Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Senat für Familiensachen) - 10 UF 166/16

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Rostock - Familiengericht - vom 28.07.2016 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Antrag der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

IV. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Verfahrens ist eine Ehescheidung aus Härtegründen vor Ablauf des Trennungsjahres.

2

Der Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin russische Staatsangehörige; sie haben am .08.2013 geheiratet, wobei die Antragsgegnerin ein am ...2007 geborenes Kind mit in die Ehe brachte. Der Antragsteller war im September 2012 mit der damals noch in der Ukraine lebenden Antragsgegnerin über ein Datingportal im Internet in Kontakt gekommen, über das sie zuvor bereits eine zweijährige Beziehung mit einem anderen deutschen Staatsangehörigen geführt hatte. Im Februar 2013 besuchte der Antragsteller die Antragsgegnerin für zehn Tage in ihrem Heimatland; in diesem Zusammenhang kam es zu einem Heiratsantrag des Antragstellers, den die Antragsgegnerin unmittelbar annahm. Sie leidet an Kniebeschwerden, welche sie nach der Eheschließung der Beteiligten in Deutschland behandeln ließ. In der Ukraine lebte die Antragsgegnerin mit ihrem Kind in der Wohnung ihrer Eltern und war im Bürobereich berufstätig; ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis hatte die Antragsgegnerin nach der Absolvierung eines Sprachkurses in Deutschland nicht inne. Im Jahr 2014 ließ sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Der Antragsteller teilte der Antragsgegnerin im Oktober 2015 eine bei ihm bestehende Scheidungsabsicht mit; letztere suchte zu dieser Zeit ihrerseits über eine Chatplattform Kontakt zu anderen Männern und wollte an der Ehe ebenfalls nicht festhalten. Am 09.01.2016 kam es zunächst zu einer polizeilichen Verweisung des Antragstellers aus der Ehewohnung sowie einem anschließenden, von der Antragsgegnerin eingeleiteten Gewaltschutzverfahren; dieses endete mit einer vergleichsweisen Wohnungsüberlassung an sie bis zum 31.03.2016. Die Beteiligten erstatteten weiterhin wechselseitige Strafanzeigen wegen Tätlichkeiten des jeweils anderen, die in einem Falle den Erlass eines Strafbefehles gegen den Antragsteller nach sich zogen; sämtliche Strafverfahren sind zwischenzeitlich nach §§ 153 oder 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

3

Der Antragsteller hat beantragt, die Ehe der Beteiligten zu scheiden. Er hat behauptet, die Antragsgegnerin habe die Ehe mit ihm nur im Hinblick auf die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland geschlossen. Dies lasse sich daraus ableiten, dass sie nach der Heirat eine Übernahme von Haushaltstätigkeiten wie etwa Einkäufen ebenso abgelehnt habe wie die dauerhafte Aufnahme einer Berufstätigkeit; sie habe die Finanzierung von Markenkleidung von ihm verlangt und ihn anderenfalls mit Fäusten attackiert, Gegenstände nach ihm geworfen oder auf dem Balkon ausgesperrt. Auch ein gemeinsames Kind habe die Antragsgegnerin nicht gewollt. Ihre Wohn- und Arbeitsverhältnisse in der Ukraine seien hinter dem hiesigen Standard deutlich zurückgeblieben, und sie habe in Deutschland ihre Knieerkrankung behandeln lassen können. Weiterhin habe die Antragsgegnerin ihren Gewaltschutzantrag auf Vorwürfe erheblicher Straftatbestände bis in den Bereich solcher gegen die sexuelle Selbstbestimmung gestützt, die nicht zuträfen und welche sie im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr so aufrechterhalten habe. Der Antragsteller war der Auffassung, wegen einer Täuschung der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Eheschließung allein zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis sowie ihre falsche und rücksichtslose Behauptung seinerseits zu ihren Lasten begangener Straftaten sei eine unzumutbare Härte gegeben, aufgrund derer er einen Ablauf des Trennungsjahres vor der Scheidung nicht abwarten müsse.

4

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Scheidungsantrag zurückzuweisen; sie sei sich sicher, dass sie die Ehe nicht fortsetzen wolle, sehe aber keine Gründe dafür, dass das so schnell erledigt werden müsse. Die Antragsgegnerin hat behauptet, sie habe den Heiratsantrag des Antragstellers angenommen, weil sie in ihn verliebt gewesen sei. Die von ihr in Deutschland angenommenen Arbeitsstellen habe sie wegen ihrer körperlichen Beschwerden nicht beibehalten können.

5

Das Amtsgericht hat die Ehe der Beteiligten geschieden. Es hat dazu unter anderem ausgeführt, das Scheidungsverfahren diene nicht der umfassenden Aufklärung der strafrechtlichen Vorwürfe der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller; immerhin schienen jedoch aufgrund der wechselnden und teilweise widersprüchlichen Darstellungen der Antragsgegnerin gravierende strafrechtlich relevante Aussagen falsch und ihr die möglichen schwerwiegenden Folgen für den Antragsteller mindestens egal zu sein. Darüber hinaus diene das Festhalten an der Einhaltung des Trennungsjahres ausschließlich der Sicherung des Aufenthaltes der Antragsgegnerin in Deutschland; anderenfalls wäre sie von einem zwischenzeitlichen sechswöchigen Aufenthalt in der Ukraine im Jahr 2015 nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt, wenn die Ehe mit dem Antragsteller nach ihrer sonstigen Darstellung bereits seit langem ein „Martyrium“ dargestellt habe. In der Gesamtwürdigung seien die Anschuldigungen der Antragsgegnerin gegen den Antragsteller so gravierend ehrverletzend und die Zukunft beeinflussend, dass auch die formale Aufrechterhaltung des Ehebandes bis zum Ablauf des Trennungsjahres für letzteren unzumutbar sei; eine überwiegende Verpflichtung zur Einhaltung des Trennungsjahres nur zur Vermeidung ausländerrechtlicher Nachteile für die Antragsgegnerin sei nicht zu erkennen.

6

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, das Amtsgericht habe eine ausreichende Aufklärung dazu unterlassen, von welchem der Beteiligten ihre streitigen tätlichen Auseinandersetzungen ausgegangen seien. Der Antragsteller habe außerdem sowohl vor als auch nach dem Ausspruch der Scheidung versucht, mit der Antragsgegnerin mit dem Ziel einer erneuten Beziehung in Kontakt zu kommen; dies spreche gegen die Annahme einer unzumutbaren Härte für ihn aufgrund vermeintlich ehrverletzender Äußerungen durch die Antragsgegnerin wie auch gegen eine Erfüllung des Zerrüttungserfordernisses überhaupt. In erster Linie komme es ihr darauf an, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ehescheidung aufrecht zu erhalten; es könne nicht sein, dass das erstinstanzliche Gericht eine Ehescheidung vornehme, wenn die entsprechenden gesetzlichen Gründe für eine solche nicht vorlägen. Daneben könne es ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass sie aufgrund ihres bisherigen Lebens in Deutschland diesen Status aufrechterhalten wolle. Die Antragsgegnerin beantragt,

7

den Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 18.07.2016 aufzuheben.

8

Der Antragsteller beantragt,

9

die Beschwerde vom 03.08.2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 28.07.2016 zurückzuweisen.

10

Der Antragsteller verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, wobei er sein Vorbringen zu einer Unrichtigkeit der strafrechtlich relevanten Vorwürfe der Antragsgegnerin hinsichtlich von ihm ausgegangener Tätlichkeiten wiederholt und vertieft.

II.

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Die Beschwerde ist unzulässig.

1.

12

In Ehesachen im Sinne von § 121 FamFG als nicht vermögensrechtlichen Angelegenheiten (vgl. Zöller-Feskorn, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 61 FamFG Rn. 5) mag eine formelle (Mindest)Beschwer des Rechtsmittelführers nicht erforderlich sein (vgl. Prütting/Helms-Abramenko, FamFG, 3. Aufl., 2015, § 61 Rn. 2); davon unabhängig besteht jedoch in jedem Falle die Notwendigkeit eines überhaupt vorhandenen allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. Zöller-Heßler, a.a.O., vor § 511 Rn. 11 m. w. N.).

2.

13

Ein schutzwürdiges Interesse der Antragsgegnerin an der Durchführung eines Beschwerdeverfahrens ist nicht erkennbar.

a.

14

Die Antragsgegnerin trägt im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung selbst vor, es komme ihr in erster Linie darauf an, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ehescheidung aufrecht zu erhalten; das erstinstanzliche Gericht könne keine Ehescheidung vornehmen, wenn die entsprechenden gesetzlichen Gründe für eine solche nicht vorlägen. Dies läuft im Ergebnis auf das Ansinnen einer (lediglich) objektiven Rechtskontrolle hinaus. Ein demgegenüber maßgebliches individuelles Rechtsschutzbedürfnis steht der Antragsgegnerin allerdings deshalb nicht zur Seite, weil sie schon bei ihrer persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht erklärt hat, sie sei sich sicher, dass sie die Ehe nicht fortsetzen wolle; sie verstehe nur die Gründe für das Erfordernis einer so schnellen Erledigung nicht.

aa.

15

Das Trennungsjahr ist Ausfluss der Institutionsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG, die einer allzu scheidungsfreundlichen einfachgesetzlichen Ausgestaltung entgegensteht; danach ist der Gesetzgeber aufgrund des Strukturmerkmals der grundsätzlichen Unauflöslichkeit der Ehe zu einer auf ihre Aufrechterhaltung gerichteten Ausgestaltung des Eherechts verpflichtet (vgl. Gsell/Krüger/Lorenz/Meyer-Unger/Hartmann/Franzius, BeckOGK, Stand: 01.06.2016, § 1565 BGB Rn. 87 m. w. N.). Durch die grundsätzliche Voraussetzung eines der Scheidung vorausgehenden mindestens einjährigen Getrenntlebens der Ehegatten soll einem Rechtsmissbrauch und voreiligen Ehescheidungen vorgebeugt werden; nach der ratio legis des § 1565 Abs. 1 BGB kommt daher erst nach Ablauf des Trennungsjahres die Feststellung der tiefgreifenden und unheilbaren Zerrüttung zum Tragen (vgl. Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth-Hebbeker, jurisPK BGB, 7. Aufl., 2014, § 1565 Rn. 9).

bb.

16

Möchte der Antragsgegner gegen die gemäß § 1565 Abs. 2 BGB ausnahmsweise dennoch bereits vor Ablauf des Trennungsjahres ausgesprochene Scheidung vorgehen, muss er jedoch gerade vor diesem Hintergrund wohl immer noch darlegen (können), dass die Möglichkeit einer Versöhnung und Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft bei einem Abwarten bis zum Ablauf des regelmäßig vorgesehenen Zeitraumes eines Getrenntlebens besteht bzw. zumindest nicht ausgeschlossen ist.

(1)

17

Die vorliegende Konstellation ist insofern ungewöhnlich, als die bisherige Rechtsmittelkasuistik - soweit ersichtlich - fast ausschließlich Fallgestaltungen zum Gegenstand hat, in denen der Antragsteller gegen die Ablehnung seiner vor Ablauf des Trennungsjahres angestrebten Scheidung aus Härtegründen vorgeht; in den nur ganz vereinzelten Entscheidungen mit umgekehrten Vorzeichen wird das hier erörterte Kriterium des Rechtsschutzbedürfnisses des Beschwerdeführers trotz teilweise gegebener Umstände, die ansonsten als Indizien für ein endgültiges Scheitern der Ehe herangezogen werden, nicht angesprochen (vgl. etwa OLG Stuttgart NZF am 2015, 1168: Antragsgegner mit „jetziger Freundin“). Dass im Rahmen der Prüfung der Begründetheit eines Antrages auf Ehescheidung vor Ablauf des Trennungsjahres die Überlegung, ein solches müsse über § 1565 Abs. 2 BGB hinaus auch dann nicht eingehalten werden, wenn trotz Fehlens einer unzumutbaren Härte ein Wiederzueinanderfinden der Eheleute ausgeschlossen erscheine, im Gesetz keine Stütze findet (vgl. OLG Hamm FamRZ 2014, 1109), hindert die Verneinung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels des Antragsgegners gegen die (trotzdem) ausgesprochene Scheidung unter diesem Zeitpunkt aber nicht; denn die Zulässigkeitsprüfung ist derjenigen der Begründetheit vorgeschaltet und muss zur Vermeidung einer objektiv sinnlosen Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ein nicht nur abstraktes Schutzbedürfnis des Beschwerdeführers erkennen lassen.

(2)

18

Nichts anderes folgt aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin, der Antragsteller suche wieder Kontakt zu ihr. Soweit sie hierauf im Anschluss an den gerichtlichen Hinweis bezüglich der beabsichtigten Verwerfung der Beschwerde nochmals verwiesen hat, ergibt sich daraus eben nicht, dass (gerade) ihr selbst an einer Fortsetzung der Ehe gelegen wäre. Ebenso wenig wie einer objektiven Rechtskontrolle dient eine Beschwerdemöglichkeit der Antragsgegnerin aber etwa einer Interessenwahrnehmung für den Antragsteller.

b.

19

Dahinstehen kann im Übrigen, ob sich eine abweichende Beurteilung ergäbe, wenn die Einhaltung eines Trennungsjahres für den Aufenthaltsstatus der Antragsgegnerin in der Bundesrepublik Deutschland relevant wäre; dies ist nämlich von vornherein nicht der Fall. So setzt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für die Erteilung einer erstmaligen Aufenthaltserlaubnis bei Familiennachzug des ausländischen Ehegatten eines Deutschen voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich geführt werden soll bzw. wird (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 28.01.2016, Az.: AN 5 K 15.00311 - zitiert nach juris); sie besteht jedoch bereits mit der Trennung der Ehegatten - im Falle der Beteiligten seit dem 09.01.2016 - zwangsläufig nicht mehr. Ein eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzuges unabhängiges Aufenthaltsrecht des ausländischen Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ergibt sich nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wiederum nur, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat; ein solcher Zeitraum ist im Falle der Antragsgegnerin von der Eheschließung am 15.08.2013 bis zu der Trennung der Beteiligten am 09.01.2016 unzweifelhaft nicht erreicht.

III.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 Abs. 1 FamFG, 97 Abs. 1 ZPO (vgl. Prütting/Helms-Helms, FamFG, 3. Aufl., 2014, § 150 Rn. 21 m. w. N.).

IV.

21

Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FamGKG.

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