Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - I Ws 345/11

Tenor

I. Der angefochtene Beschluss wird im Hinblick auf die angeordneten Weisungen aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

1

Mit Urteil des Landgerichts Stralsund vom 25.10.2000 wurde der Beschwerdeführer wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall im Versuch, sowie vierfachen Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Daneben wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

2

Mit Beschluss vom 23.10.2006, rechtskräftig seit dem 13.11.2006, war die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt worden. Daneben wurde auch die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und nach § 68g Abs. 2 Satz 1 StGB das Ruhen der nach § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB mit Entlassung aus dem Strafvollzug eingetretenen Führungsaufsicht angeordnet. Die Bewährungszeit wurde auf 5 Jahre festgesetzt. Unter Ziffer 6. wurden folgende Weisungen erteilt:

3

Der Verurteilte wird angewiesen,

4

a)

in der Pflege- und Heimeinrichtung der H. GmbH in xxx S., K.weg xx zu wohnen und diesen Wohnsitz nicht ohne Erlaubnis des Gerichts aufzugeben;

5

b)

die Pflege- und Heimeinrichtung der H. GmbH in xxx S. nicht ohne Erlaubnis der Heimleitung oder des Gerichts zu verlassen.

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Mit Beschluss vom 06.09.2011 wurde die Anordnung des Ruhens der Führungsaufsicht widerrufen und die Führungsaufsicht auf unbefristete Zeit verlängert. Ferner wurde angeordnet, dass die Weisungen aus dem Beschluss vom 23.10.2006 bestehen bleiben, insbesondere die Weisung, dass der Verurteilte in der H.-Heimeinrichtung zu wohnen hat und diesen Wohnsitz nicht ohne Erlaubnis des Gerichts aufgeben darf.

7

Mit Datum vom 26.09.2011 legte der Untergebrachte über seinen Verteidiger Beschwerde ein und stellte den Beschluss vom 06.09.2011 vollumfänglich zur Überprüfung. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Verurteilte nicht mit der Weisung einverstanden sei, dass er weiter in der HESTIA zu wohnen habe. Nach Auffassung des Verurteilten würden auch die Ausführungen des Sachverständigen eine andere Unterbringungsform, namentlich in einer betreuten Wohngruppe außerhalb einer geschlossenen Einrichtung erlauben.

II.

8

Die nach §§ 463 Abs. 2, 454 Abs. 2 StPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat teilweise zumindest vorläufigen Erfolg, da die erteilten Weisungen fehlerhaft gefasst wurden, so dass die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen war.

1.

9

Mit dem zwischenzeitlichen Ablauf der Bewährungszeit endete das Ruhen der Führungsaufsicht, so dass die Beschwerde im Hinblick auf den Widerruf der Anordnung des Ruhens der Führungsaufsicht wegen prozessualer Überholung erledigt ist.

2.

10

Die nachträgliche unbefristete Verlängerung der Führungsaufsicht hat aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung bestehen zu bleiben, da die Voraussetzungen des § 68c Abs. 3 Nr. 1 StGB weiterhin vorliegen.

11

Wie der Sachverständige Dipl.-Psych. D. nachvollziehbar in seinem Gutachten vom 27.07.2011 dargestellt hat, besteht bei dem Verurteilten weiterhin der Zustand der Intelligenzminderung verbunden mit Verhaltens- und Anpassungsstörungen, welcher bereits bei der Anlassverurteilung zur Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit führte. Die Einschätzung des Sachverständigen, dass es sich hier um irreversible Störungen handelt, ist plausibel. In sämtlichen Vorgutachten wurde der Zustand des Verurteilten ähnlich beschrieben.

12

Auch die Prognose, dass der Beschwerdeführer erneut Straftaten begehen werde, wenn auf ihn nicht mit Maßnahmen der Führungsaufsicht eingewirkt wird, ist plausibel. Der Verurteilte verfiel seit früher Jugend immer wieder in die gleichen Verhaltensmuster zurück und beging Vermögensdelikte, sobald er nicht unter Beaufsichtigung in klar strukturierten Unterbringungsformen lebte. Aufgrund seiner eingeschränkten geistigen Fähigkeiten war der Verurteilte nicht in der Lage, von sich aus dauerhaft dem Drang zu widerstehen, zur kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung Vermögensdelikte zu begehen. Da sich an dem psychischen Störungsbild des Verurteilten nichts grundlegend geändert hat und der Zusammenhang zwischen dem Störungsbild und der Begehung der Anlasstaten evident ist, ist die Annahme begründet, dass er unter weniger schützenden und stützenden Bedingungen alsbald wieder im Zustand eingeschränkter Schuldfähigkeit neue Straftaten begehen wird.

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Die zu erwartenden Straftaten sind auch erheblich. Die Anlasstaten des Wohnungseinbruchdiebstahls sind der mittleren Kriminalität zuzuordnen und grundsätzlich als Anlasstaten einer Unterbringungsanordnung geeignet (vgl. BGH, Beschl. v. 07.12.1999 - 5 StR 533/99, NStZ-RR 2000, 138). Auch die konkret zu erwartenden Begehungsweisen qualifizieren die Straftaten als erheblich und begründen zudem die Annahme, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit im Sinn des § 68c Abs. 3 Nr. 1 StGB zu erwarten ist. Der Verurteilte beging die Anlasstaten spontan zur Befriedigung aktueller Bedürfnisse. Er brach zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten in Wohnungen ein. Es war jeweils dem Zufall überlassen, ob sich in den Wohnungen Menschen aufhielten. Seine Taten waren daher geeignet, das Sicherheitsgefühl der jeweiligen Bewohner erheblich zu beeinträchtigen. Relativierend ist hier aber festzustellen, dass der Verurteilte immer dann, wenn er tatsächlich auf frischer Tat ertappt wurde, vom Tatort flüchtete, ohne dass es zu aggressiven Handlungen kam (vgl. Fall 7 der Anlassverurteilung sowie Fälle 3. und 4. des Urteils des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 21.03.2000).

14

Die unbefristete Verlängerung der Führungsaufsicht ist auch verhältnismäßig. Durch eine angemessene Ausgestaltung der Weisungen kann jederzeit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden. Eine regelmäßige Überprüfung der Fortdauer der Führungsaufsicht wird durch die Regelung des § 68e Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StGB sicher gestellt.

3.

15

Im Hinblick auf die angeordneten Weisungen kann das Rechtsmittel nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO nur darauf gestützt werden, dass eine Anordnung der Strafvollstreckungskammer gesetzeswidrig ist. Eine Gesetzeswidrigkeit der hier zu beurteilenden Weisungen liegt vor, wenn die Anordnungen im Gesetz nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreiten (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 13.07.2009 - 2 Ws 291/09, NJW 2009, 3315; OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.01.2011 - 1 Ws 713/10; OLG Hamm, Beschl. v. 11.03.2010 - 2 Ws 39/10, BeckRS 2010, 06146, jew. m. w. Nachw.).

16

Nach § 68b Abs. 2 StGB hat das Gericht in seinen Weisungen das verbotene oder verlangte Verhalten genau zu bestimmen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die strafbewehrten Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB. Der Verurteilte muss selbst zweifelsfrei erkennen können, was von ihm erwartet wird, wann er gegen eine Weisung nach Nr. 1 der Vorschrift verstößt und sich strafbar macht (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 27.10.2009 - 2 Ws 509/09, BeckRS 2009, 88154; OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.01.2009 - 1 Ws 758/08, BeckRS 2009, 01744; OLG Jena, Beschl. v. 14.12.2009 - 1 Ws 416/09, NStZ-RR 2010, 189). Ferner dürfen nach § 68b Abs. 3 StGB an die Lebensführung einer verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Diesen Anforderungen genügen die getroffenen Anordnungen nicht in allen Punkten.

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a) Die Bezugnahme auf Weisungen des Beschluss vom 23.10.2006, ohne diese vollumfänglich unter Berücksichtigung des Rechts der Führungsaufsicht neu zu fassen, lässt die nötige Klarheit vermissen. Der Verurteilte kann so nicht aus einem Beschluss klar die aktuell gültigen Weisungen entnehmen. Durch die ausdrückliche Wiederholung der Ziffer 6. a) des Beschlusses vom 23.10.2006, nicht aber der Weisung der Ziffer 6. b) wird zudem die Aufmerksamkeit von der ungleich stärker belastenden Weisung abgelenkt.

18

Beide Weisungen lassen zudem nicht hinreichend deutlich erkennen, ob es sich hier um strafbewehrte Weisungen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 StGB handeln soll. So wurde weder im Tenor noch in den Gründen die Rechtsgrundlage der Weisungen genannt. Die Fassung der Weisungen orientiert sich auch sprachlich nicht eindeutig an einer der Weisungen im Sinn des § 68b Abs. 1 Satz 1 StGB.

19

b) Nur aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass wohl eine Art Fortsetzung der Unterbringung mit den Mitteln der Führungsaufsicht bezweckt war, was bereits per se rechtlich zweifelhaft wäre. Da keine Therapieweisungen im Sinn des § 68b Abs. 2 angeordnet wurden, sondern allein der räumliche Aufenthaltsbereich geregelt wurde, sollten offenbar Weisungen auf der Grundlage des § 68b Abs. 1 Nr. 1 StGB erteilt werden.

20

Die Weisung, in der H. Wohnsitz zu nehmen, kann jedoch nicht auf § 68b Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt werden. Die Weisung, Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten (örtlichen) Bereich nicht zu verlassen, bezweckt, der Aufsichtsstelle die planmäßige Überwachung des Verurteilten zu erleichtern. Die verurteilte Person soll sich dieser Aufsicht nicht dadurch entziehen, dass sie den Bereich, in dem die Aufsicht wirksam ausgeübt werden kann, verlässt (LK-Schneider, 12. Aufl. StGB § 68b Rn. 20; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, 28. Aufl. StGB § 68b Rn 4). Allerdings gibt § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB dem Gericht nur die Möglichkeit zu einer Mobilitätsbeschränkung, gestattet jedoch nicht, einem Verurteilten einen bestimmten Wohnsitz zuzuweisen (LK-Schneider a.a.O.; Nomos-Kommentar/Ostendorf, StGB, 3. Aufl., § 68 b Rn. 9; OLG München, Beschl. v. 11.02.2011 - 1 Ws 118/11, BeckRS 2011, 04247).

21

Unter Wohn- oder Aufenthaltsort ist die Gemeinde als unterste Gebietskörperschaft zu verstehen. Als Bereich kommt sowohl ein darüber hinausgehendes größeres Gebiet (z.B. Landkreis) als auch ein Teilgebiet (Teil einer größeren Stadt) in Betracht, nicht jedoch ein einzelnes Gebäude oder gar Gebäudeteil, so dass mit dieser Weisung kein Hausarrest verhängt werden kann.

22

Auf der Grundlage von § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB kann daher dem Verurteilten nicht der Aufenthalt in einer Klinik oder anderen Einrichtung als eine Art der Fortsetzung der Unterbringung aufgegeben werden (vgl. LK-Schneider a.a.O.; Nomos-Kommentar/Ostendorf a.a.O.; MünchKomm-Groß (2005) StGB § 68b Rn. 10; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, 28. Aufl. StGB § 68b Rn 5; a.A. Fischer, 58. Aufl. StGB § 68b Rn. 3a unter Verweis auf OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.12.1989, 1 Ws 1096/89, MDR 1990, 743).

23

Nachdem der Verurteilte vorliegend auch weiterhin in Stralsund leben möchte, könnte ihm jedoch aufgegeben werden, das Stadtgebiet oder einen Teil davon nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen, soweit dies notwendig ist, um eine engmaschige Überwachung durch diese zu ermöglichen, um so spezialpräventiv auf den Verurteilten einwirken zu können. Nicht zulässig ist aber die Weisung, in der H.-Heimeinrichtung zu wohnen und diese nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen. Die Weisung, in der H.-Heimeinrichtung Aufenthalt zu nehmen, könnte allenfalls nach § 68b Abs. 2 i. V. m. § 56 Abs. 3 Nr. 2 StGB erfolgen, wäre dann aber von einer strafbewehrten Weisung im Sinn des § 68b Abs. 1 Satz 1 StGB klar zu trennen.

24

Soweit von einer Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB Gebrauch gemacht wird, ist zudem konkret zu regeln, ab welcher Dauer der Abwesenheit von dem räumlich bezeichneten Bereich eine Erlaubnispflicht besteht.

25

Die Weisung nach Nr. 1 regelt das bloß vorübergehende Verlassen des Wohn- oder Aufenthaltsortes oder eines bestimmten Bereichs. Nach ihrem Wortlaut bedeutet die Weisung demnach, dass jegliches - auch ein kurzzeitiges - Sich-Entfernen der vorherigen Erlaubnis der Aufsichtsstelle bedarf. In dieser wortlautgetreuen Auslegung würde die Erteilung der Weisung jedoch in den meisten Fällen unverhältnismäßig sein. Außerdem soll mit der Weisung ja nur verhindert werden, dass sich der Verurteilte der planmäßigen Überwachung der Aufsichtsstelle entzieht, was bei kurzfristigen Entfernungen regelmäßig nicht der Fall sein wird. Aus diesem Grund wird der Begriff „Verlassen” i.S.d. § 68b I 1 Nr. 1 StGB überwiegend einschränkend dahin interpretiert, dass ein kurzfristiges, z.B. eintägiges Entfernen nicht erfasst ist (OLG Jena, Beschl. v. 14.12.2009 - 1 Ws 416/09, NStZ-RR 2010, 189, 190 m.w.Nachw.). Wie oben bereits ausgeführt wurde, sind jedoch Weisungen nach Nr. 1 möglichst bestimmt zu fassen, so dass das die Weisung erteilende Gericht in seinem Beschluss konkret festzulegen hat, ab welcher Dauer (3 Tage, 5 Tage, 1 Woche etc.) die Erlaubnis einzuholen ist Sollte sich die im Beschluss bestimmte Dauer später als zu kurz oder zu lang erweisen, ist eine Abänderung jederzeit möglich (vgl. OLG Jena a.a.O.).

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d) Da es sich bei der Frage, ob eine Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ausgesprochen und wie diese im Einzelnen ausgestaltet werden soll, um Ermessensfragen handelt und das Beschwerdegericht sein Ermessen nicht an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer setzten darf, war die Sache zur erneuten Entscheidung an diese zurückzuverweisen. Soweit die Strafvollstreckungskammer Therapieweisungen im Sinn des § 68b Abs. 2 StGB für sinnvoll erachtet, sind diese deutlich von strafbewehrten Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB abzugrenzen. Der Verurteilte ist auf die Strafbarkeit von Verstößen gegen Weisungen i.S.d. § 68b Abs. 1 StGB unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten geistigen Fähigkeiten zu belehren.

III.

27

Wegen des nur vorläufigen Erfolgs des Rechtsmittels war eine Kostenentscheidung nicht veranlasst.

28

Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).

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