Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg - 5 U 59/15

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 31. März 2015 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, die Löschung der im Grundbuch von G., Blatt ... unter der lfd. Nr. 1 der Dritten Abteilung eingetragenen Grundschuld über 140.000 € zu bewilligen Zug um Zug gegen Zahlung von 131.880,61 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5,49 v.H. seit dem 16. Dezember 2014 abzüglich jeweils am 30. Januar 2015, am 28. Februar 2015, am 30. März 2015, am 30. April 2015, am 30. Mai 2015 und am 30. Juni 2015 gezahlter 932,17 €.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Auf die Hilfswiderklage werden die Kläger verurteilt, als Gesamtschuldner an die Beklagte 131.880,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5,49 v.H. seit dem 16. Dezember 2014 abzüglich jeweils am 30. Januar 2015, am 28. Februar 2015, am 30. März 2015, am 30. April 2015, am 30. Mai 2015 und am 30. Juni 2015 gezahlter 932,17 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Bewilligung der Löschung der im Grundbuch von G., Blatt ... unter der lfd. Nr. 1 der Dritten Abteilung zu ihren Gunsten eingetragenen Grundschuld in Höhe von 140.000 €.

Die weitergehende Hilfswiderklage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 4/5, die Beklagte 1/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v. H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Der Streitwert der Berufung beträgt 159.880,61 €.

Gründe

I.

1

Wegen des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug einschließlich der dort ergangenen Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 85 - 91 d. A.) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

2

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihre Klageanträge weiterverfolgen. Sie vertreten weiterhin die Auffassung, sie hätten den Darlehensvertrag wirksam widerrufen. Die ihnen erteilte Widerrufsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß gewesen und habe den Lauf der Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt. Die Belehrung zum Widerrufsrecht habe sie im Unklaren darüber gelassen, ob die Widerrufsfrist bereits mit Erhalt des Darlehensangebotes oder erst mit der Annahme des Angebotes zu laufen beginne. Unklar sei auch die Belehrung zu den Widerrufsfolgen, soweit es in der Widerrufsbelehrung heiße, dass Zahlungen innerhalb von 30 Tagen nach Absendung der Widerrufsbelehrung erfüllt werden müssen. Die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterbelehrung nach § 14 BGB-InfoV greife nicht, weil die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung sowohl vom Mustertext der BGB-InfoVO 2004 als auch der Mustertext der 3. Veränderungsordnung der BGB-InfoVO 2008 abgewichen sei. Darüber hinaus sei die Widerrufsbelehrung auch deshalb unzureichend, weil sie entgegen § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F. nicht deutlich gestaltet sei. Ihren diesbezüglichen Vortrag habe das Landgericht übergangen.

3

Die Kläger stellen den Antrag,

4

das am 31. März 2015 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Löschung der im Grundbuch von G., Blatt ... unter der lfd. Nr. 1 der Dritten Abteilung eingetragenen Grundschuld über 140.000 € zu bewilligen Zug um Zug gegen Zahlung von 72.176,84 € und festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung seit dem 14. April 2014 in Verzug befindet;

5

hilfsweise, die Hilfswiderklage der Beklagten abzuweisen.

6

Die Beklagte stellt den Antrag,

7

die Berufung zurückzuweisen;

8

hilfsweise,

9

die Kläger als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 131.880,61 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5,49 v.H. ab dem 16. Dezember 2014 zu zahlen Zug um Zug gegen Bewilligung der Löschung der im Grundbuch von G., Blatt ... unter der lfd. Nr. 1 der Dritten Abteilung eingetragenen Grundschuld über 140.000 €

10

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

11

Die Berufung ist zulässig (§§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1, 517, 519 f. ZPO) und teilweise begründet.

12

Auf das Vertragsverhältnis der Parteien finden das Bürgerliche Gesetzbuch und die BGB-Informationspflicht-Verordnung in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 22 Abs. 2 EGBGB).

13

Die Kläger haben den Darlehensvertrag vom 25. August 2008 mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 08. Oktober 2013 wirksam widerrufen. Das Widerrufsrecht der Kläger ist nicht gemäß § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB a.F. spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss erloschen, weil die Kläger von der Beklagten nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sind (§ 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a. F.).

14

Die hier nach den § 495 Abs. 1, 355 Abs. 2 BGB a. F. zu erteilende Widerrufsbelehrung genügte den Anforderungen des in § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F. geregelten Deutlichkeitsgebots nicht. Eine Belehrung, die sich - wie hier - hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist auf die Aussage beschränkt, dass die Frist „frühestens“ mit Erhalt dieser Belehrung beginnt, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht in der erforderlichen Weise eindeutig und umfassend, weil die Verwendung des Wortes „frühestens“ es dem Verbraucher nicht ermöglicht, den Fristbeginn ohne Weiteres zu erkennen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015, II ZR 163/14; BGH, Urteil vom 15. August 2012, VIII ZR 378/11 m. w. N.). Der Verbraucher kann der Verwendung des Wortes "frühestens" zwar entnehmen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhängt, wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010, VIII ZR 82/10). Geht dem Darlehensnehmer - wie hier - ein mit der Widerrufsbelehrung versehenes Darlehensangebot zu, entspricht die Widerrufsbelehrung nicht dem Deutlichkeitsgebot des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB, weil sie die unzutreffende Vorstellung hervorrufen kann, die Widerrufsfrist beginne unabhängig von einer Vertragserklärung des Verbrauchers bereits am Tag des Zugangs des Angebots der Beklagten nebst Widerrufsbelehrung (BGH, Urteil vom 10. März 2009, XI ZR 33/08).

15

Zwar wurde diese Formulierung auch in der damals geltenden Musterbelehrung nach der BGB-InfoV verwendet. Auf deren Schutzwirkung kann sich die Beklagte aber nicht mit Erfolg berufen, weil sie die Belehrung nicht vollständig und unverändert übernommen hat.

16

Nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. genügte eine Belehrung über das Widerrufsrecht den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB a. F. und den diesen ergänzenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wenn das Muster der Anlage 2 in Textform verwandt wurde.

17

Gemäß § 16 BGB-InfoV a. F. sind die §§ 1 Abs. 4 Satz 2 und § 14 Abs. 1 bis 3 auch auf solche Informationen und Belehrungen über das Widerrufs- und Rückgaberecht anzuwenden, die den bis zum 31. März 2008 geltenden Mustern entsprechen und dem Verbraucher vor dem 01. Oktober 2008 in Textform mitgeteilt worden sind.

18

Das als Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der Fassung vom 02. Dezember 2004 veröffentlichte Muster wies zum Widerrufsrecht und zu den Widerrufsfolgen folgenden Text auf:

19

„Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von (zwei Wochen) ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) (oder durch Rücksendung der Sache) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs (oder der Sache). Der Widerruf ist zu richten an:

Widerrufsfolgen
Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren (und gegebenenfalls gezogene Nutzungen (z. B. Zinsen) herauszugeben). Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit gegebenenfalls Wertersatz leisten. (Bei der Überlassung von Sachen gilt dies nicht, wenn die Verschlechterung der Sache ausschließlich auf deren Prüfung - wie sie Ihnen etwa im Warengeschäft möglich gewesen wäre - zurückzuführen ist. Im Übrigen können Sie die Wertersatzpflicht vermeiden, indem Sie die Sache wie ein Eigentümer in Gebrauch nehmen und alles unterlassen, was deren Wert beeinträchtigt. Paketversandfähige Sachen sind (auf unsere Kosten und Gefahr) zurückzusenden. Nicht paketversandfähige Sachen werden bei Ihnen abgeholt). Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen Sie innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufserklärung erfüllen."

20

Die Musterbelehrung sah weitere Hinweise für finanzierte Geschäfte vor, die aber entfallen konnten, wenn kein verbundenes Geschäft vorliegt.

21

Wenn für den Darlehensvertrag belehrt werden soll, sollte der Hinweis wie folgt lauten:

22

„Widerrufen Sie diesen Darlehensvertrag, mit dem Sie Ihre Verpflichtungen aus einem anderen Vertrag finanzieren, so sind Sie auch an den anderen Vertrag nicht gebunden, wenn beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn wir zugleich auch Ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrags sind, oder wenn wir uns bei der Vorbereitung oder Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung Ihres Vertragspartners bedienen. Können Sie auch den anderen Vertrag widerrufen, so müssen Sie den Widerruf gegenüber Ihrem diesbezüglichen Vertragspartner erklären."

23

Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder eines grundstücksgleichen Rechts sollte Satz 2 der vorstehenden Hinweise durch den folgenden Satz ersetzt werden:

24

„Dies ist nur anzunehmen, wenn die Vertragspartner in beiden Verträgen identisch sind oder wenn der Darlehensgeber über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinausgeht und Ihr Grundstücksgeschäft durch Zusammenwirken mit dem Veräußerer fördert, indem er sich dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu eigen macht, bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernimmt oder den Veräußerer einseitig begünstigt."

25

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs greift die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV a. F. grundsätzlich nur ein, wenn der Unternehmer ein Formular verwendet, das dem Muster sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung, mithin in jeder Hinsicht vollständig entspricht. Nur bei vollständiger Verwendung kann sich der Unternehmer auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV a.F. berufen, wenn das Muster fehlerhaft ist und den gesetzlichen Anforderungen nach § 355 Abs. 2 BGB a.F. nicht genügt. Eine Berufung auf die Schutzwirkung scheidet aus, wenn der Unternehmer den Text der Musterbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzieht (BGH, Urteil vom 18. März 2014, II ZR 109/13; BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015, II ZR 163/14). Das gilt unabhängig vom konkreten Umfang der von ihm vorgenommenen inhaltlichen Änderungen, da sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen lässt, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen soll (BGH, Urteil vom 18. März 2014, II ZR 109/13).

26

Die von der Beklagten verwendete Belehrung entspricht nicht vollständig der Musterbelehrung. So hat sie die erste Zwischenüberschrift in Fettdruck: Widerrufsbelehrung weggelassen. Ferner hat sie im 2. Satz die Worte „die Frist“ durch „der Lauf der Frist“ und im 3. Satz die Worte „zur Wahrung der Widerrufsfrist“ durch „zur Wahrung der Frist“ ersetzt. Bei der Belehrung über die Widerrufsfolgen heißt es im letzten Satz abweichend von der Musterbelehrung, dass Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen innerhalb von 30 Tagen nach Absendung der „Widerrufsbelehrung“ anstatt „Widerrufserklärung“ zu erfüllen sind. Bei der Belehrung unter der Zwischenüberschrift hat sie im zweiten Satz „der Darlehensgeber“ durch „wir“ mit den dadurch bedingten grammatischen Folgeänderungen ersetzt und den zweiten Absatz, der beginnt „Wird mit diesem Darlehensvertrag die Überlassung einer Sache finanziert....“ weggelassen.

27

Ob es sich dabei um inhaltlich bedeutsame Änderungen handelt, kann dahinstehen. Die Ersetzung der Worte „die Frist“ durch: „der Lauf der Frist“, die Passage „zur Wahrung der Widerrufsfrist“ durch „zur Wahrung der Frist“ und „der Darlehensgeber“ durch „wir“ (mit den dadurch bedingten grammatischen Folgeänderungen) kann auch nicht als unschädliche redaktionelle Bearbeitung angesehen werden (so: KG Berlin, Urteil vom 22. Dezember 2014, 24 U 169/13). Die Anknüpfung an die Schutzwirkung setzt voraus, dass die Musterbelehrung ihrem Wortlaut nach vollständig und unverändert übernommen wird. Ob es sich bei der Änderung nur um eine sprachliche Verbesserung oder um einen inhaltlichen Eingriff handelt, ist unerheblich, zumal die Abgrenzung im Einzelfall schwierig ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt sich die Ersetzung des Wortes „Widerrufserklärung“ durch „Widerrufsbelehrung“ für den Verbraucher nicht ohne weiteres als Schreibfehler dar. Jedenfalls liegt schon in dem Weglassen der in der Musterbelehrung vorgesehenen - und durch Fettdruck hervorgehobenen - Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“ eine auch inhaltlich bedeutsame Änderung, weil der Verbraucher durch die fett gesetzten Abschnittsüberschriften gerade in hervorgehobener und übersichtlicher Form darauf aufmerksam gemacht werden soll, dass die Belehrung ein von ihm wahrzunehmendes Recht betrifft. Der Bundesgerichtshof hat in dem umgekehrten Fall, bei dem das Formular zwar die Überschrift „Widerrufsrecht“, nicht aber die weitere Überschrift „Widerrufsbelehrung“ enthielt, eine schädliche Abweichung von der Musterbelehrung festgestellt, weil für den Verbraucher nicht hinreichend deutlich werde, dass er in den nachfolgenden Ausführungen nicht nur über sein Widerrufsrecht, sondern auch über die mit der Ausübung des Rechts verbundenen Pflichten belehrt werden solle (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010, VIII ZR 82/10). Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann aber das Fehlen der Überschrift „Widerrufsrecht“ nicht als unschädlich angesehen werden, weil damit dem Verbraucher gerade die wesentliche Information vorenthalten wird, dass es bei der Belehrung um ein von ihm auszuübendes Recht geht. Die inhaltlich übereinstimmende Wiedergabe der unter dieser Überschrift vorgesehenen Textpassage allein genügt dem Deutlichkeitsgebot nicht (KG Berlin, Urteil vom 22. Dezember 2014, 24 U 169/13).

28

Eine eigene inhaltliche Bearbeitung liegt auch in den Abänderungen der Belehrung unter der Überschrift „Finanzierte Geschäfte". Dass es sich bei dem von den Klägern aufgenommenen Darlehen um kein verbundenes Geschäft handelte und es der Beklagten nach dem Gestaltungshinweis der Musterbelehrung in ihrer hier maßgeblichen ursprünglichen Fassung freistand, die Hinweise für finanzierte Geschäfte wegzulassen, ist ohne Belang (KG, Urteil 22. Dezember 2014, 24 U 169/13).

29

Die Kläger haben ihr Recht zum Widerruf entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verwirkt.

30

Grundsätzlich können die Grundsätze von Treu und Glauben und das Verbot widersprüchlicher Rechtsausübung (§ 242 BGB) auch auf verbraucherschützende Widerrufsrechte Anwendung finden (BGH, Urteil vom 10. Juni 2015, IV ZR 105/13). In einem Fall wie hier erscheint dies aber bedenklich, weil anderenfalls die gesetzgeberische Entscheidung, das Widerrufsrecht nicht nach einem bestimmten Zeitraum erlöschen zu lassen, wenn es an einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung fehlt, unterlaufen würde (OLG Hamm, Urteil vom 17. März 2015, 31 U 40/15). Jedenfalls liegen aber die Voraussetzungen für die Annahme einer Verwirkung nicht vor. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BGH, Urteil vom 07. Mai 2014, IV ZR 76/11 m.w.N). Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie den Klägern keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (BGH, Urteil vom 07. Mai 2014, IV ZR 76/11). Die Beklagte durfte sich auch nicht berechtigterweise darauf einrichten, dass der Darlehensvertrag nicht auch noch Jahre nach deren Abschluss widerrufen wird. Spätestens nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2009, VIII ZR 219/08 und vom 1. Dezember 2010, VIII ZR 82/10 hätte sie ohne weiteres erkennen können, dass die von ihr verwendete Widerrufsbelehrung fehlerhaft war und die Kläger in wirksamer Form nachbelehren können (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) (OLG Hamm, Urteil vom 25. März 2015, 31 U 155/14).

31

Aus demselben Grund liegt in dem Widerruf und dem Verlangen nach Rückabwicklung des Darlehensvertrages keine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB). Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Die Beklagte kann keine vorrangige Schutzwürdigkeit für sich beanspruchen, nachdem sie es versäumt hat, die Kläger ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht zu belehren (BGH, Urteil vom 07. Mai 2014, IV ZR 76/11).

32

Nach § 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1 BGB a.F. sind im Fall des Widerrufs die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Zu den Nutzungen gehören nach § 100 BGB auch die Gebrauchsvorteile einer Sache. Für die Berechnung des Wertersatzes ist die vertraglich bestimmte Gegenleistung zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war (§ 346 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.).

33

Deshalb können die Kläger nach Widerruf der Darlehensvertragserklärung von der Beklagten die aus ihrem Vermögen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zurückfordern sowie die Rückabtretung gewährter Sicherheiten verlangen (BGH, Urteil vom 24. April 2007, XI ZR 17/06; BGH, Urteil vom 10. März 2009, XI ZR 33/08).

34

Daneben haben die Kläger Anspruch auf marktübliche Verzinsung der von ihnen gezahlten, der Beklagten zur Nutzung zur Verfügung stehenden Raten. Die Höhe des Zinssatzes ist, wenn - wie hier - hinreichende Angaben zur Berechnung der durchschnittlichen Wiederanlagezinsen fehlen, gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen. Dabei sind das allgemeine Zinsniveau und seine Veränderungen in dem Zeitraum, in dem der Betrag zur Anlage zur Verfügung steht, zu berücksichtigen. Dies kann durch Anknüpfung an den Diskontsatz und einen Aufschlag von 2,5 v.H. geschehen. Bei Krediten mit Ausnahme von Realkrediten können Banken ihren Verzugsschaden auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 497 Abs. 1 BGB (früher § 11 Abs. 1 VerbrKrG) nach einem Zinssatz von 5 v.H. über dem jeweiligen Diskontsatz abstrakt berechnen (BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, XI ZR 79/97; BGH, Urteil vom 18. Februar 1992, XI ZR 134/91). Maßgeblich hierfür ist, dass die Banken bei diesen Krediten ihren Verzugsschaden nach einem Zinssatz von 5 v.H. über dem jeweiligen Diskontsatz abstrakt berechnen können. Was bei der Berechnung des Verzugsschadens zugunsten von Banken gilt, muss bei der Schätzung von Nutzungszinsen nach § 818 Abs. 1 BGB auch zu ihren Lasten gelten (BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, XI ZR 79/97). Mit Blick darauf, dass Banken bei Realkrediten gem. § 497 Abs. 1 BGB a.F. (jetzt: 503 Abs. 2 BGB) ihren Verzugsschaden mit 2,5 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz abstrakt berechnen dürfen, können die Nutzungen entsprechend diesen Grundsätzen hier ebenfalls auf 2,5 v.H. über dem jeweiligen Basiszinssatz geschätzt werden (ablehnend: LG Stuttgart, Urteil vom 9. April 2015, 12 O 293/14). Die Kläger sind dem substantiierten Vortrag der Beklagten, dass sie keine höheren Zinsen erwirtschaftet hat, nicht entgegen getreten.

35

Die Kläger sind zur Erstattung des ausgezahlten Nettokreditbetrages zuzüglich 5,2 v.H. Zinsen verpflichtet. Dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger lag haben die Kläger nicht dargetan. Nach der von ihnen vorgelegten Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank lag der Marktzins für Darlehen mit einer Zinsbindung von über zehn Jahren zur Zeit des Vertragsschlusses bei durchschnittlich 5,30 v.H. und zur Zeit der Auszahlung bei 5,12 v.H..

36

Nach der von der Beklagten erklärten Aufrechnung ergibt sich ein Zahlungsanspruch zum 15. Dezember 2014 zu ihren Gunsten in Höhe von 131.880,61 €, der sich wie folgt errechnet:

37

Forderung der Kläger

                 

Zahlungen bis zum Widerruf

        

47.478,83 €

Nutzungswertersatz bis zum Widerruf

        

2.886,70 €

Nutzungswertersatz ab Widerruf bis
zum 15. Dezember 2014

        

827,08 €

Summe:

        

51.192,61 €

Forderungen der Beklagten

                 

Darlehenskapital

        

140.000,00 €

Nutzungswertersatz bis zum Widerruf

        

47.607,00 €

Nutzungswertersatz ab Widerruf bis
zum 15. Dezember 2014

        

8.516,60 €

abzgl. Zahlungen nach Widerruf

        

13.050,38 €

Summe:

        

183.073,22 €

Saldo:

        

131.880,61 €

38

Dieser zutreffenden Berechnung sind die Kläger nicht entgegen getreten.

39

Zwischen den Parteien steht ferner außer Streit, dass die Kläger in den Monaten Januar bis Juni 2015 die monatliche Rate in Höhe von 932,17 € geleistet haben.

40

Die weiteren von den Klägern in ihre Berechnung eingestellten Positionen sind nicht zu berücksichtigen. Diese umfassen die Kosten der notariellen Beurkundung des Grundstückskaufvertrages, der Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung und der Eigentumsumschreibung. Warum die Beklagte diese tragen soll, ist nicht ersichtlich. Soweit die Kosten mit der Bestellung und Eintragung der Grundschuld im Zusammenhang stehen, fehlt es ebenfalls an einer Anspruchsgrundlage. Vertragskosten fallen nicht unter § 346 Abs. 1 BGB (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 346 Rn. 5). Eine Erstattungspflicht käme nur unter schadensersatzrechtlichen Gründen in Betracht. Eine Pflichtverletzung der Beklagten, an die eine Haftung anknüpfen könnte, ist nicht dargetan.

41

Der Feststellungsantrag ist zulässig, aber nicht begründet. Die Voraussetzungen für einen Annahmeverzug, § 293 BGB, liegen nicht vor. Gem. § 348 BGB sind die nach dem Widerruf geschuldeten Leistungen Zug-um Zug zu erfüllen. Die Beklagte wäre nur in Verzug geraten, wenn die Kläger die von ihnen geschuldete Gegenleistung ordnungsgemäß angeboten hätten. Das war hier aber nicht der Fall. Nach § 294 BGB muss die Gegenleistung so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden. Die angebotenen Leistung muss nach Art, Güte und Menge dem Inhalt des Schuldverhältnisses entsprechen (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage 2014, § 294 Rn. 4). Die Kläger haben jedoch lediglich eine Zahlung in Höhe von 72.176,84 € statt der geschuldeten 131.880,61 € angeboten.

42

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Diese wäre nur unter dem Gesichtspunkt des Verzuges in Betracht gekommen. Die Kläger haben aber offensichtlich erst durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten von ihrem Widerrufsrecht Kenntnis erlangt und vertreten durch ihn davon Gebrauch gemacht. Danach muss die vorgerichtliche anwaltliche Beratung und damit das Entstehen der anwaltlichen Gebühr vor Verzugseintritt erfolgt sein. Der Verzug hat mithin die Gebühr nicht ausgelöst; diese war bereits angefallen (OLG Dresden, Urteil vom 23. Oktober 2014, 8 U 450/14).

43

Auf die Hilfswiderklage sind die Kläger zur Zahlung von 131.880,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5,49 v.H. seit dem 16. Dezember 2014 abzüglich der jeweils am 30. Januar 2015, am 28. Februar 2015, am 30. März 2015, am 30. April 2015, am 30. Mai 2015 und am 30. Juni 2015 gezahlten 932,17 € zu verurteilen, Zug um Zug gegen Bewilligung der Löschung der im Grundbuch von G., Blatt ... unter lfd. Nr. 1 der Dritten Abteilung eingetragenen Grundschuld in Höhe von 140.000 € (§§ 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1, 348 BGB a.F.).

44

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 3, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO, 43 Abs. 1, 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Streitwert ergibt sich aus der Addition des mit der Hilfswiderklage geltend gemachten Betrages von 131.880,61 €, auf den gem. § 45 Abs. 1 GKG abzustellen ist und eines Zuschlages von 20 v.H. des Nennbetrages der Grundschuld (20 v.H. von 140.000 €), mithin 28.000 € wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertrages (OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. März 2010, 10 W 7/10 m.w.N.).

45

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.


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