Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - I Ws 219/12

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit mit ihm auch der Rest der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal vom 05.05.2003 - 502 Ks - 301 Js 13602/01 - 3/01 - nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln der Strafe nicht (erneut) zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

2. Die weiter gehende sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

3. Die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der dem Beschwerdeführer dadurch entstandenen notwendigen Auslagen tragen dieser zu 7/10 und die Staatskasse zu 3/10 (§ 473 Abs. 4 StPO).

Gründe

I.

1

Das Landgericht Stendal verurteilte den Beschwerdeführer am 05.05.2003 - 502 Ks - 301 Js 13602/01 - 3/01 - wegen versuchten Diebstahls u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Nachdem er am 13.04.2005 nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln dieser Strafe auf Bewährung entlassen worden war, widerrief die 3. Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock mit Beschluss vom 16.06.2008 - 13 StVK 526/04 - die Strafaussetzung im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht Koblenz vom 13.03.2008 - 2090 Js 41.164/07 jug. - 2 KLs. Der Widerrufsbeschluss ist seit dem 01.07.2008 rechtskräftig.

2

Mit Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 22.11.2011 - 21 KLs 2/11 - wurde der Beschwerdeführer unter Auflösung der Gesamtstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Koblenz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt, wovon 12 Monate als vollstreckt gelten. Unter Zugrundelegung des Vollstreckungsbeginns am 21.03.2008 und unter Anrechnung der zuvor bereits teilweise aus dem Urteil des Landgerichts Koblenz verbüßten Strafe waren zwei Drittel dieser Gesamtfreiheitsstrafe am 11.07.2011 vollstreckt. Der Beschwerdeführer verbüßt gleichwohl weiterhin diese Strafe, weil eine Unterbrechung zur Vollstreckung der Reststrafe aus der Verurteilung durch das Landgericht Stendal durch die zuständige Vollstreckungsbehörde gemäß § 454b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO bis heute nicht erfolgt ist.

3

Mit dem angefochten Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock die Aussetzung der Vollstreckung der Reste beider Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung abgelehnt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt. Dadurch dass das Landgericht rechtsfehlerhaft auch über die Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal (ablehnend) entschieden habe, sei der Verurteilte nicht beschwert, weil diese Reststrafe mit Ablauf des 15.07.2012 als verbüßt angesehen werden müsse.

II.

4

Das gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und zulässig angebrachte Rechtsmittel hat nur im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es aus den insoweit zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und den ebenfalls zutreffenden Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft in deren dem Beschwerdeführer über seinen Verteidiger mitgeteilten Zuschrift vom 11.07.2012 unbegründet.

5

Soweit die Strafvollstreckungskammer auch die (erneute) Aussetzung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal vom 05.05.2003 - 502 Ks - 301 Js 13602/01  -3/01- abgelehnt hat, war der angefochtene Beschluss aufzuheben, weil die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für eine solche Entscheidung seinerzeit nicht vorgelegen haben und derzeit ungewiss ist, ob sie noch eintreten können.

6

Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem 21.03.2008 und formal auch jetzt noch die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 22.11.2011. Deren Vollstreckung ist nach Erreichen des Zweidrittel-Zeitpunkts am 11.07.2011 entgegen § 454b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO nicht zur Vollstreckung des Restes von 368 Tagen aus der Gesamtfreiheitsstrafe des Urteils des Landgerichts Stendal vom 05.05.2003 in Verbindung mit dem seit dem 01.07.2008 rechtskräftigen Widerrufsbeschluss des Landgerichts Rostock vom 16.06.2008 unterbrochen worden. Solange mit der Vollstreckung dieses Strafrestes nicht begonnen wurde und der Verurteilte auch keinen Antrag gestellt hat, die Vollstreckung dieser Reststrafe erneut zur Bewährung auszusetzen, ist für eine diesbezügliche Entscheidung kein Raum.

7

Über die Frage der erneuten Aussetzung einer nach Widerruf der Bewährung zu verbüßenden Reststrafe ist - anders als in den originären Fällen einer Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB - nicht von Amts wegen, sondern nur auf ausdrücklichen Antrag des Verurteilten zu entscheiden, der damit Verfahrensvoraussetzung ist. An einem solchen fehlte es hier zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts und auch jetzt noch. Die bloße Einwilligung des Beschwerdeführers in eine Reststrafaussetzung reicht dafür nicht aus.

8

Auch wenn die zuständige Vollstreckungsbehörde nun die Unterbrechung der Vollzugs der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder und den Vollzug der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal anordnen sollte, könnte dies entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls nicht nach § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO in unmittelbarer Anwendung mit rückwirkender Kraft geschehen, denn die Reststrafe aus dem letztgenannten Urteil war bereits mit Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses vom 16.06.2008 am 01.07.2008 vollstreckbar (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 StVollstrO), mithin lange vor Erreichung des Zweidrittel-Zeitpunkts in der Vollstreckungssache aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder.

9

Ob und wie das Versäumnis der Strafvollstreckungsbehörde, rechtzeitig die Unterbrechungsanordnung zu treffen, kompensiert werden kann, hat der Senat nicht zu entscheiden (vgl. dazu LR-Graalmann-Scherer, StPO, 26. Aufl., § 454b Rdz. 25 ff.; KK-Appl, StPO, 6. Aufl., § 454b Rdz. 5 ff.). Er kann deshalb - anders als die Generalstaatsanwaltschaft dies tut - derzeit auch nicht unterstellen, geschweige denn feststellen, dass die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal im Wege fiktiver rückwirkender Anrechnung bereits am 15.07.2012 als vollständig verbüßt angesehen werden kann (so in anderer Konstellation aber wohl KG Berlin, Beschl. vom 11.11.2010 - 2 Ws 504/10 - Rdz. 17 der online-Fassung in juris u.a. unter Verweis auf BVerfG NStZ 1988, 474). Eine solche gerichtliche "Strafzeitberechnung bzw. -anrechnung" wäre nur im Verfahren nach § 458 StPO möglich. Um ein solches handelt es sich vorliegend nicht.

10

Ausgehend von der aktuellen formellen Vollstreckungssituation ist noch die gesamte Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal "offen". Sollte es in analoger Anwendung von § 454b Abs. 2 Satz 3 StPO noch zu einer rückwirkenden Unterbrechung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder zum Zweidrittelzeitpunkt (11.07.2011) mit der Folge kommen, dass die seither vollzogene Strafe auf die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stendal anzurechnen wäre, war diese zum Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer (07.06.2012) noch nicht voll verbüßt, dann aber schon deshalb nicht erneut aussetzungsfähig, weil es an dem dafür erforderlichen Antrag des Verurteilten fehlte (vgl. oben). Jetzt wäre die Strafe hingegen voll verbüßt, weshalb auch vom Beschwerdegericht keine Entscheidung über eine erneute Aussetzung eines Strafrestes mehr möglich wäre.

11

Nachdem derzeit nicht absehbar ist, ob und mit welchem Ergebnis es zu einer "Verrechnung" beider Freiheitstrafen kommt und ob danach noch ein aussetzungsfähiger Strafrest aus der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht Stendal verbleibt, ist der Beschwerdeführer durch die ohne Antrag getroffene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, dies zu versagen, nicht ausschließbar beschwert.

III.

12

Die differenzierte Kostenentscheidung trägt dem teilweisen Erfolg des Rechtsmittels Rechnung. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass das Obsiegen des Beschwerdeführers eher formaler Natur ist.

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