Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - I Ws 39/11

Tenor

1. Der Wiedereinsetzungsantrag wird als unzulässig verworfen.

2. Ziffer 4 d) des Tenors der angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen, die zugleich eine Entscheidung nach § 68f Abs. 2 StGB zu treffen hat.

3. Die weiter gehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

4. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels und seine dadurch entstandenen notwendigen Auslagen selbst.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wurde mit seit dem 22.11.2007 rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Stralsund vom 21.11.2007 - 22 KLs 31/07 - wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, Nötigung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der am 22.11.2007 in der Klinik für Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikums R... begonnene Maßregelvollzug wurde mit Wirkung vom 08.10.2008 zur Zwischenvollstreckung einer Freiheitstrafe von 10 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Rostock 18.09.2006 - 25 Ds 334/06 - (Verstoß gegen das Waffengesetz) unterbrochen. Nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser Strafe erfolgte am 28.04.2009 die Rückverlegung des Verurteilten in den Maßregelvollzug. Mit seit dem 18.09.2009 rechtskräftigem Beschluss des Landgerichts Rostock vom 03.09.2009 - 11 StVK 549 und 550/09 - wurde die Unterbringung in der Entziehungsanstalt mangels hinreichend konkreter Aussicht auf Erfolg (§ 64 Satz 2 StGB) nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB für erledigt erklärt. Zugleich wurde die Vollstreckung der Reste der Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Rostock vom 18.09.2006 und des Landgerichts Stralsund vom 21.11.2007 nach Verbüßung von jeweils zwei Dritteln der erkannten Strafen nicht zur Bewährung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer wurde deshalb am 18.09.2009 zur weiteren Strafvollstreckung in die JVA Bützow verlegt. Nach Vollverbüßung beider Strafen ist er unter Anrechnung von Freistellungstagen am 03.02.2011 aus der Haft entlassen worden.

2

Mit Beschluss vom 08.12.2010 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock mit Blick auf die damals erst anstehende Haftentlassung deklaratorisch festgestellt, der Beschwerdeführer stehe unter Führungsaufsicht. Zugleich hat es deren Dauer auf drei Jahre festgesetzt, den Beschwerdeführer für diese Zeit der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt und dem Verurteilten verschiedene Weisungen erteilt, darunter die, den Konsum von Alkohol und Drogen zu unterlassen und seine Drogenabstinenz in den ersten sechs Monaten nach der Entlassung durch eine "mindestens einmal im Monat durchzuführende Urinkontrolle nachzuweisen". In der angefügten Rechtsmittelbelehrung wurde der Verurteilte darauf hingewiesen, gegen die Feststellung, dass Führungsaufsicht bestehe, sei die sofortige Beschwerde und gegen die Festlegung ihrer Dauer sowie gegen die Weisungen die (einfache) Beschwerde gegeben.

3

Gegen diesen ihm am 10.12.2010 förmlich zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner "einfachen und sofortigen" Beschwerde vom 26.01.2011, die am 31.01.2011 beim Landgericht eingegangen ist. Zugleich hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung der sofortigen Beschwerde gestellt und diesen damit begründet, er habe einen in anderer Sache für ihn tätigen Verteidiger unverzüglich nach Erhalt der Entscheidung mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragt, was der Rechtsanwalt jedoch mangels Erfolgsaussicht abgelehnt habe. Davon habe er - der Beschwerdeführer - erst nach Fristablauf erfahren.

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Die Strafvollstreckungskammer hat dem Rechtsmittel, soweit es sich um eine einfache Beschwerde handelt, mit Beschluss vom 01.02.2011 nicht abgeholfen.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Wiedereinsetzungsgesuch und das Rechtsmittel, soweit es sich um eine sofortige Beschwerde handelt, jeweils als unzulässig und, soweit es sich um eine (einfache) Beschwerde handelt, als unbegründet zu verwerfen.

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Während sich das Wiedereinsetzungsgesuch als unzulässig erweist, hat die Beschwerde den aus dem Entscheidungstenor ersichtlichen - zumindest vorläufigen - Teilerfolg.

II.

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1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist schon deshalb unzulässig, weil die zu seiner Begründung angeführten Tatsachen entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht glaubhaft gemacht wurden. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer keine Frist verpasst hat, gegen deren Versäumung ihm Wiedereinsetzung gewährt werden könnte.

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a) Der unter Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses vom Landgericht getroffenen Feststellung, der Verurteilte stehe unter Führungsaufsicht, kommt keine konstitutive, sondern lediglich deklaratorische Bedeutung zu. Es wird damit keine eigenständige richterliche Anordnung getroffen, sondern lediglich der bereits mit Rechtskraft des Beschlusses vom 03.09.2009 über die Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kraft Gesetzes nach § 67d Abs. 1 Satz 2 StGB eingetretene Zustand konstatiert.

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Eine Auslegung dahin, die Strafvollstreckungskammer habe damit (konkludent) eine ablehnende und deshalb vom Verurteilten mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Entscheidung nach § 68f Abs. 2 StGB getroffen, wovon die Generalstaatsanwaltschaft unter Ziffer III der Begründung ihrer Antragsschrift ausgeht, erscheint dem Senat nicht möglich. Zwar mag die Kammer Derartiges erwogen haben. Eine Entscheidung nach § 68f Abs. 2 StGB hat sie ausweislich der Tenorierung gleichwohl weder getroffen, noch - wie die Gründe des Beschlusses aufzeigen - auch nur treffen wollen, denn dort wird wörtlich ausgeführt: "Ob auch nach § 68f StGB Führungsaufsicht in dieser Sache eintreten würde, kann wegen derselben Rechtsfolgen dahinstehen." Danach ging es der Strafvollstreckungskammer zum damaligen Zeitpunkt ersichtlich nur darum, die Kautelen der bereits bestehenden und lediglich ruhenden Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 5 Satz 2 StGB ab dem Zeitpunkt ihres vermeintlichen Wirksamwerdens mit der Haftentlassung des Verurteilten festzulegen. Insoweit war eine Entscheidung nach § 68f Abs. 2 StGB tatsächlich auch nicht veranlasst, weil diese Ausnahmeregelung nur für Fälle nach Absatz 1 der Vorschrift gilt, nicht aber für andere Varianten der gesetzlichen Führungsaufsicht.

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b) Für ein befristetes Rechtsmittel gegen die bloße Feststellung, es bestehe Führungsaufsicht, besteht kein Bedarf. Gründe der Rechtssicherheit und -klarheit erfordern, anders als bei der Entscheidung nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB, die diese Maßregel unmittelbar herbeigeführt hat und die deshalb auch nach § 463 Abs. 6, § 462 Abs. 3 StPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden konnte, keine zügige Klärung, ob diese Behauptung (noch) richtig oder falsch ist. Insoweit ist allein die einfache Beschwerde gegeben (vgl. auch § 311 Abs. 1 StPO e contrario).

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c) Das danach auch hinsichtlich der Ziffer 1 des abgefochtenen Beschlusses gemäß § 300 StPO als (einfache) Beschwerde auszulegende Rechtsmittel ist an keine Frist gebunden, weshalb eine solche vom Verurteilten auch nicht versäumt wurde. Der Wiedereinsetzungsantrag geht damit ins Leere, was nach dem oben Gesagten seine Unzulässigkeit zur Folge hat (vgl. BGHSt 17, 94, 96; BayObLG NJW 1972, 1097).

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2. Soweit sich die statthafte und zulässige Beschwerde gegen die Feststellung richtet, der Verurteilte stehe unter Führungsaufsicht, ist sie unbegründet.

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Wie bereits ausgeführt stand der Verurteilte bereits ab Rechtskraft des Beschlusses des Landgerichts Rostock vom 03.09.2009, mit dem seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt erklärt wurde, mithin seit dem 18.09.2009, kraft Gesetzes unter befristeter (§ 68c Abs. 1 StGB) Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 5 Satz 2 StGB). Diese hat wegen der nachfolgenden Vollstreckung von Freiheitsstrafe bis zum Zeitpunkt seiner Entlassung am 03.02.2011 lediglich geruht (§ 68e Abs. 1 Satz 2 StGB). Zeitgleich mit der Entlassung aus der Strafhaft ist - wiederum kraft Gesetzes - eine neue Führungsaufsicht, diesmal nach § 68f Abs. 1 StGB, eingetreten, weil der Verurteilte unter Anrechnung von Untersuchungshaft und der Dauer des Maßregelvollzugs die Gesamtfreiheitstrafe von zwei Jahren und neun Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Stralsund vom 21.11.2007, die ausschließlich wegen vorsätzlicher Straftaten verhängt worden ist, vollständig verbüßt hat. Dass der Beschwerdeführer wegen anrechenbarer Freistellungszeiten (§ 43 StVollzG) wenige Tage vor dem rechnerischen Vollzugsende vorzeitig entlassen wurde, ändert daran nichts (MK-Groß StGB § 68f Rdz. 8; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 68 f. Rdz. 5; KG NStZ 2004, 228).

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Mit Eintritt der neuen Führungsaufsicht nach § 68f Abs. 1 StGB hat die zu diesem Zeitpunkt nach § 67d Abs. 5 Satz 2 StGB bestehende und nur ruhende Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB geendet (Stree/Kinzig a.a.O. § 68e Rdz. 1c; Fischer StGB 58. Aufl. § 68e Rdz. 7; vgl. zur Anwendung dieser Vorschrift auf alle Fälle sukzessiv oder sogar zeitgleich eintretender Führungsaufsichten auch BT-Drucks. 16/1993, S. 22; OLG Hamm NStZ-RR 2011, 64; OLG Nürnberg NStZ-RR 2008, 262). Dass es so kommen würde, hat das Landgericht möglicherweise übersehen, als es in den Gründen der angefochtenen Entscheidung dahinstehen ließ, "ob auch nach § 68f StGB Führungsaufsicht in dieser Sache eintreten würde".

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Die angegriffene Feststellung, der Beschwerdeführer stehe unter Führungsaufsicht, war danach schon zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung richtig und ist es auch jetzt noch. Seine Beschwerde ist insoweit unbegründet.

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3. Die mit drei Jahren festgelegte Dauer der Führungsaufsicht, die mit der Haftentlassung zu laufen begonnen hat (§ 68f Abs. 1 Satz 1 StGB), hält sich im gesetzlich vorgegebenen Rahmen (§ 68c Abs. 1 Satz 1 StGB) und ist von daher nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Unterstellung des Verurteilten unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers (§ 68a Abs. 1 StGB).

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4. Auch die dem Beschwerdeführer unter Ziffer 4 Buchstaben a - c erteilten Weisungen haben Bestand. Gemäß § 463 Abs. 2 Satz 2 StPO kann eine Beschwerde gegen eine Weisung nur darauf gestützt werden, dass diese gesetzwidrig ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie im Gesetz keine Stütze findet, das eingeräumte Ermessen vom Gericht überschritten oder missbraucht oder die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden wären. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die erteilten Weisungen entsprechen den gesetzlichen Bestimmungen in § 68b Abs. 1 Satz 1 Ziffern 7 bis 10 StGB. Sie sind erforderlich und geeignet, um die Führungsaufsicht effektiv wahrnehmen zu können, die Resozialisierung und Reintegration des Beschwerdeführers zu unterstützen und ihn von einem Rückfall in die Sucht abzuhalten. Sie stellen an die Lebensführung des Probanden auch keine unzumutbaren Anforderungen (§ 68b Abs. 3 StGB).

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5. Dagegen bedarf die Weisung, der Beschwerdeführer habe seine Drogenabstinenz über einen Zeitraum von sechs Monaten durch mindestens eine monatliche Urinprobe nachzuweisen ("Screening"), mit Blick auf § 68b Abs. 1 Satz 2 StGB einer Präzisierung und Ergänzung. Nach dieser Bestimmung ist das von dem Verurteilten verlangte Verhalten im Rahmen der Weisungen der Führungsaufsicht wegen der in § 145a StGB enthaltenen Strafdrohung vom Gericht genau zu bestimmen. Dazu gehört neben einer näheren Konkretisierung hinsichtlich der Anzahl der Screenings auch die genaue Bezeichnung der durchführenden Stelle und die Festlegung der Kostentragung. Nichts davon kann dem Bewährungshelfer oder der Führungsaufsichtsstelle überlassen werden.

19

Die Sache war insoweit an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen, die zu prüfen haben wird, ob sie die angegriffene Weisung entsprechend konkretisieren will. Dem Senat als Beschwerdegericht ist es in Abweichung vom Grundsatz des § 309 Abs. 2 StGB wegen des unter Ziffer 4 erwähnten eingeschränkten Prüfungsmaßstabs verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des nach § 462a Abs. 1, § 463 Abs. 7 StPO zur Entscheidung berufenen Gerichts zu setzen (vgl. KK-Fischer, StPO, 6. Aufl., § 453 Rn 12 m.w.N.; OLG München NStZ 2011, 94).

III.

20

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass zunächst die bislang unterbliebene, jedoch für alles Weitere vorgreifliche Entscheidung darüber nachzuholen ist, ob es bei der nach § 68f Abs. 1 StGB eingetretenen Führungsaufsicht verbleibt, oder ob diese nach Absatz 2 der Vorschrift entfallen kann. Hierfür wird es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nach § 463 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 454 Abs. 4 Satz 1, § 453 Abs. 1 Satz 2 StPO bedürfen (vgl. auch § 463 Abs. 3 Satz 2 StPO e contrario). Davon könnte nur dann erneut abgesehen werden, wenn dieser abermals erklären sollte, er verzichte darauf. Seine diesbezügliche Erklärung vom 25.11.2010 bezog sich erkennbar nur auf den für den 03.12.2010 anberaumten Termin und war seinerzeit wohl auch mit seiner damaligen Haftsituation zu erklären. Gerade seine Beschwerde zeigt indes, dass bei ihm nunmehr ein Sinneswandel eingetreten sein könnte, zumal er sich zwischenzeitlich in Freiheit befindet.

21

Sodann erfordert die Entscheidung nach § 68f Abs. 2 StGB die bislang ebenfalls unterbliebene Prüfung durch das Gericht, ob es weiterhin der Führungsaufsicht bedarf, oder ob diese wegen einer inzwischen positiven Legalprognose entfallen kann.

IV.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StGB. Der nur geringe Erfolg des Rechtsmittels (vgl. oben II.5) lässt es nicht unbillig erscheinen, den Verurteilten mit den gesamten Kosten und seinen eigenen notwendigen Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

V.

23

Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).

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