Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (12. Zivilsenat) - 12 U 32/12

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten gegen das am 26. Januar 2012 verkündete Einzelrichterurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Halle wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 130.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung einer Vergütung für die Entwicklung und Lieferung eines Datenverarbeitungsprogramms aus einem mit dem Beklagten am 23. April 2005 geschlossenen Kooperationsvertrag in Anspruch. Der Beklagte hat widerklagend die Rückerstattung einer im Hinblick auf die Lieferung des Datenverarbeitungsprogramms geleisteten Anzahlung gefordert.

2

Auf die Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts vom 26. Januar 2012 wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

3

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen statt gegeben und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 103.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juni 2006 sowie einen Betrag in Höhe von 2.118,44 Euro an außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage und die Widerklage des Beklagten abgewiesen.

4

Gegen dieses dem Beklagten am 31. Januar 2012 zugestellte Urteil hat dieser mit einem am 27. Februar 2012 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Auf seinen wiederholten Antrag ist die Frist zur Begründung der Berufung zuletzt bis zum 26. April 2012 verlängert worden. Die vom 26. April 2012 datierende sechsseitige Berufungsbegründungsschrift hat der Beklagtenvertreter an das Oberlandesgericht vorab durch Telefax übermittelt. Der Faxausdruck trägt am oberen Rand einen Aufdruck des Absendgerätes mit dem Datum 26. April 2012 sowie der Uhrzeitangabe 23.56 Uhr und am unteren Seitenrand „Empfangszeit 26. April 2012, 23.57 Uhr, Nr. 3995“. Jede Seite der Kopiervorlage ist mit der Paraphe des Beklagtenvertreters versehen. Nach dem Inhalt des Telefaxjournals des am Oberlandesgericht genutzten Telefaxgerätes hat der Sendevorgang am 26. April 2012 um 23.57 Uhr begonnen und dauerte insgesamt 4,14 Minuten. Die Poststelle des Oberlandesgerichts hat als Eingang dementsprechend den 27. April 2012, 24.01,14 Uhr verzeichnet.

5

Mit Verfügung vom 02. Mai 2012 ist der Beklagtenvertreter auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hingewiesen worden, weil die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der bis zum 26. April 2012 verlängerten Begründungsfrist, sondern erst am 27. April 2012 bei dem Oberlandesgericht eingegangen war. Darauf hat dieser unter dem 11. Mai 2012 unter Vorlage des Sendeberichtes seines Telefaxgerätes geltend gemacht, dass die Begründungsschrift noch am 26. April 2012 gegen 23.59,33 Uhr und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingegangen sei. Die Uhrzeitangabe seines Telefaxgerätes würde er alle zwei Tage einer Kontrolle unterziehen und dabei neu einstellen. Die Einstellung erfolge stets nach seiner Armbanduhr, die anhand der Uhrzeitangabe im Videotext eingestellt werde. Um etwaige Ungenauigkeiten auszugleichen, halte er es in der Regel so, dass er die Uhr seines Telefaxgerätes um ca. 30 bis 45 Sekunden gegenüber der offiziellen Zeit vorstelle. In Anbetracht der hier vorliegenden Fristsache habe er persönlich die Uhrzeit des Telefaxgerätes am 26. April 2012 gegen 12.30 Uhr überprüft und - als Sicherheitsreserve - um 45 Sekunden vorgestellt. Den sechsseitigen Begründungsschriftsatz habe er in den Abendstunden des 26. April 2012 gegen 23.50 Uhr fertig gestellt, ausgedruckt und jede ausgedruckte Seite jeweils einzeln mit seiner Unterschrift versehen. Im Anschluss daran habe er nach den Zeitangaben seines Telefaxgerätes gegen 23.56 Uhr mit der Übertragung des Schriftsatzes an den Hauptanschluss des Oberlandesgerichts begonnen. Das angewählte Empfangsgerät des Berufungsgerichts sei weder besetzt gewesen, noch hätten der Übermittlung der Begründungsschrift irgendwelche technischen Hindernisse entgegen gestanden. Während des Übertragungsvorganges habe er allerdings festgestellt, dass das Telefaxgerät des Oberlandesgerichts die Empfangssignale extrem langsam entgegen genommen und verarbeitet habe. Nach 4 Minuten und 9 sec. sei die Übermittlung beendet gewesen und auf dem Display sei der OK-Vermerk erschienen. Weil die Uhrzeit seines Gerätes stets um ca. 45 sec. gegenüber der offiziellen Zeit vorgestellt sei, müsse davon ausgegangen werden, dass alle sechs Seiten der Berufungsbegründung noch vor Mitternacht übertragen worden seien. Die letzte Seite sei um ca. 23.59,15 Uhr eingezogen und um 23.59,33 Uhr der Sendevorgang abgeschlossen worden. Er hat angekündigt, dass er zum Nachweis der rechtzeitigen Übermittlung der Begründungsschrift bei der Telekom einen Einzelverbindungsnachweis anfordern werde. Außerdem ist er der Ansicht, dass die Berufungsbegründung schon deshalb fristgerecht eingegangen sei, weil er alle Seiten der Kopiervorlage zuvor unterzeichnet habe. Der rechtzeitige Eingang einer einzelnen Seite einer Berufungsbegründung, die den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genüge, reiche aber zur Fristwahrung grundsätzlich aus.

6

Hilfsweise hat der Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und hierzu vorgetragen, dass die Versäumung der Frist durch ihn bzw. seinen Prozessvertreter nicht verschuldet worden sei. Insbesondere könne diesem nicht vorgehalten werden, dass er mit der Faxübermittlung bis vier Minuten vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gewartet habe, weil er die Begründungsfrist voll ausschöpfen dürfe. Mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Empfängernummer habe er das Erforderliche zur Fristwahrung unternommen und mit der Faxübermittlung so frühzeitig begonnen, dass er unter normalen Umständen mit einem Abschluss vor 24.00 Uhr habe rechnen dürfen. Wie exemplarisch vorgelegte Sendeprotokolle vergleichbarer Telefaxsendungen an verschiedene andere Oberlandesgerichte belegen würden, habe sein Rechtsanwalt von einer Übertragungsdauer von allenfalls 2 Minuten und 30 Sekunden ausgehend dürfen, aber nicht einkalkulieren müssen, dass das Empfangsgerät des Oberlandesgerichts noch mit einem Betriebsmodus ausgestattete sei, der erheblich hinter dem heute gängigen Standard mit einer Modemgeschwindigkeit von 14.400 zurückbleibe.

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Der Senat hat eine dienstliche Äußerung der Mitarbeiter der Poststelle des Oberlandesgerichts eingeholt, die den Parteien zur Kenntnis- und Stellungnahme übermittelt wurde. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die dienstliche Äußerung vom 18. Mai 2012 Bezug.

II.

8

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sein Rechtsmittel nicht fristgerecht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet worden ist und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO nicht vorliegen.

9

Nach § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO beträgt die Frist für die Berufungsbegründung zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Sie kann ohne Einwilligung der Gegenseite bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach der freien Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe vorträgt (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO).

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1. Das angefochtene Urteil ist dem Beklagten am 31. Januar 2012 zugestellt worden, so dass die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist am Montag, den 02. April 2012 abgelaufen wäre (§§ 520 Abs. 2 S. 1, 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO in Verbindung mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Auf rechtzeitig gestellten Antrag des Beklagten ist diesem nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - zuletzt - bis zum 26. April 2012 bewilligt worden, die mit Ablauf dieses Tages um 24.00 Uhr endete. Entscheidend zur Wahrung einer solchen Frist ist, ob der fristgebundene Schriftsatz bis zum Ablauf des letzten Tages der Begründungsfrist eingegangen ist (BGH NJW 2000, 1328; BGH NJW 2007, 2045). Im vorliegenden Fall lief die Berufungsbegründungsfrist am Donnerstag, den 26. April 2012 um 24.00 Uhr ab. Das Telefax des Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit der sechsseitigen Berufungsbegründungsschrift ging jedoch erst am Folgetag, den 27. April 2012 um 24.01 Uhr und 14 Sekunden bei Gericht vollständig ein und ist damit verspätet.

11

a) Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, zu dem die Rechtsmittelbegründungsschrift im Telefaxgerät des Gerichtes ausgedruckt worden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die gesendeten Signale bei Ablauf des letzten Tages der Frist vollständig empfangen, d.h. komplett gespeichert worden sind (z. B. BGHZ 167, 214; BGH NJW 2007, 2045; BGH WM 2009, 331; BGH BRAK-Mitt 2010, 25; BGH JurBüro 2011, 222; BGH GRUR - RR 2011, 344; BGH, Beschluss vom 17. April 2012, XI ZB 4/11; Greger in Zöller, Rdn. 9 zu § 167 ZPO und Rdn. 2 vor § 230 ZPO). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es der Absender im Allgemeinen nicht in der Hand hat, wann der Ausdruck eines empfangenen Telefaxes erfolgt (BGHZ 167, 214; BGH, Beschluss vom 15. September 2009, XI ZB 29/08, BRAK-Mitt 2010, 25). Wegen der technischen Vergleichbarkeit der eingesetzten Übertragungstechniken werden insoweit die Grundsätze der für elektronische Dokumente geltenden Regelung in § 130 a Abs. 3 ZPO entsprechend herangezogen (BGHZ 167, 214), so dass eine Frist gewahrt wird, wenn der vollständige Empfang (Speicherung) der vom Absendegerät gesendeten elektronischen Daten noch bis zum Ablauf des letzten Tages der Frist gewährleist ist. Es kommt dabei ausschließlich auf die Aufzeichnung durch die Empfangseinrichtung an, wobei der Speichervorgang komplett abgeschlossen sein muss (z. B. BGH BRAK-Mitt. 2010, 25; Zöller/Greger, Rdn. 9 zu § 167 ZPO m. w. N.).

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b) Der Zeitpunkt des vollständigen Empfanges lässt sich anhand der üblichen Journaldokumentation des Telefaxempfangsgerätes ermitteln, indem zur Anfangszeit der Übertragung die aufgezeichnete Übertragungsdauer hinzugerechnet wird. Nach dem Journal des am Oberlandesgericht genutzten Empfangsgerätes war Übertragungsbeginn am 26. April 2012 um 23.57 Uhr, was mit dem Aufdruck am unteren Rand des Telefaxschreibens übereinstimmt. Das Faxjournal verzeichnete eine Übertragungsdauer von 4.14 Minuten, was ein Übertragungsende und eine Komplettspeicherung der Daten um 24.01.14 Uhr und damit am Folgetag bedeutet. Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Poststelle des Oberlandesgerichts vom 18. Mai 2012 wird die Uhrzeit des Faxgerätes ordnungsgemäß (automatisch) nach der Funkuhr eingestellt. Der Senat hegt keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung. Das verwendete Gerät nutzt entgegen der Vermutung des Beklagtenvertreters auch keinem „überalterten Betriebsmodus“. Es handelt sich vielmehr um ein seit September 2011 genutztes Multifunktionsgerät neuster Bauart mit einer Modemgeschwindigkeit von bis zu 33,6 kbit/s, das im Zeitpunkt der Sendung problemlos funktioniert hat.

13

c) Der Beklagte trägt als Berufungsführer die Beweislast für die Behauptung, dass seine Berufungsbegründung rechtzeitig bei dem Empfänger eingegangen ist (z. B. BGH, Beschluss vom 17. April 2012, XI ZB 4/11; BGH NJW 2007, 1457; BGH Beschluss vom 15. September 2009, XI ZB 29/08). Diesen Nachweis hat er nicht erbracht. Die Eingangszeit per Telefax übersandter Schriftsätze beurteilt sich nach der gesetzlichen Zeit gemäß § 4 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Einheiten im Messwesen und die Zeitbestimmung (Einheiten- und Zeitgesetz - EinhZeitG) i.d.F. durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 03. Juli 2008 (BGBl. I, S. 1185), das mit Wirkung vom 12. Juli 2008 an die Stelle des früheren Gesetzes über die Zeitbestimmung (Zeitgesetz) getreten ist, wofür grundsätzlich den Auskünften des Telekommunikationsunternehmens aus den Aufzeichnungen über die Dauer zeitabhängiger Einzelverbindungen wesentliche Bedeutung zukommt (z. B. BGH WM 2004, 648, 649; BGH, Beschluss vom 15. September 2009, XI ZB 29/08, BRAK-Mitt 2010, 25; BGH, Beschluss vom 17. April 2012, XI ZB 4/11 zitiert nach juris; BFH, Beschluss vom 20. Mai 2010, I B 13/10 zitiert nach juris).

14

Der Beklagte hat trotz einer entsprechenden Ankündigung in dem Schriftsatz vom 11. Mai 2012 davon abgesehen, einen Einzelverbindungsnachweis seines Telekommunikationsanbieters vorzulegen. Mit Vorlage des Absendeprotokolls seines Telefaxgerätes hat er den Beweis jedenfalls nicht führen können. Denn das Ausgangsfaxgerät bestätigt nur die Herstellung einer Verbindung zu dem Empfangsgerät, nicht jedoch die vollständige Übermittlung bestimmter Erklärungen. Entscheidend ist der Statusbericht des Empfangsgerätes (z. B. BGH, Beschluss vom 07. Juli 2011, I ZB 62/10, HFR 2012, 94; BGH MDR 2007, 1093; BPatG München, NJW 2011, 2522; Zöller/Greger, Rdn. 2 vor § 230 ZPO).

15

Das Faxprotokoll des Beklagtenvertreters vom 27. April 2012, 00.00 Uhr dokumentiert den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung ohnehin nicht. Denn danach ist ein Sendebeginn um 23.56 bei einer Übertragungsdauer von 4.09 sec. verzeichnet. Der Beklagtenvertreter trägt hierzu zwar vor, dass er die Uhrzeit des Telefaxgerätes um 45 sec. vor der offiziellen Zeit vorgestellt habe. Das Ausgangsfaxgerät gibt dementsprechend aber nicht den exakten Zeitpunkt der Datenübermittlung wieder. Im Übrigen ist dem vom Beklagten vorgelegten Sendebericht jedenfalls nicht der Zeitpunkt des Zugangs der Sendung bei dem Empfangsgericht zu entnehmen. Er dokumentiert allein den Sendevorgang und dessen Dauer. Es kommt hier jedoch nicht auf die Sendezeit, sondern auf die Empfangszeit an, die aber allein aus dem Statusbericht des Empfangsgerätes hervorgeht (z. B. BGH, Beschluss vom 07. Juli 2011, I ZB 62/10, HFR 2012, 94). Sonstige Umstände, aus denen sich die sichere Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist in Ergänzung zum Inhalt seines eigenen nicht sicheren Faxjournals hätte ergeben können, sind weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich.

16

d) Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, dass von einer den formellen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Berufungsbegründung deshalb auszugehen sei, weil sein Prozessvertreter die einzelnen Seiten des Schriftsatzes jeweils unterzeichnet habe; der Senat müsse aber jedenfalls die bis um 24.00 Uhr des 26. April 2012 per Telefax eingegangenen Teile der Berufungsbegründung einer Zulässigkeitsprüfung unterziehen.

17

Zwar können bei der Zulässigkeitsprüfung unter Umständen auch nur Teile eines Schriftsatzes zugrunde gelegt werden, soweit diese innerhalb der Begründungsfrist in einem Sendevorgang eingegangen sind (z. B. BGH, WM 1994, 1349; BGH NJW-RR 2005, 793; BGH, Beschluss vom 15. September 2009, XI ZB 29/08, BRAK-Mitt 2010, 25). Wie bereits ausgeführt, kommt es aber nicht auf den Ausdruck der Telefaxsendung, sondern auf die komplette Speicherung der elektronischen Datensätze an. Dementsprechend kann aber auch nicht auf die Reihenfolge der übermittelten Seiten der Berufungsbegründung abgestellt werden. Bei der Telefaxsendung werden Signale übersendet, die mit den Schriftzeichen nicht identisch sind (z. B. BGH NJW 2004, 2525). Es wird während des Übertragungsvorgangs im Empfangsgerät eine Datei angelegt, deren vollständige Erstellung aber erst mit dem Ende der Übertragung abgeschlossen ist. Die Telefaxübermittlung kann dementsprechend nur als ein einheitlicher Vorgang gewertet werden, eine Zuordnung der übertragenen elektronischen Daten zu einer Seite der Berufungsbegründungsschrift kann vor Abschluss der Speicherung dagegen nicht vorgenommen werden. Dieser Übertragungsvorgang lässt daher keine Schlüsse zu, zu welchem Zeitpunkt ein bestimmter Teil der Datei übersendet wird, der die Informationen für eine bestimmte Seite enthält. Auch der Faxausdruck des Gerichts am Fuße jeder Textseite gibt lediglich die Anfangszeit der Übertragung auf das Empfangsgerät wieder. Aus diesem Grunde kommt es auch nicht darauf an, dass der Beklagtenvertreter jede Textseite gesondert mit seiner Unterschrift versehen hat. Entscheidend ist allein, wann der als Gesamtheit aufzufassende Übertragungsakt vollständig und fehlerfrei abgeschlossen ist. Denn erst wenn alle elektronischen Daten im Datenspeicher des gerichtlichen Faxgerätes abgelegt worden sind, hat das Empfangsgerät die Signale vollständig aufgenommen und nach Verarbeitung als abrufbare Datei auf dem internen Datenspeicher geschrieben (z. B. BGH, Beschluss vom 15. September 2009, XI ZB 29/08, BRAK-Mitt 2010, 25; OLG Stuttgart, 10. Juni 2008, 9 U 26/08 zitiert nach juris). Danach aber ist es technisch nicht möglich, eine sichere Abgrenzung der vor 24.00 Uhr eingegangenen, unterschriebenen Seiten der Berufungsbegründung von denjenigen vorzunehmen, die erst nach Mitternacht und damit am Folgetag von dem Telefaxgerät des Gerichtes empfangen worden sind.

18

2. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig, er ist nach § 233 ZPO statthaft und form- und fristgerecht nach §§ 234 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 236 Abs. 1 ZPO angebracht worden, jedoch nicht begründet.

19

Der Beklagte war nicht ohne ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der rechtzeitigen Vornahme der Prozesshandlung, hier der fristgerechten Vorlage der Berufungsbegründung, gehindert. Dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten ist vorzuhalten, dass er erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, nämlich nur vier Minuten vor Ablauf der Frist mit der Versendung der Berufungsbegründungsschrift per Telefax begonnen hat.

20

Ein Verschulden des bevollmächtigten Rechtsanwaltes ist gegeben, wenn dieser die übliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die geboten und ihm nach den konkreten Umständen des konkreten Einzelfalls zumutbar gewesen ist (z. B. Zöller/Greger, Rdn. 13 zu § 233 ZPO m.w.N.). Auch wenn die Sorgfaltsanforderungen dabei nicht überspannt werden dürfen und der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bei der Erstellung und Übermittlung der Berufungsbegründung die ihm dafür eingeräumte Frist ausschöpfen durfte (z. B. BGH NJW-RR 2006, 1548; BGH NJW-RR 2004, 2525; BGH NJW 2005, 678; BGH, Beschluss vom 03. Mai 2011, XI ZB 24/10, BRAK-Mitt 2011, 238), musste er jedoch für den Fall sehr später Einreichung des fristgebundenen Schriftsatzes sicher stellen, dass dieser auf dem gewählten Übertragungsweg noch rechtzeitig vor Fristablauf bei Gericht eingeht (z. B. BGH NJW-RR 2006, 1548; BGH NJW-RR 2004, 2525; BGH NJW 2005, 678; BGH, Beschluss vom 03. Mai 2011, XI ZB 24/10, BRAK-Mitt 2011, 238; OLG Naumburg, JurBüro 2011, 149; OVG Schleswig NJW 2010, 3110). Übermittelt der Rechtsanwalt eine Berufungsbegründungsschrift per Telefax an das Gericht, hat er mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung unternommen, wenn er mit dem Übermittlungsvorgang so rechtzeitig begonnen hat, dass unter gewöhnlichen, normalen Umständen mit ihrem Abschluss am Tage des Fristablaufs bis 24.00 Uhr hätte gerechnet werden können (z.B. BGH NJW-RR 2001, 916; BGH FamRZ 2005, 266; BGH NJW 2004, 2525; BGH, Beschluss vom 03. Mai 2011, XI ZB 24/10; BGH JurBüro 2009, 168). Daraus folgt, dass eine laufende Frist nur in dem Umfang ausgeschöpft werden darf, dass die bis zum Fristablauf verbleibende Zeit noch ausreicht, um die Übersendung des Schriftsatzes sicherzustellen. Dabei muss der Prozessbevollmächtigte unter Umständen auch Verzögerungen und Störungen einkalkulieren, die bei dem gewählten Übertragungsweg üblicherweise auftreten können, wie z.B. die Belegung des Telefaxempfangsgerätes des Gerichts durch andere eingehenden Sendungen. Insoweit ist bei der Faxübermittlung eine Zeitreserve einzukalkulieren (z. B. BGH NJW 2004, 2525; BGH FamRZ 2005, 266; BGH, Beschluss vom 03. Mai 2011, XI ZB 24/10).

21

Dies ist hier nicht - zumindest nicht ausreichend - geschehen. Denn beim Absenden eines sechsseitigen Telefax um 23.56 Uhr und damit vier Minuten vor Fristablauf konnte der Prozessvertreter des Beklagten nicht begründet darauf vertrauen, dass die Übertragung vor 0.00 Uhr beendet sein würde. Schon bei reibungsloser Übertragung konnte er - mangels Kenntnis der Leistungsfähigkeit des Empfangsgerätes - nicht davon ausgehen, dass der Schriftsatz mit einer bestimmten Geschwindigkeit übertragen wird, deren Einhaltung erforderlich gewesen wäre, damit die Frist eingehalten wird (z. B. OVG Schleswig NJW 2010, 3110; OLG Naumburg JurBüro 2011, 149; Zöller/Greger, Rdn. 23 zu § 233 ZPO Stichwort „Telefax“).

22

Es bedarf dabei auch keiner Entscheidung zu der Frage, mit welcher Übertragungszeit ein Rechtsanwalt bei der Übermittlung per Telefax normalerweise rechnen darf (offen gelassen: BGH NJW 2005, 678). Dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach seinem Vorbringen in der Lage war, an andere Oberlandesgerichte im Bundesgebiet Schriftsätze vergleichbaren Umfangs innerhalb deutlicher kürzerer Zeit zu übermitteln, kann ihn jedenfalls nicht entlasten. Ob die in den vorgelegten Sendeprotokollen dokumentierten Telefax-Sendungen überhaupt nach Art und Empfänger mit der hier maßgeblichen Sendung vergleichbar sind, lässt sich anhand der zur Akte gereichten Unterlagen nicht feststellen. Dies kann aber letztlich auch dahin gestellt bleiben. Denn die von dem Beklagten-Vertreter zu Vergleichszwecken vorgelegten Sendeberichte besagen in jedem Fall noch nichts über die Funktion und regelmäßige Übertragungsgeschwindigkeit des hier in Rede stehenden Empfangsgeräts des Oberlandesgerichts Naumburg, mit dem der Beklagtenvertreter zuvor offensichtlich noch keine vergleichbaren Erfahrungen gemacht hatte. Wie schnell das Telefaxgerät des Oberlandesgerichts Naumburg überträgt und mit welchem Modem es arbeitet, wusste er nicht. Insoweit hätte er aber eine Sicherheitsreserve einplanen müssen. Denn er konnte nicht erwarten, dass ein schnelleres Gerät mit einer Modemgeschwindigkeit von 14.4000 zum Einsatz kommt. Für eine solche Erwartung gab es jedenfalls keine Grundlage. Unabhängig davon ist die Übertragungsgeschwindigkeit auch nicht nur von der Leistung des Sende- und Empfangsgerätes abhängig, sondern u. a. auch von der zum Zeitpunkt des Sendevorganges zur Verfügung stehenden Netzkapazität.

23

Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Beklagte schlüssig dargelegt und nach Maßgabe der §§ 236 Abs. 2 S. 1, 294 ZPO glaubhaft gemacht hätte, dass er das Telefaxgerät des Oberlandesgerichts zuvor wiederholt in Anspruch genommen und die Telefaxübermittlung dabei stets deutlich weniger als 30 sec. pro Seite angedauert habe. Denn allenfalls dann hätte er berechtigt darauf vertrauen dürfen, dass die Sendung von 23.56 Uhr - bei ansonsten reibungslosem Verlauf - nicht wesentlich länger dauern würde als die bisherigen Schriftsätze an das Berufungsgericht (z.B. BGH NJW-RR 2001, 916; BGH FamRZ 2005, 266).

24

Die Übertragungsdauer des hier eingesetzten Faxgerätes ist im übrigen auch nicht als ungewöhnlich lang zu bewerten, so dass mit ihr keinesfalls zu rechnen war, sondern bewegt sich in einem normalen Rahmen, auf den sich ein Rechtsanwalt bei der Übertragung fristgebundener Schriftsätze einrichten muss. Für eine überlange, durch einen technischen Fehler in der Funktion des Empfangsgerätes begründete Übermittlungsdauer bestehen jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte.

25

Da sich der Beklagte die verspätete Absendung des Schriftsatzes durch seinen Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat er das Versäumnis im Ergebnis zu vertreten. Der Wiedereinsetzungsantrag ist nach § 233 ZPO nicht begründet.

26

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

27

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 47 Abs. 1 S. 1, 45 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO.


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