks auf dem Verpackungsmaterial komme es nur dann an, wenn die Rechtzeitigkeit des Eingangs des Angebots in Frage stehen würde. Diese Frage stelle sich vorliegend indes nicht. Zum einen sei der rechtzeitige Eingang der Angebotsunterlagen in der Niederschrift über die Angebotseröffnung dokumentiert. Die Beigeladene verweist zum anderen auf die vorgelegten Eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiter der Vergabestelle und meint weiter, dass dieser Punkt auch der Beweiserhebung durch Vernehmung dieser Mitarbeiter als Zeugen zugänglich sei. Die Beigeladene habe es letztlich auch nicht zu vertreten, dass der Eingangsvermerk unvollständig sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Beschwerdebegründung vom 5.1.2010 (Bl. 90 - 114 I) und des Schriftsatzes vom 26.3.2010 (Bl. 98 - 108 II).
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Die Beigeladene beantragt,
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1. Der Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 18.12.2009 (VK 2 LVwA LSA – 30/09) wird aufgehoben.
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2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
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3. Die Beschwerdegegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgen notwendigen Kosten der Beigeladenen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus dem Nachprüfungsverfahren. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Beschwerdeerwiderung vom 29.1.2010 (Bl. 12 - 22 II) und den Schriftsatz vom 19.4.2010 (Bl. 111 - 115 II).
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Es wird weiter Bezug genommen auf den Inhalt der Schriftsätze der Vergabestelle vom 8.2.2010 (Bl. 50 - 65 II) und 24.3.2010 (Bl. 78 - 85 II).
II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 116 Abs. 1 GWB), insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 117 GWB). Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg:
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1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin war zulässig (§ 107 Abs. 2, Abs. 3 GWB):
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a) Die erhobenen Rügen sind nicht verfristet:
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Soweit die Vergabekammer die Rüge hinsichtlich der Preisgleitklauseln im Schreiben der Antragstellerin vom 24.9.2009 (Bl. 48 BA) als präkludiert angesehen hat (Beschluss S. 13 - Bl. 128 I -), ist dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, die Beigeladene ist insoweit auch nicht beschwert. Es ist daher unklar, was die Beschwerde unter II 1. e) mit Rügepräklusion meint. Die 3. und 4. Bieterinformation (vom 24. bzw. 25.9. 2009) können sich nicht auf die Schreiben der Antragstellerin vom 10. bzw. 13.11.2009 und die darin enthaltenen Rügen beziehen.
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Hinsichtlich der Rügen aus den Schreiben der Antragstellerin vom 10.11.2009 (Bl. 59 - 61 BA) bzw. vom 13.11.2009 (Bl. 64 - 66 BA) gilt. Im Schreiben vom 10.11.2009 erhebt die Antragstellerin folgende Rügen:
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- Verstoß gegen § 101 a Abs.1 S. 1 GWB. Dem Schreiben der Vergabestelle vom 6.11.2009 könne nicht entnommen werden, an welcher Stelle das Angebot der Antragstellerin liege und warum das Angebot der Beigeladenen wirtschaftlicher sein;
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- gerügt wird weiter, dass die Wertung gemäß § 25 VOL/A nicht willkürfrei durchgeführt worden sei;
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- dass die Beigeladene nicht über die erforderliche Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde verfüge ( wir gehen davon aus, dass die [Beigeladene] nicht die geforderten Leistungsnachweise erbracht hat, insbesondere was die Frage des Mindestlohns und der eigenen Referenzen betrifft );
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- dass die Beigeladene ein rechtswidriges Unterpreisangebot mit Verdrängungsabsicht abgegeben habe;
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- die Antragstellerin verweist auf ihre eigene Erfahrung als Entsorger, die es ihre ermöglicht hätten, die dadurch gegebenen Kostenvorteile in dem Angebot zu berücksichtigen, während dies der Beigeladenen nicht in gleicher Weise möglich sei.
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Im Schreiben vom 13.11.2009 werden diese Punkte teilweise wiederholt und vertieft. Hinsichtlich der vorgenannten Punkte liegen fristgemäße Rügen i.S.v. § 107 Abs. 3 GWB vor. Ob die Rügen inhaltlich § 107 Abs. 2 S. 2 GWB genügen, spielt für die Frage, ob die Rüge fristgemäß erhoben wurde, keine Rolle. Andere Rügen hat die Antragstellerin auch im Nachprüfungsverfahren nicht erhoben. Sie nimmt vielmehr in der Antragsschrift vom 14.11.2009 (unter 4.1.3 - Bl. 6 BA) auf die vorgenannten Schreiben vom 10. und 13.11.2009 Bezug. Der Ansicht der Beschwerde, dass die Rügen unter Einhaltung einer 3 Tagefrist (S. 11 - Bl. 100 I -) zu erheben gewesen seien, kann nicht gefolgt werden. Dies schon deshalb nicht, weil der 6.11.2009 ein Freitag war und die Rüge mit dem Schreiben vom 10.11.2009 mithin bereits am übernächsten Werktag und damit sicher unverzüglich i.S.v. § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB erhoben wurde.
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b) Die Antragstellerin ist antragsbefugt i.S.v. § 107 Abs. 2 GWB:
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Im Hinblick auf den Zweck des Nachprüfungsverfahrens ist der Zugang hierzu an besondere Voraussetzungen geknüpft. Gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen im Vergabenachprüfungsverfahren nur dann antragsbefugt, wenn es ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinem Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen geltend macht (aa), und wenn es ferner darlegen kann, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht (bb):
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(aa) Ihr Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie ein grundsätzlich (auch nach der Wertung der Vergabestelle) zuschlagsfähiges Angebot abgeben hat. § 107 Abs. 2 S. 2 GWB fordert darüber hinaus die Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers i.S.v. § 97 Abs. 7 GWB. Dabei dürfen die Anforderungen an die Darlegung einer solchen Rechtsverletzung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines Vergabenachprüfungsantrages nicht überspannt werden, es ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Die Anforderungen richten sich im wesentlichen danach, welche Kenntnisse der Bieter bezüglich der gerügten Vergabeverstöße hat oder haben kann (OLG München, Beschluss vom 7.8.2007 - Verg 8/07 - [z.B. ZfBR 2007, 718]; hier: zitiert nach juris [Rn. 11]. Von den gerügten Verstößen (unter 1. a) genannt) hatte die Antragstellerin konkrete Kenntnis nur vom Inhalt des Schreibens der Vergabestelle vom 6.11.2009 (Bl. 58 BA). Insoweit hat die Antragstellerin unverzüglich gerügt, dass das Schreiben nicht den Anforderungen von § 101 a Abs. 1 S. 1 GWB genügt, insbesondere nicht die Gründe darlegt, aus welchen ihr Angebot nicht berücksichtigt wurde. Dies genügt für die Rüge einer unzureichenden Unterrichtung den Anforderungen von § 107 Abs.2 GWB. Von allen übrigen Umständen, die
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- die Angebote anderer Bieter;
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- die Wertungsentscheidung i.S.V. § 25 VOL/A (soweit nicht im Schreiben vom 6.11.2009 benannt)
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betrafen, hatte die Antragstellerin keine Kenntnis. Dies gilt auch für die Einhaltung von Formalien i.S.v. Nr. 9 der Bewerbungsbedingungen (hier: hinreichende Kennzeichnung der Angebotsunterlagen) oder von § 22 Nr. 1 VOL/A. Dies folgt daraus, dass Bieter bei der Eröffnung der Angebote nicht zugelassen sind (§ 22 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A). Diesen Ansatz sieht auch dass OLG München (a.a.O.) in der von der Beschwerde zitierten Entscheidung vom 7.8.2007. Soweit das OLG München (a.a.O.) weiter der Ansicht ist, dass ein Bieter mit pauschalen und unsubstanziierten Behauptungen „ins Blaue“ hinein, keine Nachprüfungsanträge stellen könne, ist dem im Grundsatz zuzustimmen. Dies kann aber nur dann gelten, wenn er überhaupt die Möglichkeit hat (sei es, dass er Kenntnis hat oder sie sich mit zumutbarem Aufwand beschaffen könnte) zu Anhaltspunkten und Indizien, die für einen Vergabeverstoß sprechen könnten, vortragen zu können. Stehen ihm über den Inhalt des Schreibens gemäß § 101 a Abs. 1 GWB hinaus keine Information zur Verfügung, kann er objektiv nichts vortragen und ist mehr oder weniger auf Spekulationen angewiesen. Auch im allgemeinen Zivilprozessrecht führt eine vergleichbare Situation nicht zwingend zum Verlust des Prozesses. Die Rechtsprechung behilft sich in solchen Fällen mit der sog. sekundären Behauptungslast (dazu: Zöller/Greger ZPO, 28. Aufl., Vor § 284, Rn. 34). Zwar kann man diese Grundsätze nicht unmittelbar auf ein Vergabenachprüfungsverfahren übertragen (es sei denn, man berücksichtigt dies bei den Anforderungen an den Inhalt des Schreibens gemäß § 101 a GWB). Der Umstand zeigt aber, dass eine Partei, die über relevante Punkte keine Kenntnis hat (und auch nicht haben kann), nicht zwingend rechtlos ist. Stellte man vor diesem Hintergrund strengere Anforderungen an § 107 Abs. 2 GWB, würde der Primärrechtsschutz zur Einhaltung der Rechte aus § 97 Abs. 7 GWB im streitgegenständlichen Fall leer laufen.
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Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat die Antragstellerin auch eine Rechtsverletzung mit ihren Rügen dargelegt. Die Ausführungen unter II. 1. b) der Beschwerdebegrünung (Bl. 100/101 I) können dahinstehen, weil die dortigen Ausführungen allenfalls die Begründetheit einer Rüge betreffen können. Der Senat hat dies in den von der Beschwerde zitierten Entscheidung vom 23.4.2009 (1 Verg 7/08 - dort unter 3.2. b) -) auch nicht im Rahmen der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages geprüft, sondern - nach Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer - in den Hinweisen zum weiteren Verfahren hinsichtlich der Begründetheit des Antrages.
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(bb) Die Antragstellerin hat auch einen möglichen Schaden dargelegt. Der Senat (Beschluss vom 26.10.2005 - 1 Verg 12/05 - [z.B. VergabeR 2006, 209]; hier: zitiert nach juris [Rn. 25]) hatte zunächst (im Rahmen der Prüfung von § 107 Abs. 2 Nr. 2 GWB) angenommen, dass ein Schaden durch die behauptete Rechtsverletzung dann nicht drohen könne, wenn bei objektiver Betrachtung keine Aussicht auf Erteilung des Zuschlages besteht (im konkreten Fall, weil das Angebot aus anderen Gründen hätte ausgeschlossen werden müssen). Dieser Ansicht hat sich der Bundesgerichtshof nicht angeschlossen (Beschluss vom 26.9.2006 - X ZB 14/06 - [z.B. BGHZ 169, 131]; hier: zitiert nach Juris [Rn. 31]; ausdrücklich bestätigt: Beschluss vom 10.11.2009 - X ZB 8/09 - [z.B. VergabeR 2010, 124]; hier: zitiert nach juris [ Rn. 32 ]). Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass ein Schaden immer schon dann droht, wenn die Aussichten des Bieters (hier: Antragstellerin) auf die Erteilung des Auftrages zumindest verschlechtert worden sein können. Es muss im Rahmen von § 107 Abs. 2 GWB daher nur ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf dessen wegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Dafür reicht es aus, wenn zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Zum einen hat die Antragstellerin ein zuschlagsfähiges Angebot abgeben, was bedeutet, dass sie den Auftrag erfüllen könnte. Zum anderen ist (im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ausreichend) es nicht ausgeschlossen, dass - die gerügten Mängel unterstellt und wie von der Vergabekammer im Ergebnis angenommen - eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Der von der Beschwerde (S. 13 - 101 I -) benannte Gesichtspunkt, dass ein Schaden jedenfalls hinsichtlich des Loses 2 nicht in Betracht kommen könne, weil die Antragstellerin insoweit lediglich Drittplazierte gewesen sei, greift nicht durch. Die Vergabestelle will beide Lose gemeinsam an die Beigeladene vergeben. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass bei einer Neuwertung der Angebote zu Los 1 auch eine andere Gesamtentscheidung in Betracht kommen kann. Vor diesem Hintergrund kann sich das Nachprüfungsverfahren nicht allein auf das Los 1 beziehen.
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(cc) Der Beschwerde (S. 13 - Bl. 102 I -) kann auch darin nicht gefolgt werden, dass für den Nachprüfungsantrag kein Rechtsschutzbedürfnis vorliege. Die Beschwerde meint, dass allein auf einen Verstoß gegen § 101 a Abs. 1 GWB ein Nachprüfungsverfahren nicht gestützt werden könne. § 101 a GWB wurde erst durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung vom 24.4.2009 eingeführt und ersetzt § 13 VgV. In der Sache ändert sich dadurch nichts. Verstöße gegen § 13 VgV wie auch gegen § 101 a GWB können zur Nichtigkeit eines gleichwohl geschlossenen Vertrages führen (OLG Düsseldorf Beschluss vom 1.10.2009 - VII-Verg 31/09 - [z.B. IBR 2010, 51]; hier: zitiert nach juris [Rn. 15]). Ein Verstoß muss daher auch im Rahmen eines Vergaberechtsnachprüfungsverfahren geltend gemacht werden können. Soweit die Beschwerde weiter meint (a.a.O.), dass ein (unterstellter) Informationsverstoß jedenfalls im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens geheilt worden sei, kann daraus aber nicht folgen, dass ein - bis dahin - zulässiges Nachprüfungsverfahren rückwirkend unzulässig wird (die Beschwerde benennt diesen Gesichtspunkt ausdrücklich im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages).
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Genügen die Rügen in den Schreiben vom 10.11. und 13.11.2009 den Anforderungen an die Antragsbefugnis i.S.v. § 107 Abs. 2 S. 2 GWB, dann kann ihre Wiederholung in dem Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nicht gegen § 118 Abs. 2 GWB verstoßen.
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(dd) Soweit die Beschwerde einen Verstoß der Vergabekammer gegen den Untersuchungsgrundsatz aus § 110 Abs.1 GWB rügt, kann dies im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung dahinstehen. Da der Senat - anders als die Beschwerde - davon ausgeht, dass die Antragstellerin selbständig Rügen i.S.v. § 107 Abs. 2 S. 2 GWB hinreichend erhoben hat, kommt es im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht darauf an, ob ein Verstoß gegen § 110 Abs.1 GWB vorliegt. Ein Verstoß könnte dem Antrag im Übrigen die Zulässigkeit nicht nehmen. Über § 110 GWB können lediglich unzulässige Nachprüfungsanträge nicht zulässig und schlüssig gemacht werden (KG Beschluss vom 13.3.2008 - 2 Verg 18/07 - [z.B. VergabeR 2008, 853]; hier: zitiert nach juris [Rn. 48]; OLG München Beschluss vom 2.8.2007 - Verg 7/07 - [z.B. VergabeR 2007, 799]; hier: zitiert nach juris [Rn. 18]).
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2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist auch begründet:
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a) Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/B
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Die Vergabekammer hat - von Amts wegen - geprüft, ob auf den eingegangenen Angeboten der von § 22 Nr. 1 VOL/B geforderte Eingangsvermerk angebracht wurde. Im angefochtenen Beschluss (S. 5 - Bl. 120 I -) hat die Vergabekammer dazu festgestellt:
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Bei Sichtung der Unterlagen hat die Vergabekammer festgestellt, dass das Verpackungsmaterial der Angebote der Beigeladenen, der Bieter Nummer 2 und Nummer 7 zwar Eingangsstempel aufweisen, diese jedoch keine Namenszeichen tragen, ... . Weiterhin war im Hinblick auf das Angebot des Bieters Nummer 1 das Verpackungsmaterial nicht vorhanden.
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Der Senat hat die Unterlagen selbst geprüft, die Feststellungen der Vergabekammer sind zutreffend.
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Ein Verstoß der Vergabekammer gegen den Untersuchungsgrundsatz aus § 110 Abs.1 GWB liegt nicht vor. Wie bereits zur Zulässigkeit ausgeführt, hindert § 110 Abs. 1 GWB die Vergabekammer nur dann daran, von Amts wegen Feststellungen zu Vergabeverstößen zu machen, wenn sich diese Feststellungen auf Rügen beziehen, die für den Antragsteller präkludiert sind (nur dies ergibt sich aus der von der Beschwerde S. 16 [Bl. 105 I] zitierten Entscheidung des OLG München a.a.O.; ebenso: KG a.a.O.). Ob selbst diese Einschränkung bei schwerwiegenden Vergabeverstößen nicht gilt (Kammergericht Beschluss vom 15.4.2004 - 2 Verg 22/03 - „IT-Hardware“ - [VergabeR 2004, 762, 767]), bedarf keiner abschließenden Bewertung. Hinsichtlich solcher Rügen, die der Antragsteller zwar nicht vorgebracht hat, aber auch nicht i.S.v. § 107 Abs.3 GWB rügen konnte, mag die Vergabekammer zwar nicht verpflichtet sein, aufgrund des in § 110 Abs. 1 GWB normierten Untersuchungsgrundsatzes von sich aus Feststellungen zu treffen (OLG München Beschluss vom 2.8.2007 - Verg 7/07 - [z.B. Vergaberecht 2007, 799]; hier: zitiert nach juris [Rn. 18]). Es ist aber auch nicht ersichtlich, warum ihr dies verwehrt sein soll. Der von der Antragstellerin im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens gestellte Antrag lautete:
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Der Antragsgegnerin zu untersagen, den o.g. Auftrag zu vergeben.
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Der Antrag kann so ausgelegt werden (s. aber auch § 114 Abs. 1 S. 2 GWB), dass er alle Vergabeverstöße umfasst, die einer Auftragsvergabe an die Beigeladene entgegenstehen könnten. Dazu würde dann auch ein Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/B zu zählen sein, womit sich die Vergabekammer im Rahmen der gestellten Anträge bewegt hätte. Im Übrigen hat die Vergabekammer tatsächlich Feststellungen getroffen (die sich zudem auf die reine Kenntnisnahme vom Akteninhalt beschränken). Es ist nicht ersichtlich, dass selbst bei einem Verstoß gegen § 110 GWB für den Senat nunmehr ein Verwertungsverbot hinsichtlich der getroffenen Feststellungen (die in der angefochtenen Entscheidung - wie zitiert - ausdrücklich dokumentiert sind) bestehen würde.
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Berücksichtigt man die unzureichenden Eingangsvermerke auf den Verpackungsunterlagen der/des
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- Beigeladenen
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- Bieters Nr. 2
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- Bieters Nr. 7
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sowie den Umstand, dass es hinsichtlich des Bieters Nr. 1 überhaupt keine entsprechende Unterlage gibt, liegt ein Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/A vor, mit der Folge, dass der Nachprüfungsantrag begründet war.
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Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung an seiner Entscheidung vom 31.3.2008 (1 Verg 1/08) fest: Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 VOL/A hat sichernde Funktion. Der Eingangsvermerk soll gewährleisten, dass der Wettbewerb zwischen den Bietern unter gleichen Bedingungen stattfindet und nicht einzelne Bieter ihr Angebot nachträglich ergänzen oder verändern können. Es soll dem Verhandlungsleiter der Angebotseröffnungsverhandlung die Feststellungen nach § 22 Nr. 3 lit a) und b) ermöglichen. Hierzu bedarf es eines Namenszeichens am Eingangsvermerk, damit auch in Vertretungs- und Mehrfachvertretungsfällen unkompliziert festgestellt werden kann, wer die Sendung entgegengenommen und verwahrt hat (s. dazu auch die Sollvorschrift § 22 Nr. 1 S. 2 VOL/A). Mit dem Namenszeichen soll eine bestimmte Person die Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit des gefertigten Vermerks übernehmen und im Zweifelsfall dafür auch in die Verantwortung genommen werden können. Ein Empfangsbekenntnis kann einen ordnungsgemäßen Eingangsvermerk nicht ersetzen. Nach § 22 Nr. 1 VOL/A sollen Angebote selbst mit dem Eingangsvermerk versehen werden. Der Eingangsvermerk soll auf dem (ungeöffneten) Umschlag angebracht werden. Mit ihm soll das Angebot selbst körperlich gekennzeichnet werden, wie sich aus der entsprechenden Regelung für elektronische Angebote (Nr. 1 S. 3) ergibt. Die Unmittelbarkeit der Kennzeichnung kann nicht durch ein gesondertes Schreiben (EB) gewahrt werden, dessen Original seiner Bestimmung nach sich auch nicht in der Vergabeakte befindet. Letztlich kann die Beigeladene auch nichts aus den vorgelegten Eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiter der Vergabestelle herleiten (Bl. 209 - 211 BA). Abgesehen davon, dass die Erklärungen zu den konkret betroffenen Bietern überhaupt keine Aussagen beinhalten, gilt: Ist die Feststellung der Identität des Ausstellers des Vermerks von einer Beweisaufnahme oder gar von der Einholung eines Sachverständigengutachtens (Beschwerde S. 22 - Bl. 111 I -) abhängig (wobei sich vorliegend die Frage stellt, was ein Schriftsachverständiger für Feststellungen treffen soll, wenn es gerade keinen handschriftlichen Vermerk gibt), so fehlt es gerade an der von § 22 VOL/A geforderten Unkompliziertheit . Nicht recht verständlich ist vor dem Hintergrund des genannten Zweckes des Eingangsvermerks, wie die Beschwerde zu der Aussage gelangen kann, dass ein Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/A nur dann relevant sein könne, wenn die Rechtzeitigkeit des Eingangs des Angebots in Frage stehe würde (Beschwerde S. 21 - Bl. 110 I -). In der an dieser Stelle zitierten Entscheidung des Senats vom 29.1.2009 (1 Verg 10/08) ging es überhaupt nicht um § 22 Nr. 1 VOL/A, sondern ausschließlich um die Frage, ob ein Angebot verspätet eingegangen war. Da § 22 Nr.1 VOL/A vorrangig der Verhinderung von Manipulationen allgemein gilt, stellt die Frage des verspäteten Eingangs lediglich einen Gesichtspunkt dar, über den sich eine Beweisaufnahme isoliert verbietet. Ob die Beigeladene den Verstoß zu vertreten hat, spielt generell für Verfahrensverstöße im Bereich der Vergabestelle keine Rolle. Die Beachtung auch von Formvorschriften durch die Vergabestelle soll letztlich der Wahrung der Rechte aller Bieter im Rahmen von § 97 Abs. 7 GWB dienen.
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Vor diesem Hintergrund reicht die von der Beschwerde an verschiedenen Stellen angesprochene Wiederholung der Wertung durch die Vergabestelle als Maßnahme i.S.v. § 114 Abs. 1 GWB nicht aus, die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens wieder herzustellen. Keines der im Vergabeverfahren eingegangenen Angebote ist verwertbar, weil ein unverfälschter Wettbewerb im Hinblick auf den Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/A nicht sicher gestellt worden ist.
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Da der Verstoß gegen § 22 Nr. 1 VOL/A die Entscheidung der Vergabekammer, dass das Verfahren ab Versendung der Verdingungsunterlagen wiederholt werden muss, allein trägt, kommt es auf die weiteren im Nachprüfungsverfahren angenommenen Mängel
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- Kennzeichnung des Originalangebots und der Kopien (Nr. 9 der Bewerbungsbedingungen)
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- Bestätigung der Krankenkasse (10.2.2 der Bewerbungsbedingungen)
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nicht mehr an. Insoweit ist folgendes anzumerken: Hinsichtlich der Nachweise über die bestehende Krankenversicherung ist Nr. 10.1 der Bewerbungsbedingungen i.V.m. Bieterinformation 1 insoweit eindeutig, dass ein Nachweis über die regelmäßige Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen für sämtliche Mitarbeiter mit dem Angebot vorzulegen war. Der Vorbehalt der Nachforderung von Unterlagen bezog sich nur auf nicht kalkulationsrelevante Unterlagen, zu denen die Versicherungsbestätigungen aber gerade nicht gehörten. Unklar ist somit allenfalls, ob sich aus den Bestätigungen die Anzahl der versicherten Arbeitnehmer ergeben muss. Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene haben mit dem Angebot Erklärungen von Krankenversicherungen vorgelegt. Die Vorlage kann im Sinne der Bieterinformation 1 die Erklärung beinhalten, dass sich die Erklärungen auf alle Arbeitnehmer beziehen. Den Erklärungen kann jedenfalls nicht das Gegenteil entnommen werden. Ohne Nachfrage der Vergabestelle konnten damit sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene davon ausgehen, dass die eingereichten Unterlagen den Bewerbungsbedingungen entsprachen. Dies hat die Vergabestelle ersichtlich genauso gesehen, soweit in der Auswertung der Angebote durch die E. (auf die sich der Vergabevermerk bezieht) bei allen Bietern lediglich die eingereichten Bestätigungen der Krankenversicherungen dokumentiert sind. Dass die Vergabestelle aus ihrer Sicht auch nur an die Möglichkeit der Notwendigkeit einer Plausibilitätsprüfung gedacht hat (die zu einer Dokumentationspflicht [dazu: Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 4. Aufl., Rn. 327 m.w.N.] hätte führen können), ist nicht ersichtlich. Da auch nicht ersichtlich ist, dass dafür ein Anlass bestand, stellt sich das von der Vergabekammer an diesem Punkt gesehene Problem überhaupt nicht.
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Auch der Hinweis der fehlenden Kennzeichnung der Originale und der Kopien (zumal bei der Beigeladenen) greift nicht durch. Die Beigeladene hat die Unterlagen in 3 Aktenordnern vorgelegt, die mit Original (1x) bzw. Kopie (2x) gekennzeichnet sind. Das Angebotsschreiben, das handschriftlich mit Datum vom 1.10.2009 (unter Beifügung eines Firmenstempels) unterzeichnet wurde, befindet sich in dem mit Original beschrifteten Aktenordner. Allein aus dieser Aufteilung der eingereichten Unterlagen ergibt sich hinreichend deutlich (auch im Hinblick darauf, dass bei Abweichungen zwischen Kopie und Original Letzteres gelten soll), was nach der Erklärung der Beigeladenen als Original und was als Kopie gelten soll.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO (analog).
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Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 50 Abs. 2 GKG. Auszugehen ist damit von der Bruttoauftragssumme. Der Begriff der Auftragssumme ist gesetzlich nicht weiter definiert; er ist als objektiver Wert desjenigen Auftrages auszulegen, den die Antragsgegnerin vergeben will (Senat, Beschluss vom 30.12.2002 - 1 Verg 11/02 - [JB 2004, 86, 87]). Es ist daher gerechtfertigt, auf den von der Vergabestelle bei Einleitung des Vergabeverfahrens geschätzten Wert der Leistungen abzustellen:
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Geschätzter Wert (ohne MWSt):
2.140.000,-- Euro (II. 2.1 der Bekanntmachung)
Brutto (19 % MWSt) 2.546.600,-- Euro
davon 5 % (§ 50 Abs. 2 GKG) 127.330, -- Euro
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